Quelle: MEW 12 April 1856 - Januar 1859


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       Karl Marx
       
       Ein merkwürdiges Stückchen Geschichte
       
       ["New-York Daily Tribune" Nr. 5352 vom 16. Juni 1858]
       Manchester (England), 18. Mai 1858
       Sehr bald  nach Beendigung  des letzten  Krieges mit Rußland, er-
       schien in  der Presse  die Mitteilung,  daß ein  gewisser Mechmed
       Bey, Oberst  in der  türkischen Armee, alias J. Bangya, Ex-Oberst
       der ungarischen Armee, Konstantinopel verlassen hätte, um mit ei-
       ner Anzahl  polnischer Freiwilliger  nach Tscherkessien zu gehen.
       Gleich bei seiner Ankunft wurde er so etwas wie ein Stabschef bei
       Sefer Pascha,  dem tscherkessischen Oberhaupt. Wer diesen ungari-
       schen Befreier  Tscherkessiens von  früher kannte,  konnte keinen
       Zweifel darüber haben, daß er nur zu einem einzigen Zweck in die-
       ses Land  gegangen war:  es an  Rußland zu verkaufen. Es war klar
       und erkennbar  erwiesen, daß  der Mann  in London  und Paris  als
       Spion sowohl  im Solde der französischen als auch der preußischen
       Polizei gestanden hatte. 1*) Vor etwa  einem Monat enthielten die
       europäischen Zeitungen  denn  auch die  Nachricht, es wäre aufge-
       deckt worden,  daß  Bangya-Mechmed Bey  tatsächlich in verräteri-
       scher Korrespondenz mit dem russischen General Philipson  gestan-
       den habe und von einem Kriegsgericht  zum  Tode verurteilt worden
       sei. Bangya erschien jedoch  kurze  Zeit danach plötzlich in Kon-
       stantinopel. Mit  seiner üblichen  Unverschämtheit  erklärte  er,
       alle diese Geschichten über Verräterei,  Kriegsgericht etc. wären
       reine Erfindungen seiner  Feinde, und versuchte, sich als das Op-
       fer einer Intrige hinzustellen.
       Wir sind zufällig im Besitz der wichtigsten Dokumente über diesen
       merkwürdigen Zwischenfall des tscherkessischen Krieges und werden
       nunmehr einige  Auszüge daraus  mitteilen. Diese  Papiere  wurden
       durch Leutnant Franz Stock vom polnischen Bataillon in Tscherkes-
       sien, eins der Mitglieder des
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       1*) Siehe vorl. Band, S. 167
       
       #476# Karl Marx
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       Kriegsgerichts, das  Bangya überführt  hatte, nach Konstantinopel
       gebracht. Die Öffentlichkeit mag danach selbst urteilen.
       
       Auszüge aus den Protokollen des Kriegsrats, abgehalten zu Aderbi,
       Tscherkessien, über Mechmed Bey, alias J. Bangya von Illosfalva.
       
       (Nr. 1) - Sitzung vom 9. Januar 1858, Aussage von Mustapha, gebo-
       ren in der Provinz Narkhouatz:
       
       "... Als  der Oberst,  Mechmed Bey,  nach Shepsohour  kam, bat er
       mich, einen Brief an den Kommandeur der Schwarzmeerkosaken, Gene-
       ral Philipson,  zu befördern.  Auf meine  Bemerkung, daß  ich das
       nicht tun  könnte, ohne  Sefer Pascha  zu informieren,  oder ohne
       seine Erlaubnis,  erklärte mir  Mechmed Bey, daß er als Gesandter
       und  Statthalter  des  Padischah  und  als  Militärkommandant  in
       Tscherkessien das Recht hätte, mit den Russen Briefe zu wechseln,
       daß Sefer Pascha den Gegenstand kenne und daß seine Absicht wäre,
       die   Russen   irrezuführen...   Als   Sefer   Pascha   und   die
       Nationalversammlung mir das Manifest von Tscherkessien schickten,
       das an  den Zaren  gerichtet war,  gab mir Mechmed Bey auch einen
       Brief für  General Philipson. Ich fand General Philipson nicht in
       Anapa und  lieferte den  Brief an  den kommandierenden  Major  in
       Anapa ab.  Der Major  versprach mir, das Manifest weiterzusenden,
       wollte jedoch  den Brief,  der weder  Adresse  noch  Unterschrift
       trug, nicht entgegennehmen. Ich brachte, den Brief zurück; da ich
       jedoch wegen der häufigen Korrespondenz Mechmed Beys Verdacht ge-
       schöpft hatte  und befürchtete,  selbst kompromittiert zu werden,
       teilte ich die ganze Sache den Vorgesetzten mit..."
       
