Quelle: März 1872 - Mai 1875
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KARL MARX
FRIEDRICH ENGELS
Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiterassoziation
Im Auftrage des Haager Kongresses verfaßter Bericht über das
Treiben Bakunins und der Allianz der sozialistischen Demokratie
[276]
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Geschrieben April bis Juli 1873.
Erstmalig veröffentlicht als Broschüre unter dem Titel
"L'Alliance de la Démocratie Socialiste et l'Association Interna-
tionale des Travailleurs", Londres, Hambourg 1873.
Deutsch erschien die Broschüre unter dem Titel "Ein Complot gegen
die Internationale Arbeiter-Association. Im Auftrage des Haager
Congresses verfaßter Bericht über das Treiben Bakunin's und der
Allianz der socialistischen Demokratie."
Deutsche Ausgabe von "L'alliance de la démocratie socialiste et
l'association internationale des travailleurs." Uebersetzt von S.
Kokosky. Braunschweig 1874.
Ferner wurde dieser Bericht in der New-Yorker "Arbeiter-Zeitung"
veröffentlicht.
Dem vorliegenden Text liegt die Braunschweiger Ausgabe zugrunde.
Engels, der die Übersetzung von S. Kokosky durchsah und sie als
"herzlich schlecht" bezeichnete, verbesserte sie, soweit es ihm
die vom Verlag gestellte Frist erlaubte.
Die vorliegende Ausgabe ist mit der französischen Ausgabe vergli-
chen worden, wobei einige Textstellen stillschweigend der präzi-
seren französischen Fassung angepaßt worden sind. Sachliche Ab-
weichungen sind in Fußnoten kenntlich gemacht.
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Titelblatt der Broschüre "Ein Complot gegen die Internationale
Arbeiter-Association"
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I
Einleitung
Indem die Internationale Arbeiter-Assoziation es unternahm, die
zerstreuten Kräfte des gesamten Proletariats in einem Bunde
zusammenzufassen und so der lebendige Repräsentant der Interes-
sengemeinschaft, welche die Arbeiter vereinigt, zu werden, mußte
sie notwendig den Sozialisten jeder Schattierung den Eintritt of-
fenhalten. Ihre Gründer und die Vertreter der Arbeiterorganisa-
tion 1*) beider Welten, die auf den internationalen Kongressen
die Allgemeinen Statuten der Assoziation sanktionierten, ver-
gaßen, daß gerade die Weite ihres Programms selbst den Deklas-
sierten *) erlauben würde, sich einzuschleichen und im Schöße der
Assoziation geheime Organisationen zu bilden, deren Tätigkeit
sich nicht gegen die Bourgeoisie und die bestehenden Regierungen,
sondern gegen die Internationale selbst richten würde. Dieses war
der Fall mit der Allianz der sozialistischen Demokratie.
Auf dem Haager Kongreß beantragte der Generalrat eine Untersu-
chung über diese geheime Organisation. Der Kongreß beauftragte
mit derselben eine Kommission von fünf Mitgliedern, den Bürgern
Cuno, Lucain, Splingard, Vichard und Walter (ausgeschieden), wel-
che in der Sitzung vom 7. September ihren Bericht erstattete. Der
Kongreß beschloß:
1. Michail Bakunin als Gründer der Allianz und wegen einer per-
sönlichen Tatsache [181] aus der Internationale auszuschließen
2*);
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*) Deklassierte, déclassés, heißen im Französischen diejenigen
aus den besitzenden Klassen hervorgegangenen Leute, die von ihrer
Klasse ausgestoßen oder aus ihr ausgetreten sind, ohne darum Pro-
letarier zu werden; z.B. Industrieritter, Pickelhäringe, gewerbs-
mäßige Spieler, die meisten Literaten und Politiker von Profes-
sion usw. Auch das Proletariat hat seine Deklassierten; sie bil-
den das Lumpenproletariat.
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1*) In der französischen Ausgabe: Arbeiterorganisationen -
2*) siehe vorl. Band, S. 155
#332# Karl Marx/Friedrich Engels
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2. James Guillaume als Mitglied der Allianz auszuschließen 1*);
3. die auf die Allianz bezüglichen Dokumente zu veröffentlichen
2*).
Infolge der Zerstreuung ihrer Mitglieder in verschiedenen Ländern
sah sich die erwähnte Untersuchungskommission völlig außerstande,
die Dokumente, welche ihrem Berichte zugrunde gelegen, zu veröf-
fentlichen, und hat daher Bürger Vichard, das einzige in London
wohnende Kommissionsmitglied, dieselben der Protokollkommission
[185] zugestellt, welche sie jetzt unter eigner Verantwortlich-
keit in dem nachfolgenden Bericht veröffentlicht.
Die auf die Allianz bezüglichen Akten waren so umfangreich, daß
die Kommission in ihren Sitzungen während des Kongresses nur Zeit
hatte, von den für einen praktischen Schluß wichtigsten Dokumen-
ten Kenntnis zu nehmen; so z.B. sind ihr die meisten russischen
Aktenstücke nicht unterbreitet worden. Der seitens der Kommission
dem Kongresse erstattete Bericht genügt daher heute nicht mehr,
da er nur einen Teil der fraglichen Angelegenheit umfaßt. Um dem
Leser nun den Sinn und die Bedeutung dieser Dokumente verständ-
lich zu machen, sind wir genötigt, als Geschichtsschreiber der
Allianz aufzutreten.
Die Aktenstücke, welche wir veröffentlichen, gehören mehreren
Kategorien an. Ein Teil derselben ist bereits in einzelnen Stüc-
ken, und zwar meistens in französischer Sprache, veröffentlicht;
man muß sie jedoch, um den Geist der Allianz deutlich zu erken-
nen, mit den anderen zusammenbringen, denn diesen gegenüberge-
stellt erscheinen sie in einem neuen Lichte. Zu diesem Teile ge-
hört das Programm der öffentlichen Allianz. Andere Aktenstücke
gehören der Internationalen an, wieder andere dem spanischen
Zweige der geheimen Allianz, deren Existenz im Frühjahr 1871
durch Mitglieder der Allianz öffentlich aufgedeckt wurde. Wer die
spanische Bewegung dieser Epoche aufmerksam verfolgt hat, wird in
ihnen nur genauere Angaben über Tatsachen finden, welche bereits
mehr oder weniger der Öffentlichkeit angehören. Die Bedeutung
dieser Dokumente beruht nicht darauf, daß sie zum ersten Male
veröffentlicht werden, sondern darauf, daß sie zum ersten Male in
einer Art zusammengestellt sind, welche die gemeinsame geheime
Tätigkeit, von der sie ausfließen, enthüllt; vor allem aber wer-
den sie wichtig, wenn wir sie mit den beiden folgenden Kategorien
vergleichen. Die erste derselben besteht aus Dokumenten in russi-
scher Sprache, welche das wahre Programm und die Art der Tätig-
keit der Allianz aufdecken. Diese Dokumente waren bisher unter
dem Schutze der Sprache, in
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1*) Vgl. vorl. Band, S. 155 - 2*) vgl. vorl. Band, S. 156
#333# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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welcher sie geschrieben sind, im Westen unbekannt geblieben, und
dieser Umstand hatte ihren Verfassern gestattet, ihrer Phantasie
und ihrer Redeweise freien Lauf zu lassen. Die getreue Überset-
zung, welche wir von ihnen geben, wird dem Leser Gelegenheit ge-
ben, den intellektuellen, moralischen, politischen und ökonomi-
schen Wert der Häupter der Allianz zu bemessen.
Die letzte Kategorie besteht aus nur einem Stücke: den geheimen
Statuten der Allianz; es ist das einzige Dokument von einiger
Ausdehnung, welches zum ersten Male in diesem Bericht veröffent-
licht wird. Man wird sich vielleicht fragen, ob es Revolutionären
erlaubt sei, die Statuten einer geheimen Gesellschaft, einer an-
geblichen Verschwörung, zu veröffentlichen. Nun, diese geheimen
Statuten sind ausdrücklich unter den Dokumenten angegeben, deren
Veröffentlichung auf dem Haager Kongreß von der Allianzkommission
verlangt wurde, und kein Delegierter, selbst nicht das die Mino-
rität der Kommission bildende Mitglied, hat dagegen gestimmt.
