Quelle: Januar 1860 - September 1864


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       #587#
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       FRIEDRICH ENGELS
       
       Aus dem handschriftlichen Nachlaß
       
       #588#
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       #589#
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       Friedrich Engels
       
       Kinglake über die Schlacht an der Alma [313]
       
       Das Buch  von Kinglake über den Krimkrieg [314] hat in und außer-
       halb Englands  verdientermaßen großes Aufsehen erregt. Es enthält
       eine Menge wertvollen und neuen Stoffs, wie das nicht anders sein
       kann, da dem Verfasser die Papiere des englischen Hauptquartiers,
       eine Menge Notizen englischer höherer Offiziere, und nicht wenige
       eigens für ihn abgefaßte Denkschriften russischer Generale zu Ge-
       bot standen.  [315] Trotzdem  ist das  Buch, was die militärische
       Darstellung betrifft, kein Geschichtswerk, sondern ein Roman; ein
       Roman, dessen  Held der  englische Oberfeldherr  Lord Raglan  und
       dessen Endzweck  die bis  ins Absurde  übertriebne Verherrlichung
       der englischen Armee ist.
       Die Kinglakesche  Darstellung ist  ganz geeignet,  in Deutschland
       große Wirkung  auszuüben; während sie den Anteil der Franzosen am
       Sieg an  der Alma  [316] auf ein Minimum reduziert, behandelt sie
       die Russen  mit scheinbarer  achtungsvoller Unparteilichkeit, be-
       ruft sich  auf die schon bekannten Quellen aller drei beteiligten
       Nationen, und hält sich frei von der speziell französischen Prah-
       lerei, die  uns in  Thiers und Konsorten ebenso widerlich wie lä-
       cherlich erscheint.  Indes, unsere Freunde, die Engländer, können
       auch prahlen,  und wenn  sie ihr Selbstlob auch etwas geschickter
       anbringen als  die Franzosen,  so sind die Farben doch mindestens
       ebenso dick  aufgetragen wie bei diesen. Schon deshalb ist es von
       Interesse, der Darstellung des einzigen militärischen Ereignisses
       in den  bis jetzt erschienenen beiden Bänden, der Schlacht an der
       Alma, den  belletristischen Deckmantel abzustreifen und das wirk-
       liche neue  historische Material von den Verzierungen, Rodomonta-
       den und  Vermutungen zu trennen, mit denen Herr Kinglake sein Ge-
       mälde ausfüllt.
       Es kommt aber noch dazu, daß die Almaschlacht ein ganz besonderes
       taktisches Interesse hat, das bisher wenig genug gewürdigt wurde.
       In dieser  Schlacht treten sich zum ersten Mal seit Waterloo wie-
       der zwei verschiedne
       
       #590# Friedrich Engels
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       taktische Formationen  gegenüber, die eine von allen europäischen
       Armeen vorwiegend  gepflegt, die  andre von ihnen allen verworfen
       bis auf  eine -  die englische.  An der Alma rückte die englische
       Linie vor gegen die russischen Kolonnen und warf sie ohne sonder-
       liche Mühe  über den Haufen. Jedenfalls ein Zeichen, daß die alte
       Linie doch noch nicht so abgetan ist wie die kontinentalen takti-
       schen Lehrbücher behaupten, und jedenfalls der Mühe wert, daß man
       die Sache etwas näher besieht.
       
       I
       
       Die Angabe  der  beiderseitigen  Streitkräfte  ist  bei  Kinglake
       höchst liederlich. Für die Engländer hatte er die offiziellen An-
       gaben zur  Hand und stellt hiernach die Zahl der Kombattanten auf
       25 404 Infanteristen  und Artilleristen,  etwas über  1000 Reiter
       und 60 Kanonen fest. Dies wird als authentisch gelten können. Die
       Franzosen gibt  er in  runder Zahl  auf 30 000 mit 68 Kanonen an;
       dazu kamen  noch 7000 Türken. In runder Zahl 63 000 Alliierte mit
       128 Geschützen, was im ganzen ziemlich richtig sein mag. Aber bei
       den Russen  beginnt für Herrn Kinglake die Schwierigkeit. Nun ha-
       ben wir zwar in Anitschkows "Feldzug in der Krim" (deutsche Über-
       setzung, Berlin, Mittler 1857, erstes Heft) eine offenbar auf of-
       fiziellen Quellen  beruhende und  bisher in  keinem irgendwie we-
       sentlichen Punkt  bestrittene Aufstellung,  mit Namen und Nummern
       der Regimenter, Bataillone, Schwadronen und Batterien, wonach die
       Russen 42  Bataillone, 16  Schwadronen, 11 Sotnien Kosaken und 96
       Kanonen in 10 1/2 Batterien, im ganzen 35 000 M. an der Alma hat-
       ten. Dies  genügt aber  Herrn Kinglake  keineswegs; er macht eine
       besondre Aufstellung,  wobei er  sich fortwährend  auf Anitschkow
       als seine  Autorität beruft,  aber ganz  andre Ergebnisse heraus-
       bringt, ohne  jedoch es der Mühe wert zu halten, uns Beweisstücke
       für seine  abweichenden Data  beizubringen. Es ist überhaupt cha-
       rakteristisch für  das ganze  Buch, daß es stets da Gewährsmänner
       zitiert, wo  notorische Tatsachen berichtet werden, bei neuen und
       gewagten Behauptungen dagegen dies sorgfältig vermeidet.
       Beide Darstellungen  weichen in  Beziehung auf die Infanterie nur
       wenig ab. Anitschkow gibt 40 Bataillone Linie, 1 Bataillon Schüt-
       zen und  1/2 Bataillon  Manneschützen [an];  Kinglake  verwandelt
       dies letztere  halbe Bataillon in zwei Bataillone und beruft sich
       dafür auf Chodasiewicz (Major im Inf. Rgt. Tarutino), der sie ge-
       sehen habe. [317] Der Punkt ist unwichtig, da Kinglake selbst zu-
       gibt, diese Truppen seien bei den Russen selbst sehr
       
