Quelle: MEW 14 Juli 1857 - November 1860
zurück
#238#
-----
Friedrich Engels
Kartätsche [219]
K a r t ä t s c h e oder B ü c h s e n h a r t ä t s c h e -
besteht aus einer Anzahl schmiedeeiserner Kugeln, die in eine
Blechbüchse von zylindrischer Gestalt gepackt sind. Die Kugeln
für die Feldartillerie sind regelmäßig in Lagen geschichtet, aber
für die meisten Arten der Belagerungs- und Schiffsgeschütze wer-
den sie nur in die Büchse geworfen, bis sie gefüllt ist, wonach
der Deckel aufgelötet wird. Zwischen einem Ende der Büchse und
der Ladung ist ein hölzerner Boden eingefügt. Das Gewicht der Ku-
gel variiert entsprechend den verschiedenen Geschützarten und den
Reglements jedes Heeres. Die Engländer haben für ihre schweren
Schiffsgeschütze Kugeln von 8 oz. bis zu 3 lbs.; für ihre
9pfünder-Feldkanonen 1 1/2- und 5 oz.-Kugeln, von denen 126 bzw.
41 eine Büchse für eine Ladung füllen. Die Preußen verwenden 41
Kugeln, von denen jede 1/32 des Gewichts der entsprechenden Voll-
kugel wiegt. Die Franzosen hatten bis 1854 beinahe das gleiche
Verfahren; auf welche Weise sie es seit der Einführung der neuen
Haubitze geändert haben mögen, können wir nicht sagen. Für die
Belagerungs- und Festungsartillerie sind die Kugeln manchmal in
einem Beutel um eine aus dem hölzernen Boden hervorragende Spin-
del geordnet, entweder in Form einer Traube (woher der Name Trau-
bengeschoß stammt) oder in regelmäßigen Lagen mit runden Holz-
oder Eisenplatten zwischen jeder Lage, wobei das Ganze in einem
Leinwandbeutel steckt.
Die jüngst eingeführte Art ist die kugelförmige Kartätsche, ge-
wöhnlich nach ihrem Erfinder, dem britischen General Shrapnel,
Schrapnellgranate genannt. Sie besteht aus einer dünnwandigen
gußeisernen Kugel (von V3 bis 3/4 Zoll dickem Eisen) mit einer
Trenn- oder Scheidewand in der Mitte. Der untere Teil ist dazu
bestimmt, eine Explosivladung aufzunehmen, der obere enthält
bleierne Gewehrkugeln. Ein Zünder wird eingesetzt, der eine sorg-
fältig zubereitete Mischung enthält, auf deren genau berechnetes
Abbrennen man sich verlassen kann. Eine Mischung wird zwischen
die Bleikugeln
#239# Kartätsche
-----
gebracht, damit sie nicht rütteln. Bei der Verwendung im Felde
wird der Zünder auf die Länge zugeschnitten, die für die Entfer-
nung vom Feinde erforderlich ist, und in die Granate eingeführt.
Bei 50 bis 70 Yard vom Feinde ist der Zünder bis zum Boden durch-
gebrannt und bringt die Granate zur Explosion, so daß die Kugeln
genau so gegen den Feind geschleudert werden, als ob eine gewöhn-
liche Kartätsche auf die Stelle abgefeuert worden wäre, wo die
Granate explodiert. Die Präzision der Zündungen, die gegenwärtig
bei verschiedenen Heeren erreicht wird, ist sehr groß, und so be-
fähigt dieses neue Geschoß den Kanonier, die exakte Wirkung von
Traubengeschossen auf Reichweiten zu erzielen, bei denen früher
nur Vollkugeln angewandt werden konnten. Das gewöhnliche Hohlge-
schoß wirkt bis zu 200 Yard äußerst vernichtend, aber es kann bis
zu 500 Yard angewandt werden; seine Wirkung gegen vorrückende In-
fanterie- oder Kavallerie-Linien in geschlossener Formation ist
furchtbar, gegen Tirailleurs ist es von geringem Nutzen; gegen
Kolonnen werden Vollkugeln meistens zweckmäßiger sein. Die runde
Kartätsche ist andererseits höchst wirksam bei Entfernungen von
600 bis 1400 Yard, und mit entsprechender Elevation und langem
Zünder kann sie auf noch größere Reichweiten mit der Wahrschein-
lichkeit einer Wirkung abgeschossen werden. Wegen ihrer Explosion
in der Nähe des Feindes, wobei der Kugelhagel dicht zusammenge-
halten wird, kann sie erfolgreich gegen Truppen in fast jeder
Formation außer bei Tirailleurs angewandt werden. Nach der Ein-
führung der runden Kartätsche wurde diese in fast allen europäi-
schen Heeren angewandt, sobald eine geeignete Zündmischung bei
jedem erfunden war; das bildete die einzige Schwierigkeit; und
von den großen europäischen Mächten hatte allein Frankreich in
diesem Punkt noch keinen Erfolg. Weitere Experimente, Zufälle
oder Bestechungen werden jedoch ohne Zweifel diese Macht bald in
den Besitz des Geheimnisses bringen.
Geschrieben um den 21. Januar 1858.
Aus dem Englischen.
zurück