Quelle: MEW 6 November 1848 - Juli 1849
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Lassalle
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 287 vom 2. Mai 1849]
Köln, 1. Mai. Übermorgen wird vor den Assisen zu Düsseldorf die
Anklage gegen Lassalle wegen direkter Aufforderung zur Bewaffnung
gegen die königliche Macht verhandelt.
Man erinnert sich, daß Lassalle, Cantador (Chef der Düsseldorfer
Bürgerwehr) und der Kolporteur Weyers im vorigen November bei der
Verhängung des Belagerungszustandes über Düsseldorf verhaftet und
die Untersuchung wegen des obigen "Verbrechens gegen Art. 87 und
102 des Code pénal" gegen sie eröffnet wurde. 1*)
Die Untersuchung ging möglichst langsam. Während der gleichzeitig
anhängig gemachte Steuerverweigerungsprozeß gegen den Rheinischen
Kreisausschuß der Demokraten schon am 8. Februar in Köln verhan-
delt wurde [253], ging Assise auf Assise in Düsseldorf vorüber,
ehe auch nur der Kölner Anklagesenat die Sache vor die Geschwor-
nen verwies. Aber Marx, Schneider und Schapper gingen frei umher,
und Lassalle saß im Düsseldorfer Arresthaus, und der Code
d'instruction criminelle [306] schreibt ja vor, daß die Sache ei-
nes Verhafteten v o r z u g s w e i s e berücksichtigt werden
soll!
Lassalle wurde im Gefängnis mit ganz besonderer Vorliebe behan-
delt. Die "N[eue] Rheinische] Z[ei]t[un]g" hat oft genug Gelegen-
heit gehabt, Proben von der Zärtlichkeit zu veröffentlichen, mit
der die Schergen der königl[ichen] preuß[ischen] Justiz sich sei-
ner annahmen. 2*) Während man Cantador alle möglichen Begünsti-
gungen bewilligte - denn Cantador hatte, trotz seines politischen
Auftretens, unter der Düsseldorfer Bourgeoisie eine große Menge
Freunde -, mußte Lassalle abermals erfahren [391], welcher tyran-
nischen Willkür ein königlich] preußischer] Untersuchungsgefange-
ner
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1*) Siehe vorl. Band, S. 320-322 - 2*) siehe vorl. Band, S. 267-
269
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ausgesetzt ist. Wir erinnern, von den kleineren Schikanen nicht
zu sprechen, nur an die Brutalitäten, die sich Herr Morret, der
Gefängnisdirektor, in Gegenwart des Untersuchungsrichters, Herrn
Ebermeyer (den wir jetzt hier in Köln zu besitzen das Glück ha-
ben), gegen ihn erlaubte. Lassalle reichte eine Klage beim Par-
quet ein; der Generalprokurator, Herr Nicolovius, entschied: Die
fragliche Handlung schließe w e d e r e i n V e r b r e-
c h e n n o c h e i n V e r g e h e n ein und könne daher
nicht verfolgt werden!
Wir erinnern ferner an die vom Arzt für Lassalles Gesundheit für
dringend nötig erachteten Ausfahrten, zu denen die Prokuratur
ihre Zustimmung gab, w ä h r e n d d i e R e g i e r u n g
s i e v e r w e i g e r t e, obwohl ein Untersuchungsgefangener
nach dem Gesetz nicht unter der Regierung, sondern einzig und al-
lein unter dem Prokurator steht.
Die Schwierigkeiten, mit denen es verknüpft war, Zutritt zu Las-
salle ins Gefängnis zu erhalten, die Ausflüchte, das Versteck-
spielen usw. sind jedem bekannt, der es einmal versucht hat, in
das Innere der Düsseldorfer "Anstalt" zu dringen.
Endlich war die Untersuchung geschlossen und die Sache sollte an
die Ratskammer gehen. Damals war es noch Zeit, den Prozeß noch
vor die letzten Assisen zu bringen, die im Februar und März ge-
halten wurden. Aber das sollte um jeden Preis verhütet werden.
Als die Akten dem stellvertretenden Oberprokurator, dem "gnädi-
gen" Herrn von Ammon I., zur Fassung seines Schlußantrags vorge-
legt wurden, zieht Herr Ammon plötzlich einen Brief Lassalles an
einen gewissen Stangier, Landwirt im Kreis Altenkirchen, hervor
1*), um daraufhin eine neue Anklage zu begründen. Dieser Brief
hatte aber schon mehrere Wochen ruhig im Pult des Herrn Ammon
gelegen, ohne daß es ihm eingefallen wäre, ihn als neuen Be-
schwerdepunkt zu den Akten zu geben. Jetzt, wo alles fertig und
die Assisen vor der Tür waren, jetzt erscheint er mit dem Brief.
