Quelle: September 1864 - Juli 1870


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       Karl Marx
       
       Bericht des Generalrats über das Erbrecht [260]
       
       ["Der Vorbote" Nr. 10 vom Oktober 1869]
       1. Das Recht der Erbschaft ist nur insofern von sozialer Wichtig-
       keit, als  es dem Erben die Macht, welche der Verstorbene während
       seiner Lebenszeit ausübte, hinterläßt, nämlich die Macht, vermit-
       telst seines  Eigentums die  Früchte fremder  Arbeit auf  sich zu
       übertragen, denn   d a s   L a n d   gibt dem lebenden Eigentümer
       die Macht,  unter dem Titel von Grundrente die Früchte der Arbeit
       anderer auf  sich zu  übertragen, ohne einen Gleichwert zu geben;
       das  K a p i t a l  gibt ihm die Macht, dasselbe zu tun unter dem
       Titel  von  Zins  und  Profit;  das  Eigentum  in    S t a a t s-
       p a p i e r e n  gibt ihm die Macht, ohne selbst zu arbeiten, von
       den Früchten der Arbeit anderer leben zu können usw.
       Die Erbschaft  erzeugt nicht  diese  Macht  der  Übertragung  der
       Früchte der  Arbeit des  einen in  die Tasche des ändern, sie be-
       zieht sich  nur auf  den Wechsel  der Personen, welche jene Macht
       ausüben.
       Wie jede  andere bürgerliche  Gesetzgebung sind die Erbschaftsge-
       setze nicht  die Ursache,  sondern die  Wirkung, die  juristische
       Folge der bestehenden ökonomischen Organisation der Gesellschaft,
       die auf  das Privateigentum in den Mitteln der Produktion begrün-
       det ist, d.h. Land, Rohmaterial, Maschinen usw.
       Auf dieselbe  Weise war das Recht der Erbschaft auf Sklaven nicht
       die Ursache  der Sklaverei,  sondern im  Gegenteil, die Sklaverei
       war die Ursache der Erbschaft von Sklaven.
       2. Worum es  sich hier  dreht, ist die Ursache und nicht die Wir-
       kung, die ökonomische Grundlage, nicht der juristische Überbau.
       Angenommen, die Produktionsmittel wären umgestaltet vom Privatins
       Gesamteigentum, so  würde das  Recht der Erbschaft (sofern es von
       sozialer Wichtigkeit  ist) von selbst verschwinden, weil ein Mann
       nur das  hinterlassen kann,  was er während seiner Lebenszeit be-
       saß.
       
       #368# Karl Marx
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       Unser großes  Ziel soll deshalb die Aufhebung jener Institutionen
       sein, die einigen Leuten während ihrer Lebenszeit die ökonomische
       Macht verleihen,  die Früchte  der Arbeit  von vielen auf sich zu
       übertragen.
       Wo der  Zustand der Gesellschaft so weit fortgeschritten ist, daß
       die Arbeiterklassen  hinreichend Macht  besitzen, solche Institu-
       tionen zu  beseitigen, müssen  sie es auf direktem Wege tun; denn
       dadurch, daß sie die Staatsschulden beseitigen, werden sie natür-
       lich auch die Erbschaft von Staatspapieren los. Andrerseits, wenn
       sie nicht die Macht besäßen, die Staatsschuld aufzuheben, so wäre
       es töricht zu versuchen, das Recht der Erbschaft auf Staatspapier
       aufzuheben. Das Verschwinden des Erbschaftsrechts wird das natür-
       liche Resultat  eines gesellschaftlichen  Wechsels sein,  der das
       Privateigentum im  Produktionsmittel verdrängt, aber die Abschaf-
       fung des  Erbrechts kann niemals 1*) der Ausgangspunkt einer sol-
       chen Umgestaltung sein.
       3. Es war  einer der  großen Irrtümer, die vor vierzig Jahren von
       Aposteln des Saint-Simon begangen wurden, daß sie das Erbschafts-
       recht nicht  als die  legale Wirkung, sondern als die ökonomische
       Ursache der  sozialen Revolution  2*) behandelten.  [261]  Dieses
       verhinderte sie  ganz und  gar nicht, in ihrem System der Gesell-
       schaft das  Privateigentum in Land und in den ändern Produktions-
       mitteln zu  verewigen. Allerdings  dachten sie, die wählbaren und
       lebenslänglichen Eigentümer  könnten bestehen, wie Wahlkönige be-
       standen haben.  Die Aufhebung  des Erbschaftsrechts  als den Aus-
       gangspunkt der sozialen Revolution zu proklamieren, würde nur die
       Arbeiterklasse von  dem wahren  Punkt der  Aufmerksamkeit für 3*)
       die heutige  Gesellschaft ablenken.  Es  wäre  ein  ebenso  abge-
       schmacktes Ding,  die Gesetze  der Kontrakte  zwischen Käufer und
       Verkäufer aufzuheben, während der heutige Zustand des Austausches
       von Waren  fortbestände; es würde falsch in der Theorie und reak-
       tionär in der Praxis sein.
       4. Indem wir  über die  Erbschaftsgesetze verhandeln,  setzen wir
       notwendigerweise voraus,  daß das Privateigentum in den Produkti-
       onsmitteln fortbesteht.  Existiert es nicht mehr unter den Leben-
       den, so  könnte es  nicht von ihnen und durch sie nach ihrem Tode
       übertragen werden.  Alle Maßregeln  in  betreff  des  Erbschafts-
       rechtes können sich daher nur auf einen Zustand des 4*) Übergangs
       beziehen, wo  auf der  einen Seite  die gegenwärtige  ökonomische
       Grundlage der Gesellschaft noch nicht umgestaltet
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       1*) Im "Vorboten"  irrtümlich: nur - 2*) im englischen Text: heu-
       tigen sozialen Organisation (statt: sozialen Revolution) - 3*) im
       englischen Text:  des Angriffs  gegen (statt:  der Aufmerksamkeit
       für) - 4*) im englischen Text eingefügt: gesellschaftlichen
       
       #369# Bericht des Generalrats über das Erbrecht
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       ist, aber auf der ändern Seite die arbeitenden Massen Kraft genug
       gesammelt haben,  Übergangsmaßregeln durchzusetzen,  die geeignet
       sind, schließlich einen radikalen Wechsel der Gesellschaft zuwege
       zu bringen. Der von diesem Standpunkte betrachtete Wechsel in den
       Erbschaftsgesetzen bildet nur einen Teil von vielen anderen Über-
       gangsmaßregeln, die zu demselben Ziel führen. Diese Übergangsmaß-
       regeln in betreff der Erbschaft können nur sein:
       a) Erweiterung der Erbschaftssteuern, die bereits in vielen Staa-
       ten bestehen,  und in  der Anwendung der dadurch erhaltenen Fonds
       zu dem Zwecke der sozialen Emanzipation.
       b) Beschränkung  des testamentarischen  Erbschaftsrechts, weil es
       im Unterschied  vom untestamentarischen oder Familienerbrecht als
       willkürliche und  abergläubische Übertreibung  der Grundsätze des
       Privateigentums selbst erscheint.
       Geschrieben am 2./3. August 1869.

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