Quelle: Januar 1860 - September 1864


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       #605#
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       Friedrich Engels
       
       Die englische Armee [319]
       
       Die "Allg[emeine]  Mil[itär] Z[ei]t[un]g" hat vor kurzem in einer
       ausführlichen Besprechung  des Werkchens  von  Petrie  und  James
       [320] die Organisation der englischen Armee, und seitdem in einem
       ändern Artikel die Stellung dieses Heers im englischen Staate ge-
       schildert. Es  bleibt nun noch übrig, diese Armee selbst in ihrer
       geschichtlichen Entwicklung  in den  letzten siebenzig Jahren, in
       ihrer jetzigen Erscheinung, ihrem Material, ihrem inneren Dienst-
       betrieb, ihrer taktischen Ausbildung und ihren eigentümlichen Ge-
       fechtsformen zu  betrachten. Dies ist der Zweck der gegenwärtigen
       Zeilen.
       Die englische  Armee bietet für den militärischen Beobachter ganz
       besondres Interesse.  Sie ist  die einzige  der Welt, die noch an
       der alten  Lineartaktik steif und starr festhält, insofern wenig-
       stens, daß  sie Kolonnen  im Feuerbereich  der Infanterie (ausge-
       nommen im Defilegefecht) nie gekannt hat. Sie feuert nicht nur in
       Linie, sie greift auch mit dem Bajonett nur in Linie an. Trotzdem
       - oder  vielleicht ebendeswegen  - ist  sie  unleugbar  diejenige
       Armee,  die  die  wenigsten  Niederlagen  erlitten  hat.  Es  ist
       jedenfalls der  Mühe wert, die Kampfweise einer solchen Armee nä-
       her zu untersuchen, namentlich jetzt, wo zum Erstaunen der ganzen
       Welt das  unmöglich Geglaubte möglich wird: daß England uns Deut-
       schen mit Krieg droht.
       
       I
       
       Wir fangen  natürlich mit der  I n f a n t e r i e  an. Der robur
       peditum 1*) ist die Hauptstärke und der Hauptstolz der englischen
       Armee. Seit  William Napier  ist es  Glaubensartikel geworden  in
       ganz England,  daß das Massenfeuer einer englischen Linie dem je-
       der ändern Truppe überlegen, und daß das
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       1*) Die Elite-Infanterie
       
       #606# Friedrich Engels
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       britische Bajonett  unwiderstehlich ist, und wahr ist es, daß die
       Engländer, wie  freilich andere  Leute auch, ihre Siege vor allem
       der Infanterie verdanken.
       Die englische Infanterie hat 3 Garderegimenter mit 7 Bataillonen,
       109 Linienregimenter,  wovon Nr. 1 bis 25 zwei Bataillone, Nr. 60
       (Jäger) 4  Bataillone und die übrigen jedes nur ein Bataillon ha-
       ben. Dazu  die Jägerbrigade  mit 4 Bataillonen, im ganzen 141 Ba-
       taillone. Die Zahl der Bataillone im Linienregiment, ob eins oder
       zwei, richtet  sich lediglich  nach dem Bedürfnis; sobald die Um-
       stände es  erlauben, werden  die zweiten Bataillone der ersten 25
       Regimenter sicher  wieder aufgelöst. Das Avancement der Offiziere
       geht auch  im Regiment voran, woraus dann häufig fatale Störungen
       entstehen, wenn  z.B. wie jetzt beim 13.Regt, das erste Bataillon
       in Jamaica, das andre in Neuseeland steht.
       Als Reserve- und Elitetruppen gelten vor allem die Garden und die
       acht hochschottischen  Regimenter, die  ihrem Ruf auch stets Ehre
       gemacht  haben.   Als  leichte  Infanterie  gelten  9  sogenannte
       "leichte" und  5 "Füsilier"-Regimenter,  doch  unterscheiden  sie
       sich nur  durch wenige Abzeichen von der Linie, und nur die 8 Jä-
       gerbataillone sind  wirkliche leichte  Infanterie. Die Regimenter
       Nr. 101  bis 109,  ehemalige europäische  Regimenter der Ostindi-
       schen Kompanie, dienen nur in Indien.
       Außer diesen 141 Bataillonen britischer Infanterie gibt es im In-
       lande noch  verschiedne Korps,  auf die  wir später zurückkommen,
       und in den Kolonien:
       
       In Nordamerika: 1 Bataillon und 2 Kompanien
       britische Truppen                            1350 Mann
       In Westindien: 4 Bat. Neger und Mulatten     3700  "
       Auf St. Helena: 1 britisches Bataillon        560  "
       Auf Malta: eingeborne Festungsartillerie      640  "
       Am Kap der Guten Hoffnung: berittene Jäger,
        5/6 Hottentotten, 1/6 Europäer, meist
        Deutsche und Schweizer                       900  "
       In Ceylon: 3 Bat. eingeborne Jäger           1460  "
                                                    ---------
                                                    8610 Mann
       
       Endlich in  Indien die  eingeborne Armee.  151 Bataillone  mit im
       ganzen an  110 000 Mann.  Diese Truppen  sind mit wenig Ausnahmen
       von britischen  Offizieren geführt  und in ihrer ganzen Organisa-
       tion der  englischen Linie  sehr ähnlich.  Nur die indische Armee
       hat aus  der Zeit  der Ostindischen Kompanie her noch manches Ei-
       gentümliche; sie  kennt z.B.  den Stellenkauf  nicht,  wenigstens
       nicht offiziell,  obgleich indirekt ähnliche Dinge dort auch vor-
       kommen.
       