Diese Veröffentlichung ist also ausdrücklich verordnet vom Kon-
greß, dessen Anweisungen wir auszuführen haben; was aber die Sa-
che selbst betrifft, so ist folgendes zu sagen:
Wir haben es hier mit einer Gesellschaft zu tun, welche unter der
Maske des extremsten Anarchismus ihre Angriffe nicht gegen die
bestehenden Regierungen richtet, sondern gegen die Revolutionäre,
welche sich nicht ihrer Orthodoxie und ihrer Leitung unterwerfen.
Von der Minderheit eines Bourgeois-Kongresses gegründet,
schleicht sie sich in die Reihen der internationalen Organisation
der Arbeiterklasse ein, versucht zuerst, sich ihrer Leitung zu
bemächtigen; und arbeitet auf ihre Desorganisation hin, sobald
sie diesen Plan scheitern sieht. In schamlosester Weise sucht sie
ihr sektiererisches Programm und ihre beschränkten Ideen dem um-
fassenden Programm, den großen Anstrebungen unserer Assoziation
unterzuschieben; sie organisiert in den öffentlichen Sektionen
der Internationalen ihre geheimen Sektiönchen, welche, derselben
Parole gehorchend, durch vorher abgekartetes gemeinsames Vorgehen
in vielen Fällen zur Herrschaft über jene gelangen; sie greift
öffentlich in ihren Blättern alle Elemente an, welche sich wei-
gern, sich ihrer Herrschaft zu fügen; sie provoziert den offenen
Krieg - das sind ihre eignen Worte - in unseren Reihen. Um zu ih-
rem Zweck zu gelangen, weicht sie vor keinem Mittel, vor keiner
Unredlichkeit zurück; Lüge, Verleumdung, Einschüchterung, Gewalt-
tat aus feigem Hinterhalt sind ihr in gleicher Weise recht. End-
lich, in Rußland, setzt sie sich ganz an die Stelle der Interna-
tionalen und begeht unter ihrem Namen gemeine Verbrechen, Gau-
nereien und einen Mord, für den die Regierungs-
#334# Karl Marx/Friedrich Engels
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und Bourgeois-Presse unsre Assoziation verantwortlich gemacht
hat. Und die Internationale soll zu all diesen Tatsachen schwei-
gen, weil die Gesellschaft, welche die Schuld an ihnen trägt,
eine geheime ist! Die Internationale hat in ihrer Hand die Statu-
ten dieser Gesellschaft, ihrer Todfeindin, Statuten, in denen sie
sich offen als neue Gesellschaft Jesu erklärt und es ausspricht,
daß es ihr Recht und ihre Pflicht sei, alle jesuitischen Mittel
zu benutzen; diese Statuten machen sofort alle jene Feindselig-
keiten verständlich, denen die Internationale von jener Seite
ausgesetzt war; und sie sollte sich dieser Statuten nicht bedie-
nen, weil das hieße, eine geheime Gesellschaft denunzieren!
Gegen alle diese Intrigen gibt es nur ein einziges Mittel, aber
es ist von niederschmetternder Wirkung: die vollständigste Öf-
fentlichkeit. Diese Schleichwege in ihrem Zusammenhang aufdecken,
heißt sie unwirksam machen. Ihnen den Schutz unsers Schweigens zu
gewähren, das wäre nicht nur eine Naivetät, über welche die Häup-
ter der Allianz erst recht spotten würden, das wäre eine Feig-
heit. Noch mehr, es wäre ein Akt des Verrats gegen diejenigen
spanischen Internationalen, welche, als Mitglieder der geheimen
Allianz, keinen Anstand nahmen, deren Existenz und Verfahrungs-
weise zur Kenntnis zu bringen, sobald diese sich in offene Feind-
schaft gegen die Internationale setzte. Übrigens befindet sich
alles das, was die geheimen Statuten enthalten, und sogar in noch
schärfer ausgeprägter Form, in den in russischer Sprache von Ba-
kunin und Netschajew selbst veröffentlichten Dokumenten. Die Sta-
tuten bekräftigen nur deren Inhalt.
Mögen die Führer der Allianz also über Denunziation schreien. Wir
denunzieren sie der Verachtung der Arbeiter und dem Wohlwollen
der Regierungen, denen sie so gute Dienste geleistet haben, indem
sie die proletarische Bewegung desorganisierten. Die Züricher
"Tagwacht" hatte wohl recht, wenn sie in einem Antwortschreiben
an Bakunin sagt:
"Wenn Sie kein besoldeter Agent sind, so steht es doch fest, daß
ein besoldeter Agent nicht mehr Schaden hätte anrichten können
als Sie." [277]
#335#
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II
Die geheime Allianz
Die Allianz der sozialistischen Demokratie ist durchaus von Bour-
geois-Herkunft. Sie ist nicht von der Internationalen ausgegan-
gen; sie ist ein Sprößling der Friedens- und Freiheitsliga [19],
einer totgeborenen Gesellschaft von Bourgeois-Republikanern. Die
Internationale war schon fest begründet, als Michail Bakunin sich
in den Kopf setzte, eine Rolle als Emanzipator des Proletariats
zu spielen. Sie konnte ihm nur das allen Mitgliedern gemeinsame
Feld der Tätigkeit bieten. Um in ihr etwas zu gelten, hätte er
sich zuerst durch beständige und aufopfernde Arbeit die Sporen
verdienen müssen; er glaubte bessere Aussichten und einen leich-
teren Weg auf Seiten der Bourgeois der Liga zu finden.
Er ließ sich also im September 1867 zum Mitgliede des permanenten
Komitees der Friedensliga wählen und nahm seine Rolle ernst; man
kann sogar sagen, daß er und Barni, heute Deputierter in Versail-
les, die Seele dieses Komitees waren. Sich als Theoretiker der
Liga aufspielend, sollte Bakunin unter ihren Auspizien ein Werk:
"Der Föderalismus, der Sozialismus und der Antitheologismus" *)
veröffentlichen. Indessen überzeugte er sich bald, daß die Liga
eine unbedeutende Gesellschaft blieb und daß die Liberalen, aus
denen sie bestand, in ihren Kongressen nur ein Mittel sahen, eine
Vergnügungsreise mit großsprecherischen Reden zu verbinden, wäh-
rend im Gegenteil die Internationale von Tag zu Tag wuchs. Da
dachte er daran, die Liga auf die Internationale zu propfen. Um
diesen Plan auszuführen, Heß sich Bakunin auf Elpidins Vorschlag
im Juli 1868 in die Genfer Zentralsektion 1*) aufnehmen. Auf der
anderen Seite bewirkte er, daß das Komitee der Liga einen Antrag
annahm, dem internationalen Kongreß zu
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*) Diese Bibel der Ismen wurde beim dritten Blatt aus Mangel an
Manuskript abgebrochen. [278]
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1*) der Internationale
#336# Karl Marx/Friedrich Engels
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Brüssel 1*) ein Offensiv- und Defensivbündnis beider Gesellschaf-
ten vorzuschlagen; und um die Billigung des Kongresses für dies
lebhafte Vorgehen zu erlangen, verfaßte er ein vertrauliches Zir-
kular [279] und ließ es durch das Komitee an die "Herren" der
Liga versenden. Er gesteht daselbst offen ein, daß die Liga, bis-
her eine ohnmächtige Posse, nur dadurch Bedeutung gewinnen könne,
daß sie der Allianz der Unterdrücker
"die Allianz der Völker, die Allianz der Arbeiter entgegen-
stelle... wir können nur dann etwas werden, wenn wir die aufrich-
tigen und ernsten Vertreter der Millionen der Arbeiter werden".
Es sollte die providentielle Sendung der heiligen Liga sein, die
Arbeiterklasse mit einem selbsternannten Bourgeois-Parlament zu
beglücken, dem diese die Sorge um ihre politische Leitung über-
lassen sollte.
"Um eine heilsame und wirkliche Macht zu werden", heißt es am
Schlüsse des Zirkulars, "muß unsere Liga der reine politische
Ausdruck der großen ökonomischen und sozialen Interessen und
Prinzipien werden, welche heute durch die große Internationale
Assoziation der Arbeiter von Europa und Amerika triumphierend
entwickelt und verbreitet werden."
