Quelle: MEW 13 Januar 1859 - Februar 1860
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Karl Marx
Schwere Zerrüttung der indischen Finanzen
["New-York Daily Tribune" Nr. 5624 vom 30. April 1859]
I
London, 8. April 1859
Die indische Finanzkrise, die augenblicklich gemeinsam mit den
Kriegsgerüchten und der Wahlagitation der Ehre teilhaftig wird,
das Interesse der englischen Öffentlichkeit ganz in Anspruch zu
nehmen, muß unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden. Sie
kennzeichnet sowohl eine vorübergehende Notlage als auch eine
ständige Schwierigkeit.
Am 14. Februar brachte Lord Stanley im Unterhaus eine Bill ein,
der zufolge die Regierung ermächtigt werden soll, eine Anleihe
von 7 Millionen Pfd. St. in England aufzunehmen, um die Sonder-
ausgaben der Indienverwaltung für das laufende Jahr zu decken.
Etwa sechs Wochen danach wurden John Bulls Selbstbeglückwünschun-
gen über die geringen Kosten der indischen Rebellion [139] jäh
unterbrochen durch das Eintreffen der Überlandpost, die ein Weh-
geschrei der Regierung in Kalkutta über ihre Finanzschwierig-
keiten enthielt. Am 25. März erhob sich Lord Derby im Oberhaus,
um zu verkünden, daß außer der 7-Millionen-Pfd.-St.-Anleihe, die
dem Parlament zur Beratung vorliegt, eine weitere Anleihe von 5
Millionen Pfd. St. für Indien benötigt würde, um die Anforderun-
gen dieses Jahres zu decken, und daß selbst dann noch gewisse
Ansprüche auf Entschädigung und Prisengeld [175], die sich auf
mindestens 2 Millionen Pfd. St. belaufen, aus einer bisher noch
unbekannten Quelle beglichen werden müßten. Um die Dinge in ein
angenehmeres Licht zu rücken, hatte Lord Stanley in seiner ersten
Erklärung nur den Bedarf des in London befindlichen Schatzamtes
für Indien berücksichtigt und es der britischen Regierung in
Indien überlassen, sich mit ihren eigenen Ressourcen zu behelfen,
obwohl er aus den eingegangenen
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Depeschen genau wußte, daß diese bei weitem nicht ausreichten.
Ganz abgesehen von den Ausgaben der englischen Regierung oder der
Indienverwaltung in London veranschlagte Lord Canning das Defizit
der Regierung in Kalkutta für das laufende Rechnungsjahr
1859/1860 auf 12 Millionen Pfd. St., wobei eine Zunahme der ge-
wöhnlichen Revenue um 800 000 Pfd. St. und eine Abnahme der Mili-
tärausgaben um 2 Millionen Pfd. St. bereits einkalkuliert sind.
Die Geldknappheit der Regierung in Kalkutta war derart groß, daß
sie die Bezahlung eines Teils ihrer Zivilverwaltung einstellen
mußte, ihr Kredit derart gesunken, daß die fünfprozentigen
Staatspapiere mit 12% Abzug notiert wurden, und ihre Finanzen wa-
ren derart zerrüttet, daß sie nur vor dem Bankrott gerettet wer-
den konnte, weil innerhalb weniger Monate Silber im Werte von 3
Millionen Pfd. St. von England nach Indien gesandt wurde. Drei
Punkte werden also offensichtlich. Erstens: Lord Stanleys ur-
sprüngliche Erklärung war ein "Kniff" und weit davon entfernt,
alle indischen Verpflichtungen zu umfassen; sie berücksichtigte
nicht einmal den unmittelbaren Bedarf der Regierung Indiens im
Lande selbst. Zweitens: Während der ganzen Zeit der Insurrektion
wurde es, wenn wir von der Silbersendung im Werte von einer Mil-
lion Pfd. St. von London nach Indien im Jahre 1857 absehen, der
Regierung in Kalkutta überlassen, selbst einen Weg zu finden, um
aus eigenen Ressourcen den Hauptteil der außerordentlichen
Kriegskosten zu bestreiten, die Indien auf jeden Fall für den Un-
terhalt von mehr als 60 000 europäischen Soldaten zusätzlich, für
die Wiedererstattung der geraubten Schätze und für den Ersatz der
ganzen verlorengegangenen Revenuen der örtlichen Verwaltungen
aufbringen mußte. Drittens: Neben der Deckung des Bedarfs der In-
dienverwaltung in England ist in diesem Jahr noch ein Defizit von
12 Millionen Pfd. St. auszugleichen. Durch Operationen, mit deren
zweifelhaften Charakter wir uns nicht befassen wollen, soll diese
Summe auf 9 Millionen Pfd. St. reduziert werden, wovon 5
Millionen Pfd. St. in Indien und 4 Millionen Pfd. St. in England
geliehen werden sollen. Von der letzteren Summe sind bereits eine
Million Pfd. St. in Gestalt von Silberbarren von London nach
Kalkutta abgegangen, und weitere 2 Millionen Pfd. St. sollen in
möglichst kurzer Frist folgen.