       #607# Die englische Armee
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       Von der  englischen Infanterie waren am 5. Februar d.J. in Indien
       58 Bataillone,  in China  3, auf Mauritius (Isle-de-France) 2, am
       Kap 4,  in Kanada  und den übrigen nordamerikanischen Besitzungen
       12, in  Bermuda 1, Westindien 2, Neuseeland (wegen des Kriegs mit
       den Eingebornen  [321]) 10,  Gibraltar 5, den Ionischen Inseln 4,
       Malta 5,  in England und auf der Heimfahrt 42. Von diesen letzte-
       ren waren  in London 6, im Lager von Aldershot [323] 9, in Ports-
       mouth, Plymouth  und Dover 10, in Jersey 1, im Innern von England
       2, in  Schottland 2, in Irland 10, auf der Rückreise 2. Man sieht
       hier den  mächtigen Beistand,  den die  Flotte der Armee gewährt;
       ohne ihren  Schutz und  die raschen  Transportmittel, die sie ge-
       währt, wären  diese schwachen Garnisonen bei weitem nicht ausrei-
       chend. Wo  aber die Flotte nur wenig Schutz gewähren kann, wie in
       Indien und  Kanada, da  finden wir starke Besatzungen, und ebenso
       in den  strategischen Positionen  im Mittelmeer,  wo man sich auf
       Kämpfe mit europäischen Truppen gefaßt machen muß.
       Früher war es Regel, die Garden nur im Kriegsfall außer Landes zu
       schicken; jetzt befinden sich indes zwei Bataillone in Kanada.
       Die Gesamtstärke  der aktiven  Infanterie beträgt  jetzt  133 500
       Mann; also  884 Mann  durchschnittlich per  Bataillon, die  in 10
       Kompanien eingeteilt  sind, jede mit einem Hauptmann, einem Lieu-
       tenant und  einem Fähnrich  (ensign, gleich  unserm  Sekondelieu-
       tenant). Außerdem  hat jedes  Bataillon, mit Ausnahme der Garden,
       noch zwei  Depotkompanien zur Einübung der Rekruten; 6 bis 8 die-
       ser Depots  werden in  ein Depotbataillon  vereinigt, deren es 23
       gibt, in der Gesamtstärke von etwa 18 000 Mann. Diese Depots ste-
       hen alle im Inlande, meist an oder nahe der See. Die Gesamtstärke
       der englischen Infanterie ist also etwas über 150 000 Mann.
       
       II
       
       Die Offiziere  rekrutieren sich  aus allen gebildeten Klassen der
       Nation. Viel  theoretische Schulbildung  wird von  den Aspiranten
       nicht verlangt; die vorgeschriebnen Examina machen Anforderungen,
       über die  ein preußischer  Portepeefähnrich  lächeln  würde.  Man
       sucht indes  mehr und  mehr junge  Leute aus der Militärschule zu
       Sandhurst [323]  in die Armee zu bringen, namentlich dadurch, daß
       man denen, die das beste Examen machen, Fähnrichsstellen  o h n e
       K a u f   überweist. Sprachkenntnisse werden nur wenige verlangt,
       und dabei  ist dem  Aspiranten eine  große Freiheit der Wahl zwi-
       schen mehreren  europäischen und indischen Sprachen gelassen; die
       mathematischen
       
       #608# Friedrich Engels
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       Anforderungen sind äußerst niedrig; dagegen wird auf gute, klare,
       einfache Ausdrucksweise  in englischen  Aufsätzen praktischer Art
       weit mehr  gesehn als  bei uns,  wo fast  jede deutsche Armee ihr
       apartes Deutsch  schreibt, und nicht immer das Deutsch des gesun-
       den Menschenverstandes.  Daß man nicht nach politischen Meinungen
       inquiriert, versteht  sich in einem Lande von selbst, wo die bei-
       den Hauptparteien in der Aristokratie fast gleich vertreten sind;
       die größte Soldatenfamilie Englands, die Napiers, bestand und be-
       steht fast  aus lauter  Radikalen. Im  allgemeinen wird  mehr auf
       männlichen Charakter gesehn als auf Kenntnisse, und da der engli-
       sche Offizier  mit Sicherheit  darauf rechnen kann, in alle Enden
       der Welt  kommandiert und  bald ins  Feuer geführt  zu werden, so
       kann man  sich wohl  denken, daß die englische Armee nicht in dem
       Grade, wie  manche andre, eine Versorgungsanstalt für Leute wird,
       denen fast  alle körperlichen  und moralischen  Eigenschaften zum
       Soldaten fehlen.  Dies letztere  ist aber  auch die Hauptgarantie
       für ein  gutes Offizierkorps; denn trotz aller obigen schönen Re-
       geln existiert  nirgends mehr  Nepotismus und Familienbevorzugung
       als in  der englischen  Armee.  Ohne  einflußreiche  Verbindungen
       kommt niemand  in das  Offizierkorps, und ohne Geld kommt niemand
       voran, der  nicht das  Glück hat, daß sein Vormann im Gefecht er-
       schossen wird. Allerdings gibt es auch hier ehrenvolle Ausnahmen;
       ein gewisser  Schuhmacherssohn aus Glasgow starb voriges Jahr als
       Feldmarschall Lord  Clyde, nachdem er das verlorne Indien wieder-
       erobert hatte;  aber der  arme Colin  Campbell hatte  dafür  auch
       schon 1807  den Feldzug gegen Buenos Aires als Offizier mitmachen
       müssen und  war 1854, als er nach der Krim ging, erst Oberst. Und
       ohne einen  entfernten Verwandten, der ein Regiment kommandierte,
       wäre er nie Offizier geworden.
       Die englischen  Offiziere bilden, namentlich im Lande selbst, ein
       sehr exklusives  Korps. Sie  haben sogar,  wie in  Preußen, einen
       eignen Dialekt oder vielmehr Akzent, und verkehren nur sehr wenig
       mit den Bürgern ihrer Garnisonstädte. Zu dieser Abgeschlossenheit
       trägt bei, daß die unverheirateten Offiziere in der Kaserne (d.h.
       einem separaten  Nebengebäude im  Kasernenhof) wohnen  und am ge-
       meinsamen Offizierstisch  teilnehmen müssen.  In einem  Lande, wo
       die Armee  in allen  Strafsachen, die  nicht streng militärischer
       Natur sind,  unter der  bürgerlichen Gerichtsbarkeit  steht,  ist
       dies Zusammenwohnen in der Kaserne eine Notwendigkeit. Die jungen
       Offiziere werden  für tolle Streiche draußen in der Stadt, welche
       sie mit  den Zivilbehörden  in Kollision  bringen könnten, streng
       bestraft; dafür  herrscht aber  auch eine ziemlich große Freiheit
       in der  Kaserne selbst.  Weiblicher Besuch aller Art geht aus und
       ein, es wird tüchtig gezecht und gespielt, und
       