       #591# Kinglake über die Schlacht an der Alma
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       gering angesehen  worden. Außerdem verwandelt er die bei Anitsch-
       kow vorkommenden 2 Kompanien Sappeurs in ein ganzes Bataillon und
       zählt sie überall als Infanterie mit auf.
       Bei der  Kavallerie tritt  dagegen Kinglakes  Übertreibung  schon
       stärker hervor.  Durch den  ganzen Schlachtbericht wird bei jeder
       Gelegenheit betont, daß die Russen "3400 Lanzen" im Felde hatten,
       und auf jedem Plane figuriert eine enorme Kolonne hinter dem rus-
       sischen rechten  Flügel mit  der Bemerkung, daß die russische Ka-
       vallerie, 3000  Mann stark,  sich in  dieser Gegend aufhielt. Die
       wunderbare Untätigkeit  dieser 3000  Mann und  die Gefahren ihrer
       Nähe für  die Engländer,  die nur  etwas über 1000 Reiter hatten,
       werden uns  jeden Augenblick  ins  Gedächtnis  gerufen.  Kinglake
       hütet sich  sehr wohl,  uns darauf aufmerksam zu machen, daß über
       ein Drittel  dieser Kavallerie  aus Kosaken  bestand,  von  denen
       jedermann  weiß,   daß  sie   unfähig  sind,   geschlossen  gegen
       regelmäßige Kavallerie  zu fechten.  Bei  der  großen  Unkenntnis
       aller militärischen  Verhältnisse, die durch das ganze Buch geht,
       ist dies  grobe Versehen  eher der  Unwissenheit  als  dem  bösen
       Willen zuzuschreiben.
       Bei der Artillerie hört bei Kinglake alle Kritik auf. Anitschkow,
       wie gesagt, gibt im ganzen 96 Geschütze an - in 10 spezifizierten
       leichten  und  schweren  Feldbatterien,  wozu  noch  4  bespannte
       Schiffsgeschütze kamen. Er weiß auch genau, wo jede dieser Batte-
       rien während  der Schlacht  sich befand.  Bei Kinglake figurieren
       alle diese  Batterien (mit  einzelnen geringen Abweichungen m den
       Nummern), außerdem  aber noch  drei andre.  Die 5.  Batterie  der
       17.Brigade, die  auch bei  Anitschkow vorkommt, figuriert nämlich
       bei Kinglake   z w e i m a l   in der Originalaufstellung, einmal
       auf dem  linken Flügel (p. 231) und gleich darauf nochmals in der
       Hauptreserve (p.  235)! Desgleichen figuriert die 3.Batterie der-
       selben 17.Brigade,  die nach  Anitschkow gar   n i c h t  d o r t
       w a r,   bei Kinglake  z w e i m a l,  einmal auf dem linken Flü-
       gel (p. 231) und zum zweiten Mal - aber als "Positionsbatterie" -
       im Zentrum! Daß es nach der wohlbekannten Organisation der russi-
       schen Artillerie  zur Zeit  des Krimkrieges  (vergl.  Haxthausen,
       "Studien über  Rußland")  in  jeder  Artilleriebrigade  nur  eine
       schwere Batterie von 12 Geschützen gab, daß nachher, als die Bat-
       terien auf 8 Geschütze gestellt wurden, es daher wohl eine 1. und
       2.,  n i e  a b e r  e i n e  3. schwere Batterie in den Brigaden
       geben konnte  -  alles  das  kümmert  unsern  Geschichtsschreiber
       nicht. Es handelt sich für ihn darum, die Heldentaten der Englän-
       der an  der Alma so ungeheuerlich wie möglich zu machen; und dazu
       hatte er  möglichst viel  russische Kanonen  nötig. Wo er also in
       russischen Berichten  (die außer  Anitschkow alle  für solche De-
       tails mehr oder weniger unbrauchbar sind)
       
       #592# Friedrich Engels
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       eine Batterie aufgezählt findet, die Anitschkow nicht erwähnt, so
       nimmt er  an, Anitschkow habe sie vergessen und zählt sie den von
       A[nitschkow] angegebenen  Batterien ruhig  zu. Findet er dieselbe
       Batterie in  verschiednen Quellen  an zwei verschiednen Orten des
       Schlachtfeldes angeführt, so zählt er sie ruhig zweimal und nimmt
       höchstens an, einmal sei eine leichte, das andre Mal eine schwere
       Batterie gemeint.
       Mit allen  diesen Kunststücken  indes bekommt  Kinglake doch  nur
       13 1/2 Batterien  à 8 Kanonen - 108 Geschütze zusammen, und da er
       übersieht, daß  nach Anitschkow  die 3  Batterien der 16. Brigade
       noch auf  dem alten  Fuß von 12 Geschützen organisiert waren (man
       sieht, wie  oberflächlich der  Mann arbeitet),  so gibt das gegen
       A[nitschkow] immer  nur ein  Mehr von 12 Geschützen. Kinglake muß
       also eine  ganz außergewöhnliche Anstrengung machen, um die Höhen
       der Alma  mit russischen  Geschützen zu  spicken. Hierzu verhilft
       ihm das  Feldwerk, welches  die Engländer  in ihrem  Bombast "die
       große Redoute" nannten. Anitschkow sagt hiervon einfach:
       
       "Rechts der Straße war die Batterie Nr. 1 derselben (16.) Brigade
       in einer  vorteilhaften Position aufgefahren und wurde durch eine
       Schulterwehr gedeckt."
       