Der Kongreß zu Brüssel wagte es, den Vorschlag der Liga zu ver-
werfen. Groß war die Enttäuschung und der Zorn Bakunins. Auf der
einen Seite entzog sich die Internationale seiner Protektion. Auf
der anderen Seite kanzelte ihn der Präsident der Liga, Professor
Gustav Vogt, derb ab.
"Entweder", schrieb er an Bakunin, "warst Du des Erfolgs unserer
Einladung nicht sicher, dann hast Du unsere Liga kompromittiert;
oder Du wußtest, welche Überraschung Deine Freunde von der Inter-
nationale für uns bereithielten, dann hast Du uns auf eine unwür-
dige Art getäuscht. Ich frage Dich, was wir unserem Kongreß sagen
sollen?"
Bakunin antwortete ihm in einem Briefe, der jedem, der ihn hören
wollte, vorgelesen wurde:
"Ich konnte nicht voraussehen", sagte er, "daß der Kongreß der
Internationalen uns mit einer ebenso plumpen als anmaßenden Be-
leidigung antworten würde; wir danken dieses den Intrigen einer
gewissen Koterie von Deutschen, welche die Russen verabscheut"
(er erklärte seinen Zuhörern ausdrücklich, daß dieses die Marx-
sche Koterie wäre). "Du fragst mich, was wir tun sollen? Ich
nehme die Ehre in Anspruch, auf diesen groben Schimpf im Namen
des Komitees auf der Tribüne unseres Kongresses die Antwort zu
geben."
Statt Wort zu halten, wendete Bakunin seinen Rock. Er legte dem
Kongreß der Ligisten zu Bern ein Programm eines Phantasie-Sozia-
lismus vor,
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1*) dritter allgemeiner Kongress der IAA 1868
#337# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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worin er die Gleichmachung der Klassen und Individuen verlangte,
um so die Damen der Liga zu übertrumpfen, welche nur die Gleich-
machung der Geschlechter verlangen. Von neuem geschlagen, zog er
sich mit einer winzigen Minorität vom Kongreß zurück und begab
sich nach Genf. *)
Die von Bakunin geträumte Allianz zwischen Bourgeois und Arbei-
tern sollte sich nicht auf eine öffentliche Allianz beschränken.
Die geheimen Statuten der Allianz der sozialistischen Demokratie
(siehe: Beweisstücke Nr. I 1*)) enthalten Anzeichen, daß Bakunin
im Schöße der Liga selbst den Grund zu einer geheimen Gesell-
schaft gelegt, der die Herrschaft über jene zufallen sollte.
Nicht nur sind die Namen der leitenden Gruppen identisch mit
denen der Liga (permanentes Zentralkomitee, Zentralbüro,
Nationalkomitees), sondern es wird auch in den geheimen Statuten
erklärt, daß die "Gründungsmitglieder der Allianz zum größten
Teil ehemalige Mitglieder des Kongresses zu Bern" 2*) seien. Um
sich als Haupt der Internationalen zur Geltung zu bringen, mußte
er als Haupt einer anderen Armee dastehen, deren absolute Erge-
benheit gegen seine Person ihm durch eine geheime Organisation
gesichert war. Hatte er seine Gesellschaft einmal offen in die
Internationale eingepflanzt, dann rechnete er darauf, jene in
alle Sektionen zu verzweigen und sich hierdurch deren absolute
Leitung zu verschaffen. Zu diesem Zwecke gründete er in Genf die
(öffentliche) Allianz der sozialistischen Demokratie. Äußerlich
war es nur eine öffentliche Gesellschaft, die freilich, obwohl
ganz in der Internationalen aufgegangen, eine besondere interna-
tionale Organisation, ein Zentralkomitee, Nationalbüros, und von
unserer Assoziation unabhängige Sektionen haben sollte; neben un-
serem jährlichen Kongreß sollte die Allianz öffentlich den ihri-
gen abhalten. Aber diese öffentliche Allianz barg in sich eine
andere, die ihrerseits durch die noch geheimere Allianz der in-
ternationalen Brüder, der Hundert-Garden des Diktators Bakunin,
geleitet wurde.
Die geheimen Statuten der "Organisation der Allianz der
internationalen Brüder" zeigen, daß es in dieser Allianz "drei
Grade" gibt: "I. Die internationalen Brüder; II. Die nationalen
Brüder; III. Die halbgeheime und halböffentliche Organisation der
Internationalen Allianz den sozialistischen Demokratie." 3*)
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*) Unter den Sezessionisten finden wir die Namen Albert Richard
aus Lyon, gegenwärtig bonapartistischer Polizeiagent, Gambuzzi,
Advokat zu Neapel (siehe das Kapitel über Italien), Shukowski,
später Sekretär der öffentlichen Allianz, und einen gewissen
Büttner, Klempner zu Genf, der gegenwärtig zur ultra-reaktionären
Partei gehört.
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1*) Siehe vorl. Band, S. 458 - 2*) ebenda, S. 459 - 3*) ebenda,
S. 455/456
#338# Karl Marx/Friedrich Engels
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I. Die internationalen Brüder, deren Zahl sich auf "hundert"
beschränkt, bilden das heilige Kollegium. Sie stehen unter einem
Zentralkomitee und unter Nationalkomitees, welche als Vollzie-
hungsbüros und als Überwachungskomitees organisiert sind. Diese
Komitees selbst sind vor der "Konstituante" oder der Generalver-
sammlung von mindestens zwei Dritteln der internationalen Brüder
verantwortlich. Diese Allianz-Brüder
"haben kein anderes Vaterland als die allgemeine Revolution, kein
anderes Ausland und keinen anderen Feind als die Reaktion. Sie
verwerfen jede Versöhnungs- und Kompromißpolitik und halten jede
politische Bewegung für reaktionär, die nicht den Triumph ihrer
Prinzipien zum unmittelbaren und direkten Zweck hat."
Da aber dieser Artikel die politische Tätigkeit der "Hundert" auf
den jüngsten Tag hinausschiebt, und da diese Unversöhnlichen
nicht vorhaben, auf die Vorteile öffentlicher Ämter zu verzich-
ten, so sagt der Artikel 8:
"Kein Bruder wird irgendeinen öffentlichen Dienst anders als mit
Zustimmung des Komitees, zu dem er gehört, übernehmen."
Wenn wir auf Spanien und Italien zu sprechen kommen, werden wir
sehen, wie sehr die Häupter der Allianz sich beeifert haben, die-
sen Artikel praktisch auszuführen. Die internationalen Brüder
"sind Brüder... jeder von ihnen muß allen anderen heilig sein,
mehr als ein Bruder von Geburt; jeder Bruder hat auf die Hülfe
und den Beistand aller anderen bis auf die Auslöschung der Mög-
lichkeit zu rechnen."
Die Affäre Netschajew wird uns enthüllen, was diese geheimnis-
volle Auslöschung der Möglichkeit bedeutet.
"Alle internationalen Brüder kennen einander. Kein politisches
Geheimnis darf je unter ihnen existieren. Keiner kann irgendeiner
geheimen Gesellschaft angehören ohne positive Zustimmung seines
Komitees oder im Notfall, wenn dieses es verlangt, ohne die des
Zentralkomitees, und er kann ihr nur unter der Bedingung angehö-
ren, daß er ihnen alle Geheimnisse aufdeckt, welche sie direkt
oder indirekt interessieren könnten."
Die Piétris und Stieber verwenden nur untergeordnete und verlo-
rene Leute als Spione, die Allianz aber, indem sie ihre falschen
Brüder in die geheimen Gesellschaften schickt, um deren Geheim-
nisse zu verraten, überträgt die Rolle des Spions denselben 1*)
Männern, welche nach ihrem Plan die Leitung der "allgemeinen Re-
volution" übernehmen sollen. - Im übrigen setzt dieser revolutio-
näre Pickelhäring dem Gemeinen noch die Krone des Possenhaften
auf:
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1*) In der französischen Ausgabe: gerade den
#339# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunuin
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"Internationaler Bruder kann nur werden, wer offen das ganze Pro-
gramm in allen seinen theoretischen und praktischen Konsequenzen
angenommen hat und mit der Intelligenz, Energie, Ehrenhaftigkeit
(!) und Zuverlässigkeit die revolutionäre Leidenschaft verbindet
- den Teufel im Leibe hat."
