Quelle: Januar 1860 - September 1864


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       Karl Marx
       
       Abolitionistische Kundgebungen in Amerika
       
       ["Die Presse" Nr. 239 vom 30. August 1862]
       Es wurde  früher in  diesen Blättern  1*) bemerkt,  daß Präsident
       L i n c o l n,   juristisch  ängstlich,  konstitutionell  vermit-
       telnd, von  Geburt ein  Bürger des  Grenzsklavenstaates    K e n-
       t u c k y,   nur mühsam sich der Kontrolle der "loyalen" Sklaven-
       halter entzieht, jeden offenen Bruch mit ihnen zu vermeiden sucht
       und eben dadurch einen Konflikt mit den prinzipiell konsequenten,
       durch die  Ereignisse mehr und mehr in den Vordergrund gedrängten
       Parteien des Nordens hervorruft. Als Prolog dieses Konflikts kann
       die Rede  betrachtet werden,  die  W e n d e l l  P h i l l i p s
       zu Abington in  M a s s a c h u s e t t s  hielt, bei Gelegenheit
       der Jahresfeier der Sklavenemanzipation im englischen Westindien.
       W e n d e l l   P h i l l i p s  ist, nebst  G a r r i s o n  und
       G.   S m i t h,   der Chef der Abolitionisten in Neuengland. Wäh-
       rend dreißig  Jahren hat  er unausgesetzt  und unter Lebensgefahr
       die Emanzipation der Sklaven als Schlachtparole verkündet, gleich
       rücksichtslos gegen  die Persiflage der Presse, den Wutschrei be-
       zahlter rowdies  und die  vermittelnden  Vorstellungen  besorgter
       Freunde. Als  einer der  größten Redner des Nordens, als eiserner
       Charakter, gewaltsame  Energie und  reinste Gesinnung  vereinend,
       ist er  selbst von seinen Gegnern anerkannt. Die Londoner "Times"
       - und  was könnte  schlagender dies großherzige Blatt charakteri-
       sieren? -  denunzieren Wendell  Phillips' Rede  zu Abington heute
       der Regierung  von Washington.  Sie sei ein "Mißbrauch" der Rede-
       freiheit.
       
       "Es ist",  sagen die  "Times", "unmöglich, etwas gewaltsam Maßlo-
       seres zu  ersinnen. Niemals  in Zeiten eines Bürgerkrieges ist so
       Tollkühnes gesagt  worden in  irgendeinem Lande durch irgendeinen
       Mann, der bei gesundem Verstand war und
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       1*) Siehe vorl. Band, S. 525/526
       
       #531# Abolitionistische Kundgebungen in Amerika
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       sein Leben  oder seine  Freiheit einen  Pfifferling wert achtete.
       Beim Durchlesen jener Rede kann man kaum die Schlußfolgerung ver-
       meiden, daß  es der  Zweck des  Redners war,  eine Verfolgung von
       seilen der Regierung zu erzwingen."
       
       Und die  "Times", trotz  oder vielleicht wegen ihres Hasses gegen
       die Unionsregierung,  scheinen gar nicht abgeneigt, die Rolle des
       öffentlichen Anklägers zu übernehmen!
       Wendell Phillips' Rede zu Abington ist bei der gegenwärtigen Lage
       der Dinge  von größerer Wichtigkeit als ein Schlachtbulletin. Wir
       fassen daher die schlagendsten Stellen derselben zusammen.
       
