Quelle: MEW 12 April 1856 - Januar 1859
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Karl Marx
Ein merkwürdiges Stückchen Geschichte
["New-York Daily Tribune" Nr. 5352 vom 16. Juni 1858]
Manchester (England), 18. Mai 1858
Sehr bald nach Beendigung des letzten Krieges mit Rußland, er-
schien in der Presse die Mitteilung, daß ein gewisser Mechmed
Bey, Oberst in der türkischen Armee, alias J. Bangya, Ex-Oberst
der ungarischen Armee, Konstantinopel verlassen hätte, um mit ei-
ner Anzahl polnischer Freiwilliger nach Tscherkessien zu gehen.
Gleich bei seiner Ankunft wurde er so etwas wie ein Stabschef bei
Sefer Pascha, dem tscherkessischen Oberhaupt. Wer diesen ungari-
schen Befreier Tscherkessiens von früher kannte, konnte keinen
Zweifel darüber haben, daß er nur zu einem einzigen Zweck in die-
ses Land gegangen war: es an Rußland zu verkaufen. Es war klar
und erkennbar erwiesen, daß der Mann in London und Paris als
Spion sowohl im Solde der französischen als auch der preußischen
Polizei gestanden hatte. 1*) Vor etwa einem Monat enthielten die
europäischen Zeitungen denn auch die Nachricht, es wäre aufge-
deckt worden, daß Bangya-Mechmed Bey tatsächlich in verräteri-
scher Korrespondenz mit dem russischen General Philipson gestan-
den habe und von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt worden
sei. Bangya erschien jedoch kurze Zeit danach plötzlich in Kon-
stantinopel. Mit seiner üblichen Unverschämtheit erklärte er,
alle diese Geschichten über Verräterei, Kriegsgericht etc. wären
reine Erfindungen seiner Feinde, und versuchte, sich als das Op-
fer einer Intrige hinzustellen.
Wir sind zufällig im Besitz der wichtigsten Dokumente über diesen
merkwürdigen Zwischenfall des tscherkessischen Krieges und werden
nunmehr einige Auszüge daraus mitteilen. Diese Papiere wurden
durch Leutnant Franz Stock vom polnischen Bataillon in Tscherkes-
sien, eins der Mitglieder des
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1*) Siehe vorl. Band, S. 167
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Kriegsgerichts, das Bangya überführt hatte, nach Konstantinopel
gebracht. Die Öffentlichkeit mag danach selbst urteilen.
Auszüge aus den Protokollen des Kriegsrats, abgehalten zu Aderbi,
Tscherkessien, über Mechmed Bey, alias J. Bangya von Illosfalva.
(Nr. 1) - Sitzung vom 9. Januar 1858, Aussage von Mustapha, gebo-
ren in der Provinz Narkhouatz:
"... Als der Oberst, Mechmed Bey, nach Shepsohour kam, bat er
mich, einen Brief an den Kommandeur der Schwarzmeerkosaken, Gene-
ral Philipson, zu befördern. Auf meine Bemerkung, daß ich das
nicht tun könnte, ohne Sefer Pascha zu informieren, oder ohne
seine Erlaubnis, erklärte mir Mechmed Bey, daß er als Gesandter
und Statthalter des Padischah und als Militärkommandant in
Tscherkessien das Recht hätte, mit den Russen Briefe zu wechseln,
daß Sefer Pascha den Gegenstand kenne und daß seine Absicht wäre,
die Russen irrezuführen... Als Sefer Pascha und die
Nationalversammlung mir das Manifest von Tscherkessien schickten,
das an den Zaren gerichtet war, gab mir Mechmed Bey auch einen
Brief für General Philipson. Ich fand General Philipson nicht in
Anapa und lieferte den Brief an den kommandierenden Major in
Anapa ab. Der Major versprach mir, das Manifest weiterzusenden,
wollte jedoch den Brief, der weder Adresse noch Unterschrift
trug, nicht entgegennehmen. Ich brachte, den Brief zurück; da ich
jedoch wegen der häufigen Korrespondenz Mechmed Beys Verdacht ge-
schöpft hatte und befürchtete, selbst kompromittiert zu werden,
teilte ich die ganze Sache den Vorgesetzten mit..."