Nun mußten natürlich neue Zeugenverhöre abgehalten werden, die
Sache war um mehrere Wochen aufgehalten, und diese Zeit reichte
gerade hin, die Verhandlung der Lassalleschen Prozedur auf den
d a m a l s b e v o r s t e h e n d e n A s s i s e n u n-
m ö g l i c h z u m a c h e n.
Der Brief, den Herr Ammon, w i e e r s e l b s t g e-
s t a n d, schon längere Zeit im Pult aufbewahrt hatte, war
übrigens so unbedeutend, daß weder Ratskammer noch Anklagesenat
Rücksicht darauf nahmen oder ihn als Beschwerungsgrund mit auf-
führten!
Genug, die Assisen waren glücklich umschifft, und die nächsten
begannen erst im Mai. Deputationen über Deputationen gingen zum
Generalprokurator
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1*) Siehe vorl. Band, S. 444/445
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Herrn Nicolovius und baten um Beschleunigung der Sache oder An-
setzung einer außerordentlichen Assise. Herr Nicolovius ver-
sprach, alles mögliche zu tun, und erklärte, sechs Monate solle
Lassalle in keinem Falle sitzen. Und nun! Kaum 14Tage fehlen an
den sechs Monaten.
Die Ratskammer entschied endlich: Alle drei Angeklagten wurden an
den Anklagesenat verwiesen. Nun aber war eine Schwierigkeit da:
Man hätte, so war man überzeugt, im ganzen Landgerichtsbezirk
Düsseldorf keine Jury gefunden, die Herrn Cantador verurteilt
hätte. Um also Cantador freizubekommen, wäre Lassalle mit freige-
sprochen worden selbst von Leuten, die ihn sonst verurteilt hät-
ten. Und gerade an der Verurteilung Lassalles lag der Regierung
zu Düsseldorf, lag dem Ministerium und selbst der höchsten und
allerhöchsten Kamarilla. Die Feindschaft gegen Lassalle "steht
selbst nicht vor dem Throne still".
Was geschieht: "Der Anklagesenat läßt die Prozedur gegen Cantador
fallen und setzt ihn in Freiheit, während Lassalle und Weyers in
Haft bleiben und vor die Geschwornen verwiesen werden."
Und doch lag gegen Cantador genau dasselbe vor wie gegen Las-
salle, mit Ausnahme einer einzigen Rede, die Lassalle in Neuß ge-
halten hatte.
Und gerade diese Rede in Neuß wird herausgerissen, und auf diese
hin wandert Lassalle vor die Assisen.
Erinnern wir uns kurz an den ganzen Hergang.
Als der offne Kampf zwischen der seligen Nationalversammlung und
der Krone jeden Tag ausbrechen konnte, war Düsseldorf bekanntlich
eine der agitiertesten Städte der Rheinprovinz. Hier war die Bür-
gerwehr ganz auf Seite der Nationalversammlung und außerdem von
einem Demokraten angeführt. Sie war bereit, den passiven Wider-
stand in den aktiven zu verwandeln, sobald von Berlin aus das Si-
gnal dazu gegeben war. Waffen und Munition waren vorhanden. Las-
salle und Cantador standen an der Spitze der ganzen Bewegung. Sie
forderten die Bürger nicht bloß auf, sich gegen das Ministerium
Manteuffel zu bewaffnen, sie bewaffneten wirklich. H i e r i n
D ü s s e l d o r f war das Zentrum ihrer Tätigkeit. H i e r
m u ß t e, wenn wirklich ein Verbrechen vorlag, d i e s
V e r b r e c h e n g e s c h e h e n s e i n. Und wo soll es
geschehen sein? Nicht in Düsseldorf, sondern - in Neuß!!
Lassalle war in Neuß in einer Versammlung gewesen und hatte zum
bewaffneten Zuzug nach Düsseldorf aufgefordert. Diese Aufforde-
rung hatte nicht einmal ein Resultat, denn es kam gar nicht zum
Kampf. Und hierin soll das Verbrechen Lassalles bestehen!
Also nicht wegen seiner Haupttätigkeit, nicht wegen des
w i r k l i c h e n Bewaffnens, nicht wegen des w i r k-
l i c h e n Aufstands, der in Düsseldorf auf dem
#457# Lassalle
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Punkte war loszubrechen, verweist man Lassalle an die Geschwor-
nen. Darin liegt kein "Verbrechen". Der Anklagesenat selbst, so
altersschwach er ist, muß es zugeben. Das angebliche Verbrechen
liegt in einer ganz g e l e g e n t l i c h e n, b e i l ä u-
f i g geschehenen, von der Hauptaktion in Düsseldorf t o t a l
a b h ä n g i g e n und ohne sie g a n z s i n n l o s e n
Handlung, nicht in dem O r g a n i s i e r e n einer be-
waffneten Macht gegen die Regierung in Düsseldorf, sondern in der
Aufforderung an die Neußer, diese Organisation zu unterstützen!