Aus dieser kurzen Aufstellung ist zu erkennen, daß die Regierung
Indiens von ihren englischen Herren recht unfair behandelt worden
ist; sie ließen sie im Stich, um John Bull Sand in die Augen zu
streuen. Andererseits muß man jedoch zugeben, daß die Finanzope-
rationen Lord Cannings sogar seine militärischen und politischen
Leistungen an Ungeschicklichkeit übertreffen. Bis Ende Januar
1859 hatte er es fertiggebracht, die notwendigen Mittel durch An-
leihen in Indien zu beschaffen, die teils in Regierungsobligatio-
nen, teils in
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Schatzkammerscheinen ausgeschrieben wurden; doch während seine
Bemühungen in der Zeit der Rebellion Erfolg hatten, scheiterten
sie seltsamerweise gänzlich von dem Augenblick an, da die engli-
sche Herrschaft durch Waffengewalt wiederhergestellt war. Und sie
scheiterten nicht nur, sondern es gab eine Panik in bezug auf die
Staatspapiere; bei allen Fonds trat eine beispiellose Entwertung
ein, begleitet von Protesten seitens der Handelskammern in Bombay
und Kalkutta und von öffentlichen Versammlungen englischer und
einheimischer Geldmakler in Kalkutta, die die Unentschlossenheit,
den willkürlichen Charakter und das hilflose Unvermögen der
Regierungsmaßnahmen verurteilten. Das leihbare Kapital Indiens,
das die Regierung bis zum Januar 1859 mit Geld versorgt hatte,
begann nunmehr auszubleiben, da die Kraft zum Verleihen anschei-
nend erschöpft war. Tatsächlich absorbierten die Anleihen, die
sich von 1841 bis 1857 auf insgesamt 21 Millionen Pfd. St. be-
liefen, allein in den zwei Jahren 1857 und 1858 etwa 9 Millionen
Pfd. St., das entspricht beinahe der Hälfte der während der vor-
angegangenen sechzehn Jahre geliehenen Geldsumme. Ein derartiges
Versagen der Ressourcen begründet zwar die Notwendigkeit, den
Zinsfuß für Regierungsanleihen nach und nach von 4 auf 6 Prozent
hochzuschrauben, erklärt aber selbstverständlich keineswegs die
kommerzielle Panik auf dem indischen Wertpapiermarkt und die völ-
lige Unfähigkeit des Generalgouverneurs, die dringendsten Forde-
rungen zu befriedigen. Das Rätsel wird durch die Tatsache gelöst,
daß es bei Lord Canning zu einem ständig wiederkehrenden Manöver
geworden ist, ohne vorherige Unterrichtung der Öffentlichkeit und
bei größter Ungewißheit über die weiterhin geplanten Finanzopera-
tionen neue Anleihen zu einem höheren Zinsfuß als bei den
o f f e n e n A n l e i h e n auszuschreiben. Die Entwertung
der Staatspapiere infolge dieser Manöver ist auf nicht weniger
als 11 Millionen Pfd. St. errechnet worden. Bedrängt durch die
Armut der Staatskasse, beängstigt durch die Panik auf dem Effek-
tenmarkt und beunruhigt durch die Proteste der Handelskammern und
die Versammlungen in Kalkutta, hielt es Lord Canning für das be-
ste, artig zu sein und zu versuchen, den Wünschen der Geldleute
nachzukommen; doch seine Bekanntmachung von 21. Februar 1859
[176] zeigt aufs neue, daß der menschliche Verstand nicht vom
menschlischen Willen abhängt. Was wurde von ihm verlangt? Nicht
gleichzeitig zwei Anleihen zu unterschiedlichen Bedingungen aus-
zuschreiben und den Geldleuten sofort die für das laufende Jahr
benötigte Summe zu nennen, statt sie durch aufeinanderfolgende
Verlautbarungen, die einander widersprechen, zu täuschen. Und was
tut er in seiner Bekanntmachung? Zuerst sagt er, für das Jahr
1859/1860 seien 5 Millionen Pfd. St. zu 5 1/2 Prozent durch An-
leihe auf dem indischen Markt aufzubringen, und
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"wenn diese Summe realisiert ist, wird die Anleihe für 1859/1860
geschlossen und keine weitere Anleihe während dieses Jahres in
Indien aufgenommen werden".