       Kinglake beschreibt  dies unbedeutende  Werk auch  ganz  richtig,
       kann sich  aber gar  nicht denken,  daß man einfache Zwölfpfünder
       dahinter stellen würde, sondern behauptet, dies seien schwere Ka-
       nonen aus  Sewastopol gewesen.  Chodasiewicz behauptet  zwar, die
       Geschütze der  2. Batterie  16. Brig.  hätten dort gestanden, (er
       verwechselt die 1. und 2. Batt.), aber das Kaliber der Kanone und
       der   H a u b i t z e,   die jetzt noch in Woolwich seien, bewie-
       sen, daß  diese Geschütze  nicht der  regelmäßigen Feldartillerie
       angehörten (p. 233). Kinglake weiß noch mehr. Er sagt p. 229 ganz
       bestimmt:
       
       "Es waren 32 pfdr. und vierundzwanzigpfündige Haubitzen."
       
       Im Jahre  1849 gab  es während des Aufstandes in der Pfalz einige
       Freischarenführer, die  die beharrlichen  rückgängigen Bewegungen
       ihrer Korps  stets damit  motivierten, man habe mit "vierundzwan-
       zigpfündigen feurigen Bombenkugeln" auf sie geschossen. Schreiber
       dieses hatte sicher nie erwartet, daß die Haubitze, aus der diese
       schrecklichen Kugeln geschossen wurden, von Herrn Kinglake an der
       Alma erobert werden würde. Was jene 24 pf. Kugeln ha... 1*)
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       1*) Es fehlen die zwei anschließenden Seiten der Handschrift
       
       
       #593# Kinglake über die Schlacht an der Alma
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       II
       
       ... Geschützen, durch eine Distanz von 1500 Schritt von Canrobert
       getrennt, dessen  Division durch die russischen Geschütze neutra-
       lisiert wurde,  während seine eigne Artillerie ihn, auf einem Um-
       wege von  einer halben  deutschen Meile  mindestens, zu erreichen
       suchte; endlich  Prinz Napoleon  im Tale feststeckend, von Canro-
       bert 1290  Schritt entfernt und zaudernd, den Fluß zu überschrei-
       ten. Diese  Verzettelung seiner  Truppen auf  eine Front von 6000
       Schritten und namentlich die exponierte Stellung Bosquets machten
       endlich dem  Marschall Saint-Arnaud  doch soviel Angst, daß er zu
       dem verzweifelten  Mittel griff,  seine ganze Reserve vorzuschic-
       ken. Die  Brigade Lourmel  wurde Bouat nachgeschickt, während die
       Brigade d'Aurelle  den Prinzen  Napoleon verstärkte.  Indem  also
       Saint-Arnaud seine  beiden Reserven  gerade auf diejenigen beiden
       Denies dirigierte,  die ohnehin  schon von  Truppen vollgepfropft
       waren, vollendete er die Verzettelung seiner Streitkräfte. Stände
       dies nicht alles im französischen offiziellen Bericht (dem "Atlas
       historique de la guerre d'Orient"), so wäre es kaum glaublich.
       Wie sah  es auf  der russischen  Seite aus,  und was  rettete die
       Franzosen aus dieser gefährlichen Lage?
       Den russischen  linken Flügel kommandierte Kirjakow. Er hatte ge-
       genüber Canrobert und Prinz Napoleon in erster Linie 4 Reserveba-
       taillone (Regt.  Brest und  Bialystok), mittelmäßige  Truppen; in
       zweiter die  4 Bataillone  des Regts.  Tarutino, in Reserve die 4
       Bat. Moskau  und vom Regt. Minsk das 2.Bat., das mit 4 Geschützen
       (4.Batt. 17.Art. Brig.) weiter links zur Beobachtung der Seeküste
       detachiert war. Die 4 Bataillone Borodino, welche auch unter sei-
       nem Kommando  waren, standen  weiter östlich, dicht an der Straße
       nach Sewastopol,  und kämpften fast nur gegen Engländer, wenn sie
       überhaupt anders, denn als Tirailleurs engagiert waren. Im ganzen
       standen gegen die Franzosen also 13 Bataillone mit 8 Geschützen.
       Als die  Umgehungskolonne Bosquets  auf dem  Plateau südlich  der
       Alma sichtbar  wurde, kam  Fürst Menschikow selbst auf den linken
       Flügel und  brachte aus  der Hauptreserve  die übrigen 3 Bat. des
       Regts. Minsk,  eine Fuß-  und zwei  reitende Batterien,  sowie  6
       Schwadronen Husaren mit. Bis dahin war der Kampf auf Plänkeln und
       Kanonade beschränkt  gewesen; die  russischen Massen  waren meist
       etwas zurückgegangen,  die französischen - Napoleon und Canrobert
       - noch  gar nicht auf dem Plateau erschienen oder standen doch so
       weit ab  (Bosquet, Bouat,  Lourmel), daß sie vorderhand nicht ins
       Gefecht eingreifen konnten. Da nun die Truppen des Prinzen
       
       #594# Friedrich Engels
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       Napoleon sich  im Defile so festgefahren hatten, daß sie noch im-
       mer nicht  debouchierten, so  blieb den  Russen kein  andrer  An-
       griffspunkt als  die hinter  dem Rand  des Plateaus verdeckt ste-
       hende Division  Canrobert. Gegen  diesen formierte nun Menschikow
       aus den 8 Bataillonen Minsk und Moskau eine Monstrekolonne - zwei
       Bataillone in  der Front  und vier  Bataillone tief,  alle in An-
       griffskolonnen nach  der Mitte.  Nach seinem  Zentrum  abgerufen,
       übergab er  diese unbehilfliche Masse an Kirjakow mit dem Befehl,
       sofort anzugreifen. Als die Kolonne den Franzosen auf Gewehrschuß
       nahe kam, konnten diese
       
       "das Gewicht  nicht länger  ertragen, mit  welchem die Annäherung
       einer großen  Infanteriekolonne auf  das Herz eines kontinentalen
       Soldaten drückt" (p. 400).
       