       (Nr. 2)  "Aussage des  Achufet Effendi, des ehemaligen türkischen
       Sekretär bei Mechmed Bey:
       
       "...Mechmed Bey  war sehr  erzürnt über  Tefik Bey"  (Oberst  La-
       pinski) "und  sprach sehr  abfällig von ihm, wobei er hinzufügte,
       daß dieser  ihm schon seit langem den Weg zu versperren suche. In
       der zweiten Nacht nach unserer Ankunft in Aderbi... wurde ich ge-
       gen Morgen  von Mechmed  Beys  Reitknecht  geweckt.  Mechmed  Bey
       selbst teilte  mir mit,  man hätte  starken Kanonendonner aus der
       Richtung von  Gelendschik gehört.  Er war aufgestanden und schien
       unruhig... Der Bericht, daß Oberst Lapinski mit seiner ganzen Be-
       gleitung gefangengenommen  worden war,  gelangte, ich  weiß nicht
       wie, nach  Aderbi, bevor  noch das  Donnern der Kanonen aufgehört
       hatte. Ich hörte Mechmed Bey davon sprechen. Als später die Nach-
       richt eintraf,  daß weder der Oberst noch seine Leute zu Gefange-
       nen gemacht  worden waren, sagte Mechmed Bey sehr ärgerlich, 'daß
       er wahrscheinlich seine Kanonen an die Russen verkauft hätte'."
       
       (Nr. 3)  - Aussage  der polnischen Offiziere und Soldaten, die in
       Aderbi statoniert waren:
       
       "Einen Tag,  bevor Gelendschik überrumpelt wurde, kam Mechmed Bey
       ins Lager und sagte, er hätte Briefe aus Konstantinopel erhalten,
       die ihm mitteilten, daß es ganz
       
       #477# Ein merkwürdiges Stückchen Geschichte
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       und gar  Oberst Lapinskis  Fehler wäre,  wenn sie  nirgends Hilfe
       fänden... Er veranlaßte, daß Spirituosen an die Soldaten verteilt
       wurden, und  machte ihnen allerlei Versprechungen, wenn sie ihren
       Obersten verließen  und ihm  folgten... Als sich später die Nach-
       richt" (Lapinski  sei gefangengenommen)  "als falsch  erwies, kam
       Mechmed Bey  persönlich ins Lager und hielt eine Ansprache an die
       Abteilung, um  sie zu  bewegen, dem Obersten den Gehorsam zu ver-
       weigern. Als aber der Oberst zurückkam, behauptete er, nichts da-
       von zu  wissen. Er  gab mehrere  Leute preis,  die sich ihm ange-
       schlossen hatten,  und ließ zu, daß sie bestraft wurden, ohne für
       sie einzutreten.  Später, während  der Abwesenheit  des Obersten,
       bemühte sich  Mechmed Bey,  die Truppen mit Hilfe mehrerer Ungarn
       zur Meuterei  zu veranlassen. Die Ungarn setzten ein Schriftstück
       mit Anklagen  gegen den  Obersten auf  und versuchten, die Männer
       zum Unterschreiben zu bewegen. Mit Ausnahme von drei Männern, die
       zugaben, daß  sie dazu verleitet worden waren, erklärten alle an-
       deren unter Eid, daß ihre Unterschriften gefälscht seien... Diese
       Fälschung war  um so  leichter, als  in der  Abteilung nur wenige
       Soldaten schreiben können."
       