       "Die Regierung",  heißt es unter anderm, "ficht für die Erhaltung
       der Sklaverei,  und darum  ficht sie umsonst. Lincoln führt einen
       politischen Krieg.  Noch heutigen Tages fürchtet er sich mehr vor
       Kentucky als  vor dem  ganzen Norden. Er glaubt an den Süden. Die
       Neger auf den südlichen Schlachtfeldern, wenn befragt, ob der Re-
       gen von  Kanonenkugeln und Bomben, die ringsum die Erde aufrissen
       und die  Bäume zersplitterten, sie nicht erschrecke, antworteten:
       'Nein, Massa  1*); wir  wissen, daß  sie nicht  für uns  bestimmt
       sind!'" So  können die  Rebellen von McClellans Bomben sagen. Sie
       wissen, daß  sie nicht  bestimmt sind, ihnen weh zu tun. Ich sage
       nicht, daß  McClellan ein  Verräter ist, aber ich sage, daß, wenn
       er ein  Verräter wäre,  er genau  handeln müßte, wie er gehandelt
       hat. Fürchtet nicht für Richmond, McClellan wird es nicht nehmen.
       Wird der  Krieg in dieser Weise, ohne vernünftigen Zweck, fortge-
       führt, so ist er eine nutzlose Vergeudung von Blut und Gold. Bes-
       ser wäre es, der Süden wäre heute unabhängig, als noch ein einzi-
       ges Menschenleben  aufs Spiel zu setzen für einen Krieg, beruhend
       auf der  gegenwärtigen, verabscheuungswürdigen  Politik.  Um  den
       Krieg in  der bisherigen  Weise fortzuführen,  bedarf es  125 000
       Mann jährlich  und eine  Million Dollars  täglich. Aber ihr könnt
       den Süden nicht loswerden. Wie Jefferson von der Sklaverei sagte:
       'Die südlichen  Staaten haben  den Wolf bei den Ohren, aber weder
       können sie ihn halten noch laufen lassen', so haben wir den Süden
       bei den Ohren und können ihn weder halten noch laufen lassen. Er-
       kennt ihn morgen an, und ihr werdet keinen Frieden haben. Während
       80 Jahren  hat er  mit uns  gelebt, in Furcht vor uns während der
       ganzen Zeit, mit Haß gegen uns während der halben Zeit, stets uns
       beunruhigend und  verlästernd. Übermütig  durch das  Zugeständnis
       seiner jetzigen Ansprüche, würde er sich nicht ein Jahr innerhalb
       einer imaginären  Grenzlinie halten,  - nein,  den Augenblick, wo
       wir von  Friedensbedingungen sprechen,  wird "er  Sieg! schreien.
       Wir werden  nie Frieden  haben, bevor  die Sklaverei  ausgerottet
       ist. So  lange ihr  die jetzige Schildkröte an der Spitze unserer
       Regierung haltet,  macht ihr  ein Loch  mit der einen Hand, um es
       mit der  ändern zu  füllen. Laßt  die ganze Nation die Beschlüsse
       der New-Yorker Handelskammer eudorsieren, und dann wird die Armee
       etwas haben, wofür es sich lohnt, zu kämpfen. Hätte Jefferson Da-
       vis die  Macht, er würde Washington nicht wegnehmen. Er weiß, daß
       die Bombe,  die in  dies Sodom  fiele, die ganze Nation wachrufen
       würde.
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       1*) Herr
       
