Quelle: MEW 14 Juli 1857 - November 1860


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       Karl Marx
       
       Berthier
       
       B e r t h i e r,    Louis-Alexandre,  Marschall  von  Frankreich,
       Fürst und  Herzog von  Neuchâtel und  Valengin, Fürst von Wagram,
       geboren am  20. November  1753 zu  Versailles, am 1. Juni 1815 zu
       Bamberg ermordet.  Er wurde  von seinem Vater, dem Chef des Topo-
       graphenkorps unter  Ludwig XVI., zum Soldaten erzogen. Vom könig-
       lichen topographischen  Büro ging  er in den aktiven Dienst über,
       zuerst als  Leutnant in  den  Generalstab  und  anschließend  als
       Hauptmann der  Dragoner. Während  des amerikanischen  Unabhängig-
       keitskrieges [42]  diente er  unter Lafayette.  1789 ernannte ihn
       Ludwig XVI.  zum Generalmajor  der Nationalgarde  von Versailles,
       und am 5. und 6. Oktober 1789 sowie auch am 19. Februar 1791 [71]
       leistete er der königlichen Familie gute Dienste. Er erkannte je-
       doch, daß die Revolution militärischen Talenten große Möglichkei-
       ten bot,  und so finden wir ihn abwechselnd als Chef des General-
       stabs unter  Lafayette, Luckner  und Custine. Während der Schrec-
       kensherrschaft vermied er es, Verdacht zu erregen, indem er Eifer
       im Krieg  der Vendée [72] an den Tag legte. Sein persönlicher Mut
       bei der  Verteidigung von  Saumur am  12, Juni  1793 sicherte ihm
       eine ehrenvolle  Erwähnung in  den Berichten  der Kommissare  des
       Konvents. Nach  dem 9. Thermidor [73] wurde er zum Chef des Gene-
       ralstabs Kellermanns ernannt und trug, indem er auf die Besetzung
       der Linie  bei Borghetto  durch die  französische Armee  bestand,
       dazu bei,  daß der  Vormarsch des  Gegners zum Stillstand kam. So
       war sein Ruf als Chef des Generalstabs schon begründet, bevor Bo-
       naparte ihn  für diesen Posten auserwählte. Er bewährte sich auch
       als guter  Divisionsgeneral in  den Schlachten  bei Mondovi  (22.
       April 1796),  Lodi (10.  Mai 1796), Codogno (9. Mai 1796) und Ri-
       voli (14.  Januar 1797)  während der  Kampagne von 1796 bis 1797.
       [74]
       Er war  von schwachem  Charakter, aber  zäh und energisch und mit
       der Konstitution  eines Herkules, die es ihm gestattete, 8 Nächte
       hintereinander
       
       #92# Karl Marx
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       durchzuarbeiten. Er hatte ein erstaunliches Gedächtnis für alles,
       was die  Details militärischer Operationen betraf, wie z.B. Bewe-
       gung der  Korps, Truppenstärke,  Einquartierungen und Kommandobe-
       stand. Er  war von  einer Promptheit, auf die man sich immer ver-
       lassen konnte, ordentlich und exakt, gut bewandert in der Karten-
       kunde und  besaß im  besondern Maße  die Fähigkeit, die Eigentüm-
       lichkeiten des  Geländes einzuschätzen.  Geübt, in  einfacher und
       klarer Sprache über die kompliziertesten militärischen Bewegungen
       zu berichten, war er genügend erfahren und scharfsichtig, um wäh-
       rend der  Kampfhandlungen zu wissen, wohin die erhaltenen Befehle
       weiterzuleiten sind, wobei er deren Ausführung selbst überwachte.
       Er  war   der  lebende  Telegraph  seines  Vorgesetzten  auf  dem
       Schlachtfeld und  dessen unermüdlicher Schreibautomat am Schreib-
       pult des Stabes. Er war das Urbild eines Stabsoffiziers für einen
       General, der  sich alle  höheren Stabsfunktionen vorbehält. Trotz
       seiner Einwände  stellte Bonaparte ihn 1798 an die Spitze der Ar-
       mee, die  Rom besetzen,  dort die Republik ausrufen und den Papst
       gefangennehmen sollte.  [75] Außerstande,  die in Rom durch fran-
       zösische Generale,  Kommissare und  Lieferanten begangenen Räube-
       reien zu verhindern und die Meuterei unter den französischen Sol-
       daten aufzuhalten,  legte er  die Befehlsgewalt  in die Hände von
       Masséna und begab sich nach Mailand, wo er sich in die schöne Ma-
       dame Visconti  verliebte; seine  extravagante und andauernde Lei-
       denschaft, die  ihm während  seiner  Ägyptenexpedition  [76]  den
       Spitznamen Führer  der faction  des amoureux  1*) einbrachte, ko-
       stete ihn  den größten  Teil der  40 000 000 Francs,  die ihm von
       seinem kaiserlichen Gebieter nacheinander geschenkt wurden.
       Nach seiner Rückkehr aus Ägypten unterstützte er in den Tagen des
       18. und  19. Brumaire  [77] die Intrigen Bonapartes und wurde zum
       Kriegsminister ernannt;  diesen Posten  bekleidete er  bis zum 2.
       April 1800.  Während des  zweiten Feldzugs in Italien war er wie-
       derum Chef des Generalstabs und trug in bestimmtem Maße dazu bei,
       daß Napoleon  in eine  sichtlich schwierige  Lage bei Marengo ge-
       riet, weil  er falschen Berichten über die Route und Position der
       österreichischen Armee  Glauben geschenkt hatte. [78] Als er nach
       dem Sieg  einen Waffenstillstand  mit General Mélas abgeschlossen
       hatte, wurde  er mit  verschiedenen diplomatischen  Aufträgen be-
       traut und  kehrte anschließend  wieder ins  Kriegsministerium zu-
       rück, das  er bis zur Proklamierung des Kaiserreichs leitete. Von
       nun an  stellte er  sich völlig in den Dienst der Person des Kai-
       sers, den  er als Chef des Generalstabs im Range eines Generalma-
       jors der Großen Armee [49] auf allen seinen
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       1*) Partei der Verliebten
       