       #609# Die englische Armee
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       die jungen  Herren spielen  sich untereinander die derbsten Spaße
       mit. Wenn sich ein Duckmäuser unter sie verläuft, desto schlimmer
       für ihn.  Vor einigen Jahren führten diese in einigen Regimentern
       bis zum  Exzeß getriebenen  practical jokes  1*)  zu  skandalösen
       Kriegsrechtsverhandlungen, und  seitdem sind strenge Verordnungen
       dagegen erlassen;  in  der  Wirklichkeit  aber  werden  derartige
       Scherze meist  ganz gern  gesehn, nur  muß eben  der  öffentliche
       Skandal vermieden  werden. Zum  Offizierstisch steuert die Regie-
       rung 25  Pfund Sterling  per Kompanie jährlich bei; derselbe soll
       anständig, aber sparsam gehalten werden und die unbemittelten Of-
       fiziere nie  in den Fall setzen, Ausgaben über ihre Kräfte hinaus
       zu machen.  Trotzdem aber  ist Gelegenheit genug zum Geldausgeben
       da, und  die Wucherjuden  reiten mit  Wechseln und  Ehrenscheinen
       hier ebensoviel junge Offiziere ins Unglück wie anderswo.
       Diese Lebensweise gibt dem äußeren Auftreten des englischen Offi-
       ziers sein  Gepräge. Gegenüber  dem Zivil  -  obgleich  er  außer
       Dienst fast  immer Zivilkleider  trägt - ist er meist vornehm zu-
       rückhaltend; anmaßendes,  vorlautes Wesen  gegenüber Bürgerlichen
       findet sich  als Ausnahme wohl in Garnisonsstädten wie Portsmouth
       oder in  Schießschulen, wo  viele Offiziere zusammen sind und den
       Ton angeben.  Im allgemeinen hat der Offizier zu beweisen, daß er
       "ein Offizier  und ein  Gentleman" ist;  er kann jeden Augenblick
       vor ein  Kriegsgericht gestellt,  entlassen und  selbst  kassiert
       werden "wegen  eines für einen Offizier und Gentleman unpassenden
       Betragens", und  dies geschieht ohne alle Gnade, sobald ein Offi-
       zier durch seine öffentliche Aufführung einen Skandal hervorgeru-
       fen hat,  es sei denn, er danke vorher freiwillig ab. Vertuschun-
       gen öffentlicher  Skandalgeschichten, wie  solche in  Deutschland
       unsres Wissens  vorgekommen sind,  sind in England nicht möglich,
       und der Geist der Armee kann dabei nur gewinnen.
       Das Recht  der Offiziere, außer Dienst Zivilkleider zu tragen, so
       ungewohnt es  uns Deutschen  auch ist,  hat doch seine sehr guten
       Seiten, und  daß es  keineswegs ungünstig  auf den  militärischen
       Geist der  Offiziere einwirkt, beweist England hinlänglich. Übri-
       gens  ist  zu  bemerken,  daß  in  den  Hauptgarnisonsorten,  wie
       Chatham, Portsmouth  usw., wo viel Dienst ist, die Offiziere auch
       seltener in Zivil erscheinen.
       Das Duell ist aus der englischen Armee gänzlich verschwunden. Das
       letzte Duell  zwischen zwei  Offizieren fand  vor zwanzig  Jahren
       zwischen zwei Schwägern, einem Major und einem Lieutenant, statt;
       der Major fiel,
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       1*) derben Späße
       
       #610# Friedrich Engels
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       der Lieutenant wurde wegen der vorhergegangenen unerhörten Provo-
       kation von  den Geschwornen  freigesprochen.  Die  Ansichten  von
       Ehre, welche  man -  und niemand eifriger als Wellington selbst -
       in dem englischen Offizierkorps durchgesetzt hat, beruhen auf der
       Grundanschauung: daß  derjenige, welcher  einen ändern ohne Grund
       beleidigt, sich  selbst, nicht aber den Beleidigten, entehrt; und
       daß er  seine Ehre nur dadurch wiederherstellen kann, daß er sein
       Unrecht, soweit  es in  seiner Kraft  steht, wiedergutmacht.  Wer
       also einen Kameraden zuerst insultiert, fällt damit unter die An-
       klage des  eines Gentleman unwürdigen Betragens, wenn er sein Un-
       recht nicht  wiedergutmacht, oder  wenn der  Insult überhaupt der
       Art ist, daß er nicht wiedergutgemacht werden kann; ein Kriegsge-
       richt bringt  die Sache  bald in  Ordnung. Diese Anschauungsweise
       mag in  gewissen Kreisen,  besonders der  preußischen Armee,  be-
       fremdlich genug erscheinen, sie hat aber sicher den gesunden Ver-
       stand mehr  auf ihrer  Seite, als dies bei dem phantastisch über-
       triebnen Duell-Point  d'honneur 1*)  mancher Leute  der Fall ist.
       Daß das  militärische Ehrgefühl dabei ganz gut bestehen kann, be-
       weisen die  englischen Offiziere  selbst, die in dieser Beziehung
       keinen Vergleich zu scheuen haben.
       Das Avancement  geschieht im Regiment durchweg nach dem Dienstal-
       ter, verbunden  mit Stellenkauf,  und zwar so: Sobald eine Vakanz
       eintritt, hat der älteste Offizier des folgenden Grades die Wahl,
       ob er sie kaufen will oder nicht; schlägt er sie aus, was nur bei
       Mangel an Geldmitteln geschieht, so kommt der Zweitälteste an die
       Reihe usw.  Dieser Stellenkauf  ist unbedingt  eine der  schlech-
       testen Einrichtungen  in der englischen Armee, ein Punkt, mit dem
       ausländische Soldaten sich nie versöhnen werden. Die Sache bleibt
       abgeschmackt und  verwerflich, selbst  wenn  man  alle  die  Mil-
       derungsgründe gelten  läßt, die  die Engländer  zu ihrer  Vertei-
       digung anführen:  daß dadurch jüngere Offiziere rascher in höhere
       Stellen rücken,  daß es  eine altüberkommene Einrichtung ist, die
       schwer abzuschaffen  ist, usw. Es ist und bleibt eine Schande für
       die englische  Armee, daß  sie dies  System nicht  hat überwinden
       können, und  es schadet  dem Geist des Offizierkorps unbedingt im
       höchsten Grad, daß tüchtige Offiziere in niedern Graden versauern
       müssen, weil sie eben nur ihre Gage, aber kein Kapital haben.
       Der Preis  eines Fähnrichs-  (d.h. Unterlieutenants-) Patents ist
       bei der  Linien-Infanterie 450  Pfd. St.  (3000 Taler);  will der
       Fähnrich zum  Lieutenant avancieren,  so muß  er weitere 250 Pfd.
       (1700 Tlr.)  zahlen; für  das Hauptmannspatent  weitere 1100 Pfd.
       (7030 Tlr.); Majorspatent weitere 1400 Pfd.
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       1*) Ehrenduell
       
