Quelle: MEW 13 Januar 1859 - Februar 1860
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Friedrich Engels
Wie Österreich Italien in Schach hält
["New-York Daily Tribune" Nr. 5575 vom 4. März 1859]
Als General Bonaparte 1796 von den Seealpen herabkam, genügte die
große Woche von Dego, Millesimo, Montenotte und Mondovi, um ganz
Piemont und die Lombardei zu erobern. [80] Seine Kolonnen rückten
ohne Widerstand bis zum Mincio vor. Doch dort wendete sich das
Blatt. Die Mauern von Mantua hielten ihn auf, und der größte Ge-
neral seiner Zeit brauchte neun Monate, um dieses Hindernis zu
bezwingen. Der ganze zweite Teil des ersten Italienfeldzuges
drehte sich um die Eroberung von Mantua. Rivoli, Castiglione, Ar-
cole und der Marsch durch das Brentatal - alles diente der Errei-
chung dieses großen Zieles. [81] Zweimal wurde Napoleon von einer
Festung aufgehalten. Das erste Mal in Mantua, das zweite Mal in
Danzig [82]. Napoleon wußte sehr gut, daß Mantua der Schlüssel zu
Italien war. Nachdem er es genommen, trennte er sich erst davon,
als er sich von seiner Krone trennte, und seine Herrschaft über
Italien war bis dahin niemals ernsthaft gefährdet.
Aus der geographischen Konfiguration Italiens erklärt sich, daß
diejenige Macht ganz Italien beherrscht, die den nördlichen Teil,
den Gallia Cisalpina der Römer, in den Händen hält. Das Po-Bassin
ist immer das Schlachtfeld gewesen, auf dem das Schicksal der
Halbinsel entschieden wurde. Von Marignano und Pavia über Turin,
Arcole, Rivoli, Novi und Marengo bis Custozza und Novara - alle
entscheidenden Kämpfe um die Beherrschung Italiens wurden hier
ausgetragen. [83] Das ist ganz natürlich. Franzose oder Deut-
scher, wer immer seinen Gegner aus dem Po-Tal vertreibt, isoliert
ihn von der langgestreckten Halbinsel und isoliert die Halbinsel
von ihren Verbündeten. Nur auf eigene Ressourcen angewiesen, wird
diese Halbinsel, der am wenigsten bevölkerte und zivilisierte
Teil Italiens, bald unterworfen. In diesem Po-Bassin ist Mantua
wiederum die zentralgelegenste Position. Es liegt gleich weit
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entfernt vom Adriatischen wie vom Mittelmeer, etwa 70 Meilen von
beiden; auf diese Weise schließt es, von einer Armee auf dem
Schlachtfeld verteidigt, wirksam jeden Zugang zur Halbinsel ab.
Dazu kommt der unermeßliche taktische Vorteil seiner Lage: inmit-
ten eines Sees gelegen, mit drei Brückenköpfen zum Debouchieren,
auf allen Seiten umgeben von einem mit Flüssen durchzogenem Ge-
lände ist es in der Lage, die verschiedenen Teile einer Belage-
rungsarmee voneinander zu isolieren - kein Wunder, daß es eine
traditionelle Redensart gibt: Wer Mantua besitzt, ist Herrscher
über Italien.
Diese wenigen Betrachtungen werden genügen, um zu zeigen, daß es
nicht leicht sein dürfte, die Österreicher aus Italien zu ver-
treiben, selbst wenn sie nichts weiter als Mantua hätten. Wozu
der erste Feldherr seiner Zeit neun Monate brauchte, das wird ein
ehemaliger Hauptmann der Schweizer Artillerie [84] nicht in
kürzerer Frist schaffen. Aber die militärische Lage der Lombardei
hat sich seit 1796 stark verändert, sogar noch seit 1848. Der
Feldzug von 1848 ist gewissermaßen das Gegenstück zu dem von
1796. Wenn 1796 zeigte, was Mantua in der Defensive leisten kann,
zeigte 1848, was Mantua, Peschiera, Legnago und Verona zusammen
bei offensiver Kriegführung leisten können; und seitdem ist diese
glänzende Position, die zu den besten in Europa zählt, auf jede
mögliche Art und Weise vervollkommnet und verstärkt worden, und
zwar mit einer Sorgfalt, Sachkenntnis und ensemble 1*), die dem
österreichischen Stab und seinen Ingenieuren zur höchsten Ehre
gereichen.