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       Feldzügen begleitete. Napoleon überschüttete ihn mit Titeln, Wür-
       den, Nebeneinkünften,  Pensionen und Schenkungen. Am 19. Mai 1804
       wurde er  zum Marschall  des Kaiserreichs, Inhaber des Großordens
       der Ehrenlegion  und Großjägermeister  von Frankreich ernannt. Am
       17. Oktober 1805 hatte er die Ehre, mit Mack die Kapitulationsbe-
       dingungen von Ulm festzulegen. [79]
       Aus dem  preußischen Feldzug 1806 kam er mit der Würde eines sou-
       veränen Fürsten  von Neuchâtel  und Valengin nach Hause. Im Jahre
       1808 wurde  ihm befohlen, die Prinzessin Marie Elisabeth von Bay-
       ern-Birkenfeld zu heiraten, die Nichte des Königs von Bayern 1*),
       und er  wurde zum Viceconnétable von Frankreich ernannt. Im Jahre
       1809 stellte  ihn Napoleon als Oberbefehlshaber an die Spitze der
       Großen Armee,  die von  Bayern  aus  gegen  Österreich  operieren
       sollte. Am  6. April erklärte Berthier den Krieg, aber bereits am
       15. April  hatte er  es fertiggebracht, den ganzen Feldzug zu ge-
       fährden. Er teilte die Armee in 3 Teile. Davout setzte er mit der
       Hälfte der französischen Streitkräfte bei Regensburg, Masséna mit
       der anderen Hälfte bei Augsburg und zwischen beide die Bayern bei
       Abensberg ein, so daß Erzherzog Karl bei schnellem Vormarsch alle
       drei Korps  hätte einzeln  besiegen können.  Die Langsamkeit  der
       Österreicher und  die Ankunft Napoleons retteten die französische
       Armee. Unter  den Augen  seines Gebieters  jedoch und auf Posten,
       die seinen Fähigkeiten mehr entsprachen, leistete er in dem glei-
       chen Feldzug  ausgezeichnete Dienste,  und zu seiner langen Liste
       von Titeln kam noch der des Fürsten von Wagram [80] hinzu.
       Während des  Feldzuges in  Rußland versagte  er auch als Chef des
       Generalstabs. Nach  dem Brand von Moskau erwies er sich sogar als
       unfähig, die  Befehle seines Gebieters richtig zu erläutern; aber
       trotz seines  dringenden Ersuchens,  mit Napoleon nach Frankreich
       zurückkehren zu  dürfen, befahl dieser ihm, bei der Armee in Ruß-
       land zu  bleiben. Seine  Engstirnigkeit und sein Hang zur Routine
       traten jetzt,  inmitten der  furchtbaren Übermacht, gegen die die
       Franzosen zu  kämpfen hatten,  besonders deutlich  zutage. Getreu
       seiner Tradition  gab er einem Bataillon, manchmal einer Kompanie
       der Nachhut dieselben Befehle, als ob diese Nachhut sich noch wie
       ehedem aus  30 000 Mann  zusammensetzte; er  wies Regimentern und
       Divisionen Stellungen  an, die  schon lange  aufgehört hatten  zu
       existieren; und  um sein eigenes Verlangen nach Betätigung zu be-
       friedigen, setzte  er immer  mehr Kuriere ein und gab eine Anord-
       nung nach  der andern  heraus. In den Jahren 1813/1814 finden wir
       ihn wieder auf seinem gewohnten Posten 2*).
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       1*) Maximilian I. Joseph - 2*) Chef des Generalstabs
       
       #94# Karl Marx
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       Nachdem der  Senat die  Absetzung  Napoleons  proklamiert  hatte,
       schlich sich Berthier unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, von
       seinem Gönner  hinweg und sandte noch vor Napoleons Abdankung dem
       Senat und  der provisorischen Regierung [81] eine Treueerklärung;
       dann ging  er an  der Spitze der Marschälle des Kaiserreichs nach
       Compiègne, um  dort Louis XVIII. äußerst unterwürfig zu begrüßen.
       Am  4.  Juni  1814  ernannte  ihn  Ludwig  XVIII.  zum  Pair  von
       Frankreich und  zum Hauptmann  einer Kompanie der neugeschaffenen
       Königlichen Garde. Sein Fürstentum Neuchâtel trat er an den König
       von Preußen  gegen eine Pension von 34 000 Florins ab. Nach Napo-
       leons Rückkehr von Elba folgte er Ludwig XVIII. nach Gent. Als er
       jedoch Wegen  der Geheimhaltung  eines  von  Napoleon  erhaltenen
       Briefes beim  König in Ungnade fiel, zog er sich nach Bamberg zu-
       rück, wo  er am 1. Juni 1815 von sechs maskierten Männern getötet
       wurde, die ihn aus einem Fenster des Palastes seines Schwiegerva-
       ters warfen. Seine Memoiren wurden 1826 in Paris veröffentlicht.
       Geschrieben um den 15. September 1857.
       
       Aus dem Englischen.

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