Er hebt jedoch den ganzen Wert der gerade gegebenen Versicherun-
gen auf, indem er in der gleichen Proklamation fortfährt:
"Im Laufe des Jahres 1859/1860 wird in Indien k e i n e A n-
l e i h e m i t h ö h e r e m Z i n s f u ß ausgeschrieben
werden, es s e i d e n n a u f A n w e i s u n g d e r
e n g l i s c h e n R e g i e r u n g."
Das ist aber noch nicht alles. Tatsächlich schreibt er eine
D o p p e l a n l e i h e zu unterschiedlichen Bedingungen aus.
Zugleich mit der Ankündigung, daß "die Ausgabe von Schatzkammer-
scheinen zu den am 26. Januar 1859 bekanntgegebenen Bedingungen
am 30. April beendet wird", gibt er bekannt, "daß eine neue Aus-
gabe von Schatzkammerscheinen mit dem 1. Mai beginnen wird", die
zu ungefähr 5 3/4 Prozent verzinst und ein Jahr nach dem Tage der
Ausgabe eingelöst werden. Beide Anleihen werden gleichzeitig of-
fengehalten, da die im Januar ausgeschriebene Anleihe noch nicht
abgeschlossen ist. Der einzige Finanzgegenstand, den Lord Canning
anscheinend zu begreifen vermag, ist, daß sein Jahresgehalt nomi-
nell 20 000 Pfd. St., tatsächlich aber ungefähr 40 000 Pfd. St.
beträgt. Trotz der Anwürfe des Derby-Kabinetts und seiner offen-
kundigen Unzulänglichkeit hält er daher aus "Pflichtgefühl" an
seinem Posten fest.
Die Auswirkungen der indischen Finanzkrise auf den englischen
Binnenmarkt sind bereits offensichtlich geworden. Die Silbersen-
dungen seitens der Regierung, die von großen Sendungen auf Rech-
nung der Kaufleute begleitet werden und die in eine Periode fal-
len, in der die üblichen Silberlieferungen aus Mexiko infolge der
zerrütteten Lage dieses Landes [177] ausbleiben, haben natürlich
als erstes den Preis von Barrensilber ansteigen lassen. Am 25.
März war er auf den künstlich hochgetriebenen Preis von 62 3/4
Pence für die Standardunze gestiegen, was einen solchen Zustrom
von Silber aus allen Teilen Europas hervorrief, daß der Preis in
London wieder auf 62 3/8 Pence fiel, die Diskontrate in Hamburg
indessen von 2 1/2 auf 3 Prozent stieg. Auf Grund dieser starken
Silbereinfuhr haben sich die Wechselkurse zuungunsten Englands
verändert, und es setzte ein Abfluß von Gold ein, der den Londo-
ner Goldmarkt im Augenblick nur von seinem Überfluß befreit, ihn
aber auf die Dauer ernsthaft gefährden kann, da er bestimmt mit
großen kontinentalen Anleihen verbunden sein wird. Jedoch die
Entwertung der indischen Staatspapiere und der von der indischen
Regierung garantierten Eisenbahnaktien auf dem Londoner Geld-
markt, die sich nachteilig auf die im Laufe dieses Jahres noch
aufzunehmenden Regierungs- und Eisenbahnanleihen auswirken wird,
ist gewiß die ernsthafteste Auswirkung, die die indische Finanz-
krise
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bisher auf dem englischen Binnenmarkt gehabt hat. Die Aktien
vieler indischer Eisenbahnen werden jetzt mit 2 oder 3 Prozent
Diskont gehandelt, obwohl die Regierung 5 Prozent Zinsen für sie
garantiert hat.