       Sie wichen  noch etwas hinter den Abhang zurück. In diesem Augen-
       blick aber  kamen die beiden Batterien Canroberts, nebst denjeni-
       gen Bosquets, durch eine Terrainfalte etwas weiter rechts herbei-
       geeilt; sie  fuhren rasch  auf und eröffneten ihr Feuer gegen die
       linke Flanke  der russischen Masse mit solcher Wirkung, daß diese
       sich schleunigst in Sicherheit begab. Die französische Infanterie
       folgte ihr nicht.
       Kirjakows vier  Reservebataillone hatten sich, nach Chodasiewiczs
       Ausdruck, unter  dem Tirailleur-  und Geschützfeuer  "aufgelöst";
       die vier Bataillone Tarutino hatten ebenfalls starke Verluste ge-
       habt; die  acht Bataillone  der Monstrekolonne waren sicher nicht
       in der  Verfassung, den Angriff sobald zu erneuern. Die französi-
       sche Infanterie  d'Aurelles und Canroberts entwickelte sich unter
       dem Schutz  ihrer Artillerie  jetzt auf  dem Plateau, und Bosquet
       hatte sich ihr genähert; die Truppen des Prinzen Napoleon (dessen
       2. Zuaven-Regt.  sich bereits  an Canrobert  angeschlossen hatte)
       fingen endlich  an, die Höhen zu ersteigen. Die Überlegenheit war
       unverhältnismäßig geworden;  die russischen  Bataillone, auf  der
       Telegraphenhöhe konzentriert,  schmolzen unter dem Kreuzfeuer der
       französischen Artillerie  zusammen; endlich  hatte der  russische
       rechte Flügel  "eine sehr bestimmte rückgängige Bewegung angetre-
       ten", wie  Kirjakow selbst  sagt. Unter  diesen Umständen trat er
       den Rückzug an, "unverfolgt vom Feinde" (Kirjakows handschriftli-
       che Denkschrift).
       Bei französischen  Darstellern wird das jetzt folgende allgemeine
       Vorstürmen der Franzosen mit einer angeblichen Erstürmung des Te-
       legraphenturms, wobei  es zum  Handgemenge gekommen, gekrönt, und
       so der  Sache ein hübscher melodramatischer Abschluß gegeben. Die
       Russen wissen  von diesem  Gefecht nichts, und K[irjakow] leugnet
       daher gänzlich ab, daß es stattgefunden. Es ist indes wahrschein-
       lich, daß der Turm von Schützen
       
       #595# Kinglake über die Schlacht an der Alma
       -----
       besetzt war  und erstürmt  werden mußte,  und es  mögen auch noch
       sonstige russische Plänkler sich in seiner Gegend befunden haben,
       die vertrieben  werden mußten;  nur war  dazu natürlich nicht der
       Sturm, oder  vielmehr Wettlauf  einer ganzen  Division nötig, und
       die Erzählung  selbst des  "Atlas historique"  ist jedenfalls arg
       übertrieben.
       Hiermit endigte  die Schlacht,  und Saint-Arnaud,  von Raglan zur
       Verfolgung aufgefordert,  lehnte es  ab, "weil  die Truppen  ihre
       Tornister jenseits des Flusses gelassen hätten" (p. 492).
       Die Heldentaten,  die uns Saint-Arnaud nach der Schlacht und spä-
       terhin Bazancourt  erzählten [318],  schrumpfen nach  dieser Dar-
       stellung allerdings  sehr zusammen.  Die ganze  franz. Armee, mit
       den Türken 37 000 Mann und 68 Geschütze stark, hatte... 1*)
       
       III
       
       Die Engländer  rückten auf  dem alliierten linken Flügel vor. Ihr
       erstes Treffen war gebildet von der Division Evans und der leich-
       ten Division  Brown; ihr  zweites Treffen von den Divisionen Eng-
       land und Herzog Cambridge. Die Division Cathcart, von der ein Ba-
       taillon detachiert, und die Kavalleriebrigade folgten links rück-
       wärts vom in der Luft schwebenden linken Flug«! als Reserve. Jede
       Division hatte  6 Bataillone  in zwei Brigaden. Die Angriffsfront
       der Engländer, die sich am Dorfe Burliuk an den linken Flügel des
       Prinzen Napoleon  anlehnten, betrug etwa 3600 Schritt, so daß auf
       jedes der 12 Bataillone eines Treffens 300 Schritt kamen.
       Auf dem nach der Alma sich sanft senkenden Abhang angekommen, ge-
       rieten die Kolonnen in das Feuer der gegenüber aufgefahrenen rus-
       sischen Batterien, und nach englischem Brauch deployierte das er-
       ste Treffen  sofort. Bei der zu gering bemessenen Frontausdehnung
       jedoch geschah  es, daß  der rechte  Flügel der leichten Division
       vom linken  der Division  Evans überflügelt wurde; ein ganzes Ba-
       taillon (7.  Regt.) wurde so aus der Schlachtlinie verdrängt. Die
       Artillerie fuhr vor der Front auf. Im zweiten Treffen deployierte
       die Division  Cambridge ebenfalls, und da ihre Bataillone (Garden
       und Hochschotten)  stärker waren,  so bildete sie allem eine fast
       hinreichend ausgedehnte  zweite Linie; die Division England blieb
       außer Geschützbereich in Kolonnen, wie auch die Reserve. Das rus-
       sische Feuer  begann um  halb zwei  Uhr. Bis der französische An-
       griff sich entwickelte,
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       1*) Es fehlt die anschließende Seite der Handschrift
       