       (Nr. 4) - Geständnis des Bangya vor dem Kriegsgericht:
       
       "Ermüdet von dem langen Verhör lege ich der Kommission dieses Ge-
       ständnis vor,  das von meiner Hand geschrieben und von mir unter-
       zeichnet ist.  Ich hoffe,  daß meine  Richter, denen  ich dadurch
       eine langwierige  und schwierige  Aufgabe erspare, um so mehr ge-
       neigt sein werden, daran zu denken, daß mit meinem Schicksal auch
       das Schicksal  meiner unschuldigen Familie *) verknüpft ist. Frü-
       her war  mein Name  Janos Bangya  von Illosfalva; jetzt heiße ich
       Mechmed Bey;  ich bin  vierzig Jahre  alt; meine Religion war die
       römisch-katholische, aber  1853 trat  ich zum Islam über... Meine
       politische Tätigkeit...  wurde mir von dem ehemaligen Führer mei-
       nes Landes,  Lajos Kossuth,  diktiert...  Mit  Einführungsbriefen
       meines politischen  Chefs versehen,  kam ich am 22. Dezember 1853
       nach Konstantinopel...  Ich trat  in die  türkische Armee mit dem
       Range eines  Obersten ein.  Zu dieser Zeit erhielt ich häufig von
       Kossuth Briefe  und Instruktionen, die die Interessen meines Lan-
       des betrafen. Zu gleicher Zeit richtete Kossuth eine Botschaft an
       die Ottomanische  Regierung, in  der er den Türken dringend nahe-
       legte, sich vor einer Allianz mit Frankreich, England oder Öster-
       reich in  acht zu  nehmen, und  ihnen den Rat erteilte, sich eher
       mit den  revolutionären Italienern  und  Ungarn  zu  verbinden...
       Meine Instruktionen  rieten mir,  mich in  irgendeiner Weise  den
       Truppen anzuschließen,  die dazu  ausersehen waren, an den Küsten
       Tscherkessiens zu  agieren... In  Tscherkessien  angekommen,  be-
       gnügte ich mich eine Zeitlang damit, die Lage im Lande zu studie-
       ren und meine Beobachtungen meinen politischen Freunden mitzutei-
       len... Ich  versuchte, mich  Sefer Pascha  anzuschließen... Meine
       Instruktionen rieten  mir, irgendwelche  offensiven Schritte  von
       der Seite der Tscherkessen zu verhindern und mich allem ausländi-
       schen Einfluß  im Lande  entgegenzustellen. Kurze Zeit vor meiner
       Abreise aus  Konstantinopel erhielt  Oberst Türr,  der seine  In-
       struktionen
       ---
       *) Hiermit spielt  er auf die Bangya-Familie Nr. 3 an. Er hat au-
       ßer seiner  islamitischen Familie  in Konstantinopel eine Frau in
       Ungarn und eine andere in Paris.
       
