Quelle: MEW 5 März - November 1848


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       #440#
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       Der Staatsprokurator "Hecker" und die
       "Neue Rheinische Zeitung"
       
       ["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 129 vom 29. Oktober 1848]
       * Köln,  28. Oktober.  Nr. 116  der "Neuen  Rheinischen  Zeitung"
       brachte   h i n t e r   d e m  S t r i c h e,  d.h. außerhalb des
       politischen Teils  der Zeitung,  "Ein Wort an das deutsche Volk",
       unterzeichnet  "Hecker".  Dies  "historische  Aktenstück"  hatten
       deutsche Zeitungen  v o r  der "Neuen Rheinischen Zeitung" mitge-
       teilt. Andere  deutsche Zeitungen, rheinpreußische und altpreußi-
       sche nicht ausgenommen, brachten es später. Selbst die "Kölnische
       Zeitung" [104]  besaß historischen  Sinn genug,  die Proklamation
       von Struve abzudrucken, nicht minder die von Fuad Effendi [249].
       Wir wissen  nicht - ließen die Lorbeeren des Republikaners Hecker
       den Staatsprokurator  Hecker nicht  ruhig schlafen? Die erstaunte
       Welt, sollte  sie erfahren,  daß die  deutsche Revolution doppelt
       geschlagen sei durch die Flucht des Republikaners Hecker nach New
       York, durch die Anwesenheit des Staatsprokurators Hecker zu Köln?
       Man kann  es nicht  leugnen. Die  Nachwelt wird  in diesen beiden
       Riesengestalten die  Gegensätze der  modernen Bewegung dramatisch
       zusammengefaßt sehn.  Ein künftiger  Goethe  wird  sie  in  einen
       "Faust" binden.  Wir überlassen  es ihm,  welchem Hecker  er  die
       Rolle des Faust zuteilen will, welchem die des Wagner.
       Genug. Dem phantastischen Abschiedsworte des Republikaners Hecker
       folgte ein  nicht minder phantastisches Requisitorium des Staats-
       prokurators Hecker.
       Oder täuschen  wir uns? Glaubt Hecker, der Staatsprokurator, "das
       Wort an  das deutsche  Volk" sei  eigenstes Fabrikat  der  "Neuen
       Rheinischen Zeitung",  und in  ihrer erfinderischen  Bosheit habe
       diese Zeitung ihre eigene Proklamation "Hecker" unterzeichnet, um
       dem deutschen Volke glauben zu machen, Hecker, der Staatsprokura-
       tor, Wandere aus nach New York, Hecker, der Staatsprokurator,
       