       #611# Die englische Armee
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       (9030 Tlr.);  Oberstlieutenantspatent noch  1300Pfd. (8700 Tlr.).
       Dies Patent  ist also  summa summarum  4540 Pfd. St. oder über 30
       000 Taler  wert, die  der Besitzer auch von seinem Nachfolger zu-
       rückerhält, sobald  er zum  Obersten avanciert.  In der Garde und
       der Kavallerie sind die Preise noch weit höher; in der Artillerie
       und im  Genie findet kein Stellenkauf statt. Stirbt der Offizier,
       so ist  das ganze  angelegte Kapital verloren, und der nächste im
       Dienstalter rückt ohne Kauf an seine Stelle. Vom Obersten an fin-
       det kein  Kauf mehr statt; jeder Oberstlieutenant, der 3 Jahre im
       aktiven Dienst  als solcher  gestanden hat, wird von Rechts wegen
       Oberst. Es  ist bei Kassation verboten, mehr als den festgestell-
       ten Preis für eine Offiziersstelle zu zahlen, doch geschieht dies
       durchweg.
       Da übrigens die Anforderungen zum Fähnrichsexamen gar keine mili-
       tärischen Kenntnisse in sich schließen, so findet vor dem Aufrüc-
       ken zum Lieutenant und Hauptmann noch ein besondres Examen statt,
       das sich  auf den praktischen Dienst, die Dienstvorschriften, die
       Militärgesetzgebung und  das Exerzitium  beschränkt. Theoretische
       Kenntnisse in der Taktik werden  n i c h t  verlangt.
       Die Offiziere  in der  Garde haben höheren Rang; der Fähnrich den
       des Lieutenants, der Lieutenant den des Hauptmanns, der Hauptmann
       den des Oberstlieutenants. Dies setzt viel Ärger in der Linie.
       Das Avancement  von Unteroffizieren  zu Offizieren  kommt nur  in
       Ausnahmsfällen vor.  In jedem Bataillon fällt die Hauptroutinear-
       beit drei  Offizieren zu: dem Adjutanten, dem Quartiermeister und
       dem Zahlmeister.  Zu diesen  Posten werden daher häufig alte ver-
       läßliche Unteroffiziere  genommen, die dann auch nie über den ih-
       nen gratis  erteilten Lieutenantsrang  hinausrücken. Sonst findet
       Beförderung zum Offizier nur in seltnen Fällen statt für besondre
       Auszeichnung vor  dem Feinde. Der Charakter der englischen Werbe-
       armee, der eine sehr starke Mischung von niedrigen und rohen Ele-
       menten bedingt,  der davon abhängige Ton unter der Truppe und die
       dabei notwendige  Art der Disziplin macht es nötig, daß die Offi-
       ziere von  vornherein einer höheren Gesellschaftsklasse angehören
       als die  Soldaten. Der  Abstand zwischen  Offizier und Soldat ist
       daher in England größer als irgendwo anders. Daher ist die Beför-
       derung von der Pike auf hier sehr erschwert und wird, solange ei-
       nerseits der  Stellenkauf und  andrerseits das Werbsystem dauert,
       immer nur  seltne Ausnahme bleiben. Daß gebildete junge Leute als
       Freiwillige in die Armee treten, um auf Avancement zu dienen, wie
       dies in  Preußen und Frankreich so häufig geschieht, kann in Eng-
       land nicht  vorkommen; der Charakter der Truppe ist eben der Art,
       daß man allgemein glauben würde, der junge Mann habe aus ganz an-
       dren
       
       #612# Friedrich Engels
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       Motiven, die  er lieber verschweigt, zum Soldatenhandwerk gegrif-
       fen. Es  ist also  ganz  begreiflich,  daß  das  englische  Offi-
       zierskorps  fast  ausschließlich  aus  Leuten  besteht,  die  als
       Gentlemen erzogen  sind, und  daß die Masse der Soldaten mehr Re-
       spekt  vor   Offizieren  hat,   die  schon  von  vornherein  ihre
       "natürlichen Vorgesetzten" sind, wie man in England sagt.
       Dementsprechend ist  auch der  Ton, der  zwischen Offizieren  und
       Soldaten herrscht,  kalt und  geschäftsmäßig. Die  beiden Klassen
       sind eben  nur durch  das Verhältnis des Befehlens und Gehorchens
       miteinander verbunden.  Es  fallen  weder  Vertraulichkeiten  und
       Spaße noch  Ausbrüche der  Leidenschaft vor. Lob und Tadel werden
       den Soldaten  von den  Offizieren nur  selten direkt  erteilt und
       dann stets  mit derselben  ruhigen Geschäftsstimme.  Dies bezieht
       sich natürlich nur auf das dienstliche Verhältnis beim Exerzieren
       usw.; unter  der Hand können die englischen Offiziere fluchen 1*)
       ..., wovon ihre Burschen genug erzählen könnten.
       Eine der englischen Armee ganz eigentümliche Einrichtung ist die,
       wonach ein  Offizier zweierlei Rang haben kann: einen niederen in
       seinem Regiment  und einen  höheren in  der Armee.  Dieser zweite
       Rang, wenn  er permanent und unbedingt erteilt ist, heißt Brevet-
       Rang. So  kann ein  Hauptmann in der Armee Brevet-Major oder Bre-
       vet-Oberstlieutenant  sein;   es  ist   sogar  schon  vorgekommen
       (namentlich bei  Kommandeurs indischer  irregulärer Truppen), daß
       sie in  ihrem Regiment  nur Lieutenants, in der Armee aber Majore
       waren. Ein solcher Hauptmann und Brevet-Major tut in seinem Regi-
       ment Hauptmannsdienst,  zählt aber für den Dienst in der Garnison
       oder dem  Lager als  Stabsoffizier. Dieser  höhere Rang kann auch
       nur für  eine gewisse  Zeit oder  für eine  gewisse Kolonie  oder
       Kriegsschauplatz erteilt werden. So wurden in den letzten 10 Jah-
       ren manche  Obersten für  die Dauer  des Krimkriegs oder auch für
       die Dauer  ihres Aufenthalts in der Levante zu "Brigadier-Generä-
       len" oder auch "General-Majors" ernannt, und ebenso in Indien. Es
       ist dies System ein Mittel, trotz der Anciennität einzelne begün-
       stigte oder  besonders brauchbare  Leute in  höhere Stellungen zu
       bringen; es hat aber, wie auf der Hand liegt, viele Unannehmlich-
       keiten und  Verwirrung zur Folge. Den Franzosen in der Krim konn-
       ten die Engländer es nie begreiflich machen, daß ein Mann gleich-
       zeitig Hauptmann und Major sein könne.
       Im Avancement  gilt die Regel, daß niemand Hauptmann werden kann,
       der nicht  mindestens zwei Jahre als Fähnrich und Lieutenant sei-
       nen vollen Dienst getan, niemand Major, der nicht sechs Jahre Of-
       fizier war.
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       1*)  Die folgenden zwei Worte sind unleserlich
       
       #613# Die englische Armee
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       Die militärische  Ausbildung der  Offiziere, welche nicht von der
       Sandhurster Schule herkommen, geschieht in der Pelotons- und Kom-
       panieschule ganz wie die der Soldaten; erst nach einem Examen vor
       dem Bataillonskommandeur  werden sie  vom Exerzieren  befreit und
       zum Dienst  als Offiziere  zugelassen. Sämtliche  Subaltern-Offi-
       ziere eines Bataillons werden jährlich einmal, ehe der Frühjahrs-
       Exerzierkursus des  Bataillons beginnt, unter Befehl eines Stabs-
       offiziers in  einem Zug  vereinigt und  müssen in dieser Gestalt,
       die Büchse in der Hand, die Mannes-, Pelotons- und Kompanieschule
       vollständig durchexerzieren.  Doch mag  dies meist  wohl nur sehr
       oberflächlich geschehen.
       