(Nr. 2) "Aussage des Achufet Effendi, des ehemaligen türkischen
Sekretär bei Mechmed Bey:
"...Mechmed Bey war sehr erzürnt über Tefik Bey" (Oberst La-
pinski) "und sprach sehr abfällig von ihm, wobei er hinzufügte,
daß dieser ihm schon seit langem den Weg zu versperren suche. In
der zweiten Nacht nach unserer Ankunft in Aderbi... wurde ich ge-
gen Morgen von Mechmed Beys Reitknecht geweckt. Mechmed Bey
selbst teilte mir mit, man hätte starken Kanonendonner aus der
Richtung von Gelendschik gehört. Er war aufgestanden und schien
unruhig... Der Bericht, daß Oberst Lapinski mit seiner ganzen Be-
gleitung gefangengenommen worden war, gelangte, ich weiß nicht
wie, nach Aderbi, bevor noch das Donnern der Kanonen aufgehört
hatte. Ich hörte Mechmed Bey davon sprechen. Als später die Nach-
richt eintraf, daß weder der Oberst noch seine Leute zu Gefange-
nen gemacht worden waren, sagte Mechmed Bey sehr ärgerlich, 'daß
er wahrscheinlich seine Kanonen an die Russen verkauft hätte'."
(Nr. 3) - Aussage der polnischen Offiziere und Soldaten, die in
Aderbi statoniert waren:
"Einen Tag, bevor Gelendschik überrumpelt wurde, kam Mechmed Bey
ins Lager und sagte, er hätte Briefe aus Konstantinopel erhalten,
die ihm mitteilten, daß es ganz
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und gar Oberst Lapinskis Fehler wäre, wenn sie nirgends Hilfe
fänden... Er veranlaßte, daß Spirituosen an die Soldaten verteilt
wurden, und machte ihnen allerlei Versprechungen, wenn sie ihren
Obersten verließen und ihm folgten... Als sich später die Nach-
richt" (Lapinski sei gefangengenommen) "als falsch erwies, kam
Mechmed Bey persönlich ins Lager und hielt eine Ansprache an die
Abteilung, um sie zu bewegen, dem Obersten den Gehorsam zu ver-
weigern. Als aber der Oberst zurückkam, behauptete er, nichts da-
von zu wissen. Er gab mehrere Leute preis, die sich ihm ange-
schlossen hatten, und ließ zu, daß sie bestraft wurden, ohne für
sie einzutreten. Später, während der Abwesenheit des Obersten,
bemühte sich Mechmed Bey, die Truppen mit Hilfe mehrerer Ungarn
zur Meuterei zu veranlassen. Die Ungarn setzten ein Schriftstück
mit Anklagen gegen den Obersten auf und versuchten, die Männer
zum Unterschreiben zu bewegen. Mit Ausnahme von drei Männern, die
zugaben, daß sie dazu verleitet worden waren, erklärten alle an-
deren unter Eid, daß ihre Unterschriften gefälscht seien... Diese
Fälschung war um so leichter, als in der Abteilung nur wenige
Soldaten schreiben können."