       #441# Der Staatsprokurator "Hecker" und die "N. Rh. Ztg."
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       proklamiere die  deutsche Republik, Hecker, der Staatsprokurator,
       sanktioniere amtlich revolutionäre fromme Wünsche?
       Eine solche  Finte war  glaublich, denn das in der Beilage zu Nr.
       116 der  "Neuen Rheinischen  Zeitung" abgedruckte  Aktenstück ist
       nicht  F r i e d r i c h Hecker unterschrieben, sondern tout bon-
       nement 1*) "Hecker". Hecker ohne Schnörkel, einfacher Hecker! Und
       besitzt Deutschland nicht einen zweifachen Hecker?
       Und wer  von den  zweien ist  der "einfache  Hecker"?  Zweideutig
       bleibt diese  Einfachheit immerhin,  wir meinen  inkulpierend für
       die "Neue Rheinische Zeitung".
       Wie dem auch sei, Herr Hecker, der Staatsprokurator, sah offenbar
       in dem  "Wort an das deutsche Volk" ein Fabrikat der "Neuen Rhei-
       nischen Zeitung".  Er erblickte  dann eine  d i r e k t e  A u f-
       f o r d e r u n g   z u m   U m s t ü r z e   d e r    R e g i e-
       r u n g,  Hochverrat in ausgebildetster Form oder zum allerwenig-
       sten Teilnahme am Hochverrat, Was nach dem Code pénal [166] "ein-
       facher" Hochverrat ist.
       Herr Hecker  trug also  bei dem  Instruktionsrichter  darauf  an,
       nicht den  unterzeichneten Geranten 2*), sondern den Redakteur en
       chef, Karl  Marx, als  Hochverräter zu "konstituieren". Einen als
       Hochverräter "konstituieren"  heißt aber mit ändern Worten, einen
       vorläufig ins  Gefängnis stecken und ihn bis aufs weitere mit der
       Untersuchungshaft  bestrafen.   Es  handelt   sich  hier  um  die
       "Konstitution" des  Zellengefängnisses.  Der  Instruktionsrichter
       weigerte sich.  Wenn Herr  Hecker einmal eine Idee gefaßt hat, so
       verfolgt er  seine Idee. Den Redakteur en chef der "Neuen Rheini-
       schen  Zeitung"  zu  "konstituieren",  War  ihm  zur    f i x e n
       I d e e   geworden, wie  der Name  "Hecker" unter dem "Abschieds-
       wort" zur  F i k t i o n.  Er wandte sich also an die Ratskammer.
       Die Ratskammer  weigerte sich.  Er ging von der Ratskammer an den
       Appellsenat. Der  Appellsenat weigerte  sich. Aber  Herrn Hecker,
       den Staatsprokurator,  verließ seine  fixe Idee nicht, den Redak-
       teur en chef der "Neuen Rheinischen Zeitung", Karl Marx, immer in
       dem angegebenen Sinne, zu "konstituieren". Die Ideen des Parquets
       sind, wie  man sieht, keine spekulativen Ideen im Hegelschen Sin-
       ne. Es  sind Ideen im Kantschen Sinne. Einfalle der "praktischen'
       Vernunft.
       Karl Marx  konnte nimmer  gleich direkt als Hochverräter "konsti-
       tuiert" werden,  konstituierte selbst  der Abdruck revolutionärer
       Tatsachen oder  Proklamationen eine  Zeitung zur  Hochverräterin.
       Zunächst hatte  man sich  an   d e n   zu halten, der die Zeitung
       u n t e r z e i c h n e t,  ganz besonders in diesem Falle, wo
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       1*) ganz einfach - 2*) Korff
       
       #442# Karl Marx/Friedrich Engels - "Neue Rheinische Zeitung"
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       das fragliche  Aktenstück   u n t e r  d e m  S t r i c h  steht.
       Was blieb  übrig? Eine Idee gibt die andere. Man konnte Karl Marx
       nach Artikel 60 des Code pénal als Komplice des angeblich vom Ge-
       ranten begangenen  Verbrechens zitieren.  Man kann  ihn, wenn man
       will, auch  als Komplice  jener Annonce,  stehe sie selbst in der
       "Kölnischen Zeitung",  zitieren. Karl  Marx erhielt  also von dem
       Instruktionsrichter einen  Erscheinungsbefehl, erschien und wurde
       zu Protokoll vernommen. Die Setzer wurden, soviel wir wissen, als
       Zeugen geladen,  der Korrektor  wurde als Zeuge geladen, der Dru-
       ckereibesitzer wurde  als Zeuge  geladen. Endlich  aber wurde der
       G e r a n t  als  Z e u g e  geladen. Die letzte Ladung verstehen
       wir nicht.
       Soll der angebliche Autor gegen seinen Komplicen zeugen?
       Um in unserer Geschichtserzählung vollständig zu sein: Eine Haus-
       suchung wurde im Büro der "Neuen Rheinischen Zeitung" abgehalten.
       Hecker, der Staatsprokurator, hat Hecker, den Republikaner, über-
       troffen. Der eine vollbringt rebellische Tatsachen und erläßt re-
       bellische Proklamationen. Der andere streicht die Tatsachen trotz
       allem Widerstreben  aus, aus den Memoiren der Zeitgeschichte, aus
       den   Z e i t u n g e n.   Er macht  das  Geschehene  ungeschehn.
       Teilt die  "schlechte Presse" revolutionäre Tatsachen und Prokla-
       mationen mit, so hochverrät sie doppelt. Sie ist moralischer Kom-
       plice; sie teilt die rebellischen Tatsachen nur mit, weil diesel-
       ben sie innerlich kitzeln. Sie ist Komplice im gewöhnlichen juri-
       stischen Sinne;  indem sie  referiert, verbreitet  sie, und indem
       sie verbreitet,  macht sie  sich zum Werkzeuge des Aufruhrs. Nach
       beiden Seiten  hin wird  sie daher  "konstituiert" und genießt so
       die  F r ü c h t e  der "Konstitution". Die "gute Presse" dagegen
       wird das  Monopol haben,  revolutionäre Aktenstücke und Tatsachen
       mitzuteilen oder  nicht mitzuteilen, zu verfälschen oder nicht zu
       verfälschen. Radetzky  hat diese  Theorie angewandt, indem er den
       Mailänder Blättern  verbot, die Wiener Tatsachen und Proklamatio-
       nen mitzuteilen.  Dagegen brachte  die "Mailänder Zeitung". [348]
       an der Stelle der großen Wiener "Revolution" einen eigens von Ra-
       detzky komponierten kleinen Wiener Krawall. Ein Aufstand soll, so
       munkelt man, nichtsdestoweniger in Mailand ausgebrochen sein.
       Herr Hecker,  der  Staatsprokurator,  ist,  wie  jedermann  weiß,
       M i t a r b e i t e r   an der  "Neuen Rheinischen  Zeitung" 1*).
       Als unserm Mitarbeiter vergeben wir ihm viel, nur nicht die Sünde
       gegen den  unheiligen "Geist" unserer Zeitung. Und er begeht eine
       solche Sünde,  indem er  mit einem Mangel an Kritik, der an einem
       Mitarbeiter der  "Neuen Rheinischen  Zeitung" unerhört  ist,  die
       Proklamation Heckers,  des Flüchtlings,  in die  Proklamation der
       "Neuen
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       1*) Siehe vorl. Band, S. 175-177
       