       #596# Friedrich Engels
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       legten sich  die Engländer,  um weniger  vom Feuer zu leiden, auf
       den Boden.  In den Gebüschen und Weingärten des Tals kämpften die
       Schützen, die Russen langsam vor sich hertreibend; diese steckten
       das Dorf  Burliuk bei  ihrem Rückzug in Brand und verengerten da-
       durch die englische Angriffsfront noch mehr.
       Die Engländer  hatten sich  gegenüber den  ganzen Rest der russi-
       schen  Armee,   d.h.  25 1/2   (Anitschkow)  oder  27  Bataillone
       (Kinglake) und 64 Geschütze. Sie selbst griffen an mit 29 Batail-
       lonen und  60 Geschützen;  ihre Bataillone  waren stärker als die
       russischen. Die  Russen hatten im ersten Treffen die beiden Regi-
       menter Susdal  (äußerster rechter  Flügel) und  Kasan (oder Groß-
       fürst Michail  Nikolajewitsch, rechtes  Zentrum), woran  sich das
       Regt. Borodino  anschloß. Im  zweiten Treffen  stand das Regiment
       Wladimir, in  der  Spezialreserve  das  Regt.  Uglitsch,  in  der
       Hauptreserve blieb das Regt. Wolhynien disponibel, jedes zu 4 Ba-
       taillonen; dazu ein Schützenbataillon und die Manneschützen.
       Gegen drei Uhr hatte der französische Angriff sich soweit entwic-
       kelt, daß  die Kolonnen  Bosquets und Canroberts auf dem Plateau,
       diejenige des  Prinzen Napoleon  im Tal  zum Stehen gekommen war;
       die Reserven  waren, wie  wir sahen, ebenfalls schon vorbeordert.
       Jetzt ließ  Raglan die Engländer vorgehn. Das erste Treffen stand
       auf und  rückte in Linie, wie es war, ins Tal hinab. Die Weingär-
       ten und  Gebüsche brachten  die Truppen bald in Unordnung, selbst
       wo sie,  wie unter  solchen Umständen  in England vorgeschrieben,
       zugweise in  Doppelrottenkolonne abbrachen.  Die  Division  Evans
       sandte 2  Bataillone und  eine Batterie  rechts um  das brennende
       Dorf, und  ging mit dem Rest links davon auf und neben der Straße
       nach Sewastopol vor. Hier geriet er bald unter das nahe Feuer der
       zum Schutz  der Straße  aufgestellten zwei  russischen Batterien,
       die, trotz  des auf  sie gerichteten Feuers von 18 englischen Ge-
       schützen, seine  Truppen zum  Stehen brachten. Die ihm gegenüber-
       stehende russische Infanterie waren die 4 Bataillone Borodino und
       das 6. Schützenbataillon; über ihr Verhalten erfahren wir nichts.
       Die leichte Division ging weiter links vor. Ihr gegenüber standen
       die 4  Bataillone Kasan  rechts und  links von  der hinter  einer
       Schulterwehr aufgefahrnen  1. Batterie  der 16.  Art.  Brig.;  in
       zweiter Linie  die 4  Bat. Wladimir,  alles in Kolonnen, und nach
       Kinglakes Angabe  sogar in  Kolonnen von je zwei Bataillonen. Die
       Engländer passierten  den Fluß  an den  zahlreichen Furten so gut
       sie konnten  und fanden  am südlichen  Ufer eine durch einen 8-10
       Fuß  hohen  steilen  Abfall  gedeckte,  fünfzehn  Schritt  breite
       natürliche Berme,  hinter der  sie sich  gedeckt wieder formieren
       konnten. Jenseits des
       
       #597# Kinglake über die Schlacht an der Alma
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       Abhangs stieg  das Terrain  sanft und  offen gegen  die etwa  300
       Schritt entfernte  Batterie an.  Sie wurden hier nur an einzelnen
       Stellen von  Schützen belästigt; ihre eignen dünngesäten Plänkler
       hatten sich  weit ab  links gezogen und die ganze Front entblößt.
       Aber weder  sandten sie  selbst Schützen  vor noch formierten sie
       sich wieder;  Brown selbst  gab den  Versuch auf  und befahl vof-
       zugehn, "sich  auf den Mut der Truppen verlassend" (p. 315). Wäh-
       rend nun  der Brigadier des linken Flügels zwei Bataillone in der
       Hand behielt,  um etwaigen Flankenangriffen der russischen Kaval-
       lerie zu  begegnen, gingen  die übrigen  vier mit einem Bataillon
       der Division  Evans, das sich ihnen anschloß (95.'Regt.), halb in
       Linie, halb in unordentlichen Klumpen auf die Batterie los.
       Kaum hatten  sie den  Abhang erklommen, so rückten die beiden Ko-
       lonnen des  Kasanschen Regiments ihnen entgegen. Und hier beginnt
       unser Autor  einen seiner  schönsten Dithyramben  über die Unver-
       gleichlichkeit britischer Truppen.
       
       "Hier zeigte  es sich,  daß jetzt, nach beinahe vierzig Friedens-
       jahren, unsre  Soldaten noch  immer jene unschätzbare Eigenschaft
       besaßen, welche  sie verhindert, in derselben Weise wie Ausländer
       das Gewicht einer Infanteriekolonne zu fühlen... sie fingen [an],
       in ihrer englischen Weise, halb lustig, halb verdrießlich, in die
       dicke, solide  Masse hineinzuschießen,  welche feierlich  auf sie
       losmarschierte. Die Kolonne war nicht unruhig, aber sie war viel-
       leicht ein  überdrilltes Korps, ungeschickt oder schwach geführt.
       Jedenfalls, ihre  Chefs konnten  den Eindruck  ihrer Stärke jenen
       Klumpen englischer Jungen (lads) nicht beibringen, welche ihr lu-
       stig entgegengingen  und sie  mit Kugeln  vexierten. Bald kam die
       Kolonne zum  Stehen, zum  Zurückgehn und  verschwand hinter einer
       Terrainfalte" (p. 325).
       