Betrachten Sie die Karte. Vom Gardasee bis zum Po fließt der Min-
cio, ein nicht sehr beachtlicher Fluß, im Sommer an vielen Stel-
len seicht, doch im ganzen für eine Verteidigungsposition nicht
ungeeignet. Die Länge der Linie, die von Peschiera bis Borgo-
forte, obgleich dies jenseits des Flusses liegt, gemessen werden
muß, beträgt etwa 30 Meilen, so daß eine Armee, die in deren
Mitte liegt, in einem Tagesmarsch den jeweils äußersten Punkt er-
reichen kann. Diese kurze Linie von 30 Meilen, die zur Rechten
(Norden) von dem See und den Tiroler Alpen und zur Linken vom Po
flankiert wird, ist die erste Verteidigungsstellung, die eine
österreichische Armee gegen einen von Westen kommenden Feind vor-
findet. Aber dies ist nicht ihr einziger Vorteil. Fast parallel
zum See, zum Mincio und zum Po, zehn bis dreißig Meilen dahinter,
fließt die Etsch und bildet eine zweite und weitaus stärkere
Verteidigungslinie, die zu jeder Jahreszeit ein Hindernis bildet,
das nur mit Brücken zu überwinden ist. Durch diese doppelte Linie
werden, wie ein Blick auf die
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1*) Zusammenarbeit
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Karte zeigt, Tirol und die angrenzenden österreichischen Provin-
zen auf natürliche Weise zu einem festen Ganzen abgerundet. Sie
ist, militärisch gesprochen, deren notwendige Ergänzung; darauf
gründet sich der politische Grundsatz Österreichs, daß die Min-
ciolinie zur Verteidigung Deutschlands notwendig ist und daß der
Rhein am Po verteidigt werden muß.
Diese von Natur aus starke Postion ist noch künstlich verstärkt
worden. Die Minciolinie wird durch Mantua in zwei Teile geteilt.
Diese Festung liegt so nahe an der Mündung des Flusses, daß der
untere Teil bei der Berechnung gänzlich außer acht gelassen wer-
den kann. So verkürzt sich die Linie um weitere sieben oder acht
Meilen, und ihr südliches Ende wird von einer erstrangigen Fe-
stung verstärkt, die auf jeder Seite des Flusses Brückenköpfe
bildet. Das andere Ende, wo der Fluß den See verläßt, wird von
der kleinen Festung Peschiera verteidigt. Diese Festung ist gewiß
nicht sehr stark und wurde 1848 von den Piemontesen eingenommen,
sie genügt jedoch, um einem irregulären Angriff zu widerstehen
und kann folglich gehalten werden, solange die Österreicher das
Feld behaupten; gleichzeitig gestattet sie ihnen, auf die West-
seite des Mincio zu debouchieren.
Die Linie der Etsch wurde bis 1815 vernachlässigt. Sie bildete
von 1797 bis 1809 die Grenze zwischen Österreich und Italien;
doch seit 1815 befindet sich Österreich im Besitz beider Ufer des
Flusses. Hinter Mantua, etwa 25 Meilen entfernt, liegt an der
Etsch die kleine Festung Legnago; aber die nächste Stadt hinter
Peschiera, Verona, war nicht befestigt. Die Österreicher brauch-
ten jedoch nicht lange, um herauszufinden, daß Verona befestigt
werden muß, damit die Position völlig ihrer Aufgabe gerecht wer-
den kann. Und so geschah es. Aber durch die übliche Trägheit des
vorsündflutlichen Österreichs wurde die Ausführung so vernachläs-
sigt, daß 1848, als die Revolution ausbrach, nur das gegen Öster-
reich gerichtete linke oder östliche Ufer des Flusses leidlich
befestigt war, während die dem Feind zugewandte Seite ver-
hältnismäßig ungeschützt blieb.
