Quelle: März 1872 - Mai 1875


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       Karl Marx
       
       An die streikenden Bergarbeiter im Ruhrtal [136]
       
       ["Der Volksstaat" Nr. 60 vom 27. Juli 1872]
       Die deutsche Kapitalistehpresse verlangt von euch, ihr sollt eure
       Forderungen achtstündiger  Schicht und  25  Prozent  Lohnerhöhung
       fallenlassen und  die Arbeit  wiederaufnehmen,  damit  nicht  die
       deutsche Industrie  gezwungen werde, ihre Kohlen aus England kom-
       men zu  lassen, und  so das deutsche Geld ins Ausland gehe, statt
       deutsche Arbeit zu bezahlen.
       Es ist  dies das  ewige Jammergeschrei  der Bourgeois, sobald die
       Arbeiter sich  auf ihre  eigenen Füße  stellen  und  irgendwelche
       Forderung zu ertrotzen versuchen. In England, wo diese alte Leier
       nun schon  an die  vierzig Jahre gespielt worden ist, achtet kein
       Mensch mehr  darauf. In  dem vorliegenden  Falle aber  ist es der
       Mühe wert  nachzuweisen, daß die Kapitalistenpresse euch absicht-
       lich täuschen will, wenn sie euch erzählt, die Hüttenbesitzer und
       Fabrikanten brauchten  bloß nach  England zu schreiben, um soviel
       Kohlen zu bekommen, wie sie nur wollen.
       In England hat der Kohlenverbrauch seit 1869 in bisher unerhörter
       Weise zugenommen, durch den allgemeinen Aufschwung der englischen
       Industrie, der seitdem eingetreten, die Zunahme der Fabriken, den
       vermehrten Konsum  der Eisenbahnen,  die reißende  Vermehrung der
       See-Dampfschiffahrt -  hauptsächlich jedoch  durch die  kolossale
       Ausdehnung der  Eisenindustrie, die  in den  letzten drei  Jahren
       alle früheren  Perioden der Prosperität weit übertroffen hat. Die
       "Daily News"  [137], ein  liberales Kapitalistenblatt (Nummer vom
       15. 1*) Juli d.J.), sagt hierüber:
       
       "Eine der Hauptursachen der gegenwärtigen Kohlenteuerung ist ohne
       Zweifel der plötzliche und beispiellose Aufschwung der Eisenindu-
       strie. Der  Norden von  England liefert ungefähr den vierten Teil
       aller im Lande gewonnenen Kohlen. Ein großer Teil
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       1*) Im "Volksstaat" irrtümlich: 12.
       
       #106# Karl Marx
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       derselben geht  nach London  und dem Süden und Osten von England;
       sehr viel  wird auch  für Dampfschiffe gebraucht; aber neuerdings
       hat die  Entwicklung der  Eisenhütten in  Cleveland" (ganz in der
       Nähe der  Zechen) "eine plötzliche Lokalnachfrage nach Kohlen ge-
       schaffen. Dies  Wachstum eines  Geschäftszweigs, der  jetzt  wohl
       nicht unter fünf bis sechs Millionen Tons *) jährlich verbraucht,
       gab der  Kohlengewinnung selbstredend eine gewaltige Hebung. Dazu
       kam der  rasche Aufschwung im Hämatiteisenerz-Bezirk an der West-
       küste. Die  Hochöfen von Cumberland und Lancashire beziehen ihren
       Brennstoff fast  ausschließlich aus  dem Kohlenbecken  von Durham
       und brauchen,  nach mäßiger  Schätzung, anderthalb Millionen Tons
       im Jahr.  Die im  Bau begriffenen  neuen Hochöfen, in Nordengland
       allein, werden  jährlich drei  Viertel Million  Tons nötig haben.
       Dazu kommen neue Walzwerke und neue Hochöfen an der Westküste. Es
       ist daher  nicht befremdlich,  daß die  Brennstoffrage im  ganzen
       Norden von  England bald  eine Lebensfrage wurde, und es verstand
       sich, daß  die Kohlenpreise  rasch stiegen. In Süd-Staffordshire,
       Schottland, Süd-Wales, Derbyshire, West-Yorkshire und anderen Ge-
       genden brachten  dieselben Ursachen  steigende  Kohlenpreise  zu-
       wege."
       
       Unter diesen Umständen machten es die englischen Bergarbeiter wie
       ihr: Sie  verlangten höheren  Lohn und  kürzere Arbeitszeit.  Die
       englischen Bergwerksbesitzer,  wie immer  ihren deutschen Konkur-
       renten an Einsicht und Welterfahrung weit überlegen, widersetzten
       sich nicht ernstlich, sondern bewilligten alle Forderungen. Hört,
       was die "Daily News" weitererzählt:
       
       "Von Zeit zu Zeit wurde der Lohn erhöht ... Die Bergarbeiter ver-
       langten ferner  eine systematische Verkürzung der Arbeitszeit. Es
       wird nun von Fachleuten behauptet, daß ein Arbeiter jetzt nur 3/5
       von dem  Kohlenquantum gewinnt, das er früher bei flauem Geschäft
       und niedrigerem  Lohn gewann.  Dafür könnte man mehr Arbeiter an-
       stellen; aber  diese sind  eben nicht im Augenblick zu haben. Al-
       lerdings hat  man manche  aus den Ackerbaubezirken kommen lassen;
       aber Häuer  haben eine lange Lehrzeit nötig, und die Abhülfe kann
       hier also  nur langsam  und allmählich  eintreten. Augenblicklich
       haben die  Arbeiter in  einigen  Gegenden  die  Beschränkung  der
       Arbeitszeit auf  acht Standen täglich durchgesetzt, während über-
       all Lohnerhöhungen  so rasch  aufeinanderfolgen, daß  kein Ausweg
       übrig scheint als höhere Kohlenpreise."
       