       #478# Karl Marx
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       von derselben  Stelle empfängt  wie ich und mit dem ich jahrelang
       in politischer  Verbindung gestanden  habe, den Auftrag, sich dem
       griechischen Aufstand  anzuschließen. General  Stein" (Ferhad Pa-
       scha), "der auch zu unserer Gruppe gehört, wurde angewiesen, nach
       Anatolien zu  gehen. Was  den Plan  anbelangt, Sefer Pascha atta-
       chiert zu  werden, so  gelang er,  und sehr  bald gewann ich sein
       volles Vertrauen.  Als ich  sein Vertrauen erst einmal besaß, war
       es leicht für mich, meine Instruktionen zu befolgen und auszufüh-
       ren... Ich  überzeugte Sefer  Pascha, daß  Tscherkessien nach dem
       Kriege wieder  der  Herrschaft  des  Sultans  unterworfen  werden
       würde... Den  türkischen Kommandeuren  gab ich  zu bedenken,  daß
       alle offensiven  Maßnahmen ihrer  Truppen gefährlich sein würden,
       da die  Tscherkessen... sie  in der  Stunde der  Gefahr verlassen
       würden. Die  Umstände waren  für mich  günstig, und  obgleich die
       Russen ihre Truppen auf den Kriegsschauplatz geschickt hatten und
       ihre Grenzen  ungeschützt ließen, hatten sie nicht unter ernstli-
       chen  feindlichen  Einfällen  der  Tscherkessen  zu  leiden.  Ich
       schickte regelmäßig  Berichte über  meine  geheime  Tätigkeit  an
       meine politischen Vorgesetzten... Zur gleichen Zeit stieß ich auf
       meinem Wege  auf Männer  und Umstände,  die meinen  Plänen völlig
       entgegengesetzt waren. Ich meine die Ankunft des Herrn Longworth,
       des britischen  Konsuls in  Anapa. Herrn Longworths Instruktionen
       wiesen ihn an, Sefer Pascha zu veranlassen, 6000 Tscherkessen auf
       Kosten Großbritanniens  zu organisieren  und  nach  der  Krim  zu
       schicken... Ich  erhielt ähnliche Befehle von den türkischen Vor-
       gesetzten, aber  zu gleicher  Zeit erteilten  mir meine  geheimen
       Vorgesetzten den  bestimmtesten Befehl, alles zu tun, was in mei-
       ner Macht  stünde, um  die Mission des Konsuls zu vereiteln... In
       einer Unterhaltung mit Herrn Longworth... bat ich um einen Posten
       in der britischen Armee mit dem Range eines Obersten oder
       um die  Geldsumme von  10 000 Pfd. St. ... Herr Longworth dachte,
       mich durch  ein Angebot  von 50 000  Piaster zu gewinnen... Meine
       Intrige glückte.  Fürst Sefer,  so oft durch leere Versprechungen
       getäuscht, wurde  argwöhnisch und verweigerte dem Konsul rundher-
       aus, was  er von  seinen Leuten wünschte... Zu dieser Zeit machte
       ich mir  den Prinzen  Ibrahim Karabatir,  den Sohn Sefer Paschas,
       zum Feind,  der dazu ernannt worden war, die 6000 Tscherkessen zu
       befehligen...
       Am 21.  März 1856  teilte mir Sefer Pascha mit, daß in der Volks-
       versammlung beschlossen worden wäre, eine Abordnung an die türki-
       sche, französische und britische Regierung zu entsenden, um diese
       Mächte zu bitten, Tscherkessien wieder der Türkei einzuverleiben.
       Ich erreichte bei Sefer Pascha, daß ich mich dieser Abordnung an-
       schließen  konnte...  Bei  meiner  Ankunft  in  Konstantinopel...
       sandte ich  an meine politischen Freunde und an Kossuth einen de-
       taillierten Bericht über die Lage in Tscherkessien... Ich erhielt
       als Erwiderung  Instruktionen, die  mir befahlen, mit Oberst Türr
       und General  Stein Verbindung aufzunehmen und die Angelegenheiten
       gemeinsam mit  ihnen zu  führen und  so viele  Ungarn wie möglich
       daran zu  beteiligen. Gleichzeitig  trat ich mit Ismail Pascha in
       Verbindung, dem  Postmeister  des  Ottomanischen  Reiches,  einem
       Tscherkessen von  Geburt, der mir patriotisch und fähig erschien,
       Opfer für  sein Land  zu bringen.  Ich beriet mit ihm die Art und
       Weise, in der es uns möglich wäre, nach Tscherkessien Waffen, Mu-
       nition, Geräte  für Waffenmeister  sowie gute Offiziere und Hand-
       werker zu senden. Aber der tatsächliche Plan der Expedition wurde
       zwischen
       