Radetzky und seine Stabchefs, Heß und Schönhals, machten sich,
nachdem die Revolution sie aus Mailand verjagt hatte, sofort an
die Arbeit, um diesen Fehler zu korrigieren. Die Höhen, die Ve-
rona im Westen umgeben, wurden mit Schützengräben gekrönt, und
durch diese wurden die Schutzwälle der Stadt vor einem bestrei-
chenden Feuer geschützt. Das war Österreichs Glück. Die Mincioli-
nie mußte aufgegeben werden. Peschiera wurde von den Piemontesen
belagert, und sie drangen sogar bis zu den Schutzwällen der Re-
douten vor. Hier jedoch wurden sie zum Stehen gebracht. Der Tag
von Santa Lucia (6. Mai 1848) zeigte ihnen, daß jeder weitere
Vorstoß auf die Stellung von Verona nutzlos war.
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Trotzdem befand sich noch ganz Oberitalien in den Händen der
revolutionären Armee. Radetzky hielt nur seine vier Festungen und
benutzte Verona als befestigtes Lager für seine Armee. Seine
Front, die Flanken und fast das gesamte Hinterland waren in der
Hand des Gegners; sogar die Kommunikationen mit Tirol waren be-
droht und zeitweise unterbrochen. Dennoch gelang es einer Divi-
sion unter General Nugent, sich durch das aufständische Venetien
durchzuschlagen und gegen Ende Mai zu ihm zu stoßen. Nun zeigte
Radetzky, was mit dieser glänzenden Position, die er sich gerade
geschaffen hatte, erreicht werden konnte. Außerstande, noch län-
ger in der ausfouragierten Umgebung Veronas zu verbleiben, zu
schwach, um das Feld in einer entscheidenden Schlacht zu behaup-
ten, brachte er seine Armee mit einem kühnen und geschickten
Flankenmarsch über Legnago nach Mantua. Und bevor der Gegner
richtig begriffen hatte, was vorging, rückte Radetzky von Mantua
aus vor, um ihn auf dem westlichen Ufer des Mincio anzugreifen.
Er drang in die feindliche Einschließungslinie ein und zwang die
Hauptarmee der Piemontesen, sich aus ihrer Stellung vor Verona
zurückzuziehen. Den Fall von Peschiera konnte er jedoch nicht
verhindern, und nachdem er mit seinem Marsch nach Mantua alles
erreicht hatte, was nur zu erreichen war, sammelte er seine Trup-
pen wieder, marschierte über Legnago gegen Vicenza und entriß
diese Stadt den Italienern, wodurch er sich das ganze venetiani-
sche Festland unterwarf, seine Kommunikationen wieder erlangte
und die Ressourcen eines großen und reichen Gebiets im Rücken si-
cherte; danach zog er sich wieder auf seinen Stützpunkt Verona
zurück, und die Piemontesen waren so völlig ratlos, wie er daraus
zu vertreiben sei, daß sie darüber einen ganzen Monat mit
Nichtstun verloren. In dieser Zeit waren jedoch drei starke
österreichische Brigaden angekommen, und nun wendete sich das
Blatt. In drei Tagen verjagte Radetzky die Piemontesen von den
Höhen zwischen Etsch und Mincio, umging gleichzeitig ihre rechte
Flanke bei Mantua und erteilte ihnen eine derartige Lektion, daß
sie sich nicht eher wieder zum Kampf stellten, als bis sie den
Ticino hinter sich gelassen hatten.
Dieser Feldzug Radetzkys beweist, was ein General mit einer
zahlenmäßig unterlegenen Armee leisten kann, wenn er von einem
gut befestigten Flußliniensystem unterstützt wird. Ganz gleich,
wo die Piemontesen standen oder wie sie versuchten, Front zu
machen, sie konnten die Österreicher nicht angreifen; das Tasten
im Dunkeln, worauf alle ihre militärischen Operationen in den
letzten fünf Wochen vor ihrer endgültigen Niederlage beschränkt
blieben, zeigt deutlich, wie hilflos festgefahren sie waren.