Alles in allem sehe ich jedoch die augenblickliche indische Fi-
nanzpanik als eine Angelegenheit von zweitrangiger Bedeutung an,
wenn man sie mit der allgemeinen Krise des indischen Schatzamtes
vergleicht, die ich vielleicht bei anderer. Gelegenheit einer Be-
trachtung unterziehen werde.
II
London, 12. April 1859
Die neueste Überlandpost zeigt keineswegs ein Nachlassen der
Finanzkrise in Indien, sondern enthüllt einen Zustand der Zerrüt-
tung, wie er kaum vermutet wurde. Die Manipulationen, zu denen
die Regierung Indiens getrieben wird, um ihren dringendsten Be-
darf zu decken, lassen sich am besten durch eine kürzliche Maß-
nahme des Gouverneurs von Bombay 1*) illustrieren. Bombay ist der
Markt, wo das Malwa-Opium, im Durchschnitt 30 000 Kisten pro
Jahr, in monatlichen Teillieferungen von 2000 oder 3000 Kisten
Absatz findet, wofür auf Bombay Wechsel gezogen werden. Da die
Regierung jede nach Bombay eingeführte Kiste mit einer Gebühr von
400 Rupien belegt, nimmt sie für Malwa-Opium eine jährliche Reve-
nue von 1 200 000 Pfd. St. ein. Um nun seine erschöpfte Staats-
kasse wieder aufzufüllen und den unmittelbaren Bankrott abzuwen-
den, hat der Gouverneur von Bombay eine Bekanntmachung erlassen,
derzufolge der Zoll auf jede Kiste Malwa-Opium von 400 auf 500
Rupien erhöht wird; gleichzeitig teilt er jedoch mit, daß diese
erhöhte Zollgebühr erst nach dem 1. Juli erhoben wird, so daß die
Opiumbesitzer in Malwa das Narkotikum noch weitere vier Monate zu
dem alten Zollsatz nach Bombay einführen können. Tatsächlich kann
das Opium in der Zeit von Mitte März, als die Bekanntmachung er-
lassen wurde, bis zum 1. Juli nur während zweieinhalb Monaten im-
portiert werden, da am 15.Juni bereits der Monsun einsetzt. Die
Opiumbesitzer in Malwa werden sich natürlich den Zeitraum, in dem
es ihnen noch gestattet ist, Opium zu der alten Zollgebühr einzu-
führen, zunutze machen und während der zweieinhalb Monate ihre
gesamten Bestände in die Präsidentschaft [178] senden. Da sich
der noch in Malwa befindliche Opiumvorrat aus der alten und der
neuen Ernte auf 26 000 Kisten beläuft und Malwa-Opium einen Preis
von 1250 Rupien
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1*) John Elphinstone
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pro Kiste erzielt, werden die Kaufleute aus Malwa von den Bom-
bayer Kaufleuten nicht weniger als 3 Millionen Pfd. St. zu
fordern haben, wovon über 1 Million Pfd. St. in das Bombayer
Schatzamt gelangen muß. Der Zweck dieses finanziellen Schachzuges
ist offensichtlich. Um die Jahreseinkünfte aus dem Opiumzoll
vorwegzunehmen und die Opiumhändler zu bewegen, den Zoll sofort
zu bezahlen, wird in terrorem 1*) eine Zollerhöhung in Aussicht
gestellt. Es ist völlig überflüssig, auf den empirischen Charak-
ter dieses Kunstgriffs näher einzugehen, der die Staatskasse im
Augenblick füllt, um wenige Monate später eine empfindliche Lücke
zu schaffen; jedoch gibt es kein treffenderes Beispiel für die
Erschöpfung der Budgetmittel seitens der Nachfolger des Groß-
moguls [179].
