Quelle: Kurze Argumente gegen den Zeitgeist
zurückWARUM SOLL MAN FÜR SEIN "VATERLAND" SEIN?
Es gilt vor einem Mißverständnis zu warnen: Die Erklärung, für die eigene Nation zu sein, ist nicht identisch damit, etwas an oder in ihr gut zu finden, z.B. die Nordsee oder den Schwarzwald, den Kölner Dom oder Rothenburg ob der Tauber. Vom Kunst-, Archi- tektur- oder Naturliebhaber wird man nicht automatisch zu einem Fan nationaler staatlicher Zwecke. Was soll denn auch die politi- sche und territoriale Identität Deutschlands, was sollen die po- litischen Zwecke der BRD mit jenem unschuldigen Kölner Dom, dem Schwarzwald oder der Nordsee zu schaffen haben? Weder sind die Badefreuden an der Nordsee an deutsche Nationalität gebunden, noch verdanken sich diese Badefreuden deutscher Politik, noch sind Badevergnügen überhaupt an deutsche Strände gebunden, wie gotische Architektur hinreichend in Frankreich oder schwarze Wäl- der auch in Kanada bewundert werden können. Wer ist außerdem schon für Deutschland ausgerechnet wegen all der Landschaft, die hier in den Grenzen von 1949 versammelt ist? Kaum vorstellbar, daß die Deutschlandliebe in Sachen Nordsee genau an der holländischen Grenze oder in Sachen Alpenglühen mitten auf der Zugspitze an der österreichischen Grenze endet. Unvorstell- bar, daß einunddieselbe Landschaft ausgerechnet an der Grenze zu einem anderen Staat ihren Charakter dermaßen ändern soll, daß sie von da ab abstoßend, weil undeutsch ist. Der ganze Gedanke erweist sich beim ersten Blick als die Überset- zung eines anders begründeten Patriotismus in ein Material, in welchem der individuelle Geschmack sich frei zwischen Schwarzwald und Schleswig-Holstein, zwischen Dürer und Beuys, zwischen Kölner Dom und Celler Fachwerk austoben kann. Anders formuliert: Wer für die Nation wegen eines Stückchens Natur oder Kultur ist, welches sich auf ihrem Territorium befindet, der hat ganz offensichtlich in den l e b e n s w i c h t i g e n Bereichen seines Daseins wenig Gründe entdeckt, sich voll hinter das "Vaterland" zu stel- len; möchte davon aber deswegen noch lange nicht lassen. Eine ähnliche Problematik stellt sich auch ein, wenn man sich in anderen Bereichen Material für sein Dafürsein zusammensucht. Das Urteil: Das fesche, gebührenfreie Autobahnsystem der BRD, das finde ich begeisternd. Aber daß an allen Ecken und Enden der BRD strahlende AKW's herumstehen, reißt mich nicht zu Begeisterungs- stürmen hin. Oder: Der technische Standard der Produktion, irre! Aber 2,5 Millionen Arbeitslose, kein Grund zum Jubeln! Bibliothe- ken, in denen sich kostenlos alles Wissenswerte nachlesen läßt: ja! Aber daß die Naturwissenschaft immer wieder in Waffenproduk- tion mündet, die auch noch andere Länder mit diesem Gerät ver- sorgt: nein! Ist man nun f ü r Deutschland wegen der Autobahn oder g e g e n Deutschland wegen der Arbeitslosen? Ist man nun f ü r Deutschland wegen der Bibliotheken oder g e g e n Deutschland wegen der Waffenproduktion? Offensichtlich geht ein "Ja" zur Na- tion nicht ab ohne das "Ja" zu Dingen, zu denen man eigentlich sonst nein sagen würde. Selektivität verträgt sich mit Nationa- lismus offensichtlich überhaupt nicht. Es hat deswegen schon seine guten Gründe, daß sich der Patriotis- mus, die Vaterlandsliebe, der Nationalismus nicht von einer pri- vaten Leistungsbilanz der Bürger abhängig macht. In der Tat fiele eine solche Leistungsbilanz, würde man sie einmal anstellen, recht bescheiden aus. Wie ließe sich auch der Standpunkt: "Ich liebe meine Vaterland, weil es alles für mich tut!" denn wohl be- gründen? Wer käme schon zu folgenden Urteilen? Der Staat sorgt für mich * indem er mein Einkommen sichert, * indem er Preise, Mieten, Steuern stabil hält oder senkt, * indem er jede Sorte gesundheitsschädlicher Arbeit sofort ver- bietet, * indem er AKW's schließt bzw. gar nicht erst baut, * indem er alle Betriebe dicht macht, die dafür sorgen, daß die Luft zum Atmen bereits die schleichende Vergiftung sicherstellt, * indem er ganz konsequent und ohne Rücksicht auf das Vorgehen anderer Staaten seine Abrüstung betreibt usw. Nichts davon! Es ist vom Standpunkt derer, die da von ihrem Volk geliebt werden wollen, sehr verständlich, daß sie es bei der Va- terlandsliebe nicht auf die Leistungsbilanz ankommen lassen, son- dern diese sogar ächten; z.B. dadurch, daß alle diejenigen, die einmal praktisch oder auch nur theoretisch solche umfassende Lei- stungsbilanz erstellen, als Materialisten, Egoisten oder gar Kom- munisten beschimpft werden. Wobei der Staat und seine Organe sich offensichtlich sicher sind, daß dieses Urteil als B e s c h i m p f u n g durchkommt, und nicht etwa als Lob jener Bürger zur Kenntnis genommen wird, die einmal den Gedanken an sich selbst nicht hinter dem Gedanken an den Staat und seine "Sachzwänge" zurückstellen. Sie können sich darauf verlassen, daß die Abstraktion vom Gesichtspunkt des eigenen Wohlergehens schon sehr weit durchgesetzt ist. In der Ächtung des Standpunktes der privaten Wohlfahrt können sie mit einem durchgesetzten Nationa- lismus leider weitgehend rechnen. Es gibt also keine guten Gründe für ein "Ja" zur Nation, für ein "Ja", das jene prinzipielle, nicht-selektive Zustimmung dar- stellt, und schon gar nicht für ein "Ja", das bis zum Einsatz des eigenen Lebens zu gehen hat. zurück