Worin bestand nun die Stärke der Position Radetzkys? Lediglich
darin, daß die Festungen ihn nicht nur vor einem Angriff schütz-
ten, sondern daß sie den Feind zwangen,
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seine Kräfte zu teilen, während Radetzky unter ihrem Schutz an
jedem Punkt mit seinen gesamten Streitkräften gegen den Teil des
Feindes operieren konnte, auf den er zufällig stieß. Peschiera
band eine Menge Truppen; während Radetzky in Verona war, band
Mantua weitere Truppen, und kaum war er nach Mantua gegangen, da
zwang Verona die Piemontesen, ein Beobachtungskorps dort zu las-
sen. Mehr noch: Die Italiener mußten mit getrennten Korps auf
beiden Seiten der Flüsse operieren, wobei keines das andere
schnell unterstützen konnte, während Radetzky, gestützt auf seine
Festungen und Brückenköpfe, nach Belieben seine gesamten Kräfte
von einem Ufer aufs andere werfen konnte. Vicenza und das vene-
tianische Festland wären nie gefallen, wenn die Piemontesen im-
stande gewesen wären, es zu unterstützen. Aber nach Lage der
Dinge ergriff Radetzky von beiden Besitz, während die Piemontesen
von den Garnisonen Veronas und Mantuas in Schach gehalten wurden.
Wenn die Franzosen in Algerien mit einer Kolonne durch ein feind-
liches Gebiet marschieren müssen [85], bilden sie vier Infante-
rie-Karrees und stellen sie an den vier Ecken eines Rhomboids
auf; die Kavallerie und die Artillerie befinden sich in der
Mitte. Wenn die Araber angreifen, werden sie durch das anhaltende
Feuer der Infanterie abgewehrt, und sobald ihr Angriff gebrochen
ist, stürmt die Kavallerie in sie hinein, und die Artillerie
protzt ab, um ihnen ihre Kugeln zu schicken. Falls die Kavallerie
zurückgeschlagen wird, findet sie hinter den Karrees der Infante-
rie sicheren Schutz. Was die solide Infanterie gegen solche irre-
gulären Haufen leistet, das leistet ein System von Festungen für
eine unterlegene Feldarmee, besonders wenn diese Festungen an ei-
nem Netz von Flüssen gelegen sind. Verona, Mantua, Peschiera,
Legnago bilden die vier Ecken eines Quadrats, und solange nicht
mindestens drei von ihnen eingenommen sind, kann selbst eine un-
terlegene Armee nicht gezwungen werden, die Position zu verlas-
sen. Doch wie sie nehmen? Peschiera allerdings wird immer leicht
fallen, wenn die Österreicher das Feld nicht behaupten können.
Bei Mantua jedoch hatte man 1848 erst gar nicht versucht, es von
allen Seiten einzuschließen, noch viel weniger, es zu belagern.
Um Mantua einzuschließen, sind drei Armeen nötig: eine am westli-
chen, eine am östlichen Ufer des Mincio zur Belagerung, und eine,
um die Belagerung gegen die Österreicher bei Verona zu decken.
Durch geschicktes Manövrieren zwischen den Flüssen und Festungen
kann j e d e dieser drei Armeen ad libitum von der G e-
s a m t h e i t der österreichischen Streitkräfte angegriffen
werden. Wie ist unter solchen Umständen eine Belagerung auf-
rechtzuerhalten? Wenn General Bonaparte neun Monate brauchte, um
Mantua, auf sich allein gestellt, auszuhungern, wie stark wird es
sein, wenn es von
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einer Armee unterstützt wird, die sich auf Verona, Legnago und
Peschiera stützt, die imstande ist, mit vereinten Kräften an bei-
den Ufern des Mincio oder der Etsch zu manövrieren und deren
Rückzug nie abgeschnitten werden kann, da sie zwei Kommunikati-
onslinien besitzt, eine durch Tirol und die andere durch das Ve-
netianische? Wir haben keine Bedenken, zu behaupten, daß diese
Position eine der stärksten in Europa ist, und da sie von den
Österreichern nicht nur vollständig vorbereitet, sondern auch
völlig richtig erkannt wird, glauben wir, daß 150 000 Österrei-
cher die doppelte Zahl an Gegnern hier nicht zu fürchten brau-
chen.
