Quelle: MEW 11 Januar 1855 - April 1856


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       Friedrich Engels
       
       Die Schlacht an der Tschornaja [264]
       
       ["New-York Daily Tribune" Nr. 4494 vom 14. September 1855,
       Leitartikel]
       Entgegen unserer  Erwartung fand  sich in  der Post der "Africa",
       die wir  am letzten  Mittwoch abend  erhielten, kein  Bericht des
       Fürsten Gortschakow über die am 16. ult. 1*) geschlagene Schlacht
       an der Tschornaja. Dennoch geben die französischen und englischen
       Berichte, die wir gestern abdruckten, ausreichenden Aufschluß für
       eine ziemlich genaue Einschätzung dieser Affäre. Der französische
       Bericht versetzt  einen durch das Fehlen jener Tendenz zur Renom-
       misterei in  Erstaunen, die  einem französischen  Haudegen gar zu
       oft eigen ist, und die so auffällig inPélissiers ersten Bulletins
       war. Der alte General ist jetzt ungewöhnlich klar, geschäftsmäßig
       und sachlich;  er erkennt  selbst die bei dieser Gelegenheit ent-
       wickelte Bravour  des Russen  an, und  sein Bericht  kontrastiert
       sehr vorteilhaft  mit General  Simpsons ergötzlichen Berechnungen
       über die  Zahl der  engagierten Kräfte, denen zufolge etwa 15 000
       Franzosen und  Sardinier ohne  irgendwelche  besonderen  Anstren-
       gungen 60 000  Russen geschlagen  hätten. Die  Tatsachen scheinen
       etwa folgendermaßen ausgesehen zu haben:
       Am Morgen  des 16. August vor Tagesanbruch stiegen die Russen von
       den Mackenzie-Höhen  und nahmen  eine Position am Saume der Hügel
       ein, die  nach der  Tschornaja herabsinken. Sie waren kommandiert
       von Fürst Gortschakow in Person, unter dem General Read den rech-
       ten Flügel  (7. und  12. Division) kommandierte, während Liprandi
       mit der  5. Division das Zentrum eingenommen zu haben scheint und
       die 17.  Division den russischen linken Flügel bildete. Teile der
       4. und  6. Division  waren ebenfalls gegenwärtig in der Rolle von
       Reserven, wie es scheint. Die 5. Division ebenso wie
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       1*) (ultimo) vergangenen Monats
       
       #513# Die Schlacht an der Tschornaja
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       die zur 4. und 6. gehörigen Truppen sind Bestandteile des zweiten
       Korps (Panjutins),  das eben erst auf der Krim angelangt war; den
       Rest bildeten  alte Krimtruppen, die mit sehr geschwächter Effek-
       tivzahl agiert haben müssen.
       Der Boden  auf der  entgegengesetzten Seite  der  Tschornaja  ist
       meist flach,  eine Fortsetzung  der Ebene  von Balaklawa nach dem
       Flusse; aber  dicht an seinen Ufern wird diese Ebene unterbrochen
       von zwei  Gruppen von  kleinen Hügeln, die stufenweise aufsteigen
       von der Balaklawaseite, aber nach der Tschornaja hin niedersinken
       und so  eine gute  Defensivposition gegen  einen den  Fluß  über-
       schreitenden Feind  bilden. Zwischen  diesen zwei Gruppen von Hü-
       geln liegt  das Tal,  in welchem die britische leichte Kavallerie
       in der  Schlacht von  Balaklawa chargierte.  Die östliche  Hügel-
       gruppe, die  den rechten  Flügel der Position bildet, war besetzt
       von La  Marmora mit  seinen zwei sardinischen Divisionen, die an-
       dere, von Nordwest, von drei französischen Divisionen, die so das
       Zentrum und  den linken Flügel der Position bildeten. Die Franzo-
       sen waren  kommandiert von  General d'Herbillon, der Camous Divi-
       sion auf  dem linken, seine eigene im Zentrum und Faucheux' Divi-
       sion auf  dem rechten  Flügel postiert hatte, wo sie sich mit der
       sardinischen Division  von Trotti  verband. Die  Position  gewann
       einen Zuwachs  von Stärke  durch zwei Hindernisse unmittelbar vor
       ihrer Front:  erstens die  Tschornaja, welcher Fluß zur Zeit zwar
       durchwatbar war,  aber dennoch die Russen nötigte, ihn nur an ge-
       wissen Punkten  und mit  einer schmalen  Front zu  überschreiten;
       zweitens der  Aquädukt, an den meisten Plätzen in den Felsen her-
       eingehauen und  so, selbst  nach seiner  Passage,  einen  steilen
       Felswall zum  Erklimmen entgegenhaltend.  An dem  Rand der  Hügel
       hatten die  Franzosen und  Piemontesen einige  leichte Brustwerke
       aufgeworfen, grade  hinreichend, ihre  Artillerie zu  bergen. Die
       zwei Hügelgruppen  bildeten sozusagen verschiedene Bastionen, die
       sich wechselseitig mit ihrer Artillerie flankierten. Jenseits der
       Tschornaja, die  überschritten wurde  durch Brücken bei Tschorgun
       auf dem sardinischen äußersten rechten Flügel und bei einem Gast-
       haus (im  Russischen Traktir  genannt) in  Front  von  dem  fran-
       zösischen Zentrum,  hatten die  Piemontesen zwei Kompanien Vorpo-
       sten, während  die Brücke  zum Traktir  gedeckt war  durch  einen
       schwachen von  den Franzosen besetzten Brückenkopf. Die französi-
       schen Vorposten standen weiter dahinter.
       Am Morgen des 16., nachdem die Russen ihre Artillerie in Position
       gebracht hatten auf den Höhen östlich von der Tschornaja, sandten
       sie ihre  vorgeschobenen Truppen hinunter in das Tal. Der Tag war
       noch nicht angebrochen, und dichter Nebel erleichterte eine Über-
       raschung wie  bei Inkerman. Die alliierten Vorposten waren in ei-
       nem Augenblick zurückgetrieben,
       