       Dazu kommt  noch ein  anderer Umstand.  Die obersten  Kohlenflöze
       sind in  fast ganz England erschöpft, und es muß immer tiefer ge-
       baut werden. Hört wieder den Artikel der "Daily News":
       
       "Die besten Lagen dieser wertvollen Kohlenflöze in Süd-Staffords-
       hire sind  ihres Inhalts beraubt. In vielen Gegenden dieses einst
       kohlenreichen Strichs  sind die  Zechen erschöpft, und die Halden
       werden immer  mehr wieder in Acker- und Weideland verwandelt, ob-
       wohl noch  Tausende von  Morgen" (Halden) "öde liegen. Indes sind
       die
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       *) Das englische  Ton ist  fast genau  gleich 2000 Zollpfund oder
       1000 Kilogramm.
       
       #107# An die streikenden Bergarbeiter im Ruhrtal
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       Hülfsquellen des  Bezirks noch  nicht erschöpft. Tiefere Schächte
       rings um  das alte  Kohlengebiet werden angelegt ... Aber wie die
       Dinge liegen,  wird es, selbst mit den neuesten Hülfsmitteln, im-
       mer kostspieliger,  die Kohlen zu heben, wozu noch kommt, daß die
       Zechen weiter  von den Hüttenwerken abliegen ... Was wir von Süd-
       Staffordshire gesagt haben, gilt von vielen anderen Gegenden. Die
       Kohlen müssen aus größerer Tiefe geholt und auf weiten Entfernun-
       gen bis zu ihrem Bestimmungsort transportiert werden."
       
       Die Folge  davon ist,  daß die  Kohlenpreise sich, für Abnahme an
       der Zeche,  wie "Daily  News" sagt,  "verdoppelt haben",  und daß
       eine wahre  Kohlennot eingetreten ist, die die Aufmerksamkeit des
       ganzen Landes  in Anspruch nimmt. Ein anderes Blatt, das ökonomi-
       sche Hauptblatt  der  englischen  Kapitalisten,  der  "Economist"
       [138] vom 13. 1*) Juli, sagt:
       
       "Seit Anfang  dieses Jahres sind die Kohlen unaufhörlich im Preis
       gestiegen, bis  sie jetzt zwischen 60 und 100 Prozent teurer sind
       als vor  einem Jahr...  Ehe noch  ein oder  zwei Wochen vergehen,
       kann der  Aufschlag weit  mehr als 100 Prozent betragen, ohne daß
       irgendein ernstliches  Zeichen da wäre, daß er nicht noch weiter-
       gehen werde.  Die Kohlenausfuhr  im Juni  d.J. war 1 108 000 Tons
       oder 4  Prozent mehr  als im Juni v.J., aber ihr Wert war 758 000
       Pfd. Sterling oder 53 Prozent mehr. Dies Jahr war der Wert der im
       Juni ausgeführten  Kohlen durchschnittlich  13 Schilling 9 Pence"
       (oder 4  Taler 17 1/2  Gr.) "pro  Ton; voriges Jahr 9 Schilling 4
       Pence" (oder 3 Tlr. 3 1/2 Gr.).
       
       Der "Spectator"  [139], ein drittes Kapitalistenblatt (20. Juli),
       führt ebenfalls  an, daß  in London gute Hauskohlen von 23 Schil-
       ling oder  7 Tlr. 20 Gr. auf 35 Schilling oder 11 Tlr. 20 Gr. ge-
       stiegen sind.
       Aus diesen  Tatsachen könnt  ihr ersehen, was es auf sich hat mit
       den Drohungen der Hüttenbesitzer und Fabrikanten, ihre Kohlen aus
       England zu beziehen. Herr Alfred Krupp mag soviel Ukase erlassen,
       wie er will, die englischen Kohlen wird er teurer bezahlen müssen
       als Ruhrkohlen,  und es  ist sehr  die Frage, ob er sie überhaupt
       bekommt.
       In meiner Stellung als Sekretär des Generalrats der Internationa-
       len Arbeiter-Assoziation  für Deutschland  habe ich  es für meine
       Schuldigkeit gehalten, diese Tatsachen zu eurer Kenntnis au brin-
       gen.
       Karl Marx
       London, 2I.Juli 1872  2*)
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       1*) Im "Volksstaat" irrtümlich: 20. - 2*) im "Volksstaat" irrtüm-
       lich: 1871

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