A b e r f r e i l i c h, C a n t a d o r w a r n i c h t i n
N e u ß, als Lassalle diese schreckliche Rede hielt; Cantador
hat die Neußer nicht zum bewaffneten Widerstand a u f g e f o r-
d e r t, Cantador hat bloß - die Düsseldorfer zum bewaffneten
Widerstand o r g a n i s i e r t und die dortige B ü r g e r-
w e h r, d i e s e l b s t e i n T e i l d e r b e w a f f-
n e t e n M a c h t d e r R e g i e r u n g i s t, zum Wi-
derstand gegen die Regierung aufgefordert. Das ist der
Unterschied, und daher ließ man Cantador frei und behielt
Lassalle in Haft bis zu den jetzigen Assisen.
Noch besser. Lassalle hat auch den Landwirt Stangier direkt zum
bewaffneten Zuzug nach Düsseldorf aufgefordert. Der Brief liegt
bei den Akten und ist im Anklageakt wörtlich zitiert. (Siehe Nr.
277, Zweite Ausgabe, der "N[euen] Rh[einischen] Z[eitung]".) Hat
der Anklageakt h i e r i n einen Grund gefunden, Lassalle vor
die Assisen zu verweisen? Es ist ihm nicht eingefallen. Selbst
die Ratskammer, die doch n e u n Anklagepunkte gegen Lassalle
aufstellte, von denen der Anklagesenat acht fallenließ, hat nicht
daran gedacht, diesen Brief mit unter die Anklagepunkte aufzuneh-
men. Und doch enthält dieser Brief g e n a u d a s s e l b e
angebliche "Verbrechen", das Lassalle in Neuß beging.
Etwas Inkonsequenteres, Widersprechenderes, Unbegreiflicheres als
dies Verweisungsurteil des Anklagesenats ist selten fabriziert
worden.
Das aber ist allerdings anerkennenswert darin: Nach dem Urteil
des Kölnischen Senats selbst liegt in der ganzen Agitation, wie
sie im vorigen November in Düsseldorf betrieben wurde, in der di-
rekten Aufforderung zum Widerstande gegen das Ministerium, in der
Bewaffnung, in dem Beschaffen von Munition, in der direkten und
offenen Opposition der Bürgerwehr gegen die Regierung, in dem
Schwur, den die Bürgerwehr leistete, mit den Waffen in der Hand
gegen die Regierung und für die Nationalversammlung zu kämpfen -
i n d e m a l l e n l i e g t k e i n V e r b u c h e n.
Der Kölner Anklagesenat hat es gesagt.
Und zwar stimmt er darin überein mit der Kölner Ratskammer, ja
mit dem Kölner Parquet. In der Untersuchung gegen den Rheinischen
Kreisausschuß gingen beide über die Aufforderung zur Bewaffnung
gegen den "Feind" ruhig hinweg, ließen den Kriminalfall beiseite
liegen und hielten sich bloß
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an das korrektionelle Faktum der Rebellion, das bloß deshalb vor
Geschwornen verhandelt wurde, wert es durch die Presse gegangen
war.
Bei Lassalle ist man aber viel pfiffiger gewesen. Man hat erst
die Kriminalprozedur eingeleitet und behält sich die korrek-
tioneile vor. Man hat nämlich für den Fall, daß Lassalle wegen
der Neußer Rede freigesprochen würde, ihn vor das Zuchtpolizeige-
richt verwiesen wegen Aufforderung zum Widerstand gegen die Beam-
ten (Rebellion), die in zwei Düsseldorfer Reden enthalten sein
soll.
Wir brauchen hier nur an die Verhandlung im Prozeß gegen den
Rheinischen Kreisausschuß zu erinnern. Der Fall ist ganz analog.
Dort wurde auseinandergesetzt, wie ein V e r b r e c h e n
(dasselbe, dessen Lassalle angeklagt) vorliege, oder gar nichts;
wie man nicht zum bewaffneten Widerstand gegen die Regierung auf-
fordern könne, ohne zum Widerstand auch gegen alle einzelnen Be-
amten aufzufordern, welche die Regierung sind. Die Geschwornen
sprachen frei.
Lassalle wird, wenn er nach seiner unzweifelhaften Freisprechung
durch die Geschwornen vor das Korrektionen kommt, in derselben
Lage sein. Aber inzwischen hat man einen Vorwand, auf Verlänge-
rung der Haft anzutragen, und dann ist das Korrektionellgericht
ja nicht so diffizil wie die Geschwornen!
Wir werden morgen auf den Anklageakt selbst eingehen und die
Lächerlichkeit dieser ganzen Prozedur auch daraus nachweisen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
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