Quelle: MEW 6 November 1848 - Juli 1849


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       Lassalle [262]
       
       ["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 283 vom 27. April 1849]
       * Köln, 26. April. Wir haben ein Faktum zu melden, welches zeigt,
       daß en  fait de justice 1*) nichts mehr unmöglich ist. Herr Gene-
       ralprokurator Nicolovius  ist so ziemlich im Begriff, die Lorbee-
       ren noch zu übertreffen, die sich seinerzeit Herr Hecker erworben
       hat.
       Man erinnert sich aus unsern frühern Mitteilungen, daß der stell-
       vertretende Oberprokurator  v. Ammon  I.  in  Düsseldorf  in  dem
       Kriminalprozeß gegen  Lassalle einen  Brief desselben, in welchem
       er einen Schönsteinschen Landmann 2*) aufforderte, im Falle eines
       Kampfes einen  Zuzug von  einigen hundert Mann nach Düsseldorf zu
       bewirken, drei  Wochen lang in seinem Pulte dem Instruktionsrich-
       ter vorenthalten  und ihm  denselben erst dann übergeben hat, als
       dieser ihm  eröffnete, daß  die Untersuchung geschlossen sei. Man
       erinnert sich, daß nun dieses Briefes wegen - der übrigens so we-
       nig eine  direkte Aufforderung  zum Aufstand  enthielt, daß weder
       Ratskammer noch  Anklagesenat ihn unter die Belastungsgründe auf-
       genommen haben - die Untersuchung von neuem begonnen werden mußte
       und daß  dies die  Ursache war,  weshalb der  Lassallesche Prozeß
       nicht schon in der vorigen Assisensession erledigt wurde.
       Nun, Lassalle denunzierte damals diese absichtliche Verschleppung
       des Herrn v. Ammon I. beim Generalprokurator.
       Der Generalprokurator  schickt, statt Lassalle irgendeine Antwort
       zu erteilen,  die Denunziation Lassalles an das Düsseldorfer Par-
       quet mit  der Ordre,  eine Untersuchung  auf Grund  des Art.  222
       [305] gegen  Lassalle auf diese Denunziation einzuleiten, weil in
       derselben Herr v. Ammon  b e l e i d i g t  s e i!
       Pends-toi, Figaro, tu n'aurais pas inventé cela!' [386]
       Ein Brief  an Herrn Nicolovius soll eine Beleidigung des Herrn v.
       Ammon im Sinne des Art. 222 bilden! Wir haben einmal bei Gelegen-
       heit eines Preßprozesses,
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       1*) was die Justiz betrifft - 2*) Stangier
       
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       den wir  gegen die  Herren Zweiffel und Hecker zu führen das Ver-
       gnügen hatten,  ausgeführt, daß der Art. 222 selbst nicht auf öf-
       fentliche Beleidigungen  durch die Presse, sondern nur auf solche
       Beleidigungen anwendbar ist, welche in persönlicher Gegenwart der
       Herren Beamten ihnen ins Gesicht geworfen werden 1*).
       Aber wäre der Art. 222 auch auf Beleidigungen durch  ö f f e n t-
       l i c h e   Schriften anwendbar  ·- das  ist sicher  noch niemand
       eingefallen zu  behaupten, daß  ein Brief  an eine  dritte Person
       eine Beamtenbeleidigung  darstellen könne.  Nach  der  bisherigen
       Korrektionell-Praxis war immer erforderlich, daß das beleidigende
       Schriftstück an  den Beleidigten  selbst gerichtet,  oder daß  es
       öffentlich verbreitet sei. Herr Nicolovius entdeckt jetzt, daß es
       eine Beamtenbeleidigung  sei, wenn  man  e i n e m  D r i t t e n
       in beleidigenden Ausdrücken über einen Beamten schreibt! Man hüte
       sich also,  in seinen  Privatbriefen in  unehrerbietigem Tone von
       Beamten zu reden!
       Daß der  Brief Lassalles  an die  dem Herrn  v. Ammon  v o r g e-
       s e t z t e   B e h ö r d e    gerichtet  und  also  eine    B e-
       s c h w e r d e,   eine   D e n u n z i a t i o n  war, das macht
       die Sache nur noch unmöglicher.
       Denn Denunziationen von pflichtwidrigen Handlungen bei der vorge-
       setzten Behörde  stellt das Gesetz sogar als Pflicht hin. War so-
       mit die  Denunziation wahr, so war sie vollkommen in der Ordnung;
       war sie  unwahr, so  hätte der  Generalprokurator eine Verfolgung
       auf Grund  des Art. 373 [305] einleiten müssen, - auf Grund einer
       v e r l e u m d e r i s c h e n   D e n u n z i a t i o n.   Dann
       aber hätte Lassalle auf die leichteste Art von der Welt durch die
       Akten die  Wahrheit der Denunziation bewiesen, während ihm dieser
       Beweis bei  der Anklage  auf Beamtenbeleidigung vor dem Korrekti-
       ons-Tribunal nicht zusteht.
       Die Sache  kam vor  die Ratskammer in Düsseldorf. Aber auch diese
       fand, daß  eine Beleidigung entweder öffentlich oder in Gegenwart
       des Beleidigten  vollbracht sein müsse, und schlug die Sache nie-
       der. Das  öffentliche Ministerium  opponierte, und unser hiesiger
       schon oft  erprobter und stets bewährt gefundener Kölner Anklage-
       senat beschloß wirklich auf Grund des Art. 222 die Verfolgung ge-
       gen Lassalle,  der nun mit einer Korrektionell-Prozedur glücklich
       behaftet ist!
       Was wird, wenn das noch eine Weile fortgeht, nicht noch alles aus
       dem Art. 222 werden?
       Die Prozedur Lassalles kommt übrigens am 3. Mai vor die Assisen.
       
       Geschrieben von Friedrich Engels.
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       1*) Siehe vorl. Band, S. 223-229

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