(Nr. 4) - Geständnis des Bangya vor dem Kriegsgericht:
"Ermüdet von dem langen Verhör lege ich der Kommission dieses Ge-
ständnis vor, das von meiner Hand geschrieben und von mir unter-
zeichnet ist. Ich hoffe, daß meine Richter, denen ich dadurch
eine langwierige und schwierige Aufgabe erspare, um so mehr ge-
neigt sein werden, daran zu denken, daß mit meinem Schicksal auch
das Schicksal meiner unschuldigen Familie *) verknüpft ist. Frü-
her war mein Name Janos Bangya von Illosfalva; jetzt heiße ich
Mechmed Bey; ich bin vierzig Jahre alt; meine Religion war die
römisch-katholische, aber 1853 trat ich zum Islam über... Meine
politische Tätigkeit... wurde mir von dem ehemaligen Führer mei-
nes Landes, Lajos Kossuth, diktiert... Mit Einführungsbriefen
meines politischen Chefs versehen, kam ich am 22. Dezember 1853
nach Konstantinopel... Ich trat in die türkische Armee mit dem
Range eines Obersten ein. Zu dieser Zeit erhielt ich häufig von
Kossuth Briefe und Instruktionen, die die Interessen meines Lan-
des betrafen. Zu gleicher Zeit richtete Kossuth eine Botschaft an
die Ottomanische Regierung, in der er den Türken dringend nahe-
legte, sich vor einer Allianz mit Frankreich, England oder Öster-
reich in acht zu nehmen, und ihnen den Rat erteilte, sich eher
mit den revolutionären Italienern und Ungarn zu verbinden...
Meine Instruktionen rieten mir, mich in irgendeiner Weise den
Truppen anzuschließen, die dazu ausersehen waren, an den Küsten
Tscherkessiens zu agieren... In Tscherkessien angekommen, be-
gnügte ich mich eine Zeitlang damit, die Lage im Lande zu studie-
ren und meine Beobachtungen meinen politischen Freunden mitzutei-
len... Ich versuchte, mich Sefer Pascha anzuschließen... Meine
Instruktionen rieten mir, irgendwelche offensiven Schritte von
der Seite der Tscherkessen zu verhindern und mich allem ausländi-
schen Einfluß im Lande entgegenzustellen. Kurze Zeit vor meiner
Abreise aus Konstantinopel erhielt Oberst Türr, der seine In-
struktionen
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*) Hiermit spielt er auf die Bangya-Familie Nr. 3 an. Er hat au-
ßer seiner islamitischen Familie in Konstantinopel eine Frau in
Ungarn und eine andere in Paris.
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von derselben Stelle empfängt wie ich und mit dem ich jahrelang
in politischer Verbindung gestanden habe, den Auftrag, sich dem
griechischen Aufstand anzuschließen. General Stein" (Ferhad Pa-
scha), "der auch zu unserer Gruppe gehört, wurde angewiesen, nach
Anatolien zu gehen. Was den Plan anbelangt, Sefer Pascha atta-
chiert zu werden, so gelang er, und sehr bald gewann ich sein
volles Vertrauen. Als ich sein Vertrauen erst einmal besaß, war
es leicht für mich, meine Instruktionen zu befolgen und auszufüh-
ren... Ich überzeugte Sefer Pascha, daß Tscherkessien nach dem
Kriege wieder der Herrschaft des Sultans unterworfen werden
würde... Den türkischen Kommandeuren gab ich zu bedenken, daß
alle offensiven Maßnahmen ihrer Truppen gefährlich sein würden,
da die Tscherkessen... sie in der Stunde der Gefahr verlassen
würden. Die Umstände waren für mich günstig, und obgleich die
Russen ihre Truppen auf den Kriegsschauplatz geschickt hatten und
ihre Grenzen ungeschützt ließen, hatten sie nicht unter ernstli-
chen feindlichen Einfällen der Tscherkessen zu leiden. Ich
schickte regelmäßig Berichte über meine geheime Tätigkeit an
meine politischen Vorgesetzten... Zur gleichen Zeit stieß ich auf
meinem Wege auf Männer und Umstände, die meinen Plänen völlig
entgegengesetzt waren. Ich meine die Ankunft des Herrn Longworth,
des britischen Konsuls in Anapa. Herrn Longworths Instruktionen
wiesen ihn an, Sefer Pascha zu veranlassen, 6000 Tscherkessen auf
Kosten Großbritanniens zu organisieren und nach der Krim zu
schicken... Ich erhielt ähnliche Befehle von den türkischen Vor-
gesetzten, aber zu gleicher Zeit erteilten mir meine geheimen
Vorgesetzten den bestimmtesten Befehl, alles zu tun, was in mei-
ner Macht stünde, um die Mission des Konsuls zu vereiteln... In
einer Unterhaltung mit Herrn Longworth... bat ich um einen Posten
in der britischen Armee mit dem Range eines Obersten oder
um die Geldsumme von 10 000 Pfd. St. ... Herr Longworth dachte,
mich durch ein Angebot von 50 000 Piaster zu gewinnen... Meine
Intrige glückte. Fürst Sefer, so oft durch leere Versprechungen
getäuscht, wurde argwöhnisch und verweigerte dem Konsul rundher-
aus, was er von seinen Leuten wünschte... Zu dieser Zeit machte
ich mir den Prinzen Ibrahim Karabatir, den Sohn Sefer Paschas,
zum Feind, der dazu ernannt worden war, die 6000 Tscherkessen zu
befehligen...
