Quelle: Kurze Argumente gegen den Zeitgeist


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GRUNDGESETZ, ART. 3

Eingeklagt wird in all diesen Forderungen der Artikel 3 der Ver- fassung: "Artikel 3: Gleichheitsgrundsatz, Gleichberechtigung (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benach- teiligt oder bevorzugt werden." Der Artikel 3 fällt unter den Abschnitt "Grundrechte", und sein Inhalt findet sich in allen Menschenrechtskonventionen wieder. Er ist die juristische, aber auch moralische Berufungsinstanz all derer, die sich gegen die Diskriminierung von Ausländern wenden. Grundrechte sind die höchsten Güter. Sie formulieren den Grund- konsens der Bürger, auf dem das Gemeinwesen aufgebaut ist. Sie zu hinterfragen oder gar in Frage zustellen, gilt als ungehörig. Auch auf diese Gefahr hin lassen sich einige Nachfragen nicht verkneifen: 1. Wenn Artikel 3, Absatz 3 ein Verbot ausspricht, dann ist das Verbotene offensichtlich im Geltungsbereich des Grundgesetzes an der Tagesordnung. Müßte es sonst verboten werden? Keinen Sinn würde es z.B. machen, wenn im Grundgesetz den Bürgern erlaubt würde, über 60 Jahre alt zu werden, oder wenn ihnen das Fliegen ohne Hilfsmittel verboten würde. 2. Es ist also ein ziemlicher Unfug, das Grundgeseiz wegen der Nichtverwirklichung dieser Artikel anzuklagen: Deswegen gibt es sie überhaupt nur. Die Klage über die Differenz zwischen Verfas- sungsidee und Verfassungswirklichkeit lebt von der Annahme, daß das Grundgesetz eine Art von B e s c h r e i b u n g d e r Z u s t ä n d e in ihrem Geltungsbereich wäre. Sie behauptet nicht mehr und nicht weniger, als daß die hier kodifizierten N o r m e n für das Zusammenleben der Menschen mit ihren I n t e r e s s e n identisch seien. Dabei verweist der Artikel selbst darauf, daß Bürger der BRD offensichtlich bei sich Gründe haben, ihre Mitmenschen wegen Geschlecht, Herkunft, Sprache usw. zu benachteiligen. 3. Das Grundgesetz verkündet nicht, daß Gleichheit g a n z p r i n z i p i e l l herrschen solle. Nur in den genannten Be- reichen, die obendrein hinsichtlich des Kriteriums "politische Anschauung" in der Verfassung selbst eingeschränkt werden. Dabei fallen mir andere Bereiche ein, in denen Ungleichheit herrscht, die nicht verboten ist: z.B. im Bereich des Eigentums, der Parti- zipation am Reichtum jener Gesellschaft, für welche das Grundge- setz gilt usw. Würde nicht mancher ein wenig Diskriminierung we- gen seines Glaubens oder seiner Herkunft hinnehmen, wenn dafür die Diskriminierung wegen des Eigentums beendet würde? Hört das Gleichheitspostulat nicht dort auf, wo seine Anwendung allererst spannend würde? Und eines läßt sich doch mit Sicherheit behaup- ten: daß die Eigentumsunterschiede ebensowenig wie Herkunfts- oder Sprachunterschiede von den Eigentumslosen v e r s c h u l d e t sind. Daß i h r e A r b e i t als "Arbeitnehmer" mit einer 38,5-Stunden-Woche und in einem Arbei- terleben von ca. 40 Jahren so unproduktiv ist, daß die nachfol- gende Generation sie mit derselben Eigentumslosigkeit bezahlen muß, das behaupten nicht einmal die abgebrühtesten Ideologen der Gleichheit. 4. Da "hilft" die verfassungsrechtliche Unterscheidung zwischen "m a t e r i a l e r und f o r m a l e r Gleichheit", zwischen "Gleichheit in der S a c h e" und "Gleichheit im V e r f a h r e n". Das ist eben das Gekonnte an der Gleichheit, daß sie in erster Linie darauf insistiert, jedem Bürger die g l e i c h e n "V e r f a h r e n s regeln", etwa vor den Schranken des Gerichts, in der Schule, beim Erwerb von Lebensmit- teln usw. zuzugestehen, die praktischerweise von den Hütern des Grundgesetzes ebenfalls vorgeschrieben werden. Deswegen gehört die Ungleichheit eben zur Gleichheit dazu: Ungleichheit in der Religion begründet den Gleichheitsgrundsatz, daß niemand wegen seiner Religion härter bestraft, geringer bezahlt oder in der Schule nicht versetzt werden darf. Ungleichheit im Geschlecht be- gründet das Gebot, daß niemand wegen seines Geschlechts härter bestraft, geringer bezahlt oder nicht versetzt werden darf usw. D e s w e g e n nicht! Aber aus anderen Gründen sehr wohl: Wenn ein Eigentümer einer Fabrik sich aus dem Überschuß 20.000 DM pro Monat für den privaten Verbrauch nimmt, 200.000 DM akkumuliert, seinem Arbeiter einen Durchschnittslohn von 2.000 DM zahlt, dann ist das erlaubt; denn ein Bruch der Gleichheitsgebote des Grund- gesetzes liegt nicht vor: Der Arbeiter hat nicht w e g e n sei- ner anderen R e l i g i o n, seines anderen G e s c h l e c h t s, seiner anderen H e r k u n f t, seiner anderen Sprache usw. nur ein Zehntel dessen zum Leben, was der Eigentümer für den Privatkonsum einstreicht. Hier ist alles in Ordnung! Denn der Artikel 3 lautet nicht, es dürfe niemand wegen seines Besitzstandes, wegen der Art des Umfangs seines E i g e n t u m s benachteiligt oder bevorzugt werden. Warum steht das eigentlich nicht in der Verfassung? (S. dazu: Demokra- tischer Rassismus) 5. Schließlich sollte man sich auch einmal überlegen, ob die Gleichheit bzw. Gleichberechtigung - in der Sache oder im Verfah- ren, materiell oder formal - eigentlich überhaupt ein anzustre- bendes Ziel, ob in der Tat die Herstellung von Gleichberechtigung überhaupt das Mittel ist, um politischer, ökonomischer, psychi- scher und physischer Unterdrückung Herr zu werden (vgl. dazu F. Engels, Vorarbeiten zum "Anti-Dühring", MEW 20, S. 579 ff und K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 19 ff). zurück