       Wir wollen  auf diese  Großtuerei weiter nicht eingehn als zu er-
       wähnen, daß  diese "Jungen"  und "jungen Truppen", wie K[inglake]
       sie mit  Vorliebe nennt,  und die  wir oft  genug sahen  (das 33.
       Regt., das  hier focht,  noch kurz  vor seinem Ausmarsch nach der
       Krim), bei  der in England gültigen 12jährigen Dienstzeit und den
       häufigen Reengagements  auf fernere 9 Jahre, damals durchschnitt-
       lich mindestens  27 Jahre  alt waren,  und daß seit dem Krimkrieg
       und dem  ostindischen Aufstand,  wo diese schönen Regimenter ver-
       nichtet wurden,  jeder englische  Offizier sich  vergebens solche
       alten "Jungen"  wieder unter  seine Befehle wünscht. Genug, diese
       Kolonne (die  östliche, für  die Russen  rechts stehend)  scheint
       nach einem  schwachen Versuch  eines Bajonettangriffs  durch  das
       Feuer selbst der unordentlichen Linie zum Weichen gebracht worden
       zu sein.  Die andre  rückte gegen  das 7. Regt, vor, kam bald zum
       stehenden Feuergefecht, und hielt in diesem, ohne zu deployieren,
       sehr lange aus, wobei sie natürlich enorme Verluste hatte.
       
       #598# Friedrich Engels
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       Die in  der Mitte befindlichen drei englischen Bataillone rückten
       gegen die  Batterie vor,  deren Feuer  langsam  gewesen  zu  sein
       scheint und  die Angreifer nicht aufhielt. Als sie nahe genug wa-
       ren, um  sich im  Lauf auf  die Geschütze zu stürzen, gaben diese
       eine Salve, protzten auf und fuhren davon. Eine 7pfünder-Haubitze
       wurde in  der Schanze gefunden, ein nur mit drei Pferden bespann-
       ter 32pfünder vom Hauptmann Bell vom 23. Regt, angehalten und zu-
       rückgeführt. Die  Engländer besetzten,  die äußere  Brüstung  der
       Schulterwehr und hielten sich rechts und links gesammelt. Das Re-
       giment Wladimir  rückte nun näher, aber statt mit dem Bajonett in
       die verworrene  Masse hineinzufahren,  ließ es sich ebenfalls zum
       Feuern verleiten  und kam zum Stehn. Die dichte Kolonne würde un-
       ter dem  Feuer der  immer noch auf eine weit größere Front ausge-
       dehnten Engländer wahrscheinlich dasselbe Schicksal gehabt haben,
       wie das  Kasansche Regiment  - da  ertönte unter  den  Engländern
       zweimal nacheinander das Signal zum Rückzug und wurde zweimal auf
       der ganzen  Linie wiederholt;  die Truppen  traten  an  einzelnen
       Punkten, endlich  allgemein, den Rückzug an, der teilweise ruhig,
       teilweise aber  auch in vollständiger Unordnung ausgeführt wurde.
       Die vier  hier engagierten  Bataillone verloren zusammen 46 Offi-
       ziere und 819 Mann.
       Das zweite  Treffen (Cambridge) war nur langsam gefolgt und hatte
       während dieses  ganzen Gefechts zuerst den Fluß passiert und sich
       dann hinter der erwähnten Berme gedeckt gehalten. Jetzt erst ging
       es vor.  Das mittlere Bataillon der rechten Brigade, die schotti-
       schen Gardefüsiliere,  avancierte zuerst; aber sein linker Flügel
       wurde von  den zurückdrängenden  Flüchtigen der leichten Division
       überrannt, sein rechter Flügel hielt das Feuer des Regiments Wla-
       dimir nicht  aus, und  auch dies Bataillon, ohne rechtzeitige Un-
       terstützung gelassen,  wich in  Unordnung zurück.  Es war dies um
       dieselbe Zeit,  als der  französische Angriff ins Stocken geraten
       war und die Kolonne der acht Bataillone gegen Canrobert sich bil-
       dete.
       Dieser Moment,  wo es  den Alliierten  überall schlecht ging, ist
       gerade für  Herrn Kinglake der richtige Augenblick, uns ein Mira-
       kel vorzuführen,  das in  1001 Nacht seinesgleichen sucht und den
       Lord Raglan  in einer  bisher ungeahnten  Glorie erscheinen läßt.
       Wir würden diesen Umstand übergehn, wenn er nicht m der Tat einen
       gewissen Einfluß  auf den  Gang der  Schlacht ausgeübt  hätte und
       wenn er  nicht dadurch  gewisse Bedeutung  erhielt, daß  Kinglake
       hier als   A u g e n z e u g e  - freilich als ein höchst sachun-
       verständiger - spricht.
       Als die  englische Linie  sich zum Vorgehn über den Fluß in Bewe-
       gung setzte,  ritt Raglan  mit seinem Stab am Berührungspunkt der
       englischen
       