II. Die nationalen Brüder werden nach demselben Plan von den
internationalen Brüdern in jedem Lande als nationale Assoziation
organisiert, doch dürfen sie in keinem Falle auch nur die Exi-
stenz einer internationalen Organisation ahnen.
III. Die geheime Internationale Allianz der sozialistischen Demo-
kratie, deren Mitglieder sich so ziemlich 1*) überall rekrutie-
ren, besitzt ein gesetzgebendes Organ in dem permanenten Zentral-
komitee, welches, so oft es zusammentritt, sich in die "Geheime
Generalversammlung der Allianz" umtauft. Diese Versammlung findet
einmal jährlich auf dem Kongreß der Internationalen statt, oder
außerordentlich auf Einberufung durch das Zentralbüro oder viel-
mehr durch die Genfer Zentralsektion.
Die Genfer Zentralsektion ist "die permanente Delegation des
permanenten Zentralkomitees" und "der vollziehende Rat der Alli-
anz". Sie zerfällt wiederum in zwei Unterabteilungen: Zentralbüro
und Überwachungskomitee. Das Zentralbüro, aus 3 bis 7 Mitgliedern
bestehend, ist die eigentliche Exekutivgewalt der Allianz:
"Es erhält von der Genfer Zentralsektion seine Winke und hat sei-
nerseits seine geheimen Mitteilungen, um nicht zu sagen seine Be-
fehle, an alle Nationalkomitees zu richten, von denen es wenig-
stens einmal monatlich geheime Berichte zu empfangen hat."
Dieses Zentralkomitee hat das Mittel entdeckt, zugleich Fisch und
Fleisch, geheim und öffentlich zu sein, denn als Teil
"der geheimen Zentralsektion ist das Zentralbüro eine geheime Or-
ganisation; ... als öffentliches Direktorium der öffentlichen Al-
lianz ist es eine öffentliche Organisation".
Man sieht also, daß Bakunin bereits die ganze geheime und öffent-
liche Direktion seiner "teuern Allianz" organisiert hatte, bevor
diese selbst existierte, und daß die bei irgendeiner Wahl betei-
ligten Mitglieder nur die Marionetten eines von ihm gelenkten
Puppenspiels waren. Übrigens geniert er sich auch nicht, es zu
sagen, wie' wir gleich sehen werden. Die Genfer Zentralsektion,
deren Aufgabe es sein sollte, dem Zentralbüro seine Winke zu ge-
ben, ist selbst nur eine Komödie, denn ihre Majoritätsbeschlüsse
2*) sind für das Büro nur obligatorisch, wenn dieses nicht
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1*) In der französischen Ausgabe fehlt: so ziemlich - 2*) in der
französischen Ausgabe: Beschlüsse, wenn sie auch mit einer Majo-
rität angenommen sein mochten (statt: Majoritätsbeschlüsse)
#340# Karl Marx/Friedrich Engels
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"in der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt, dagegen an die Ge-
neralversammlung zu appellieren, die es dann innerhalb drei Wo-
chen einzuberufen hat. Eine so einberufene Generalversammlung be-
darf, um beschlußfähig zu sein, der Anwesenheit von zwei Dritteln
aller ihrer Mitglieder."
Man siebt, das Zentralbüro hatte sich mit allen konstitutionellen
Garantien zur Sicherung seiner Unabhängigkeit umgeben.
Man könnte die Naivetät haben zu glauben, daß dieses autonome
Zentralbüro wenigstens frei gewählt wäre von der Genfer Zentral-
sektion. Durchaus nicht; das provisorische Zentralbüro ist
"der Genfer Gründungsgruppe präsentiert worden als provisorisch
gewählt von allen Gründungsmitgliedern der Allianz, die, zum
größten Teil ehemalige Mitglieder des Kongresses zu Bern, heim-
gereist sind" (mit Ausnahme Bakunins), "nachdem sie ihre Voll-
macht an den Bürger Bakunin übertragen".
Die Gründungsmitglieder der Allianz sind also niemand anders als
die paar sezessionistischen Bourgeois der Friedensliga.
Also: das permanente Zentralkomitee, welches sich die konstituie-
rende und gesetzgebende Gewalt über die ganze Allianz angemaßt,
hatte sich selbst ernannt. Die permanente Exekutiv-Delegation
dieses permanenten Zentralkomitees, die Genfer Zentralsektion,
hatte sich selbst ernannt, statt von diesem Komitee ernannt zu
sein. Das vollziehende Zentralbüro dieser Genfer Zentralsektion,
statt von dieser gewählt zu sein, war ihr durch eine Gruppe von
Individuen aufgedrängt, welche sämtlich "ihre Vollmachten an den
Bürger Bakunin übertragen" hatten.
Also der "Bürger B." ist der Angelpunkt der Allianz. Und um seine
Funktion als solcher zu behaupten, sagen die geheimen Statuten
der Allianz buchstäblich:
"Ihre sichtbare Regierungsform wird die einer Präsidentschaft in
einer Föderativ-Republik sein" -
eine Präsidentschaft, für welche der Präsident schon im voraus
existierte, der permanente "Bürger B.".
Da die Allianz eine internationale Gesellschaft ist, so besteht
in jedem Lande ein Nationalkomitee, das
"von allen zu derselben Nation gehörigen Mitgliedern des perma-
nenten Zentralkomitees"
gebildet wird.
Zur Konstituierung eines Nationalkomitees sind nur drei Mitglie-
der erforderlich. Um die Regelmäßigkeit des bürokratischen In-
stanzenzugs zu sichern, sollen
#341# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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"die Nationalkomitees als die einzigen Mittelsorgane zwischen dem
Zentralbüro und allen Lokalgruppen ihres Landes"
dienen. Die Nationalkomitees haben
"für die Organisation der Allianz in ihrem Lande zu sorgen, doch
in der Art, daß diese immer durch Mitglieder des permanenten Zen-
tralkomitees beherrscht und auf den Kongressen vertreten werden".
Das nennt man in der Allianzsprache: von unten herauf organisie-
ren. Diese Lokalgruppen haben nur das Recht, ihre Programme und
Reglements an die Nationalkomitees zu bringen, damit sie
"der Bestätigung des Zentralbüros unterbreitet werden; ohne diese
Bestätigung können die Lokalgruppen keinen Teil der Allianz bil-
den".
War diese despotische und hierarchische geheime Organisation ein-
mal auf die Internationale gepfropft, dann brauchte man, um sie
vollständig zu machen, nur noch diese letztere zu desorganisie-
ren. Zu diesem Zwecke genügte es, deren Sektionen zu anarchisie-
ren und zu autonomisieren, und ihre Zentralorgane in einfache
Briefkästen, "Korrespondenz- und statistische Büros" umzuwandeln,
wie dies wirklich später versucht wurde.
Die revolutionäre Vergangenheit des permanenten "Bürgers B." war
nicht ruhmreich genug, ihm die Hoffnung zu gestatten, in der ge-
heimen Allianz, und noch weniger in der öffentlichen Allianz, die
Permanenz der Diktatur zu verewigen, welche er zu seinen Gunsten
mit Beschlag belegt hatte. Er mußte sie also unter demokratisie-
renden Spiegelfechtereien verbergen. Die geheimen Statuten
schreiben demgemäß vor, daß das provisorische Zentralbüro (lies:
der permanente Bürger) bis zur ersten öffentlichen Generalver-
sammlung der Allianz zu funktionieren hat, welche dann die Mit-
glieder des neuen permanenten Zentralbüros ernennt. Aber,
"da es dringend notwendig ist, daß das Zentralbüro stets nur aus
Mitgliedern des permanenten Zentralkomitees bestehe, so wird die-
ses letztere vermittelst seiner Nationalkomitees dafür sorgen
müssen, alle lokalen Gruppen so zu organisieren und zu leiten,
daß sie als Delegierte in diese Versammlung nur Mitglieder des
permanenten Zentralkomitees senden, oder in deren Ermangelung nur
Leute, die vollständig der Leitung ihrer respektiven Nationalko-
mitees ergeben sind, damit das permanente Zentralkomitee in der
ganzen Organisation der Allianz stets die Oberhand habe".