       III
       
       Die Unteroffiziere  und Soldaten werden bekanntlich durch Werbung
       ergänzt, und  zwar ausschließlich  in Großbritannien  und Irland.
       Nur das  100. Regiment  läßt in  Kanada werben.  Der  Werbedienst
       steht unter  dem General-Adjutanten  der Armee  und wird auf dop-
       pelte Weise  betrieben: Erstens  können die  einzelnen Regimenter
       und Depotbataillone  in ihren  eignen Garnisonen  werben  lassen.
       Zweitens besteht unabhängig hiervon ein organisierter Werbedienst
       über das ganze Land, für welchen Zweck er in neun Werbbezirke ge-
       teilt ist  (England 4,  Schottland 2,  Irland 3).  Jeder Distrikt
       steht unter  einem inspizierenden  Stabsoffizier (gewöhnlich Bre-
       vet-Oberst) und  wird nötigenfalls in kleinere Kreise unter Lieu-
       tenants oder  Hauptleuten geteilt.  - Im ganzen werden für diesen
       Dienst verwandt: 8 Stabsoffiziere, 9 Adjutanten, 9 Zahlmeister, 9
       Ärzte, 11  rekrutierende Subaltern-Offiziere  (auf  Halbsold),  8
       Feldwebel, 48  Sergeanten und  eine angemessene  Anzahl Soldaten.
       Außerdem rekrutiert die Garde noch ausschließlich zu ihrer eignen
       Ergänzung. Jeder  Rekrut hat das Recht, sich das Korps zu wählen,
       bei dem er eintreten will. Als frommer Wunsch wird ausgesprochen,
       daß jedes  Korps möglichst  m derjenigen Grafschaft sich ergänzen
       soll, deren  Namen es  trägt. Ausländer sollen nur mit besonderer
       Erlaubnis  angenommen   werden,  weshalb   man  sie   häufig  als
       "Schotten" passieren läßt.
       In Kriegszeiten  muß die Miliz hauptsächlich als Pflanzschule für
       die Linie dienen; auf eine jedesmal festzustellende Anzahl Leute,
       die aus  der Miliz  in die  Linie treten, erhält ein Offizier des
       betreffenden Milizregiments  ein Patent in der Linie. Während der
       indischen Rebellion  1857 ging man sogar so weit, jedem damaligen
       oder früheren  Stabsoffizier, der  1000 Rekruten zusammenbrachte,
       das Oberstlieutenants-Patent zu geben.
       
       #614# Friedrich Engels
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       Jeder Rekrut  oder Kapitulant erhält seine volle Equipierung gra-
       tis und  ein Handgeld,  das nach dem Bedarf an Rekruten wechselt,
       das aber  nie unter  1 Pfund, und sehr selten über 10 Pfund Ster-
       ling (67  Tlr.) beträgt. Es ist auch für verschiedne Truppenteile
       häufig verschieden; für die Genietruppen wird am meisten bezahlt,
       da hier  nur die  besten Leute verwendbar sind. Das Handgeld wird
       teilweise bei  der Attestation,  größtenteils aber erst beim Ein-
       tritt ins  Regiment und  nach Annahme  des Rekruten  durch dessen
       Chef ausbezahlt.  Diese Attestation besteht darin, daß der Rekrut
       nicht eher als 24 Stunden nach der Anwerbung vor den Polizeirich-
       ter geführt wird und hier eidlich erklärt, daß er freiwillig ein-
       getreten und  daß seinem  Eintritt in  das Heer kein gesetzliches
       Hindernis entgegenstehe.
       Für die Kavallerie, Artilleriefahrer, Genietruppen, Train und für
       die in Indien, China, Australien und St. Helena stehende Infante-
       rie werden Rekruten im Alter von 18 bis 25 Jahren, für die übrige
       Artillerie und  Infanterie von  17 bis  25 Jahren angenommen. Die
       Körpergröße ist festgestellt wie folgt:
       Kavallerie; Gardekürassiere: 5' 10" bis 6' 1*)
                   Schwere Dragoner-Regimenter: 5' 8" bis 5' 11".
                   Mittlere Dragoner und Ulanen: 5' 7" bis 5' 9".
                   Husaren: 5' 6" bis 5' 8".
       Artillerie; Kanoniere: Minimum 5' 7", wenn unter 18 Jahren, 5' 6"
                   Fahrer: 5' 4" bis 5' 6".
                   Handwerker: Minimum 5' 6".
       Infanterie; Minimum Garde: 5' 8 1/2", Linie 5' 6".
       Doch ist dies Minimum sehr variabel; jede ernsthafte Kriegsgefahr
       zwingt die Regierung sofort, es herabzusetzen, und selbst der Um-
       stand, daß durch Verkürzung der Dienstzeit von 12 auf 10 Jahre in
       der nächsten  Zeit sehr  viele Soldaten  frei werden, war hinrei-
       chend, die Regierung vor wenigen Wochen zu veranlassen, das Mini-
       mum für  die Infanterie  auf 5'  5" zu reduzieren. Im allgemeinen
       wird auch hier, wie anderwo, das Maß immer mehr herabgesetzt, ob-
       wohl begreiflicherweise bei einer Werbe-Armee man sich immer noch
       durchschnittlich größere Soldaten verschaffen kann als bei allge-
       meiner Dienstpflicht  oder Konskription. Daß dies auch in England
       der Fall  ist, sieht  man aus  obigen Zahlen, die sich leicht auf
       rheinisches Maß  reduzieren lassen,  wenn man  bei 5'  bis 5' 6",
       2 1/4 Zoll und bei 5' 7" bis 6', 2 1/2" in Abzug bringt, was hin-
       reichend genau ist.
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       1*) 5 Fuß 10 Zoll bis 6 Fuß
       