       #479# Ein merkwürdiges Stückchen Geschichte
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       General Stein,  Oberst Türr and mir abgesprochen. Hauptmann Fran-
       chira, Militärsekretär des russischen Gesandten, war bei mehreren
       unserer Beratungen anwesend. Das Ziel war, Tscherkessien in einer
       friedlichen, langsamen, aber sicheren Art und Weise für russische
       Interessen zu gewinnen... Wenn Tscherkessien sich erst einmal den
       Weisungen von  General Stein  und mir  gefügt hätte, sollte unser
       Plan folgender sein:
       I. Irgendeinen eingeborenen  Fürsten auszuwählen,  der das  ganze
       Land unter seine Herrschaft bringen würde;
       II. die Tscherkessen  davon zu überzeugen, daß sie weder vom Sul-
       tan noch von irgendeiner anderen Macht irgendwelche Unterstützung
       zu erwarten hätten;
       III. die Bergbewohner  durch Niederlagen  auf dem Schlachtfeld zu
       demoralisieren - Niederlagen, die vorher sorgfältig berechnet und
       vorbereitet werden sollten;
       IV. sie dahin zu bringen, den Zaren als ihren nominellen Souverän
       anzuerkennen, ohne  irgendeinen Tribut zu zahlen, aber Garnisonen
       im Lande  zuzulassen... Die  nach Tscherkessien gebrachten Ungarn
       würden in  der Umgebung des Fürsten untergebracht werden, die fä-
       higeren würden  mit den wichtigen Posten betraut werden... Haupt-
       mann Franchini  versicherte mir,  daß Rußland  nicht mehr fordere
       als augenscheinliche  Unterordnung...  die  Zeichen  kaiserlicher
       Gunst, Geld und russische Befehle würden das übrige tun...
       Am 22.  September 1856  empfahl mir Ismail Pascha, für Tscherkes-
       sien mehrere hundert Polen zu verpflichten, die in Skutari kaser-
       niert waren  und einen  Teil der  Legion unter  Zamoyski gebildet
       hatten... Dieser Vorschlag stimmte mit unseren Plänen nicht über-
       ein, aber  es war  schwierig, ihn  zurückzuweisen. Ich war ehedem
       mit Herrn  Lapinski bekannt gewesen, der mit Erfolg in Ungarn ge-
       dient hatte... Er lebte jetzt in Skutari... Wir kamen mit General
       Stein darin  überein, daß  es am  besten wäre, Oberst Lapinski zu
       gewinnen, der  absolutes Vertrauen zu mir hatte... Am 24. Septem-
       ber gab  ich Oberst Lapinski schriftlich bekannt, daß die tscher-
       kessischen Patrioten an ihn appellierten, ein polnisches Korps in
       Tscherkessien zu bilden. Der Oberst verlangte als Erwiderung Waf-
       fen und  Ausrüstung für 700 Polen... Wir berieten später zusammen
       - General  Stein, Türr,  Franchini und  ich -,  und es  wurde be-
       schlossen, daß  Türr sich  nach England  begeben sollte, um Werk-
       zeuge und  Maschinen zur  Herstellung von Patronen zu kaufen, daß
       er aber  irgendwelche  Waffenlieferungen  verzögern  sollte.  Wir
       wollten uns  erst der  Polen versichern, ehe wir ihnen Waffen ga-
       ben... Die ernsten Vorstellungen von Oberst Lapinski ... nötigten
       mich, die  Abreise zu  beschleunigen, obwohl ich nicht die Mittel
       hatte, die  ungarischen Offiziere,  die ich  engagiert hatte, mit
       mir zu  nehmen... Im  Januar 1857 erhielt ich Briefe und Instruk-
       tionen von  Kossuth und meinen anderen politischen Freunden. Mein
       Plan wurde  gebilligt... Kurze Zeit vor meiner Abreise wurde eine
       deutliche Abkühlung  in den  Beziehungen zwischen mir und General
       Stein vorgetäuscht.  Ich wollte  meine Abreise  immer noch verzö-
       gern, damit  einige Ungarn mit mir reisen könnten, aber Hauptmann
       Franchini erklärte,  daß kein Tag verloren werden dürfte. Die Ex-
       pedition sei  das Gespräch  von ganz Konstantinopel geworden, und
       wenn die  russische Botschaft  nicht dazwischentrete,  könnte sie
       wegen Mittäterschaft  angeklagt werden.  Am 15.  Februar schiffte
       sich Oberst  Lapinski an  Bord des englischen Dampfers 'Kangaroo'
       ein. Ich ging gleichfalls an Bord... Bei
       