Aber angenommen, sie werden doch aus dieser Position herausge-
trieben. Angenommen, sie verlieren Mantua und Peschiera und
Legnago. Solange sie Verona halten und nicht vollständig aus dem
Felde geschlagen werden, können sie den Marsch jeder französi-
schen Armee auf Triest und Wien sehr gefährden. Wenn sie Verona
als Vorposten behalten, können sie sich nach Tirol zurückziehen,
ihre Kräfte sammeln und den Feind erneut zwingen, seine Kräfte zu
teilen. Ein Teil muß Verona belagern, ein anderer das Tal der
Etsch verteidigen; wird dann genug übrigbleiben, um auf Wien zu
marschieren? Wenn ja, dann kann die Tiroler Armee sie im Tal der
Brenta überfallen, dessen strategische Bedeutung General Bona-
parte den Österreichern 1796 in einer recht schmerzhaften Lektion
beibrachte. Ein solches Experiment würde jedoch ein entscheiden-
der Fehler sein, es sei denn, daß eine andere Armee zur Verteidi-
gung der direkten Straße nach Deutschland zur Verfügung steht;
denn wenn die Hauptkraft der Österreicher in die Tiroler Alpen
geworfen wird, könnte der Feind daran vorbeimarschieren und in
Wien ankommen, bevor die Österreicher sich von den Bergen gelöst
hätten. Doch nehmen wir an, daß Wien befestigt ist (wir glauben,
daß dies jetzt geschieht), dann wird diese Betrachtung hinfällig.
Die Armee würde noch rechtzeitig ankommen, um es zu unterstützen
und könnte die Verteidigung der Kärntner Grenze darauf beschrän-
ken, in den Alpen die linke Flanke des Eindringlings ständig zu
umschwärmen und zu drohen, ihn entweder bei Bassano oder Cone-
gliano zu überfallen oder sich seiner Kommunikationen zu be-
mächtigen, sobald er vorbeimarschiert ist.
Diese indirekte Verteidigung der deutschen Südgrenze ist übrigens
die beste Antwort auf das Argument, mit welchem Österreich seine
Besetzung Italiens verteidigt, nämlich, daß die Linie des Mincio
die natürliche Grenze Deutschlands im Süden sei. Wäre es so, dann
würde der Rhein die natürliche Grenze Frankreichs sein. Jedes Ar-
gument, das für den einen Fall paßt, ist für den anderen eben-
falls voll anwendbar. Aber glücklicherweise braucht Frankreich
nicht den Rhein und Deutschland nicht den Po und den Mincio.
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Wer umgeht, wird selbst umgangen. Wenn das venetianische Gebiet
Tirol umgeht, umgeht Tirol ganz Italien. Der Paß von Bormio führt
direkt nach Mailand und kann dazu benutzt werden, einem Feind,
der Triest und Gradisca angreift, ein Marengo zu bereiten, so wie
der Große St. Bernhard gegen Melas benutzt wurde, als dieser die
Var-Linie angriff [86]. Im Krieg gewinnt mit Sicherheit schließ-
lich derjenige, der das Feld am längsten und besten behauptet.
Laßt Deutschland mit starker Hand Tirol halten, und es kann sich
sehr wohl leisten, den Italienern in der Ebene ganz ihren Willen
zu lassen. Solange seine Armeen das Feld zu halten vermögen, ist
wenig daran gelegen, ob das venetianische Festland politisch zu
ihm gehört. Militärisch gesehen b e h e r r s c h t seine Al-
pengrenze dieses Gebiet, und das sollte genügen.
Dies ist selbstverständlich eine Frage, die Italien und Deutsch-
land allein angeht. Sobald Frankreich hinzukommt,- liegen die
Dinge anders; wenn Frankreich sein ganzes Gewicht in die Waag-
schale wirft, ist es nur natürlich, daß jeder der beiden Kombat-
tanten seine Position soweit wie möglich sichern wird. Deutsch-
land kann es sich leisten, die Linie des Mincio und auch der
Etsch aufzugeben, jedoch nur zugunsten Italiens und nicht einer
anderen Nation.
Bisher haben wir die Chancen eines Verteidigungskrieges nur von
Seiten der Österreicher betrachtet. Wenn es jedoch zum Kriege
kommen sollte, wird ihre Lage ihnen gebieterisch einen offensiven
Feldzugsplan aufzwingen - doch darüber später mehr.
Geschrieben Mitte Februar 1859.
Aus dem Englischen.
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