       #615# Die englische Armee
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       Außer der  Größe ist  auch das Minimum des Brustumfangs bestimmt,
       welches bei  5' 6"  bis 5'  8", 33 Zoll; [5'] 8" bis [4'] 10", 34
       Zoll; über  5' 10",  35 Zoll beträgt. Fahrkanoniere, Tramsoldaten
       und Schützen  müssen unter allen Umständen 34" Brustumfang haben.
       Doch werden  Fahrkanoniere auch  dann angenommen,  wenn sie diese
       Bedingungen nicht vollständig erfüllen, dagegen mit Pferden umzu-
       gehn gewohnt sind.
       Zu Trommlern und Hornisten werden Knaben von mindestens 14 Jahren
       mit Einwilligung ihrer Eltern angeworben. Sie erhalten kein Hand-
       geld.
       Die Dienstzeit beträgt 10 Jahre für die Infanterie, 12 für Kaval-
       lerie, Artillerie, Genie und Train, nach deren Ablauf der Austre-
       tende, wenn  er noch  tüchtig befunden wird, auf weitere 11 Jahre
       in der  Infanterie, 9 Jahre in den ändern Truppengattungen, kapi-
       tulieren kann.  Nach Ablauf  dieser zweiten  Kapitulation kann er
       auf dreimonatliche  Kündigung  weiterdienen.  Befindet  sich  das
       Korps beim Ablauf der Dienstzeit im Auslande, so hat der die Sta-
       tion kommandierende Offizier das Recht, sie bis zu zwei Jahren zu
       verlängern.
       Jeder Soldat von guter Führung erhält in der Regel die Erlaubnis,
       sich freizukaufen. Die Loskaufsumme richtet sich nach der bereits
       geleisteten und  noch zu  leistenden Dienstzeit, nach der Auffüh-
       rung etc.  und beträgt  im Maximum  in der Kavallerie 30 Pfd., in
       der Infanterie 20 Pfd., für farbige Soldaten in den Kolonialkorps
       12 Pfd.
       Nach 21jährigem  Dienst ist  jeder Soldat pensionsberechtigt. Der
       Betrag der  Pension richtet sich nach der Dienstzeit, der Auffüh-
       rung und  den während des Dienstes erworbenen körperlichen Gebre-
       chen; er  ist für  Soldaten und Unteroffiziere mindestens 8 Pence
       (6 Sgr.  8 Pf.)  und höchstens  3 Schul.  6 Pence (1 Tlr. 5 Sgr.)
       täglich.  Unter  Umständen  wird  auch  bei  kürzerer  Dienstzeit
       Pension bewilligt.
       Die Werbesergeanten  mit ihren  beigegebenen Soldaten halten sich
       meist in  den schlechteren Vierteln der großen Städte auf und be-
       obachten hauptsächlich  die Wirtshäuser. Oft auch ziehen sie, mit
       Bändern an  der Mütze, in Begleitung einiger Trommler und Pfeifer
       in Prozession durch die Straßen, ziehen so eine Volksmenge an und
       suchen darunter  zu fischen. Findet sich das gesuchte Wild darun-
       ter, so wird es baldmöglichst ins Wirtshaus gelockt, wo dann alle
       Künste aufgeboten  werden, dasselbe  zur Annahme des symbolischen
       Schillings zu  bewegen, welche  den Kontrakt  festmacht. Hat  der
       neue Ruhmeskandidat  diesen Schilling  erst genommen,  so kann er
       sich gegen Zahlung eines "Schmerzensgeldes" (smart-money) von ei-
       nem Pfd.  St. vor  dem Polizeirichter wieder frei machen. Das Ge-
       setz schreibt  zwar vor,  daß der angehende Held nach Verlauf von
       mindestens 24 Stunden nach der
       
       #616# Friedrich Engels
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       Anwerbung vor diesem Richter erklären muß, daß er freiwillig ein-
       tritt und  auf seinem Entschlüsse beharrt. Das Gesetz nimmt hier-
       bei ganz richtig an, daß der Angeworbene in der Regel nicht nüch-
       tern ist,  wenn er den Schilling nimmt, und sucht ihm so Gelegen-
       heit zu  geben, erst wieder nüchtern zu werden. Es müßte aber ein
       schlechter Werbesergeant  sein, der sich sein Wild so leicht ent-
       gehen ließe. Er und seine Leute lassen den Rekruten nicht aus den
       Augen, und  ehe er  vor den Richter kommt, haben Schnaps und Bier
       ihre Wirkung schon wieder hinreichend getan. Das Beste dabei ist,
       daß ein  großer Teil der Zeche gewöhnlich vom Rekruten selbst be-
       zahlt wird, für den der Sergeant auf Rechnung des Handgelds flott
       vorschießt. Unter  diesen Umständen  ist es  naiv, aber  richtig,
       wenn ausdrücklich  vorgeschrieben  ist:  Zum  Rekrutierungsdienst
       sollen nur  unverheiratete Soldaten  und Trommler, und nur im äu-
       ßersten Notfall  verheiratete Sergeanten, jedenfalls aber nur ge-
       sunde, kräftige Leute genommen werden. Wer nicht gut zechen kann,
       taugt für diesen Dienst nicht.
       Man glaubt  sich förmlich  ins achtzehnte  Jahrhundert zurückver-
       setzt, wenn man diese Werberei sieht. Trotz der schützenden Förm-
       lichkeiten, womit  das Gesetz  diese  Praxis  eingeschränkt  hat,
       steht es  doch fest,  daß weitaus  der größte  Teil der "ganz aus
       Freiwilligen bestehenden  englischen Armee"  sehr unfreiwillig in
       diese Anstalt  gerät; ob  im Durchschnitt zu seinem schließlichen
       eignen Besten, ist eine andre Frage.
       Welche Bestandteile  der Nation auf diese Weise in die Armee kom-
       men, ist  einleuchtend genug.  Das Heer bleibt in großem Maß, wie
       unsre früheren  Werbeheere, ein  refugium peccatorum  1*), in dem
       der größere  und bessere  Teil aller  abenteuernden Elemente  des
       Volks sich zusammenfindet, um hier durch einen scharfen Exerzier-
       kursus und  eine sehr  strenge Disziplin gebändigt zu werden. Die
       englische Armee  steht daher  auch, was ihren moralischen und in-
       tellektuellen Charakter  angeht, weit  unter allen  denen, welche
       durch Konskription  (selbst mit  Stellvertretung) oder  gar durch
       allgemeine Wehrpflicht  ohne Stellvertretung gebildet werden. Nur
       die französische  Fremdenlegion [324] und die sonst hauptsächlich
       durch Stellvertreter gebildeten französischen Korps, wie die Zua-
       ven, können  mit ihr  auf ähnliche  Linie gestellt werden; obwohl
       sich nicht  leugnen läßt,  daß die ganze französische Armee durch
       die steigende  Begünstigung der  Berufssoldaten in Reih und Glied
       sich mehr  und mehr  dem Charakter  der englischen  nähert.  Aber
       selbst der  französische Remplafant  steht an gesellschaftlicher,
       äußerlicher Bildung  weit über  den rohen wüsten Burschen aus dem
       Abschaum
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       1*) Zufluchtsort für Sünder
       