       #443# Der Staatsprokurator "Hecker" und die "N. Rh. Ztg."
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       Rheinischen Zeitung"  verwandelt. Friedrich  Hecker verhält  sich
       p a t h e t i s c h,   die "Neue Rheinische Zeitung" verhält sich
       k r i t i s c h   zur Bewegung.  Friedrich Hecker  erwartet alles
       von dem  magischen Wirken  einzelner   P e r s ö n l i c h k e i-
       t e n.   Wir erwarten  alles von  den Kollisionen,  die  aus  den
       ökonomischen   V e r h ä l t n i s s e n   hervorgehn.  Friedrich
       Hecker reist  nach den  Vereinigten Staaten, um die "Republik" zu
       studieren. Die  "Neue Rheinische  Zeitung" findet  in  den  groß-
       artigen  Klassenkämpfen,  die  innerhalb  der    f r a n z ö s i-
       s c h e n   R e p u b l i k  vorgehen, interessantere Gegenstände
       des Studiums  als in  einer Republik,  wo  die  Klassenkämpfe  im
       Westen noch  nicht existieren  und im Osten nur noch in der alten
       lautlosen englischen Form sich bewegen. Für Friedrich Hecker sind
       die sozialen  Fragen Konsequenzen der politischen Kämpfe, für die
       "Neue Rheinische  Zeitung" sind  die politischen  Kämpfe nur  die
       Erscheinungsformen der  sozialen  Kollisionen.  Friedrich  Hecker
       könnte ein  guter trikolorer  Republikaner sein.  Die eigentliche
       Opposition der  "Neuen Rheinischen  Zeitung" beginnt  erst in der
       trikoloren Republik.
       Wie hätte  z.B. die  "Neue Rheinische  Zeitung", ohne vollständig
       ihre Vergangenheit  zu desavouieren,  dem deutschen Volke zurufen
       können:
       
       "Schart euch um die Männer, welche das Banner der Volkssouveräni-
       tät hoch  und bei demselben treue Wache halten, um die Männer der
       äußersten Linken  zu Frankfurt a.M.; schließt euch in Rat und Tat
       fest an die tapferen Führer der republikanischen Schilderhebung."
       