Wenden wir uns nun dem allgemeinen Zustand der indischen Finanzen
zu, wie er sich im Gefolge der kürzlichen Insurrektion entwickelt
hat. Nach den letzten offiziellen Berechnungen beträgt der Rein-
gewinn, der von den Briten aus ihrer indischen Farm gezogen wird,
23 208 000 Pfd. St., also rund 24 Millionen Pfd. St. Diese jähr-
liche Revenue hat niemals ausgereicht, um die jährlichen Ausgaben
zu decken. Von 1836 bis 1850 belief sich das Nettodefizit auf
13 171 096 Pfd. St. oder durchschnittlich etwa 1 Million Pfd. St.
jährlich. Selbst 1856, als die im großen betriebenen Annexionen,
Räubereien und Erpressungen Lord Dalhousies die Staatskasse au-
ßergewöhnlich gefüllt hatten, glichen sich Einnahmen und Ausgaben
nicht aus, sondern im Gegenteil, es kam ein weiteres Defizit von
etwa einer viertel Million zu der gewöhnlichen Defiziternte
hinzu. 1857 betrug das Defizit 9 Millionen Pfd. St., 1858 stieg
es auf 13 Millionen Pfd. St. an, und für 1859 wird es von der Re-
gierung Indiens selbst auf 12 Millionen Pfd. St. geschätzt. Die
erste Schlußfolgerung, zu der wir gelangen, ist also, daß die
selbst unter gewöhnlichen Umständen ständig anwachsenden Defizite
unter außergewöhnlichen Umständen solche Dimensionen annehmen,
daß sie die Hälfte oder noch mehr der Jahreseinnahmen ausmachen.
Als nächstes drängt sich die Frage auf, in welchem Maße diese be-
reits existierende Kluft zwischen den Ausgaben und den Einnahmen
der Regierung Indiens durch die jüngsten Ereignisse erweitert
wurde? Die neuen permanenten Schulden Indiens, die sich aus der
Unterdrückung des Aufstandes ergaben, werden von den optimi-
stischsten englischen Finanzleuten auf 40 bis 50 Millionen Pfd.
St. geschätzt, während Herr Wilson das p e r m a n e n t e
D e f i z i t oder die aus der jährlichen Revenue zu deckenden
Jahreszinsen für diese neuen Schulden auf nicht weniger als 3
Millionen Pfd. St. schätzt. Es wäre
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1*) als Schreckmittel
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jedoch ein großer Fehler anzunehmen, daß dieses permanente Defi-
zit von 3 Millionen Pfd. St. das einzige Erbe ist, das die Auf-
ständischen ihren Überwindern hinterlassen haben. Die Begleichung
der Kosten der Insurrektion ist keineswegs nur eine Sache der
Vergangenheit, sondern steht in großem Ausmaß noch bevor. Selbst
in ruhigen Zeiten, vor dem Ausbruch der Meuterei, verschlangen
die Militärausgaben mindestens sechzig Prozent der gesamten regu-
lären Einnahmen, denn sie betrugen mehr als 12 Millionen Pfd. St.
Aber jetzt hat sich die Sachlage geändert. Zu Beginn der Meuterei
beliefen sich die europäischen Streitkräfte in Indien auf 38 000
kampffähige Männer und die Eingeborenenarmee auf 260 000 Mann.
Die gegenwärtig in Indien eingesetzten Streitkräfte zählen
112 000 europäische und einschließlich der Eingeborenenpolizei
320 000 eingeborene Soldaten. Man kann mit Recht einwenden, daß
diese außergewöhnliche Anzahl mit dem Verschwinden der außer-
gewöhnlichen Umstände, die ihre augenblickliche Höhe verursacht
haben, wieder auf ein bescheideneres Maß reduziert werden wird.
Die von der britischen Regierung eingesetzte Militärkommission
ist jedoch zu dem Schluß gelangt, daß in Indien eine ständige eu-
ropäische Streitkraft von 80 000 Mann und eine Eingeborenentruppe
von 200 000 Mann nötig sein wird, wodurch die Militärausgaben auf
beinahe das Doppelte ihrer ursprünglichen Höhe gesteigert werden.
