Quelle: MEW 9 März - Dezember 1853


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       Karl Marx
       
       Hirschs Selbstbekenntnisse
       
       ["Belletristisches Journal und New-Yorker Criminal-Zeitung"
       vom 5. Mai 1853]
       Hirschs "Selbstbekenntnisse"  [53] haben, wie mir scheint, nur so
       weit Wert,  als sie durch andre Tatsachen bestätigt werden. Schon
       weil sie  sich wechselseitig  widersprechen. Von  seiner  Mission
       nach Köln zurückgekehrt, erklärte er in einer öffentlichen Arbei-
       terversammlung, Willich  sei sein  Komplice. Es  wurde  natürlich
       verschmäht, dies  angebliche Bekenntnis  zu protokollieren.  Ver-
       schiedene Personen,  ich weiß  nicht, ob  mit oder  ohne  Auftrag
       Hirschs, zeigten  mir darauf  an, Hirsch  sei  erbötig,  mir  ein
       volles Geständnis abzulegen. Ich lehnte es ab. Später erfuhr ich,
       er lebe  im äußersten  Elend. Ich  zweifle daher nicht, daß seine
       "allerletzten" Bekenntnisse  im Interesse  der Partei geschrieben
       sind, die ihn augenblicklich  z a h l t.  Sonderbar, daß es Leute
       gibt, die es nötig finden, sich unter den Schutz eines Hirschs zu
       flüchten.
       Ich beschränke  mich einstweilen auf einige Randglossen. Wir hat-
       ten mehr Selbstbekenntnisse von Spionen, von Vidocq, Chenu, de la
       Hodde [54] usw. In einem Punkt stimmen sie überein. Sie alle sind
       keine ordinären  Spione, sondern  Spione im  höheren Sinn, lauter
       Fortsetzungen des  "Cooperschen Spions" [56]. Ihre Selbstbekennt-
       nisse sind notwendig ebensoviel Selbstapologien.
       So sucht  auch Hirsch  z.B. anzudeuten, nicht er, Hirsch, sondern
       Oberst Bangya  habe den Tag der Zusammenkunft meiner Parteigenos-
       sen dem  Greif denunziert  und durch Greif dem Fleury. Unsere Zu-
       sammenkünfte fanden  an einem  Donnerstag statt, in den paar Sit-
       zungen, denen  Hirsch beiwohnte,  aber an  einem  Mittwoch,  seit
       Hirsch aus ihnen ausgestoßen war. Die falschen Sitzungsprotokolle
       [43], vor wie nach Hirschs Beiwohnen, sind von
       
       #40# Karl Marx
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       einem Donnerstag  datiert. Wer  außer Hirsch konnte dies "Mißver-
       ständnis" begehen!
       In einem  anderen Punkt  ist Hirsch glücklicher. Bangya soll wie-
       derholt Daten  in bezug  auf meinen  Briefwechsel mit Deutschland
       angegeben haben.  Da alle  hierauf bezüglichen  und in den Kölner
       Gerichtsakten befindlichen  Data falsch  sind, so  ist allerdings
       nicht zu entscheiden, wer sie gedichtet hat. Nun zu Bangya.
       Spion oder nicht Spion, Bangya konnte mir und meinen Parteigenos-
       sen nie  gefährlich werden,  da ich  n i e  über  m e i n e  Par-
       teiangelegenheiten mit ihm sprach, und Bangya selbst - wie er mir
       in einer seiner Rechtfertigungsschriften ins Gedächtnis ruft - es
       durchaus vermied,  die Sprache auf diese Angelegenheiten zu brin-
       gen. Also Spion oder nicht Spion. Er konnte nichts verraten, weil
       er nichts wußte. Die Kölner Akten haben dies bestätigt. Sie haben
       bestätigt, daß  die preußische  Polizei, außer den in Deutschland
       selbst gemachten  Zugeständnissen und  den in  Deutschland selbst
       saisierten Dokumenten, nichts von der Partei wußte, der ich ange-
       höre, und  sich daher  genötigt sah,  die albernsten Ammenmärchen
       aufzutischen.
       Aber Bangya hat eine Broschüre von Marx "über die Emigranten" der
       Polizei verkauft [56]?
       Bangya erfuhr  von mir,  in Gegenwart anderer Personen, daß Ernst
       Dronke, Friedrich Engels und ich eine Publikation über die Londo-
       ner deutsche  Emigration beabsichtigten,  die in  mehreren Heften
       fortlaufen sollte.  Er versicherte,  einen Buchhändler  in Berlin
       verschaffen zu  können. Ich forderte ihn auf, sich sofort umzuse-
       hen. Acht bis zehn Tage später zeigte er an, ein Buchhändler, na-
       mens Eisermann,  in Berlin,  sei erbötig,  den Verlag  des   e r-
       s t e n   Hefts zu  übernehmen, mit  dem Vorbehalt,  daß die Ver-
       fasser anonym blieben, da er sonst Konfiskation befürchten müsse.
       Ich ging  darauf ein, stellte aber meinerseits die Bedingung, daß
       das Honorar  sofort  bei  Einhändigung  des  Manuskripts  gezahlt
       werde, da  ich die  bei der  "Revue der N[euen] Rheinischen] Zei-
       tung" [57] gemachten Erfahrungen nicht wiederholen wolle, und daß
       das Manuskript nach Ablieferung gedruckt werde. Ich reiste zu En-
       gels nach  Manchester, wo  die Broschüre  ausgearbeitet wurde. In
       der Zwischenzeit  brachte Bangya meiner Frau einen Brief von Ber-
       lin, worin  Eisermann meine  Bedingungen annahm mit dem Bemerken,
       der Verlag  des zweiten  Hefts würde  von dem Vertrieb des ersten
       abhängen. Bei  meiner Rückkehr  erhielt Bangya das Manuskript und
       ich das Honorar.
       Aber der  Druck verzögerte  sich unter  verschiedenen  plausiblen
       Vorwänden. Ich  schöpfte Verdacht.  Nicht, daß das Manuskript der
       Polizei eingehändigt  sei, damit sie es drucke. Ich bin heute be-
       reit, meine Manuskripte
       