       #514# Friedrich Engels
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       und bei  Tagesanbruch war  der Brückenkopf und die ganze Ostseite
       des Flusses  in ihren  Händen, während sie mit zwei französischen
       Regimentern um den Brückenübergang fochten. Darauf stiegen die 7.
       und 12.  russische Division, direkt gegenübergestellt den franzö-
       sischen Divisionen Camous und d'Herbillons, in zwei geschlossenen
       Kolonnen ins  Tal hinab;  und hier  bildeten sie  ihre  Angriffs-
       kolonnen und avancierten in zwei unterschiedenen Massen -, die 7.
       Division überschritt  den Fluß  und den  Aquädukt  teils  watend,
       teils in  aller Eile  konstruierte fliegende  Brücken aufwerfend,
       und marschierte  gegen Camou vor, während die 12. Division, wovon
       ein Teil  als Reserve  zurückblieb, avancierte  gegen d'Herbillon
       über die  Brücke vom  Traktir, deren  Verteidiger in einem Augen-
       blick durch  die überwältigenden Massen der Russen zurückgeworfen
       wurden. Sie  avancierten mit  mehr Raschheit  und Feuer,  als die
       Russen je  zuvor gezeigt,  durch den Aquädukt und die Hügelseiten
       herauf. Die  7. russische  Division hatte  ziemlich nahe den Rand
       des Hügels  erreicht, als  Camous Truppen,  deployiert in  Linie,
       eine Salve  auf sie  gaben und  dann auf der Flanke und im Rücken
       mit solcher Heftigkeit angriffen, daß die Russen sofort umkehrten
       und den Fluß unter einem mörderischen Feuer wieder überschritten.
       Wenn wir  Pélissier glauben,  hat sich  diese 7. Division während
       der Schlacht  nicht wieder  gezeigt. Im Zentrum gelang es der 12.
       Division, die  Höhen zu  ersteigen und  verschiedene französische
       Regimenter zurückzutreiben.  Das Schicksal  der  Schlacht  schien
       einen Augenblick  ungewiß, als  d'Herbillon eine Brigade von Fau-
       cheux' Division  zum Angriff  auf die linke Flanke der russischen
       Kolonnen abordnete  und nach  kurzem Kampfe die Russen den Abhang
       hinuntergetrieben wurden,  gefolgt von  den  Franzosen,  die  für
       kurze Zeit die Brücke wieder nahmen.
       Gortschakow jedoch  hatte eine neue Attacke vorbereitet. Der Rest
       der 12.  Division und  die 5.  Division waren in das Tal hinabge-
       stiegen, sie  unterstützten die  Flüchtigen, die  ihre Reihen von
       neuem formierten,  und nun bewegten sich die ganze 12. und die 5.
       Division voran  zu einem  zweiten  Angriff.  Sie  passierten  die
       Brücke dicht zur Rechten und Linken derselben und avancierten mit
       großer Lebhaftigkeit  gegen das  alliierte Zentrum  (d'Herbillons
       und Faucheux'  Divisionen). Aber um diese Zeit hatten die Franzo-
       sen ihre  ganze Artillerie  in Position gebracht; sie feuerten in
       Front gegen  die russischen Kolonnen, während die sardinische Ar-
       tillerie sie in die Flanke nahm. Trotz dieses mörderischen Feuers
       avancierten sie  stetig und rasch voran und erreichten wieder die
       Höhen. Hier  fanden sie die Franzosen konzentriert, deployiert in
       Linie etwas  hinter den  Säumen des  Hügels. Sobald die Köpfe der
       Kolonnen den Rand erreicht hatten, gaben die Franzosen ihnen eine
       Salve und  griffen sie  dann mit  dem Bajonett  an, in  Front und
       Flanken.
       