Diese Instruktionen sind nicht von einem bonapartistischen Mini-
ster oder Präfekten am Tage vor den Wahlen gegeben, sondern von
dem quintessenziierten Anti-Autoritäts-Mann, von dem Erzanarchi-
sten, von dem
#342# Karl Marx/Friedrich Engels
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Apostel der Organisation von unten herauf, von dem Bayard 1*) der
Autonomie der Sektionen und der 2*) Föderation der autonomen
Gruppen, von Sankt-Michail Bakunin zum Schutze seiner Permanenz.
Wir haben eben die zur Verewigung der Diktatur des "Bürgers B."
geschaffene Organisation 3*) geprüft; wir kommen jetzt auf ihr
Programm.
"Die Assoziation der internationalen Brüder will die allgemeine,
zu gleicher Zeit soziale, philosophische, ökonomische und politi-
sche Revolution, damit von der gegenwärtigen Ordnung der Dinge,
begründet wie sie ist auf dem Eigentume, der Ausbeutung, der
Herrschaft und dem Autoritätsprinzip - dasselbe sei religiös oder
metaphysisch und bourgeois-doktrinär, ja selbst jakobinisch-
revolutionär -, zunächst in ganz Europa und dann auf der übrigen
Welt kein Stein auf dem andern bleibe. Mit dem Rufe: Frieden den
Arbeitern, Freiheit den Unterdrückten und Tod den Herrschern,
Ausbeutern und Vormündern jeder Sorte! wollen wir alle Staaten
und alle Kirchen nebst allen ihren religiösen, politischen,
juristischen, finanziellen, polizeilichen, universitätlichen,
ökonomischen und sozialen Einrichtungen und Gesetzen vernichten,
damit alle diese Millionen armen Menschenwesen, welche man bisher
betrog, knechtete, marterte, ausbeutete, nunmehr von allen ihren
offiziellen und offiziösen Lenkern und Wohltätern befreit, Genos-
senschaften wie Individuen, endlich in vollkommener Freiheit auf-
atmen."
Das heißt schon revolutionärer Revolutionarismus! Um zu diesem
Abrakadabra-Ziel zu gelangen, ist die erste Bedingung nicht etwa
die, die bestehenden Staaten und Regierungen mit den bei den ge-
wöhnlichen Revolutionären gebräuchlichen Mitteln zu bekämpfen,
sondern im Gegenteil mittelst klingender Doktorphrasen
"die Einrichtung des Staats überhaupt und deren natürliche Konse-
quenz wie Grundlage, das individuelle Eigentum",
anzugreifen.
Es handelt sich also nicht darum, den bonapartistischen, preußi-
schen oder russischen Staat umzustürzen, sondern den abstrakten
Staat, den Staat als solchen, einen Staat, der nirgends exi-
stiert. Doch wenn auch die internationalen Brüder bei ihrem er-
bitterten Kampf gegen diesen in den Wolken gelegenen Staat es
verstehen, den Totschlägern, dem Gefängnis und den Kugeln aus dem
Wege zu gehen, welche die wirklichen Staaten für die gewöhnlichen
Revolutionäre aufsparen, so haben wir zugleich auch gesehen, daß
sie sich das nur eines päpstlichen Dispenses bedürfende Recht re-
serviert haben, von allen Vorteilen Nutzen zu ziehen, welche ih-
nen die wirklichen Bourgeois-Staaten bieten. Fanelli, italieni-
scher Deputierter,
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1*) Ritter ohne Furcht und Tadel - 2*) in der französischen Aus-
gabe eingefügt: freien - 3*) in der französischen Ausgabe: be-
stimmte geheime Organisation (statt: geschaffene Organisation)
#343# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Soriano, Beamter der Regierung Amadeo von Savoyen, und vielleicht
auch Albert Richard und Gaspard Blanc, bonapartistische Polizei-
agenten, zeigen uns, wie kulant der Papst in dieser Hinsicht
ist... Auch kümmert sich die Polizei kaum um "die Allianz, oder,
um offen das Wort zu gebrauchen, die Verschwörung" des Bürgers B.
gegen den abstrakten Staatsbegriff.
Der erste Akt der Revolution muß also die Dekretierung der
Abschaffung des Staats sein, wie es Bakunin am 28. September in
Lyon getan hat, obwohl diese Abschaffung des Staats notwendig ein
Autoritätsakt ist. Unter Staat versteht er Jede politische, revo-
lutionäre oder reaktionäre Gewalt,
"denn es ist uns wenig daran gelegen, ob dieselbe sich Kirche,
Monarchie, konstitutioneller Staat, Bourgeoisie-Republik oder
selbst revolutionäre Diktatur nennt. Wir verabscheuen und verwer-
fen sie alle aus gleichem Grunde, als unfehlbare Quellen der Aus-
beutung und des Despotismus."
Ja, er erklärt, daß alle Revolutionäre, welche am Tage nach der
Revolution "den Aufbau des revolutionären Staates" wollen, noch
viel gefährlicher sind als alle bestehenden Regierungen, und daß
"wir, die internationalen Brüder, die natürlichen Feinde dieser
Revolutionäre sind",
denn es ist die erste Pflicht der internationalen Brüder, die Re-
volution zu desorganisieren.
Die Antwort auf diese Aufschneidereien über die sofortige Ab-
schaffung des Staates und über die Gründung der Anarchie findet
man bereits in dem vertraulichen Zirkular des letzten General-
rats: "Les prétendues scissions dans l'Internationale" (Die an-
geblichen Spaltungen in der Internationale) vom März 1872, Seite
37 1*): "Die Anarchie, das ist das große Paradepferd ihres Mei-
sters Bakunin, der von allen sozialistischen Systemen nur die
Aufschriften aufgenommen hat. Alle Sozialisten verstehen unter
Anarchie dieses: ist einmal das Ziel der proletarischen Bewegung,
die Abschaffung der Klassen, erreicht, so verschwindet die Gewalt
des Staates, welche dazu dient, die große produzierende Mehrheit
unter dem Joche einer wenig zahlreichen ausbeutenden Minderheit
zu erhalten, und die Regierungsfunktionen verwandeln sich in ein-
fache Verwaltungsfunktionen. Die Allianz greift die Sache am um-
gekehrten Ende an. Sie proklamiert die Anarchie in den Reihen der
Proletarier als das unfehlbarste Mittel, die gewaltigen, in den
Händen der Ausbeuter konzentrierten gesellschaftlichen und poli-
tischen Machtmittel zu brechen. Unter diesem Vorwände verlangt
sie von der Internationalen in demselben Augenblick, wo die alte
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1*) Siehe vorl. Band, S. 50
#344# Karl Marx/Friedrich Engels
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Welt sie zu zermalmen strebt, daß sie ihre Organisation durch die
Anarchie ersetze."
Doch verfolgen wir das anarchistische Evangelium bis in seine
Konsequenzen; nehmen wir an, der Staat sei durch ein Dekret abge-
schafft. Nach Artikel 6 1*) werden die Konsequenzen dieses Akts
sein: der Staatsbankerott, das Aufhören der Bezahlung von Privat-
schulden vermöge der Einmischung des Staates, das Aufhören jeder
Steuerzahlung und Abgabenleistung, die Auflösung des Heeres, der
Magistratur, der Bürokratie, der Polizei und der Priester 2*),
die Abschaffung der amtlichen Rechtspflege, begleitet von einem
Autodafé aller Eigentumstitel, der gesamten juridischen und zivi-
len Akten-Makulatur, die Konfiskation aller produktiven Kapita-
lien und Arbeitswerkzeuge zugunsten der Arbeitergenossenschaften,
und die Allianz dieser Genossenschaften, welche "die Kommune kon-
stituieren wird". Diese Kommune wird den so Beraubten genau das
Notwendige geben, indem sie ihnen freistellt, durch ihre eigene
Arbeit mehr zu erwerben.