       #480# Karl Marx
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       meiner Ankunft  in Dob" (dem russischen Kabardinsk) "richtete ich
       Briefe an  Sefer Pascha,  an den  Naib und an die anderen Stamme-
       soberhäupter; in diesen Briefen kündigte ich mich als Abgesandten
       Seiner Kaiserlichen  Majestät des  Sultans an,  der die  Militär-
       streitkräfte von Tscherkessien befehligen sollte... Das Verhalten
       von Oberst  Lapinski war nicht sehr beruhigend für mich... Einige
       Wochen nach der Ankunft des polnischen Detachements in Shapsucho"
       (dem russischen Fort Tenginsk), "der Residenz Sefer Paschas, traf
       Herr Römer  auf der  mit Waffen und Munition beladenen Brigg, die
       wir im  Bosporus zurückgelassen hatten, in Dob ein ... Der plötz-
       liche Einfall  der Russen bei Attakum im Mai brachte Tausende von
       tscherkessischen Kriegern  aus allen  Teilen des Landes zusammen.
       Zum ersten Mal sahen die Tscherkessen, wie ihre eigene Artillerie
       mit Erfolg  die russische  Artillerie angriff. Dieses Gefecht, an
       sich recht  unwichtig, gab mir und dem polnischen Détachement Be-
       deutung... Ich  nahm den  Vorteil der Stimmung der Leute für mich
       wahr, um  meine Rolle zu spielen; ich stellte mich öffentlich als
       den Gesandten  des Sultans  vor; ich  forderte unbedingten Gehor-
       sam... Später  erfuhr ich,  daß Oberst  Lapinski mit ganzer Kraft
       daran arbeitete,  meine Pläne  zunichte zu  machen... Ich bemühte
       mich, Anhänger  unter den  Offizieren und  Leuten seines Détache-
       ments zu  gewinnen, und  da die  Situation des  Korps prekär war,
       schrieb ich  das dem  Versagen ihres  Kommandeurs zu...  Die  Be-
       schlagnahme einiger  Sandalen 1*)  durch ein russisches Schiff in
       den Häfen  Sudjak und Gelendschik gab mir Gelegenheit, den Oberst
       in eine  gewisse Entfernung  vom Kriegsschauplatz  bei Attakum zu
       versetzen und  ihn vollständig zu isolieren... Einige Tage später
       erhielt ich  von Oberst  Lapinski einen Brief, in dem er mir mit-
       teilte, daß  in Gelendschik  keine Truppen  seien und  daß  seine
       Stellung nicht  zu halten  wäre... Ich  ging selbst  nach Gelend-
       schik, und  an Ort  und Stelle  legte mir Oberst Lapinski die Ge-
       fährlichkeit seiner  Position und  die drohende  Gefahr eines An-
       griffes der  Russen dar.  Neun Tage später wurde seine Voraussage
       Wirklichkeit...
       Die Agitation,  die ich  unter den  Offizieren  und  Soldaten  in
       Aderbi während  und nach der Katastrophe von Gelendschik betrieb,
       war einfach die Folge meines Entschlusses, Zwiespalt zwischen dem
       Détachement und  Oberst Lapinski  zu säen...  Durch Emissäre ließ
       ich unter  den Tscherkessen  Gerüchte verbreiten,  daß er die Ka-
       nonen an die Russen verkauft hätte... Ich ließ mich durch die ge-
       spielte Aufrichtigkeit  des Obersten  hinters Licht  führen,  der
       mich in Wahrheit mit größerer Wachsamkeit als je beobachtete...
       In Übereinstimmung  mit meinen Instruktionen sollte ich Beziehun-
       gen zu  dem russischen General herstellen... Mein anonymer Brief,
       der gegenwärtig  in den  Händen der  Kommission ist, sollte einen
       regulären Briefwechsel  einleiten, aber  durch die  Dummheit  des
       russischen Kommandeurs ist er in Ihre Hände gefallen...
       Ganz plötzlich warf Oberst Lapinski die Maske ab und erklärte mir
       bei Sefer Pascha schroff, daß er mich weder als seinen Vorgesetz-
       ten noch  als  Militärkommandanten  in  Tscherkessien  anerkenne,
       brach jeden Verkehr mit mir ab... richtete auch einen
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       1*) schmaler zweimastiger Boote
       
       #481# Ein merkwürdiges Stückchen Geschichte
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       Tagesbefehl in  diesem Sinne  an das  polnische Détachement.  Ich
       versuchte, ihn durch einen anderen Tagesbefehl abzusetzen, der an
       die Soldaten  gerichtet war,  aber meine Bemühungen waren vergeb-
       lich...
       gez.: Mechmed Bey."
       
       (Nr. 5) - Brief des Janos Bangya an den General Philipson:
       
       "Läge es  nicht im Interesse Rußlands, Tscherkessien zu befriedi-
       gen? Es  ist vielleicht möglich, die Ebenen von Tscherkessien für
       kurze Zeit  mit enormen Opfern zu erobern, aber die Berge und die
       natürlichen Befestigungen werden niemals erobert werden. Die rus-
       sischen Kanonen  haben ihre  Wirkung verloren. Diètscherkessische
       Artillerie wird  der russischen  mit genügendem Erfolg antworten.
       Die Tscherkessen  sind nicht mehr, was sie vor fünf Jahren waren;
       unterstützt durch  eine kleine  reguläre Streitmacht, kämpfen sie
       genau so  gut wie  die russischen  Truppen, und für ihre Religion
       und ihr  Land werden  sie bis  zum letzten  Mann kämpfen. Wäre es
       nicht besser,  den Tscherkessen eine Art Scheinfreiheit zu gewäh-
       ren, Tscherkessien  einem nationalen  Fürsten zu unterstellen und
       diesen Fürsten unter die Schirmherrschaft des russischen Zaren zu
       stellen? Mit  einem Wort,  aus Tscherkessien ein anderes Georgien
       oder etwas in dieser Art zu machen? Ist Tscherkessien erst einmal
       eng an  Rußland gebunden,  dann stehen die Straßen Anatoliens und
       Indiens den Russen offen. Sapienti sat. 1*) Es wäre möglich, Ver-
       handlungen auf  dieser Basis zu eröffnen. Überlegen und antworten
       Sie."
       