       #515# Die Schlacht an der Tschornaja
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       Der Kampf  war so kurz wie zuvor. Die Russen wichen und flohen in
       Unordnung über  den Fluß, verfolgt vom Musketenfeuer und Artille-
       riefeuer der  Alliierten. Diese zweite Niederlage der Russen ent-
       schied faktisch  die Schlacht. Die Russen hatten drei Fünftel ih-
       rer Infanterie  engagiert und  konnten nicht hoffen, frische Ver-
       stärkungen auf  dem Schlachtfelde  zu empfangen.  Die  Alliierten
       hatten zwar  auch drei  von ihren fünf Divisionen engagiert, aber
       frische Truppen  eilten zu  ihrer Unterstützung von dem Lager vor
       Sewastopol herbei.  Pélissier hatte nach zwei weiteren Divisionen
       der Linie  und einer  Division Garden  gesandt, und  sie bewegten
       sich heran. Dies war ungefähr um 8 Uhr morgens.
       Gortschakow entschloß sich trotz dieser Rückschläge für einen er-
       neuten Angriff.  Die 17. Division wurde nun vorbeordert und hatte
       den Kern  zu bilden  für den  Teil der geschlagenen Truppen', der
       noch fähig  war, gegen den Feind geführt zu werden. Die Angriffs-
       linie wurde  wieder nach  der Linken  geschoben. Es war Faucheux'
       Division, auf die die Russen diesmal fielen. Aber vergeblich. Das
       Kreuzfeuer der  französischen und  sardinischen Artillerie  dezi-
       mierte sie,  ehe sie den Gipfel der Hügel erreichen konnten, wie-
       der brachen  die französischen  Linien ihre  Kolonnen und trieben
       sie nach  der andern  Seite des  Flusses, während die Piemontesen
       (Trottis Division) sie in der Flanke angriffen und den Sieg voll-
       endeten. Es  blieben nur noch die Truppen von der 4. und 6. Divi-
       sion unversehrt,  zusammen etwa von der Effektivkraft einer Divi-
       sion. Sie zu lancieren wäre durchaus nutzlos gewesen. Die Nieder-
       lage war  unverkennbar; und demzufolge begannen die Russen - ihre
       Artillerie nach  vorne bringend  - den Rückzug. Ihre eigene Posi-
       tion war so stark, daß Pélissier einen Angriff auf sie für ausge-
       schlossen hielt;  und daher wurden sie nur von der Artillerie und
       den Schützen  behelligt. Die Verluste der Russen waren bei dieser
       Gelegenheit im  Vergleich zu  denen der Alliierten enorm. Die er-
       steren verloren  ungefähr 5000 Mann an Toten, Verwundeten und Ge-
       fangenen; die  letzteren nur etwa 1500. Der Grund dafür war darin
       zu suchen,  daß die  Russen beständig unter dem heftigen Artille-
       riefeuer der  Alliierten alle  ihre Attacken zu machen hatten und
       besonders unter  dem der  Piemontesen, deren  16pfünder - ein Ge-
       schütz, das  sehr schwer  beweglich, aber, einmal in Position ge-
       bracht, von höchster Wirksamkeit ist.
       Die Russen machten hier einen einfachen Frontangriff. Den franzö-
       sischen linken  Flügel bei Inkerman zu umgehen, schien unmöglich,
       weil die  auf dem Gipfel des Bergrückens aufgepflanzten französi-
       schen Batterien  jenen Raum  beherrschten. Um  die Alliierten von
       rechts zu  umgehen, hätte das Gros der Russen in das Tal von Bai-
       dar hinabsteigen müssen, wo das Terrain für solche schwerfälligen
       Truppen offensichtlich zu schwierig ist. Deshalb zogen sie den
       