Am 21. März 1856 teilte mir Sefer Pascha mit, daß in der Volks-
versammlung beschlossen worden wäre, eine Abordnung an die türki-
sche, französische und britische Regierung zu entsenden, um diese
Mächte zu bitten, Tscherkessien wieder der Türkei einzuverleiben.
Ich erreichte bei Sefer Pascha, daß ich mich dieser Abordnung an-
schließen konnte... Bei meiner Ankunft in Konstantinopel...
sandte ich an meine politischen Freunde und an Kossuth einen de-
taillierten Bericht über die Lage in Tscherkessien... Ich erhielt
als Erwiderung Instruktionen, die mir befahlen, mit Oberst Türr
und General Stein Verbindung aufzunehmen und die Angelegenheiten
gemeinsam mit ihnen zu führen und so viele Ungarn wie möglich
daran zu beteiligen. Gleichzeitig trat ich mit Ismail Pascha in
Verbindung, dem Postmeister des Ottomanischen Reiches, einem
Tscherkessen von Geburt, der mir patriotisch und fähig erschien,
Opfer für sein Land zu bringen. Ich beriet mit ihm die Art und
Weise, in der es uns möglich wäre, nach Tscherkessien Waffen, Mu-
nition, Geräte für Waffenmeister sowie gute Offiziere und Hand-
werker zu senden. Aber der tatsächliche Plan der Expedition wurde
zwischen
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General Stein, Oberst Türr and mir abgesprochen. Hauptmann Fran-
chira, Militärsekretär des russischen Gesandten, war bei mehreren
unserer Beratungen anwesend. Das Ziel war, Tscherkessien in einer
friedlichen, langsamen, aber sicheren Art und Weise für russische
Interessen zu gewinnen... Wenn Tscherkessien sich erst einmal den
Weisungen von General Stein und mir gefügt hätte, sollte unser
Plan folgender sein:
I. Irgendeinen eingeborenen Fürsten auszuwählen, der das ganze
Land unter seine Herrschaft bringen würde;
II. die Tscherkessen davon zu überzeugen, daß sie weder vom Sul-
tan noch von irgendeiner anderen Macht irgendwelche Unterstützung
zu erwarten hätten;
III. die Bergbewohner durch Niederlagen auf dem Schlachtfeld zu
demoralisieren - Niederlagen, die vorher sorgfältig berechnet und
vorbereitet werden sollten;
IV. sie dahin zu bringen, den Zaren als ihren nominellen Souverän
anzuerkennen, ohne irgendeinen Tribut zu zahlen, aber Garnisonen
im Lande zuzulassen... Die nach Tscherkessien gebrachten Ungarn
würden in der Umgebung des Fürsten untergebracht werden, die fä-
higeren würden mit den wichtigen Posten betraut werden... Haupt-
mann Franchini versicherte mir, daß Rußland nicht mehr fordere
als augenscheinliche Unterordnung... die Zeichen kaiserlicher
Gunst, Geld und russische Befehle würden das übrige tun...