       #617# Die englische Armee
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       der großen  Städte, welche in den englischen Kasernen den Ton an-
       geben. In  die französische  Armee kann  doch noch ein gebildeter
       junger Mann als Freiwilliger eintreten, um auf Avancement zu die-
       nen, ohne daß ihm die Prüfungszeit als gemeiner Soldat gar zu un-
       erträglich vorkommt;  in England  müßte einer wahnsinnig sein, um
       diesen Schritt zu tun. So stolz der Engländer auf seine Armee als
       Ganzes ist, so verachtet ist noch immer der einzelne gemeine Sol-
       dat; selbst  in den unteren Volksschichten gilt es noch immer für
       einigermaßen unrühmlich,  sich anwerben zu lassen oder einen Sol-
       daten zum  Verwandten zu  haben. Übrigens  hat sich der Charakter
       der Angeworbenen in den letzten zehn Jahren unleugbar sehr gebes-
       sert. Man  sucht über  die Antezedenzien  der Rekruten möglichste
       Aufklärung sich zu verschaffen und entschieden schlechte Subjekte
       fernzuhalten. Die  starken Werbungen,  die der  Krimkrieg und die
       indische Rebellion nötig machten, erschöpften bald die verkommene
       Klasse, aus  der sich das Heer während der langen Friedenszeit in
       der Regel ergänzt hatte. Man mußte nicht nur das Maß herunterset-
       zen (einmal  bis auf  5' 3" für die Infanterie), sondern auch das
       Soldatenleben anziehender  machen und  den Ton in den Kasernen zu
       heben suchen,  damit auch  die solidere Arbeiterklasse in den Be-
       reich der Werbung gezogen werden konnte. Der Mangel an tauglichen
       Subjekten für  die vielen  neuen Unteroffiziersstellen  (im Krim-
       krieg wurden  die Bataillone beinahe auf doppelte Stärke gesetzt)
       kam noch  dazu. Auch  sah man ein, daß eine Kriegführung, wie die
       Wellingtons in Spanien, mit obligater Plünderung aller erstürmten
       Festungen, jetzt in Europa nicht mehr an der Zeit sei. Die Presse
       nahm sich der Soldaten an, und bald wurde es Mode unter den höhe-
       ren Offizieren,  die Philanthropie  auf die  Truppen auszudehnen.
       Man bemühte  sich, den  Soldaten das  Leben angenehmer zu machen,
       ihnen für  die Mußestunden die Mittel zur Zerstreuung und Selbst-
       beschäftigung in der Kaserne oder im Lager zu verschaffen und sie
       von den  Wirtshäusern fernzuhalten.  So entstanden,  besonders in
       den letzten  sieben Jahren,  meist durch  Privatsubskription, Bi-
       bliotheken, Lesezimmer, Gesellschaftszimmer mit allerlei Spielen,
       Soldatenklubs usw.  In den Lagern wurde nach französischem Muster
       den Soldaten,  wo möglich,  etwas Gartenland angewiesen, Versuche
       mit theatralischen  Vorstellungen und Vorlesungen gemacht und von
       Zeit zu  Zeit Ausstellungen  von allerlei kleinen, von ihnen ver-
       fertigten Kunstprodukten  u.a. arrangiert. Alle diese Sachen sind
       erst in  der Kindheit,  werden aber  immer allgemeiner.  Sie sind
       auch durchaus  nötig. Die  Rekruten während  der Feldzüge  in der
       Krim und in Indien standen unbedingt auf einer weit höheren Stufe
       als die  bisherigen, da  beide Kriege bei den Massen sehr populär
       waren. Sie haben den Ton in der
       
       #618# Friedrich Engels
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       Armee sehr  gebessert. Die Berührung mit den französischen Solda-
       ten in der Krim tat auch das ihrige. Es handelt sich jetzt darum,
       diesen Geist  zu erhalten,  damit man auch während einer längeren
       Friedenszeit ähnliche  bessere Rekruten  bekommt und nicht wieder
       ausschließlich auf  die im Frieden immer zuerst sich anbietenden,
       vagabundierenden Elemente der Bevölkerung angewiesen bleibt.
       Trotzdem bilden  die letzteren  immer noch  den größeren Teil der
       Truppe, und danach sind alle Einrichtungen getroffen. Eine engli-
       sche Kaserne  mit Nebengebäuden und Hof ist nach allen Seiten von
       hohen Mauern  umgeben, welche in der Regel nur ein Tor haben. Ein
       separates Gebäude  enthält die Offizierswohnungen, eins oder meh-
       rere andre die der Soldaten. Wo das Soldatenquartier Fenster nach
       der Straße hat, wird bei neueren Anlagen dieser Teil des Gebäudes
       meist mit  einem tiefen  Graben und  starken Eisenzaun  am äußern
       Grabenrand abgeschlossen.  In großen  Städten findet man, nament-
       lich bei  Milizkasernen, welche ein Zeughaus enthalten (die Miliz
       ist bloß 4 Wochen im Jahr versammelt), die ganze Straßenfront des
       Gebäudes mit  Gewehrscharten statt  Fenstern und  die Flügelecken
       mit für Gewehr-Flankierung eingerichteten kleinen Türmen versehen
       - ein  Beweis, daß man Arbeiteraufstände doch nicht für so unmög-
       lich hält.  In diesem großen Kasernengefängnis verbringt der Sol-
       dat sein  Leben mit  Ausnahme seiner  Freistunden. Der Zugang für
       Bürgerliche wird  streng überwacht, und das ganze Gebäude ist ge-
       gen Einsicht  von außen  möglichst defiliert,  so daß  der Soldat
       möglichst unter Kontrolle gehalten und von Zivilisten abgesondert
       wird. Der  gemütliche Verkehr  zwischen Bürgern und Soldaten, der
       in Deutschland so allgemein ist, die Leichtigkeit des Zutritts in
       die Kaserne für jeden, fehlen hier gänzlich, und damit keine dau-
       ernden Verbindungen geknüpft werden können, wechseln die Garniso-
       nen in der Regel jährlich.
       Die gewöhnlichsten  Disziplinarvergehen lassen  sich aus dem Cha-
       rakter der Armee leicht erraten. Es sind Trunkenheit, Abwesenheit
       nach dem  Zapfenstreich ohne  Erlaubnis, Diebstahl von Kameraden,
       Schlägereien, Widersetzlichkeit  und tätliches Vergreifen an Vor-
       gesetzten. Die  leichteren Vergehen  straft der Bataillonskomman-
       deur summarisch. Er hat ausschließliche Strafgewalt, doch kann er
       den Kompaniechefs  Strafgewalt bis  zu drei  Tagen Kasernenarrest
       delegieren. Seine  eigne Strafgewalt  erstreckt sich  auf: 1. Ge-
       fängnis bis  zu 7  Tagen, mit oder ohne Einzelhaft, mit oder ohne
       Strafarbeit. Soldaten,  die hierzu  verurteilt werden,  haben das
       R e c h t,   vom Bataillonschef an ein Kriegsgericht zu appellie-
       ren. 2. Einsperrung in dunkler Zelle (black-hole) bis zu 48 Stun-
       den. 3. Kasernenarrest bis zu
       