       #599# Kinglake über die Schlacht an der Alma
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       und französischen  Linie durch die Alma und eine Schlucht am jen-
       seitigen Ufer hinauf, ohne anders als von ein paar Plänklerschüs-
       sen belästigt  zu werden. Vor sich fand er bald eine runde Kuppe,
       die er bestieg, und von wo er die ganze russische Aufstellung ge-
       gen die Engländer der Länge nach übersehen und selbst ihre Reser-
       ven entdecken  konnte. So  seltsam es  erscheint, daß der General
       einer angreifenden Armee, ohne alle Bedeckung, sich auf einem Hü-
       gel in  der Flanke des Feindes postiert, so ist, bei den zahlrei-
       chen Zeugen,  die Sache  doch nicht in Zweifel zu ziehn. Kinglake
       aber, nicht  zufrieden, seinen  Helden dicht vor oder in der Ver-
       längerung der feindlichen Flanke zu postieren, verlegt den Hügel,
       um den  es sich handelt,  h i n t e r  die feindliche Front, zwi-
       schen sie  und die russischen Reserven, und läßt nun von hier aus
       durch seine bloße Erscheinung den Lord Raglan die ganze russische
       Armee paralysieren.  Der Text des Buchs ist in Beziehung auf die-
       sen Punkt  nicht um  ein Haarbreit melodramatischer als der Plan,
       wo ein roter Stern, Lord Raglan darstellend, 1200 Schritt vor dem
       englischen rechten Flügel, mitten unter den grünen russischen Ko-
       lonnen, die  ihn auch  ohne weiteres respektieren, als "Herrscher
       im Donnergewölk Zeus" die Schlacht dirigiert.
       Dieser Hügel, dessen genaue Feststellung uns hier nicht zugemutet
       werden kann, der aber jedenfalls nicht dort liegt, wohin Kinglake
       ihn versetzt - dieser Hügel bot jedenfalls eine gute Position für
       Artillerie, und  Raglan schickte  sofort nach Geschützen und auch
       nach Infanterie.  Nach einiger Zeit kamen zwei Geschütze an, etwa
       gleichzeitig mit  der Einnahme  der Batterie durch die Engländer.
       Eins dieser  Geschütze soll  die russische Hauptreserve (die nach
       K[inglake] nur  1100 Schritt entfernt war!) vertrieben haben, das
       andre nahm die die Brücke an der Straße nach Sewastopol verteidi-
       gende Batterie  in die  Flanke.  Nach  wenigen  Schüssen  protzte
       diese, längst  von überlegner  Artillerie (18  Geschützen) in der
       Front beschossene Batterie auf, und der Übergang wurde so für die
       Division Evans  geöffnet. Diese  trieb die  russische Infanterie,
       die hier  meist zerstreut kämpfte, langsam vor sich her, und, ge-
       folgt von der Division England, deren Artillerie sich mit der ih-
       rigen vereinigte,  fuhr sie  ihre Geschütze auf dem ersten Hügel-
       kamm auf.
       Inzwischen lieferte  weiter links die Division Cambridge den Ent-
       scheidungskampf. Von den drei Gardebataillonen ihres rechten Flü-
       gels war das mittlere, die schottischen Füsiliere, zu früh vorge-
       gangen und  in Unordnung geworfen worden. Jetzt gingen rechts die
       Gardegrenadiere, links  die Coldstream-Garden gegen die vom Regt.
       Wladimir wieder  besetzte Schulterwehr in Linie vor; zwischen ih-
       nen lag der Raum der Bataillonsfront, welche
       
       #600# Friedrich Engels
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       die schottischen  Füsiliere hätten ausfüllen sollen, der aber nur
       durch die  sich weiter rückwärts wieder sammelnden Trümmer dieses
       Bataillons und  der leichten Division einigermaßen gedeckt wurde.
       Links dagegen  von den  Coldstreams gingen  die drei hochschotti-
       schen Bataillone Colin Campbells, ebenfalls in Linie, in Echelons
       vom rechten Flügel, in bester Ordnung vor.
       Gegenüber den  Gardegrenadieren standen die beiden linken Batail-
       lone Kasan, die schon durch das Feuer des 7. Regts. zurückgetrie-
       ben waren,  und die  beiden linken  Bataillone  Wladimir,  welche
       jetzt gegen  die Lücke  zwischen Grenadieren und Coldstreams vor-
       rückten. Die  Grenadiere hielten, schwenkten den linken Flügelzug
       etwas zurück,  und brachten  diese Kolonne durch ihr Feuer sofort
       zum Stehen.  Natürlich war  in kurzer  Zeit die Kolonne durch das
       Feuer der Linie so erschüttert, daß selbst Fürst Gortschakow, der
       den rechten  russischen Flügel  kommandierte, sie  nicht mehr zum
       Bajonettangriff bringen  konnte. Eine  geringe Front  Veränderung
       der englischen Grenadiere brachte die Kolonne unter das Feuer ih-
       rer ganzen  Linie, sie  wankte, und  als die Engländer vorgingen,
       wich sie  zurück. Die  beiden ändern Bataillone Wladimir schössen
       sich inzwischen mit den Coldstreams herum, als endlich die schot-
       tische Brigade  auf gleicher Höhe mit diesen ankam. Die am äußer-
       sten rechten russischen Flügel aufgestellten vier Bataillone Sus-
       dal zogen  sich nun näher nach dem Entscheidungspunkt, der Batte-
       riebrustwehr hin, fanden sich aber plötzlich während dieses Flan-
       kenmarsches im  Feuer der  schottischen Linien  und  wichen  ohne
       ernsthafte Gegenwehr zurück.
       General Kwizmski,  Chef der  16.Division, kommandierte  jetzt den
       russischen rechten Flügel, nachdem Fürst Gortschakow, infolge ei-
       nes Sturzes  mit seinem  erschossenen Pferde, zurückgegangen war.
       Die englische  Linienformation war  ihm so neu, daß sie ihn alles
       Urteils über  die Stärke des Feindes beraubte. In seiner Kinglake
       vorliegenden Denkschrift  sagt er  selbst, er  habe die Engländer
       auf drei einander überflügelnden Linien anrücken gesehn (es waren
       dies offenbar  die drei  schottischen Echelons),  und vor solcher
       Überzahl habe  er weichen  müssen, nachdem  die Angriffe der vier
       Bataillone Wladimir  abgeschlagen waren.  Genug; die vier Batail-
       lone Uglitsch rückten nur so weit vor als nötig war, die Flüchti-
       gen aufzunehmen,  die Artillerie  und Kavallerie  wurde gar nicht
       weiter benutzt,  und die Russen traten den Rückzug an, unverfolgt
       von den  Engländern, die ihre Kavallerie schonen wollten. Die Di-
       vision Cambridge verlor nicht ganz 500 Mann.
       Hier fochten  also im  entscheidenden Moment die 6 Bataillone der
       Div. Cambridge, unterstützt von den Resten der leichten Division,
       im ganzen  11 Bataillone  (die beiden linken Flügelbataillone der
       leichten Division
       