Am 22. September 1856 empfahl mir Ismail Pascha, für Tscherkes-
sien mehrere hundert Polen zu verpflichten, die in Skutari kaser-
niert waren und einen Teil der Legion unter Zamoyski gebildet
hatten... Dieser Vorschlag stimmte mit unseren Plänen nicht über-
ein, aber es war schwierig, ihn zurückzuweisen. Ich war ehedem
mit Herrn Lapinski bekannt gewesen, der mit Erfolg in Ungarn ge-
dient hatte... Er lebte jetzt in Skutari... Wir kamen mit General
Stein darin überein, daß es am besten wäre, Oberst Lapinski zu
gewinnen, der absolutes Vertrauen zu mir hatte... Am 24. Septem-
ber gab ich Oberst Lapinski schriftlich bekannt, daß die tscher-
kessischen Patrioten an ihn appellierten, ein polnisches Korps in
Tscherkessien zu bilden. Der Oberst verlangte als Erwiderung Waf-
fen und Ausrüstung für 700 Polen... Wir berieten später zusammen
- General Stein, Türr, Franchini und ich -, und es wurde be-
schlossen, daß Türr sich nach England begeben sollte, um Werk-
zeuge und Maschinen zur Herstellung von Patronen zu kaufen, daß
er aber irgendwelche Waffenlieferungen verzögern sollte. Wir
wollten uns erst der Polen versichern, ehe wir ihnen Waffen ga-
ben... Die ernsten Vorstellungen von Oberst Lapinski ... nötigten
mich, die Abreise zu beschleunigen, obwohl ich nicht die Mittel
hatte, die ungarischen Offiziere, die ich engagiert hatte, mit
mir zu nehmen... Im Januar 1857 erhielt ich Briefe und Instruk-
tionen von Kossuth und meinen anderen politischen Freunden. Mein
Plan wurde gebilligt... Kurze Zeit vor meiner Abreise wurde eine
deutliche Abkühlung in den Beziehungen zwischen mir und General
Stein vorgetäuscht. Ich wollte meine Abreise immer noch verzö-
gern, damit einige Ungarn mit mir reisen könnten, aber Hauptmann
Franchini erklärte, daß kein Tag verloren werden dürfte. Die Ex-
pedition sei das Gespräch von ganz Konstantinopel geworden, und
wenn die russische Botschaft nicht dazwischentrete, könnte sie
wegen Mittäterschaft angeklagt werden. Am 15. Februar schiffte
sich Oberst Lapinski an Bord des englischen Dampfers 'Kangaroo'
ein. Ich ging gleichfalls an Bord... Bei
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meiner Ankunft in Dob" (dem russischen Kabardinsk) "richtete ich
Briefe an Sefer Pascha, an den Naib und an die anderen Stamme-
soberhäupter; in diesen Briefen kündigte ich mich als Abgesandten
Seiner Kaiserlichen Majestät des Sultans an, der die Militär-
streitkräfte von Tscherkessien befehligen sollte... Das Verhalten
von Oberst Lapinski war nicht sehr beruhigend für mich... Einige
Wochen nach der Ankunft des polnischen Detachements in Shapsucho"
(dem russischen Fort Tenginsk), "der Residenz Sefer Paschas, traf
Herr Römer auf der mit Waffen und Munition beladenen Brigg, die
wir im Bosporus zurückgelassen hatten, in Dob ein ... Der plötz-
liche Einfall der Russen bei Attakum im Mai brachte Tausende von
tscherkessischen Kriegern aus allen Teilen des Landes zusammen.