Die Tatsache hat es in Lyon bewiesen, daß die einfache Dekretie-
rung der Abschaffung des Staates lange nicht hinreicht, um alle
diese schönen Versprechungen zu erfüllen. Zwei Kompanien Bour-
geois-Nationalgarden genügten im Gegenteil, um diesen glänzenden
Traum zu vernichten und Bakunin in aller Eile auf den Marsch nach
Genf zu bringen, das wundertätige Dekret in der Tasche. Auch
konnte er bei seinen Anhängern nicht hinreichende Dummheit vor-
aussetzen, um nicht die Notwendigkeit einzusehen, ihnen irgendei-
nen Organisationsplan zu geben, der die Ausführung seines Dekrets
sicherstellen sollte. Dieser Plan ist folgender:
"Zur Organisation der Kommune: eine Föderation der Barrikaden in
Permanenz und die Einsetzung eines Rats der revolutionären Kom-
mune durch Delegation von einem oder zwei Abgeordneten für jede
Barrikade, einem für die Straße oder für den Bezirk; die Depu-
tierten sind mit imperativen Mandaten versehen und stets
verantwortlich sowie jederzeit widerrufbar" (es sind drollige
Dinger, diese Allianzbarrikaden, auf denen man Mandate redigiert,
statt sich zu schlagen). "Der so organisierte Kommunalrat kann
aus seiner Mitte für jeden Zweig der revolutionären Verwaltung
der Kommune besondere Vollziehungsausschüsse wählen." 3*)
Die so als Kommune konstituierte insurgierte Hauptstadt erklärt
dann den anderen Kommunen des Landes, daß sie jedem Anspruch, sie
zu regieren, entsage; sie fordert sie auf, sich revolutionär zu
reorganisieren und sodann ihre verantwortlichen, widerrufbaren
und mit imperativen Mandaten
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1*) Siehe vorl. Band, S. 465 - 2*) in der französischen Ausgabe
eingefügt: (!) - 3*) vgl. vorl. Band, S. 465
#345# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über Bakunin
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versehenen Delegierten an einen verabredeten Versammlungsort zu
senden, um die Föderation der insurgierten Assoziationen, Kommu-
nen und Provinzen zu konstituieren und eine Revolutionsgewalt zu
organisieren, stark genug, um über die Reaktion zu triumphieren.
Diese Organisation wird sich nicht auf die Kommunen des insur-
gierten Landes beschränken, auch andere Provinzen oder Länder
können an ihr teilnehmen, während
"die Provinzen, Kommunen, Genossenschaften, Individuen, welche
die Partei der Reaktion ergreifen, ausgeschlossen bleiben".
Die Abschaffung der Grenzen hält hier also gleichen Schritt mit
der nachsichtigsten Duldsamkeit gegenüber den reaktionären Pro-
vinzen, die nicht unterlassen werden, den Bürgerkrieg wieder an-
zufachen.
Wir haben also in dieser anarchischen Organisation der Tribunen-
Barrikaden zunächst den Kommunalrat, sodann Vollziehungsaus-
schüsse, die, um irgend etwas vollziehen zu können, doch mit ir-
gendeiner Macht versehen und von der öffentlichen Gewalt unter-
stützt sein müssen; wir haben ferner ein ganzes Föderalparlament,
dessen Hauptaufgabe es sein wird, diese öffentliche Gewalt zu or-
ganisieren. Dieses Parlament, ebenso wie der Kommunalrat, kann
1*) die Exekutivgewalt auf ein oder mehrere Komitees übertragen,
die durch diese Tatsache selbst mit einem Autoritätscharakter
versehen sind, den die Bedürfnisse des Kampfes schärfer und
schärfer werden hervortreten lassen. Wir haben also alle Elemente
des "Autoritätsstaates" aufs schönste wieder hergestellt, und es
macht nichts aus, wenn wir diese Maschine "von unten herauf orga-
nisierte revolutionäre Kommune" nennen. Der Name ändert nichts an
der Sache; die Organisation von unten herauf existiert in jeder
Bourgeois-Republik und die imperativen Mandate datieren sogar aus
dem Mittelalter. Übrigens erkennt Bakunin dies selbst an, wenn er
(Art. 8 2*)) seiner Organisation den Namen des "neuen revolutio-
nären Staates" beilegt.
Was den praktischen Wert dieses neuen 3*) Revolutionsplanes an-
langt, wo man diskutiert, statt sich zu schlagen, so verlieren
wir darüber kein Wort.
Jetzt kommen wir aber an das Geheimnis all dieser Zauberbüchsen
der Allianz mit doppeltem und dreifachem Boden. Damit das ortho-
doxe Programm auch befolgt werde und die Anarchie sich stets ei-
ner guten Aufführung befleißige,
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1*) In der französischen Ausgabe: müßte - 2*) siehe vorl. Band,
S. 466 - 3*) in der französischen Ausgabe fehlt: neuen
#346# Karl Marx/Friedrich Engels
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"ist es notwendig, daß inmitten der Volksanarchie, welche eben
das Leben und die ganze Kraft der Revolution bilden wird, die
Einheit des Gedankens und des revolutionären Handelns ein Organ
finde. Dieses Organ soll die geheime und universelle Assoziation
der internationalen Brüder sein."
"Diese Assoziation geht von der Überzeugung aus, daß Revolutionen
niemals gemacht werden, weder von Individuen, noch von geheimen
Gesellschaften: Sie machen sich wie von selbst, durch die Macht
der Dinge, durch die Bewegung der Ereignisse und der Tatsachen.
Lange bereiten sie sich vor in der Tiefe des instinktiven Bewußt-
seins der Volksmassen, dann kommen sie zum Ausbruch... Alles, was
eine gut organisierte geheime Gesellschaft tun kann, besteht
zunächst darin, daß sie die Geburt einer Revolution befördert,
indem sie in den Massen die den Masseninstinkten entsprechenden
Ideen verbreitet, und daß sie, nicht die Revolutionsarmee - die
Armee muß immer das Volk sein" (das Kanonenfutter) "ð wohl aber
einen revolutionären Generalstab organisiert, der aus ergebenen,
energischen, intelligenten Individuen und vor allem aus auf-
richtigen und nicht ehrgeizigen oder eitlen Freunden des Volkes
besteht, die die Fähigkeit besitzen, als Vermittler zwischen der"
(von ihnen monopolisierten) "revolutionären Idee und den Volksin-
stinkten zu dienen."
"Die Zahl dieser Individuen darf also nicht sehr groß sein. Für
die internationale Organisation in ganz Europa genügen hundert
fest und ernst verbündete Revolutionäre. Zwei-, dreihundert Revo-
lutionäre werden für die Organisation des größten Landes genü-
gen." 1*)
So zeigt sich uns auf einmal ein anderes Bild. Die Anarchie, das
"entfesselte Volksleben", die "bösen Leidenschaften" usw. reichen
nicht mehr aus. Um den Erfolg der Revolution zu sichern, bedarf
es der Einheit des Gedankens und des Handelns. Die Internationa-
len suchen diese Einheit zu schaffen durch die Propaganda, die
Diskussion und die öffentliche Organisation des Proletariats; Ba-
kunin braucht dazu bloß eine geheime Organisation von hundert
Mann, den privilegierten Vertretern der revolutionären Idee;
einen disponiblen, selbsternannten und vom permanenten "Bürger
B." kommandierten Revolutionsgeneralstab. Einheit des Gedankens
und des Handelns heißt weiter nichts als Orthodoxie und blinder
Gehorsam. Perinde ac cadaver. 2*) Wir befinden uns mitten in der
Gesellschaft Jesu.
Der Ausspruch, daß die hundert internationalen Brüder "als Ver-
mittler zwischen der revolutionären Idee und den Volksinstinkten
dienen" müssen, schafft eine unübersteigbare Kluft zwischen der
revolutionären Idee der Allianz und den Proletariermassen. Er
proklamiert die Unmöglichkeit, diese Hundert-Garden anderwärts
anzuwerben als aus den privilegierten Klassen.
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1*) Siehe vorl. Band, S. 466/467 - 2*) Wie eine Leiche. (So wurde
von Loyola eins der Prinzipien der Jesuiten formuliert, das den
blinden Gehorsam der jüngeren Mitglieder des Ordens gegenüber den
älteren vorschrieb.)