       Wir haben  wiederholt erklärt,  daß wir  kein "parlamentarisches"
       Blatt sind  1*) und uns daher nicht scheuen, von Zeit zu Zeit den
       Zorn selbst der äußersten Linken von Berlin und Frankfurt auf un-
       ser Haupt zu ziehen. Wir haben den Herrn von Frankfurt zugerufen,
       sich an  das Volk, wir haben nie dem Volke zugerufen, sich an die
       Herren von  Frankfurt anzuschließen.  Und "die tapfern Führer der
       republikanischen Schilderhebung", Wo sind sie, Wer sind sie? Hec-
       ker ist  bekanntlich in Amerika, Struve im Gefängnisse. Also Her-
       wegh? Die  Redakteure der "Neuen Rheinischen Zeitung", namentlich
       Karl Marx,  sind dem  Herweghschen Unternehmen  [349] zu Paris in
       öffentlichen  Volksversammlungen  entschieden  gegenübergetreten,
       ohne die  Ungunst der aufgeregten Massen zu scheuen. Sie sind da-
       für ihrer Zeit gebührendermaßen von  U t o p i s t e n,  die sich
       für    R e v o l u t i o n ä r e    versahn,  verdächtigt  Worden
       (vergleiche u.a.  die  "D e u t s c h e  V o l k s z e i t u n g"
       [350]). Und  jetzt, Wo die Ereignisse wiederholt unsere Vorhersa-
       gungen bestätigt haben, sollten wir uns den Männern der entgegen-
       gesetzten Meinung anschließen?
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       1*) Siehe u.a. vorl. Band, S. 347 und 406
       
       #444# Karl Marx/Friedrich Engels - "Neue Rheinische Zeitung"
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       Doch seien  Wir gerecht.  Herr Hecker,  der Staatsprokurator, ist
       noch ein junger Mitarbeiter an unserm Blatte. Der Anfänger in der
       Politik wie  der Anfänger  in der Naturwissenschaft gleicht jenem
       Maler, der  nur zwei  Farben kennt,  weiß und schwarz, oder, wenn
       man lieber  will, schwarzweiß  und rot. Die feineren Unterschiede
       innerhalb jeder  espèce 1*)  enthüllen sich  nur dem  geübten und
       erfahrenen Auge.  Und überdem,  war Herr  Hecker nicht beherrscht
       von der  fixen Idee, den Redakteur en chef der "Neuen Rheinischen
       Zeitung", Karl  Marx, zu  "konstituieren"! -  eine fixe Idee, die
       weder  im   Fegefeuer   des   Instruktionsgerichtes,   noch   der
       Ratskammer,  noch   des  Appellsenats   zerschmolz,   also   eine
       feuerhaltige fixe Idee sein muß.
       Die größte  Errungenschaft der  Märzrevolution ist unstreitig, um
       mit Brutus  Bassermann zu reden, die "Herrschaft der Edelsten und
       Besten" und  ihr rasches  Steigen auf  der Stufenleiter der Herr-
       schaft. Wir hoffen daher, daß auch die Verdienste unsres geehrten
       Mitarbeiters, des  Herrn Staatsprokurators Hecker, den schneewei-
       ßen Tauben  gleich, die vor den Wagen der Aphrodite gespannt, sie
       pfeilschnell zum Olymp trugen, ihn auf die Höhen des Staatsolymps
       tragen werden.  Unsere Regierung ist, wie jedermann weiß, konsti-
       tutionell. Pfuel schwärmt für den Konstitutionalismus. In konsti-
       tutionellen Staaten  ist es  Usus, den Empfehlungen der Oppositi-
       onsblätter aufmerksames  Gehör zu  schenken. Wir bewegen uns also
       auf konstitutionellem Boden, wenn wir der Regierung raten, unserm
       Hecker die erledigte  O b e r p r o k u r a t u r  von Düsseldorf
       zu   e r t e i l e n.  Herr Prokurator Ammon von Düsseldorf, der,
       soviel uns bekannt, bisher noch keine Rettungsmedaille um das Va-
       terland verdient hat, wird keinen Augenblick anstehn, vor dem hö-
       hern Verdienste seinen eignen etwaigen Ansprüchen ehrfurchtvolles
       Schweigen zu diktieren. Sollte aber Herr Heimsoeth Justizminister
       werden, wie  wir  hoffen,  so  empfehlen  wir  Herrn  Hecker  zum
       G e n e r a l a d v o k a t e n.  Größeres erwarten wir für Herrn
       Hecker. Herr Hecker ist noch jung. Und, wie jener Russe sagt: Der
       Zar ist  groß, Gott  ist noch  größer, aber  der   Z a r    i s t
       n o c h  j u n g.
       
       Geschrieben von Karl Marx.
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       1*) Art

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