Zum ersten Mal sahen die Tscherkessen, wie ihre eigene Artillerie
mit Erfolg die russische Artillerie angriff. Dieses Gefecht, an
sich recht unwichtig, gab mir und dem polnischen Détachement Be-
deutung... Ich nahm den Vorteil der Stimmung der Leute für mich
wahr, um meine Rolle zu spielen; ich stellte mich öffentlich als
den Gesandten des Sultans vor; ich forderte unbedingten Gehor-
sam... Später erfuhr ich, daß Oberst Lapinski mit ganzer Kraft
daran arbeitete, meine Pläne zunichte zu machen... Ich bemühte
mich, Anhänger unter den Offizieren und Leuten seines Détache-
ments zu gewinnen, und da die Situation des Korps prekär war,
schrieb ich das dem Versagen ihres Kommandeurs zu... Die Be-
schlagnahme einiger Sandalen 1*) durch ein russisches Schiff in
den Häfen Sudjak und Gelendschik gab mir Gelegenheit, den Oberst
in eine gewisse Entfernung vom Kriegsschauplatz bei Attakum zu
versetzen und ihn vollständig zu isolieren... Einige Tage später
erhielt ich von Oberst Lapinski einen Brief, in dem er mir mit-
teilte, daß in Gelendschik keine Truppen seien und daß seine
Stellung nicht zu halten wäre... Ich ging selbst nach Gelend-
schik, und an Ort und Stelle legte mir Oberst Lapinski die Ge-
fährlichkeit seiner Position und die drohende Gefahr eines An-
griffes der Russen dar. Neun Tage später wurde seine Voraussage
Wirklichkeit...
Die Agitation, die ich unter den Offizieren und Soldaten in
Aderbi während und nach der Katastrophe von Gelendschik betrieb,
war einfach die Folge meines Entschlusses, Zwiespalt zwischen dem
Détachement und Oberst Lapinski zu säen... Durch Emissäre ließ
ich unter den Tscherkessen Gerüchte verbreiten, daß er die Ka-
nonen an die Russen verkauft hätte... Ich ließ mich durch die ge-
spielte Aufrichtigkeit des Obersten hinters Licht führen, der
mich in Wahrheit mit größerer Wachsamkeit als je beobachtete...
In Übereinstimmung mit meinen Instruktionen sollte ich Beziehun-
gen zu dem russischen General herstellen... Mein anonymer Brief,
der gegenwärtig in den Händen der Kommission ist, sollte einen
regulären Briefwechsel einleiten, aber durch die Dummheit des
russischen Kommandeurs ist er in Ihre Hände gefallen...
Ganz plötzlich warf Oberst Lapinski die Maske ab und erklärte mir
bei Sefer Pascha schroff, daß er mich weder als seinen Vorgesetz-
ten noch als Militärkommandanten in Tscherkessien anerkenne,
brach jeden Verkehr mit mir ab... richtete auch einen
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1*) schmaler zweimastiger Boote
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Tagesbefehl in diesem Sinne an das polnische Détachement. Ich
versuchte, ihn durch einen anderen Tagesbefehl abzusetzen, der an
die Soldaten gerichtet war, aber meine Bemühungen waren vergeb-
lich...
gez.: Mechmed Bey."
(Nr. 5) - Brief des Janos Bangya an den General Philipson:
"Läge es nicht im Interesse Rußlands, Tscherkessien zu befriedi-
gen? Es ist vielleicht möglich, die Ebenen von Tscherkessien für
kurze Zeit mit enormen Opfern zu erobern, aber die Berge und die
natürlichen Befestigungen werden niemals erobert werden. Die rus-
sischen Kanonen haben ihre Wirkung verloren. Diètscherkessische
Artillerie wird der russischen mit genügendem Erfolg antworten.
Die Tscherkessen sind nicht mehr, was sie vor fünf Jahren waren;
unterstützt durch eine kleine reguläre Streitmacht, kämpfen sie
genau so gut wie die russischen Truppen, und für ihre Religion
und ihr Land werden sie bis zum letzten Mann kämpfen. Wäre es
nicht besser, den Tscherkessen eine Art Scheinfreiheit zu gewäh-
ren, Tscherkessien einem nationalen Fürsten zu unterstellen und
diesen Fürsten unter die Schirmherrschaft des russischen Zaren zu
stellen? Mit einem Wort, aus Tscherkessien ein anderes Georgien
oder etwas in dieser Art zu machen? Ist Tscherkessien erst einmal
eng an Rußland gebunden, dann stehen die Straßen Anatoliens und
Indiens den Russen offen. Sapienti sat. 1*) Es wäre möglich, Ver-
handlungen auf dieser Basis zu eröffnen. Überlegen und antworten
Sie."