       #516# Friedrich Engels
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       Frontangriff vor und handelten absolut richtig, eine Überraschung
       zu versuchen. Die Überraschung gelang teilweise, wurde aber nicht
       mit der  gehörigen Energie ausgeführt. Als die Russen erst einmal
       die Übergänge  der Tschornaja beherrschten, hätten sie ihre Trup-
       pen - so, wie sie gerade zur Stelle waren - vortreiben müssen, um
       den errungenen Vorteil auszubauen, ehe sich die Franzosen vom er-
       sten Schlag erholen konnten. Statt dessen gaben sie ihren Gegnern
       die Zeit,  die erheischt  war, um  ihre Truppen und Artillerie in
       Position zu  stellen, und  die Überraschung,  die den  Russen die
       französischen Höhen in die Hände spielen konnte, hörte in der Tat
       beinahe schon  auf, sobald  sie die  Tschornaja erreicht  hatten.
       Dies ist ein neuer Beweis dafür, wie schwer russische Truppen un-
       ter Umständen  in Bewegung  zu setzen  sind, wo rasche Aktion und
       selbständiges Eingreifen  der unteren Befehlshaber erheischt wer-
       den.
       Die Franzosen  waren von  je berüchtigt wegen einer gewissen Ver-
       achtung des  Vorpostendienstes. Selbst in ihren besten Zeiten war
       es einem  aktiven Feind  möglich, jede  Nacht ihre  Vorposten  zu
       überraschen und  Alarm in  ihre Lager  zu werfen, ohne ein großes
       Risiko einzugehen. Bei dieser Gelegenheit bewiesen die Franzosen,
       daß selbst die sich langsam vorwärtsbewegenden Russen dazu in der
       Lage waren.  Ihre Hauptposition  lag so  dicht an der Tschornaja,
       daß ihre  vorgeschobenen Truppen entweder viel weiter hätten vor-
       gerückt oder - wenn das Terrain dies nicht zuließ - in einem sol-
       chen Maße hätten verstärkt werden müssen, daß sie in der Lage ge-
       wesen wären, standzuhalten, bis das Lager unter Waffen stand. Die
       Franzosen aber hatten ihr Lager aufgeschlagen, ohne es durch eine
       angemessene Avantgarde  zu sichern, und folglich konnten die Rus-
       sen gegen  ihre Hauptposition  avancieren, bevor sie selbst befä-
       higt waren, ihre volle Widerstandskraft ins Spiel zu bringen. Ak-
       tivere Gegner  als die Russen hätten zahlenmäßig überlegene Trup-
       pen so  schnell nach vorne geworfen, um die von den Franzosen be-
       setzten Höhen  zu stürmen, bevor irgendein regulärer und systema-
       tischer Widerstand  hätte gerleistet werden können. Aber die Rus-
       sen selbst  fürchteten sich, ein oder zwei Divisionen ihrer Trup-
       pen in  einem Kampfe während des Zwielichtes zu riskieren, und so
       verloren sie  alle Vorteile  der Überraschung,  die sie  gewonnen
       hatten.
       Die entscheidenden  und leicht  errungenen Erfolge  der Franzosen
       beim Zurückschlagen  der russischen  Kolonnen, als  diese bereits
       die Höhen  erklommen hatten, sind einem taktischen System zu ver-
       danken, das sie bislang nicht oft angewandt haben. Offensichtlich
       haben sie  diese Art Kriegführung von den Engländern gelernt, die
       darin Meister  sind. Bei  der Verteidigung einer Reihe von Hügeln
       besteht der große Vorteil darin, daß man die Truppen direkt
       
