Quelle: Kurze Argumente gegen den Zeitgeist
zurückSÜNDENBÖCKE
Eine beliebte Variante der "Sündenbocktheorie" lautet folgender- maßen: Wenn ein Staat sich im Innern seines Gemeinwesens vor zahlreiche Probleme gestellt sieht und diese nicht recht in den Griff be- kommt, dann muß er befürchten, daß die Bevölkerung ihm vielleicht Arbeits- und andere Dienste versagt, ihm vielleicht sogar ganz prinzipiell den Gehorsam aufkündigt. Um dieser Situation zu ent- gehen, setzt der Staat "Sündenböcke" in die Welt (Türken, Juden, Intellektuelle...), die fürjene "Krisen" verantwortlich gemacht werden, welche er nicht bereinigen kann. Besonders sollen sich dafür Ausländer bzw. ausländische Staaten eignen. Ein Beispiel dafür: "Der skizzierte (türkenfeindliche) Stimmungswandel hängt zweifel- los direkt mit der momentanen gesellschaftlichen Krise zusammen. Der gerade bei uns so lange selbstverständliche ökonomische Wachstumsmechanismus hat nur selten scharfe Auseinandersetzungen um die Verteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts auftreten lassen ... Wie immer bei umfassenden sozialökonomischen Krisen schlägt dies am ehesten beim sogenannten kleinen Mann durch. Um nun den Verantwortlichen dafür dingfest zu machen und zumin- dest psychologisch entlastet zu werden, greift man auf Sünden- böcke zurück..." (Gewerkschaftiiche Monatshefte 7/82, S. 404). Diese Theorie weist eine erhebliche Schwäche auf, die das unter- stellte Verhältnis des Staates zu seinem Volk betrifft: A u f d e r e i n e n S e i t e wird angenommen, daß dem Volk ein recht selten unzutreffender Durchblick eigen ist: E r s t e n s - dies ist verständlicherweise durchaus verbreitet - wissen die "kleinen Leute" um die Lage, z w e i t e n s - hier beginnt der seltener unzutreffende Durchblick - wissen sie, wem sie ihre "Krise" zu verdanken haben, und drittens sind sie willens und fähig - hier wird es leider vollständig fabelhaft -, aus ihrem Wissen eine praktische Konsequenz zu ziehen, die der Staat fürchten muß. Ein Zustand der Aufgeklärtheit und Entschlos- senheit im Volk, welchen man sich kaum besser wünschen kann! A u f d e r a n d e r e n S e i t e dagegen wird denselben "kleinen Leuten" aber unterstellt, daß sie voll auf die "Sündenbock"-Masche hereinfallen; daß sie nämlich * e r s t e n s ausgerechnet demjenigen, den sie für ihre Lage verantwortlich machen, zugleich abnehmen, daß er nichts für das kann, was er angerichtet bzw. nicht bereinigt hat. Hier soll sich die erklärte Gegnerschaft, zumindest aber eine gehörige Portion Mißtrauen mit blindem Vertrauen paaren!? * z w e i t e n s aus heiterem Himmel glauben, daß ausgerechnet Leute bzw. Nationen, mit denen sie nichts bzw. weniger zu schaf- fen haben als mit ihrer Herrschaft, an ihrer Lage die Schuld tra- gen. Hier soll sich das Wissen um die Gründe für die eigene "Krise" mit dem glatten Gegenteil, nämlich reinen Erfindungen über Gründe und Ursachen von Geld- und anderen Losigkeiten be- stens vertragen!? * d r i t t e n s auch mit der Präsentation eines nicht durch- schauten Sündenbocks zufrieden sind. Hier soll sich beim "kleinen Mann" der Standpunkt des materiellen Interesses mit dem Stand- punkt der Schuldzuweisung vereinbaren lassen!? Auch hier sind größere Gegensätze kaum denkbar: Einerseits, so behauptet die Sündenbocktheorie, denke der Mensch an sein materielles Inter- esse, an Geld, Arbeitsumstände, Freizeit etc., zum anderen aber sei er zugleich zufriedenzustellen, wenn man ihm einen an seiner Misere Schuldigen präsentiert, eine Maßnahme, durch welche be- kanntlich kein roter Heller in die Haushaltskasse fließt. "Sündenböcke" verfangen nur dann, wenn jene, denen sie präsen- tiert werden, weit entfernt davon sind, in sozialstaatlichem Wir- ken einen der Gründe für jene mißliche Lage zu entdecken, die ih- nen aufstößt. Genau genommen handelt es sich dann auch nicht mehr um "Sündenböcke": Denn kann ein Staatsich auf den Nationalismus seiner Untertanen verlassen, darin hat er den Trick mit dem "Sündenbock" nicht nötig. Übrigens weiß er bei sich selbst - wie nachgewiesen - um ganz eigene Gründe für seine "Ausländerfeindlichkeit" und um ganz eigene Mittel und Wege für sie, die keinesfalls mit dem wenig berechnenden rassistischen Na- tionalismus seiner türkenfeindlichen Untertanen zusammenfallen müssen. zurück