       (Nr. 6) - Urteil, 20. Januar 1858:
       
       "Nach Verlesen  des Geständnisses  von Oberst Mechmed Bey auf den
       Sitzungen vom  2., 3., 4., 5., 6., 7. und 11.Januar; nach Anhören
       der Zeugenaussagen  auf der  Sitzung  vom  9.Januar  erklärt  das
       Kriegsgericht auf  seiner heutigen  Sitzung Mechmed Bey auf Grund
       seines Geständnisses und der Zeugenaussagen des Landesverrats und
       der Geheimkorrespondenz mit dem Feinde für überführt; erklärt ihn
       für ehrlos,  seines Ranges  in diesem  Lande verlustig und verur-
       teilt ihn zum Tode - einstimmig.
       Gez.: Jacob  Beckert, Soldat;  Philipp Terteltaub,  Kanonier; Ma-
       thias Bedneizek,  Sergeant;  Otto  Linovski,  Artillerist;  Franz
       Stock, Unterleutnant;  Anton Krysciewicz,  Unterleutnant; Michael
       Marecki,  Leutnant;   Leon   Zawadski,   Artillerist;   Stanislas
       Tanckowski, Gefreiter;  John Hamaniski,  Sergeant; Alexander  Mi-
       chicki, Feldwebel;  Casimir Wystocki,  Unterleutnant; Josef  Ara-
       noski, Leutnant; Peter Stankiewicz, Hauptmann; Theophil Lapinski,
       Oberst."
       
       Den obigen Dokumenten haben wir lediglich hinzuzufügen, daß Sefer
       Pascha nicht  geneigt war,  das Todesurteil  an einem  Mann voll-
       strecken zu  lassen, der den Rang eines Obersten in der Armee des
       Sultans innehatte,  und daß er ihn daher nach Trapezunt eskortie-
       ren ließ.  Die Ungarn  in Konstantinopel  erklärten Mechmed  Beys
       Verräterei für eine reine Verleumdung, aber
       -----
       1*) Genug für den Verständigen.
       
       #482# Karl Marx
       -----
       die polnischen Offiziere protestierten sofort gegen diese Behaup-
       tung und drohten mit einer eventuellen Veröffentlichung der Doku-
       mente, die  sich auf  diese Affäre  beziehen. Wir veröffentlichen
       sie nun im Auszug, da sie den bei weitem interessantesten Beitrag
       zur Geschichte des tscherkessischen Krieges bilden.
       Hinsichtlich des Verhaltens der russischen Botschaft während die-
       ser Affäre  können wir  folgende Tatsachen  hinzufügen: Es war in
       Konstantinopel allgemein  bekannt, daß  die  "Kangaroo"  gemietet
       war, um  Truppen und  Vorräte nach  Tscherkessien zu bringen. Die
       russische Botschaft ließ jedoch nicht ein Wort in bezug auf diese
       Expedition gegenüber  der Pforte  fallen; aber  am gleichen Tage,
       als die  "Kangaroo" den  Bosporus hinter  sich ließ, richtete der
       russische Botschafter einen Protest an die Pforte und veranlaßte,
       daß eine Untersuchung eingeleitet wurde, um die Anstifter der Ex-
       pedition ausfindig  zu machen.  Man machte alle Anstrengungen, um
       Graf Zamoyski,  der zu  dieser Zeit in Konstantinopel war, in die
       Angelegenheit hineinzuziehen;  aber das  mißlang gründlich.  Dann
       wurden, anscheinend auf Verlangen Rußlands, General Stein und Is-
       mail Pascha  in die  Verbannung geschickt,  weil sie in die Sache
       verwickelt waren. Nach einer Verbannung von einigen Monaten wurde
       anläßlich eines  Festtages in der russischen Zarenfamilie, wieder
       auf Verlangen  der russischen Botschaft, General Stein und Ismail
       Pascha gestattet, nach Konstantinopel zurückzukehren.
       
       Aus dem Englischen.

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