#347#
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III
Die Allianz in der Schweiz
Die Allianz ist wie Falstaff, sie weiß, daß Vorsicht der bessere
Teil der Tapferkeit ist. Und so hindert der "Teufel im Leibe" die
internationalen Brüder durchaus nicht, sich demütig vor der be-
stehenden Staatsmacht zu beugen, während sie zugleich energisch
gegen den Staatsbegriff protestieren; ihre Angriffe richten sie
jedoch ausschließlich gegen die Internationale. Zuerst wollten
sie sie beherrschen; als dies ihnen mißlang, versuchten sie, sie
zu desorganisieren. Wir werden jetzt ihre Tätigkeit in den ver-
schiedenen Ländern darlegen.
Die internationalen Brüder waren nur ein Generalstab zur Disposi-
tion; was ihnen fehlte, war eine Armee. Die Internationale schien
ihnen zu diesem Zwecke geschaffen und in die Welt gesetzt. Um das
Kommando dieser Armee übernehmen zu können, galt es die öffentli-
che Allianz in sie einzunisten. Befürchtend, daß diese ihrer
Würde vergäbe, wenn sie beim Generalrat ihre Zulassung bean-
tragte, und dadurch dessen Befugnisse anerkannt hätte, wandten
sie sich wiederholt aber vergeblich an den Belgischen und den Pa-
riser Föderalrat. Die wiederholten Zurückweisungen zwangen die
Allianz, am 15. Dezember 1868 beim Generalrat ihre Aufnahme zu
beantragen. Sie sandte ihre Statuten und ihr Programm ein, die
offen ihre Absicht aussprachen. (Beweisstücke Nr. 2 1*).) Obwohl
sich die Allianz als "vollständig in der Internationale aufgegan-
gen" erklärte, beanspruchte sie doch, in deren Schoß eine zweite
internationale Körperschaft zu bilden. Neben dem durch die Kon-
gresse gewählten Generalrat der Internationalen gab es da ein
selbsternanntes, in Genf tagendes Zentralkomitee der Allianz; ne-
ben den Lokalgruppen der Internationalen bestanden die Lokalgrup-
pen der Allianz, die vermittelst ihrer, außerhalb den Nationalbü-
ros der Internationalen funktionierenden Nationalbüros "beim Zen-
tralbüro der Allianz
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1*) Siehe vorl. Band, S. 467-469
#348# Karl Marx/Friedrich Engels
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ihre Aufnahme in die Internationale Arbeiter-Assoziation zu bean-
tragen haben". 1*) Das Zentralbüro der Allianz maßte sich also
das Recht an, in die Internationale aufzunehmen. Neben den Kon-
gressen der Internationalen sollten die Kongresse der Allianz
stattfinden, denn "bei den jährlichen Arbeiterkongressen" bean-
spruchte "die Delegation der Allianz... ihre öffentlichen Sitzun-
gen in einem besonderen Lokale zu halten".
Am 22. Dezember erklärte der Generalrat (in einem in dem Zirkular
"Les prétendues scissions dans l'Internationale", Seite 7, veröf-
fentlichten Briefe 2*)) diese Ansprüche in schlagendem Wider-
spruch mit den Statuten der Internationalen und wies kurzweg die
Aufnahme der Allianz zurück. Einige Monate später wandte sich
diese von neuem an den Generalrat und fragte an, ob er ihre
Grundsätze anerkenne oder nicht. Im erstem Falle erklärte sie
sich bereit, sich in einfache internationale Sektionen aufzulö-
sen. Der Generalrat antwortete hierauf am 9. März 1869 (siehe:
"Les Erétendues scissions", Seite 8 3*)), daß es über seine
Amtsbefugnisse hinausgebe, sich über den wissenschaftlichen Wert
des Programms der Allianz auszusprechen, und daß, wenn man statt
"Gleichmachung der Klassen" "Abschaffung der Klassen" setzte, der
Umwandlung der Sektionen der Allianz in Sektionen der Internatio-
nalen kein Hindernis im Wege stehe. Er fügte hinzu: "Wenn die
Auflösung der Allianz und der Eintritt der Sektionen in die In-
ternationale endgültig beschlossen wären, so würde es nach unse-
ren Verwaltungsverordnungen notwendig werden, den Generalrat von
dem Ort und der Mitgliederzahl jeder neuen Sektion zu unterrich-
ten."
Am 22. Juni 1869 zeigte die Genfer Sektion der Allianz dem Gene-
ralrat die erfolgte Auflösung der Internationalen Allianz der so-
zialistischen Demokratie an, deren sämtliche Sektionen aufgefor-
dert seien, "sich in internationale Sektionen umzuwandeln". Nach
dieser ausdrücklichen Erklärung, und im Irrtum gehalten durch ei-
nige Unterschriften des Programms, welche voraussetzen ließen,
daß die Sektion vom Romanischen Föderalkomitee anerkannt sei,
nahm der Generalrat sie auf. Wir müssen hinzufügen, daß keine der
angenommenen Bedingungen jemals erfüllt worden ist. Im Gegenteil:
die hinter der öffentlichen Allianz verborgene geheime Organisa-
tion trat mit diesem Augenblick erst in volle Tätigkeit. Hinter
der Genfer internationalen Sektion stand das Zentralbüro der ge-
heimen Allianz, hinter den internationalen Sektionen zu Neapel,
Barcelona, Lyon, im Jura die geheimen Sektionen der Allianz. Ge-
stützt auf diese Freimaurerei, deren Existenz nicht einmal geahnt
wurde, weder von der Masse der Internationalen, noch
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1*) Siehe vorl. Band, S. 469 - 2*) ebenda, S. 12/13 - 3*) ebenda,
S. 14/15
#349# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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von ihren Verwaltungszentren, hoffte Bakunin, auf dem Kongreß zu
Basel im September 1869 sich der Leitung der Internationalen zu
bemächtigen. Auf diesem Kongreß war die geheime Allianz, dank den
von ihr angewandten, nicht gerade loyalen Mitteln, durch minde-
stens zehn Delegierte vertreten, unter ihnen der bekannte Albert
Richard und Bakunin selbst. Sie hatte eine Anzahl Blanko-Mandate
mitgebracht, von denen man aus Mangel an zuverlässigen Leuten
keinen Gebrauch machen konnte, obwohl man sie Baseler Internatio-
nalen anbot. Trotzdem reichte diese Anzahl nicht einmal hin, von
dem Kongreß die Abschaffung des Erbrechts sanktionieren zu las-
sen, diese alte Saint-Simonsche Schrulle, welche Bakunin zum
praktischen Ausgangspunkte des Sozialismus machen wollte [280];
noch weniger konnte man dem Kongreß die von Bakunin erstrebte
Verlegung des Generalrats von London nach Genf aufzwingen.
Indessen herrschte in Genf offener Krieg zwischen dem durch die
fast einmütige Haltung der Genfer Internationalen unterstützten
Romanischen Föderalkomitee und der Allianz. Letztere hatte zu
Verbündeten in diesem Kampf den von James Guillaume redigierten
"Progrès" in Locle und die Genfer "Égalité", die, obwohl offi-
zielles Organ des Romanischen Föderalkomitees, durch ein in der
Majorität allianzistisches Komitee redigiert wurde und bei jeder
Gelegenheit das Romanische Föderalkomitee angriff. Das große
Ziel, die Verlegung des Sitzes des Generalrats nach Genf, nicht
aus dem Auge verlierend, eröffnete die Redaktion der "Égalité"
einen Feldzug gegen den bestehenden Generalrat und forderte den
Pariser - Travail" auf, sie zu unterstützen. Der Generalrat er-
klärte in seinem Zirkular vom 1. Januar 1870 [281], daß er keine
Polemik gegen Journale führe. Inzwischen hatte das Romanische Fö-
deralkomitee bereits die Leute von der Allianz aus der Redaktion
der "Égalité" entfernt.