(Nr. 6) - Urteil, 20. Januar 1858:
"Nach Verlesen des Geständnisses von Oberst Mechmed Bey auf den
Sitzungen vom 2., 3., 4., 5., 6., 7. und 11.Januar; nach Anhören
der Zeugenaussagen auf der Sitzung vom 9.Januar erklärt das
Kriegsgericht auf seiner heutigen Sitzung Mechmed Bey auf Grund
seines Geständnisses und der Zeugenaussagen des Landesverrats und
der Geheimkorrespondenz mit dem Feinde für überführt; erklärt ihn
für ehrlos, seines Ranges in diesem Lande verlustig und verur-
teilt ihn zum Tode - einstimmig.
Gez.: Jacob Beckert, Soldat; Philipp Terteltaub, Kanonier; Ma-
thias Bedneizek, Sergeant; Otto Linovski, Artillerist; Franz
Stock, Unterleutnant; Anton Krysciewicz, Unterleutnant; Michael
Marecki, Leutnant; Leon Zawadski, Artillerist; Stanislas
Tanckowski, Gefreiter; John Hamaniski, Sergeant; Alexander Mi-
chicki, Feldwebel; Casimir Wystocki, Unterleutnant; Josef Ara-
noski, Leutnant; Peter Stankiewicz, Hauptmann; Theophil Lapinski,
Oberst."
Den obigen Dokumenten haben wir lediglich hinzuzufügen, daß Sefer
Pascha nicht geneigt war, das Todesurteil an einem Mann voll-
strecken zu lassen, der den Rang eines Obersten in der Armee des
Sultans innehatte, und daß er ihn daher nach Trapezunt eskortie-
ren ließ. Die Ungarn in Konstantinopel erklärten Mechmed Beys
Verräterei für eine reine Verleumdung, aber
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1*) Genug für den Verständigen.
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die polnischen Offiziere protestierten sofort gegen diese Behaup-
tung und drohten mit einer eventuellen Veröffentlichung der Doku-
mente, die sich auf diese Affäre beziehen. Wir veröffentlichen
sie nun im Auszug, da sie den bei weitem interessantesten Beitrag
zur Geschichte des tscherkessischen Krieges bilden.
Hinsichtlich des Verhaltens der russischen Botschaft während die-
ser Affäre können wir folgende Tatsachen hinzufügen: Es war in
Konstantinopel allgemein bekannt, daß die "Kangaroo" gemietet
war, um Truppen und Vorräte nach Tscherkessien zu bringen. Die
russische Botschaft ließ jedoch nicht ein Wort in bezug auf diese
Expedition gegenüber der Pforte fallen; aber am gleichen Tage,
als die "Kangaroo" den Bosporus hinter sich ließ, richtete der
russische Botschafter einen Protest an die Pforte und veranlaßte,
daß eine Untersuchung eingeleitet wurde, um die Anstifter der Ex-
pedition ausfindig zu machen. Man machte alle Anstrengungen, um
Graf Zamoyski, der zu dieser Zeit in Konstantinopel war, in die
Angelegenheit hineinzuziehen; aber das mißlang gründlich. Dann
wurden, anscheinend auf Verlangen Rußlands, General Stein und Is-
mail Pascha in die Verbannung geschickt, weil sie in die Sache
verwickelt waren. Nach einer Verbannung von einigen Monaten wurde
anläßlich eines Festtages in der russischen Zarenfamilie, wieder
auf Verlangen der russischen Botschaft, General Stein und Ismail
Pascha gestattet, nach Konstantinopel zurückzukehren.
Aus dem Englischen.
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