       #532# Karl Marx
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       Der ganze  Norden würde mit einer Stimme donnern: 'Nieder mit der
       Sklaverei, nieder mit allem, was der Rettung der Republik im Wege
       steht!' Jefferson  Davis ist durch seine Erfolge ganz befriedigt.
       Sie sind größer als er antizipierte, viel größer! Kann er auf ih-
       nen fortschwimmen  bis zum 4. März 1863, so wird England, und das
       ist in  der Ordnung, die südliche Konföderation anerkennen... Der
       Präsident hat  den Konfiskationsakt nicht ausgeführt. Er mag ehr-
       lich sein,  aber was  hat seine Ehrlichkeit mit der Sache zu tun!
       Er hat  weder Einsicht  noch Vorsicht. Als ich zu Washington war,
       vergewisserte ich  mich, daß Lincoln vor drei Monaten die Prokla-
       mation  zu   einer  allgemeinen  Sklavenemanzipation  geschrieben
       hatte, und  daß McClellan  ihn aus  seinem Entschluß wegpolterte,
       und daß  die Repräsentanten  von Kentucky ihn in die Beibehaltung
       McClellans, dem  er kein  Vertrauen schenkt, hineinpolterten. Der
       Jahre wird  es bedürfen, damit Lincoln seine gesetzlichen Advoka-
       tenskrupel  mit  den  Anforderungen  des  Bürgerkrieges  vereinen
       lerne. Das  ist die  schreckliche Bedingung  einer demokratischen
       Regierung und ihr größtes Übel.
       In Frankreich  würden 100  Männer, vom guten Recht überzeugt, die
       Nation mit  sich fortreißen;  aber damit  unsere Regierung  einen
       Schritt tue,  müssen sich vorher 19 Millionen in Bewegung setzen.
       Und wie  vielen von  diesen Millionen  ist jahrelang eingepredigt
       worden, daß die Sklaverei ein von Gott eingesetztes Institut! Mit
       diesen Vorurteilen,  mit paralysierten Händen und Herzen, fordert
       ihr den Präsidenten auf, euch vor dem Neger zu retten! Wenn diese
       Theorie richtig, kann nur sklavenhaltender Despotismus einen tem-
       porären Frieden  geben... Ich kenne Lincoln. Ich habe in Washing-
       ton sein  Maß genommen. Er ist eine Mittelmäßigkeit erster Klasse
       ("a first-rate second-rate man"). Erwartet ehrlich, wie ein ande-
       rer Besen  darauf, daß die Nation ihn in die  H a n d  nimmt, und
       durch ihn  die Sklaverei  wegfegt... In vergangenen Jahren, nicht
       weit von  der Tribüne,  auf der  ich jetzt  spreche, feuerten die
       Whigs Böller  ab, um  meine Stimme  zu ersticken, und was ist das
       Resultat?
       Die Söhne  dieser Whigs  füllen jetzt  ihr eigenes  Grab  in  den
       Marschsümpfen des  Chickahominy! [284] Löst diese Union in Gottes
       Namen auf  und setzt  eine andere  an ihre Stelle, auf deren Eck-
       stein geschrieben steht: 'Politische Gleichheit für alle Weltbür-
       ger.' ... Während meines Aufenthaltes in Chicago fragte ich Juri-
       sten von  Illinois, unter denen Lincoln praktiziert hatte, welche
       Sorte Mann  er sei?  Ob er Nein sagen könne? Die Antwort war: 'Es
       fehlt ihm  am Rückgrat.  Wollten die Amerikaner einen zum Leiten,
       zur Initiative absolut unfähigen Mann wählen, so mußten sie Abra-
       ham Lincoln  wählen. Nie  hat ein  Mensch ihn Nein! sagen hören.'
       Ich frug:  Ist McClellan  ein Mann, der Nein! sagen kann? Der Di-
       rektor der Chicago-Zentral-Eisenbahn, an der McClellan angestellt
       war, antwortete:  'Er ist unfähig zu entscheiden. Stelle ihm eine
       Frage, und es dauert eine Stunde, bis er sich auf die Antwort be-
       sinnt. Solange  er mit  der Verwaltung  der Zentral-Eisenbahn  zu
       tun, hat  er niemals  eine einzige wichtige Streitfrage entschie-
       den.'
       Und das  sind die zwei Männer, die jetzt vor allen ändern das Ge-
       schick der  nördlichen Republik  in ihren  Händen halten! Mit dem
       Stand der  Armee bestvertraute  Männer versichern,  daß  Richmond
       fünfmal genommen  werden konnte,  hätte  der  Nichtstuer  an  der
       Spitze der  Armee des  Potomac es erlaubt; aber er zog vor, Dreck
       in
       
       #533# Abolitionistische Kundgebungen m Amerika
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       den Chickahominy-Sümpfen  aufzugraben, um  dann die Lokalität und
       seine Dreckwälle  schmählich zu  verlassen. Lincoln,  aus  feiger
       Furcht vor  den Grenzsklavenstaaten,  hält diesen  Mann in seiner
       gegenwärtigen Position;  aber der Tag wird kommen, an dem Lincoln
       gestehen wird,  daß er niemals McClellan geglaubt hat... Laßt uns
       hoffen, daß der Krieg lang genug dauert, um uns in Männer zu ver-
       wandeln, und  dann werden  wir rasch  siegen. Gott  hat in unsere
       Hand den  Donnerkeil der  Emanzipation gelegt, um diese Rebellion
       zu zerschmettern..."
       Geschrieben am 22. August 1862.

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