       #517# Die Schlacht an der Tschornaja
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       hinter dem  Hügelkamm verbergen  kann, wo sie völlig geschützt in
       Linien aufgestellt sind und das Auftauchen der feindlichen Kolon-
       nen erwarten.  Sowie die  Spitzen der Kolonnen über dem Hügelkamm
       auftauchen, feuert die Linie eine Salve auf sie ab, auf die diese
       nur mit  etwas Musketenfeuer erwidern können, und greift sie dann
       von vorne und von der Flanke mit dem Bajonett an. So kämpften die
       Engländer bei  Bussaco, Pamplona,  Waterloo [265]  und in anderen
       Schlachten mit  ständigem Erfolg.  Doch die  Truppen des europäi-
       schen Kontinents scheinen diese durchaus unfehlbare Art, eine Hü-
       gelkette zu  verteidigen, vergessen  zu haben. In den Handbüchern
       der Taktik  wird sie zwar dargestellt, aber in der Praxis war sie
       auf Grund  der allgemeinen Vorliebe für von Tirailleuren gedeckte
       Kolonnen nahezu verschwunden. Es ist den Franzosen hoch anzurech-
       nen, von  ihren alten  Gegnern dieses  einfache und wirkungsvolle
       Manöver übernommen zu haben. Wären sie in Kolonnen postiert gewe-
       sen, so  besteht kaum  Zweifel, daß  die Russen  über sie größere
       Überlegenheit gehabt  und vielleicht  sogar gesiegt  hätten. Aber
       wie die Dinge standen, erwies sich das Feuer einer in Linien auf-
       gestellten Infanterie,  die gegen  einen Feind agierte, der durch
       wirkungsvolles Artilleriefeuer  desorganisiert und  vom Erklimmen
       eines steilen  Hügels ermüdet war, als überwältigend; und ein be-
       herztes Vorrücken  mit dem  Bajonett genügte schon, um die Massen
       zurückzuwerfen, die schon ihren Mut verloren hatten, ehe noch der
       glitzernde Stahl dicht vor ihnen war.
       Dies ist  die dritte regelrechte Schlacht dieses Krieges, die auf
       offenem Feld  geschlagen wurde,  und wie die an der Alma [46] und
       bei Inkerman [111] zeichnete auch sie sich durch ihre verhältnis-
       mäßig kurze Dauer aus. In den Kriegen Napoleons war ein charakte-
       ristisches Merkmal, daß viele Scharmützel eine Schlacht einleite-
       ten; jede Seite suchte den Feind abzutasten, bevor sie mit ihm an
       entscheidenden Punkten und mit entscheidenden Massen in den Kampf
       trat; und erst nachdem jede Seite die Mehrzahl ihrer Truppen ein-
       gesetzt hatte, wurde der entscheidende Schlag geführt. 1*) Im Ge-
       gensatz dazu  sehen wir  hier, daß  keine Zeit  verloren wird, es
       gibt kein Fechten, um den
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       1*) An Stelle  des nachfolgenden  Textes heißt  es in  der "Neuen
       Oder-Zeitung" Nr.  411 vom  4. September  1855 :  "Die Krimmanier
       sieht tapfrer  aus, beweist  in der Tat aber nur die Mittelmäßig-
       keit der Generale auf beiden Seiten und bestätigt unsere Ansicht,
       daß in  modernen Zeiten  die Kriegskunst sich im umgekehrten Ver-
       hältnis zum  Kriegsmaterial entwickelt  hat. Wenn die Schlacht an
       der Tschornaja  keineswegs so entscheidend gegen die Russen zeugt
       wie die  Schlacht bei Inkerman, beweist sie jedoch unstreitig von
       neuem die Überlegenheit der westlichen Armeen. Sie weist die Pro-
       pheten, die  unter dem  Vorwand, ein  'neues' Element  in der Ge-
       schichte entdeckt  zu haben,  nur ihren  alten  Schulerinnerungen
       über den  Untergang des  Römischen Reiches  moderne Farbe und Ge-
       stalt geben,  darauf hin, die Ersatzmänner für die Goten anderswo
       zu suchen als bei den Moskowitern."
       
       #518# Friedrich Engels
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       Feind zu  ermüden; der Schlag wird sofort ausgeführt, und das Ge-
       schick der Schlacht hängt vom Ergebnis einer oder zweier Attacken
       ab. Das sieht weit kühner aus als Napoleons Art der Kriegführung;
       aber wenn  eine Überlegenheit von zwei zu eins, wie sie die Alli-
       ierten an  der Alma  hatten, oder wenn die bekannte Schwerfällig-
       keit der  Russen beim  Manövrieren eine so unmittelbare Aktion zu
       rechtfertigen scheint,  so ist  doch Tatsache,  daß es auf beiden
       Seiten sehr  an Feldherrenkunst mangelt; und immer wenn Haudegen,
       die nach  diesem Grundsatz  handeln, einen General zum Gegner ha-
       ben, der  es wohl  versteht, ihre  Truppen zu beschäftigen, ihnen
       Fallen zu  stellen und sie zu veranlassen, dort hineinzugehen, so
       werden sie  sich sehr  bald in  einer nicht  sehr beneidenswerten
       Lage befinden.
       Zum Schlüsse  wiederholen wir,  was wir  oft  gesagt  haben:  die
       entscheidenden Merkmale des gegenwärtigen Krieges sind auf beiden
       Seiten Tapferkeit  bei den  Soldaten und  Mittelmäßigkeit bei den
       Generalen.
       Geschrieben am 31. August 1855.
       
       Aus dem Englischen.

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