       #619# Die englische Armee
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       einem Monat,  wobei der  Arrestant allen Dienst und außerdem noch
       alle ihm  vom Kommandeur  übertragnen  Extra-Arbeiten  verrichten
       muß. Außerdem  zieht  jeder  Kasernenarrest  Strafexerzieren  mit
       vollem Gepäck bis zu 14 Tagen nach sich. Das Strafexerzieren soll
       nie länger als eine Stunde auf einmal dauern, kann aber bis vier-
       mal täglich  wiederholt werden. In den Fällen ad 2 und 3  k a n n
       der Kommandeur  Appell an  ein Kriegsgericht  gestatten.  Einsame
       oder dunkle  Einsperrung sollen  möglichst für Fälle von Trunken-
       heit, Schlägerei  und Insolenz  gegen Vorgesetzte aufgespart, und
       können in  schweren Fällen mit Kasernenarrest in der Weise kombi-
       niert werden, daß die ganze Periode des Arrests einen Monat nicht
       überschreitet.
       Wie man  sieht, hat ein englischer Bataillonschef Mittel genug in
       Händen, unter  seinen wilden  Burschen Ordnung zu halten. Reichen
       diese Mittel nicht hin, so schafft ein Kriegsgericht Rat, wo dann
       in letzter  Instanz dem  rebellischen Gesellen die neunschwänzige
       Katze winkt.  Dies ist  eins der  barbarischsten Züchtigungswerk-
       zeuge, welche  es gibt:  eine kurzstielige Peitsche mit neun lan-
       gen, harten  und knotigen  Schnüren. Der  Sträfling, bis  auf die
       Hüften nackt,  wird in  ein dreieckiges  Gestell gebunden und die
       Hiebe mit  der äußersten Kraft erteilt. Schon der erste Hieb zer-
       fetzt die Haut und holt Blut. Nach wenig Hieben wird Peitsche und
       Peitschenführer gewechselt,  damit dem Delinquenten ja nichts ge-
       schenkt werde. Der Arzt steht natürlich immer dabei. Fünfzig sol-
       cher Hiebe  machen immer  eine langwierige Kur im Lazarett nötig.
       Und doch  finden sich  häufig Leute, die diese fünfzig ohne einen
       Schmerzenslaut ertragen,  weil es  für eine größere Schande gilt,
       den Schmerz zu zeigen als die Hiebe zu bekommen.
       Bis vor  zwölf Jahren  wurde die Katze sehr häufig angewandt, und
       es waren bis zu 150 Hieben gestattet. Wenn ich nicht irre, konnte
       auch bis um dieselbe Zeit der Regimentskommandeur summarisch eine
       gewisse Anzahl  Hiebe erteilen lassen. Dann wurde die Zahl auf 50
       Hiebe beschränkt  und die Befugnis, sie zu diktieren, ausschließ-
       lich den  Kriegsgerichten überwiesen. Endlich, nach dem Knmkrieg,
       wurde besonders  auf Veranlassung  des Prinzen Albert die preußi-
       sche Einteilung der Soldaten in zwei Klassen [325] eingeführt und
       bestimmt, daß nur Soldaten, welche bereits  w e g e n  f r ü h e-
       r e r   Vergehen in  die zweite  Klasse versetzt  worden und sich
       nicht durch  ein Jahr  tadelloser Dienstzeit  wieder in die erste
       Klasse aufgeschwungen  hätten, für  ein neues Vergehen körperlich
       gezüchtigt werden  können. Dieser Unterschied hört jedoch vor dem
       Feind auf;  hier wird  wieder jeder  gemeine Soldat  der Peitsche
       unterworfen.  Im   Jahre  1862  wurden  in  der  Armee  126  Mann
       körperlich gezüchtigt, wovon 114 die höchste gesetzliche Zahl von
       50 Hieben erhielten.
       
       #620# Friedrich Engels
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       Im allgemeinen  sieht man, daß sowohl das Bedürfnis wie die Lust,
       die Peitsche  anzuwenden, sehr abgenommen haben, und da dieselben
       Ursachen in  der Armee  noch fortwirken, ist anzunehmen, daß dies
       auch fernerhin  der Fall sein und die Katze mehr und mehr als ein
       exzeptionelles, äußerstes  Schreckmittel gelten wird, das man für
       schlimme Fälle  vor dem Feind in Reserve hält. Man hat eben gese-
       hen, daß  der Appell an das Ehrgefühl der Soldaten mehr hilft als
       entehrende Strafen,  und darüber ist in der ganzen englischen Ar-
       mee nur eine Stimme, daß ein gepeitschter Soldat nachher nie mehr
       etwas wert  ist. Trotzdem  wird man  in England  sobald nicht zur
       vollständigen Abschaffung  der Katze kommen. Wir alle wissen, wie
       stark die  Vorurteile für  körperliche Strafen  gewesen sind  und
       teilweise noch  sind, selbst in Armeen, die aus weit besseren so-
       zialen Elementen bestehen als die englische; und bei einer Werbe-
       armee hat  ein solches  äußerstes Schreck-Instrument noch am ehe-
       sten seine  Entschuldigung. Darin aber haben die Engländer sicher
       recht, wenn  einmal Körperstrafe  sein soll,  daß sie sie nur als
       äußerstes Mittel,  dann aber  auch sehr  ernsthaft, anwenden. Die
       ewige Stockprügelei  in gelindem Maßstabe, wie sie in manchen und
       leider auch deutschen Armeen noch vorkommt, und die nur dazu die-
       nen kann, die Furcht vor dieser Strafe abzuschwächen.. 1*)
       Geschrieben Anfang 1864.
       
       Nach der Handschrift.
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       1*) Hier bricht die Handschrift ab

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