In den Debatten über die indischen Finanzen im Oberhaus am
7.April waren sich alle Redner von Autorität über zwei Punkte ei-
nig: Einerseits erklären sie, daß es mit einem Nettoeinkommen In-
diens von nur vierundzwanzig Millionen Pfd. St. unvereinbar sei,
allein für die Armee jährlich fast zwanzig Millionen auszugeben;
andererseits sei es schwierig, sich einen Zustand vorzustellen,
der den Engländern auf längere Zeit ermöglichen könnte, in Indien
eine europäische Streitkraft zu unterhalten, die nicht doppelt so
groß ist wie die vor dem Ausbruch der Meuterei. Aber selbst an-
genommen, es würde für die Dauer genügen, die europäischen
Streitkräfte nur um ein Drittel ihrer ursprünglichen Stärke zu
erhöhen, so kommen wir doch auf ein neues permanentes Defizit von
mindestens 4 Millionen Pfd. St. pro Jahr. Das neue permanente De-
fizit, das einerseits von den während der Meuterei eingegangenen
konsolidierten Schulden und andererseits vom ständigen Anwachsen
der britischen Streitkräfte in Indien herrührt, kann also bei
vorsichtigster Berechnung nicht unter 7 Millionen Pfd. St. betra-
gen.
Zwei weitere Posten müssen noch hinzugefügt werden: der eine
rührt aus dem Anwachsen der Passiva, der andere aus einer Vermin-
derung der Einnahmen her. Aus einer kürzlichen Erklärung der Ei-
senbahnabteilung der Indienverwaltung in London geht hervor, daß
die ganze Länge der für Indien genehmigten Eisenbahnen 4847 Mei-
len beträgt, wovon bisher nur 559 Meilen
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eröffnet sind. Die gesamte Summe des von den verschiedenen
Eisenbahngesellschaften investierten Kapitals beläuft sich auf 40
Millionen Pfd. St., wovon 19 Millionen Pfd. St. schon eingezahlt
sind und 21 Millionen Pfd. St. noch ausstehen; 96 Prozent der Ge-
samtsumme waren in England und nur 4 Prozent in Indien gezeichnet
worden. Für diesen Betrag von 40 Millionen Pfd. St. hat die
Regierung 5 Prozent Zinsen garantiert, so daß die Jahreszinsen,
die aus den Einkünften Indiens zu begleichen sind, sich auf 2
Millionen Pfd. St. belaufen, die gezahlt werden müssen, ehe die
Eisenbahnen in Betrieb sind und irgendeinen Ertrag abwerfen. Der
Earl of Ellenborough schätzt den Verlust, der den indischen
Finanzen für die nächsten drei Jahre daraus erwächst, auf 6
Millionen Pfd. St. und das endgültige permanente Defizit durch
diese Eisenbahnen auf eine halbe Million Pfd. St. jährlich. Dazu
kommt noch, daß von den 24 Millionen Pfd. St. des indischen
Nettoeinkommens eine Summe von 3 619 000 Pfd. St., aus dem Ver-
kauf des Opiums an andere Länder herrührt - eine Einkommensquel-
le, die jetzt nach allgemeinem Eingeständnis durch den neuen
Vertrag mit China [180] beträchtlich vermindert werden dürfte. Es
wird also offenbar, daß außer den Sonderausgaben, die noch
notwendig sind, um die Unterdrückung der Meuterei zu vollenden,
ein jährliches permanentes Defizit von mindestens 8 Millionen
Pfd. St. aus einem Nettoeinkommen von 24 Millionen Pfd. St., das
die Regierung vielleicht durch Auferlegung neuer Steuern auf 26
Millionen Pfd. St. zu erhöhen vermag, zu decken ist. Das un-
vermeidliche Resultat dieser Sachlage wird sein, daß der
englische Steuerzahler die Haftung für die indischen Schulden
übernehmen muß und daß, wie Sir G.C. Lewis im Unterhaus erklärte,
"vier bis fünf Millionen jährlich als Subsidien für etwas aufge-
bracht werden müssen, was eine wertvolle Dependenz der britischen
Krone genannt wurde". [181]
Man wird zugeben müssen, daß diese finanziellen Früchte der
"glorreichen" Rückeroberung Indiens kein bezauberndes Aussehen
haben und daß John Bull außerordentlich hohe Schutzzölle zahlt,
um den Freihändlern aus Manchester das Monopol des indischen
Marktes zu sichern.
Aus dem Englischen.
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