       #601# Kinglake über die Schlacht an der Alma
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       gingen auch  später nicht vor) gegen die zwölf russischen Batail-
       lone Kasan,  Wladimir und  Susdal; und  wenn wir die 4 Bataillone
       Uglitsch hinzuziehen,  deren tätiges Eingreifen ins Gefecht indes
       höchst problematisch ist, gegen 16 russische Bataillone, und war-
       fen sie vollständig nach einem sehr kurzen Gefecht.
       Der Verfasser  behauptet sogar,  daß das ganze Gefecht rangierter
       Infanterie nicht  über 35  Minuten gedauert  habe; jedenfalls war
       gegen vier Uhr die Schlacht vollständig entschieden. Wie erklären
       sich diese  raschen Erfolge  gegen mindestens gleiche, vielleicht
       stärkere Infanteriemassen in einer starken Defensivstellung?
       Die Engländer  wurden sicher  nicht zum besten geführt. Abgesehen
       davon, daß Evans nicht den allergeringsten Versuch machte, in die
       linke Flanke  des Feindes  zu kommen, sondern sich auf ein mattes
       Frontalgefecht beschränkte,  muß es jedem klar sein, daß der Her-
       zog von  Cambridge als Führer des zweiten Treffens nicht tat, was
       seines Amtes war. Als das erste Treffen die Batteriebrustwehr er-
       stürmt hatte,  war das  zweite nicht da zur Unterstützung; es kam
       erst, nachdem  das erste  geworfen war  und mußte dann die Arbeit
       von neuem  tun. Aber  sobald irgendein  englischer Führer  an den
       Feind kam  und keine bestimmten Gegenbefehle hatte, ging er, mög-
       lichst in Verbindung mit den Nachbartruppen, auf ihn los, und das
       gab jedem  der beiden  Hauptangriffe die Entschiedenheit, die den
       Erfolg sicherte.
       Die Russen dagegen bewiesen große Unsicherheit in der Führung. Es
       ist wahr,  Menschikow hatte  das Unglück, während der kurzen Ent-
       scheidungsperiode sich  weit ab  vom Hauptpunkt zu befinden; aber
       weder Gortschakow  noch Kwizinski trafen - nach ihrer eignen Aus-
       sage - irgendwelche Maßregeln, dem Angriff energisch zu begegnen.
       Der erste  Angriff geschah mit den 4 Bataillonen Kasan gegen fünf
       englische und  scheiterte; der  zweite wieder  mit 4  Bataillonen
       (Wladimir) scheiterte  ebenfalls; von  einem ernsthaften  Angriff
       der 4  Bat. Uglitsch  haben wir keine Kunde, und die 4 Bataillone
       Susdal ließen sich im Flankenmarsch vom feindlichen Feuer überra-
       schen.  Das  in  der  Hauptreserve  befindliche  Regt.  Wolhynien
       scheint gar  nicht vorgezogen  worden zu sein. Die Artillerie kam
       bald zum  Schweigen, und die Kavallerie tat gar nichts. Ob Furcht
       vor Verantwortlichkeit,  ob Befehl, die Armee nicht aufs Spiel zu
       setzen, genug,  auch auf  dem englischen Flügel benahmen sich die
       Russen nicht mit der Energie und Tätigkeit, die allein dem schwä-
       cheren Kämpfer den Sieg sichert.
       Es war  aber sicher  auch noch  eine andre  Ursache tätig, um den
       Engländern ihren  Sieg zu erleichtern. Die Russen fochten in tie-
       fen, dichten  Kolonnen, die Engländer in Linie. Die Russen verlo-
       ren enorm durch die
       
       #602# Friedrich Engels
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       Artillerie, die Engländer bis in den Kartätschbereich sehr wenig.
       Als die  Infantenemassen sich näher kamen, konnte nur der heftig-
       ste, unaufhaltsamste  Bajonettangriff die Kolonnen vor dem mörde-
       rischen Feuer  der Linien  retten, aber überall sehen wir den An-
       griff stocken  und in  ein Schießgefecht  ausarten. Was dann? De-
       ployiert man im feindlichen Feuer, so kann kein Mensch sagen, wie
       das abläuft, und bleibt man in Kolonne -  e i n  feuerndes Gewehr
       gegen   v i e r  feindliche - so ist die Kolonne sicher verloren.
       Dies letztere  geschah in  jedem einzelnen Fall an der Alma. Noch
       mehr.  Die   einmal  ins  Feuern  geratene  Kolonne  war    n i e
       w i e d e r   zum entschiednen  Vorgehn zu  bringen; die feuernde
       Linie   j e d e s m a l.   Beide Gegner  - Russen wie Engländer -
       waren notorisch  schlecht im  zerstreuten Gefecht;  die  Schlacht
       wurde somit  rein durch  die Massen  entschieden; wollen  wir nun
       nicht etwa  mit Kinglake  annehmen, daß  die Engländer  eine  Art
       Halbgötter sind,  so werden  wir zugeben  müssen, daß für den An-
       griff wie für die Verteidigung in einigermaßen offnem Terrain die
       Linie bedeutende Vorzüge vor der Kolonne hat.
       Die ganze moderne Kriegsgeschichte der Engländer... 1*)
       Geschrieben im Juni 1863.
       
       Nach der Handschrift.
       -----
       1*) Hier bricht die Handschrift ab

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