       #41# Hirschs Selbstbekenntnisse
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       dem Kaiser  von Rußland  auszuliefern, wenn er seinerseits bereit
       ist, sie morgen zu drucken. Umgekehrt. Was ich fürchtete, war Un-
       terschlagung des Manuskripts.
       Die Tagesschreier  waren hier  angegriffen, natürlich  nicht  als
       staatsgefährliche Revolutionäre,  sondern als konterrevolutionäre
       Strohwische.
       Mein Verdacht  bestätigte sich.  Georg Weerth,  den  ich  gebeten
       hatte, in Berlin Forschungen über Eisermann anzustellen, schrieb,
       daß kein Eisermann aufzutreiben sei. Ich begab mich mit Dronke zu
       Bangya. Eisermann  war nunmehr  bloßer Geschäftsführer  bei Jacob
       Collmann. Da  es mir  darum zu tun war, Bangyas Aussagen schrift-
       lich zu  haben, bestand ich darauf, daß er in meiner Gegenwart in
       einem Brief an Engels in Manchester seine Aussage wiederholte und
       Collmanns Adressse angebe. Ich richtete zugleich einige Zeilen an
       Bruno Bauer mit der Bitte, sich zu erkundigen, wer in dem mir von
       Bangya angegebenen Hause Collmanns wohne, erhielt aber keine Ant-
       wort. Der angebliche Buchhändler antwortete auf meine Mahnbriefe,
       ich habe  keinen bestimmten  Termin des  Drucks  k o n t r a k t-
       l i c h  abgemacht. Er müsse am besten wissen, wann der geeignete
       Augenblick gekommen  sei. In  einem spätem  Briefe spielte er den
       Verletzten. Schließlich  erklärte  mir  Bangya,  der  Buchhändler
       weigere sich,  das Manuskript  zu drucken  und werde  es  zurück-
       schicken. Er selbst verschwand nach Paris.
       Die Berliner  Briefe und  Bangyas Briefe, die die ganzen Verhand-
       lungen enthalten, nebst Rechtfertigungsversuchen Bangyas befinden
       sich in meiner Hand.
       Aber warum  machten mich  die Verdächtigungen nicht irre, die die
       Emigration gegen  Bangya ausgestreut  hatte? Eben  weil  ich  die
       "Vorgeschichte" dieser  Verdächtigungen kannte.  Ich lasse  diese
       Vorgeschichte für jetzt im gebührenden Dunkel.
       Weil ich  w u ß t e,  daß Bangya als Revolutionsoffizier im unga-
       rischen Kriege,  Rühmliches geleistet  hat. Weil  er mit Szemere,
       den ich  achte, in  Korrespondenz  und  mit  General  Perczel  in
       freundschaftlicher Beziehung  stand. Weil  ich mit  eigenen Augen
       ein Diplom sah, worin Kossuth ihn zu seinem Polizeipräsidenten in
       partibus [58]  ernennt, gegengezeichnet  vom Grafen  Szirmay, dem
       Vertrauten Kossuths, der dasselbe Haus mit Bangya bewohnte. Diese
       seine Stellung  bei Kossuth  erklärte auch seinen notwendigen Um-
       gang mit Polizisten. Wenn ich nicht irre, ist Bangya noch in die-
       sem Moment Kossuths Agent in Paris.
       Die ungarischen  Führer mußten  ihren Mann  kennen. Was riskierte
       ich im  Vergleich mit ihnen? Nichts als die Unterschlagung meiner
       Kopie, von der ich das Original in der Hand behielt.
       
       #42# Karl Marx
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       Später trug  ich bei Buchhändler Lizius in Frankfurt a.M. und an-
       deren Buchhändlern in Deutschland an, ob sie das Manuskript druc-
       ken wollten. Sie erklärten es unter den gegenwärtigen Verhältnis-
       sen für  unmöglich. Jetzt  hat sich in der letzten Zeit eine Aus-
       sicht eröffnet,  es in einem nichtdeutschen Lande gedruckt zu er-
       halten.
       Nach diesen  Aufschlüssen, die  ich natürlich  nicht Herrn Hirsch
       gebe, sondern  meinen Landsleuten  in Amerika,  bleibt nicht "die
       offene Frage":  Welches Interesse hatte die pr[eußische] Polizei,
       ein Pamphlet gegen Kinkel, Willich und die übrigen "Großen Männer
       des Exils" zu unterschlagen?
       Löse mir, o Oerindur,
       Diesen Zwiespalt der Natur!
       Karl Marx
       London, 9. April 1853.

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