Zu dieser Zeit hatte die Sekte noch nicht ihre Antiautoritäts-
Maske vorgenommen. Da sie glaubte, sich des Generalrats bemächti-
gen zu können, war sie zuerst bei der Hand, auf dem Baseler Kon-
greß die Verwaltungsverordnungen zu beantragen und aufzusetzen,
welche dem Generalrate dieselben "Autoritätsbefugnisse" (pouvoirs
autoritaires) einräumten, die sie selbst zwei Jahre später so
heftig angriff. Nichts zeichnet besser die Vorstellung, die sie
damals von der Autoritätsrolle des Generalrats hatte, als der
folgende Auszug aus dem von James Guillaume redigierten "Progrès"
von Locle vom 4. Dezember 1869, gelegentlich des Streits zwischen
dem "Social-Demokrat" [282] und dem "Volksstaat":
"Es scheint uns Pflicht des Generalrats unserer Genossenschaft zu
sein, einzuschreiten, eine Untersuchung über die Vorgänge in
Deutschland zu eröffnen, sich zwischen
#350# Karl Marx/Friedrich Engels
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Schweitzer und Liebknecht zu erklären und hierdurch der Ungewiß-
heit ein Ende zu machen, in welche uns diese befremdende Lage
versetzt."
Sollte man es glauben, daß dies derselbe Guillaume ist, der am
12. November 1871 in dem Zirkular von Sonvillier demselben, frü-
her zu wenig Autorität übenden Generalrat den Vorwurf machte, daß
er "das Autoritätsprinzip in die Internationale habe einführen
wollen"!
Die Zeitschriften der Allianz, nicht zufrieden damit, ihr beson-
deres Programm zu verbreiten, was ihnen niemand übelgenommen
hätte, hatten von vornherein alles aufgeboten, eine wohlberech-
nete Verwirrung zwischen ihrem Programm und dem der Internationa-
len zu schaffen und aufrechtzuhalten. Dies wiederholte sich über-
all, wo die Allianz über eine Zeitschrift verfügte oder an der-
selben mitarbeitete, in Spanien, in der Schweiz, in Italien; aber
erst in ihren russischen Veröffentlichungen gelangte das System
zu seiner Vollkommenheit.
Die Sekte führte ihren großen Schlag auf dem Kongreß der Romani-
schen Föderation zu La Chaux-de-Fonds (4. April 1870). Es han-
delte sich darum, die Genfer Sektionen zu zwingen, die Genfer öf-
fentliche Allianz als einen Teil der Föderation anzuerkennen, und
das Föderalkomitee und sein Organ nach einem Orte im Jura zu ver-
legen, wo die geheime Allianz Meister war.
Bei Eröffnung des Kongresses verlangten zwei Delegierte der
"Sektion der Allianz" ihre Zulassung. Die Genfer Delegierten be-
antragten, diese Angelegenheit auf den letzten Teil des Kongres-
ses zu verweisen und sofort in die Beratung des Programms zu tre-
ten, weil dies weit wichtiger sei. Sie erklärten, daß ihr impera-
tives Mandat ihnen vorschreibe, sich eher zurückzuziehen, als
jene Sektion in ihrer Gruppe zuzulassen, "in Ansehung der Intri-
gen und Herrschaftsgelüste der Leute von der Allianz; man würde
die Spaltung in der romanischen Sektion beschließen, wenn man die
Zulassung der Allianz beschlösse".
Aber die Allianz wollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen
lassen. Die Nähe ihrer kleinen Sektionen im Jura hatte es ihr er-
möglicht, sich eine kleine scheinbare Majorität zu verschaffen,
da Genf und die großen Zentren der Internationalen nur sehr
schwach vertreten waren. Auf Andringen Guillaumes und Schwitzgué-
bels wurde sie mit einer angefochtenen Majorität von einer oder
zwei Stimmen zugelassen. Die Genfer Delegierten befragten sofort
alle Sektionen telegraphisch und erhielten den Auftrag, sich vom
Kongreß zurückzuziehen. Da die Internationalen von La Chaux-de-
Fonds die Genfer unterstützten, mußten die Allianzisten das Kon-
greßlokal verlassen, das den Sektionen des Ortes gehörte. Obwohl
sie nach ihrem
#351# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
eigenen Organ (siehe die "Solidarité" vom 7. Mai 1870) nur fünf
zehn Sektionen repräsentierten, während Genf allein deren dreißig
hatte, maßten sie sich den Titel eines romanischen Kongresses an,
ernannten ein neues Romanisches Föderalkomitee, in welchem Che-
valley und Cognon *) glänzten, und erhoben die Guillaumesche
"Solidarité" zum Organ der Romanischen Föderation. Was Guillaume
anbetrifft, so hatte dieser junge Schulmeister die besondere Auf-
gabe, die Genfer "Fabrikarbeiter" [30], diese "scheußlichen Bour-
geois", zu verschreien, die "Égalité", das Blatt der Romanischen
Föderation, zu bekämpfen und absolute Enthaltung auf politischem
Gebiete zu predigen. Die hervorstechendsten Artikel über diesen
letzten Gegenstand rührten her von Bastelica in Marseille und von
den beiden Hauptsäulen der Allianz in Lyon, Albert Richard und
Gaspard Blanc.
Die augenblickliche und gefälschte Mehrheit des Kongresses zu La
Chaux-de-Fonds hatte übrigens mit offener Verletzung der Statuten
der Romanischen Föderation gehandelt, die sie zu repräsentieren
vorgab, und man muß hierbei nicht vergessen, daß die Häupter der
Allianz einen bedeutenden Anteil an der Abfassung dieser Statuten
gehabt hatten. [283] Laut Art. 53 und 55 mußte jede wichtige Ent-
scheidung des Kongresses, um Gesetzeskraft zu erhalten, die Zu-
stimmung von zwei Dritteln der föderierten Sektionen haben. Nun
bildeten die Sektionen von Genf und La Chaux-de-Fonds, die sich
gegen die Allianz ausgesprochen hatten, allein über zwei Drittel
der Gesamtzahl. In zwei großen Generalversammlungen billigten die
Genfer Internationalen fast einstimmig, trotz der Opposition Ba-
kunins und seiner Freunde, das Auftreten ihrer Delegierten, die
unter allgemeinem Beifall der Allianz vorschlugen, für sich zu
bleiben und von ihrem Verlangen, in die Romanische Föderation
einzutreten, abzustehen; um diesen Preis wäre die Aussöhnung fer-
tig. Später schlugen einige enttäuschte Mitglieder der Allianz
deren Auflösung vor, aber Bakunin und seine Anhänger widersetzten
sich dem aus allen Kräften. Die Allianz hielt ihren Anspruch auf-
recht, unter allen Umständen der Romanischen Föderation anzugehö-
ren, und dieser blieb nichts übrig, als Bakunin und die anderen
Hauptführer aus ihrer Mitte auszustoßen.
Es gab also nun zwei Romanische Föderalkomitees, eins in Genf und
eins in La Chaux-de-Fonds. Die ungeheure Mehrheit der Sektionen
blieb dem
---
*) Zwei Monate später bezeichnet das Organ dieses selben Komi-
tees, die "Solidarité" vom 9. Juli, diese beiden Individuen als
Diebe. Sie hatten wirklich eine Probe ihres anarchischen Revolu-
tionarismus abgelegt, indem sie die kooperative Genossenschaft
der Schneider zu La Chaux-de-Fonds bestahlen.
#352# Karl Marx/Friedrich Engels
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ersteren treu, während dem anderen nur fünfzehn Sektionen folg-
ten, von denen viele, wie wir später sehen werden, eine nach der
anderen eingingen.
Kaum war der romanische Kongreß geschlossen, als das neue Komitee
zu La Chaux-de-Fonds in einem "F. Robert, Sekretär, und Henri
Chevalley, Präsident" (siehe die vorige Anmerkung) unterzeichne-
ten Briefe an die Intervention des Generalrats appellierten. Der
Generalrat prüfte die Beweisstücke beider Parteien und beschloß
dann am 28. Juni 1870, das Genfer Komitee in seinen bisherigen
Funktionen aufrechtzuhalten und das neue Föderalkomitee von La
Chaux-de-Fonds aufzufordern, einen lokalen Namen anzunehmen
[284]. Gegenüber dieser Entscheidung, welche seinen Wünschen so
wenig entsprach, zeterte nun das Komitee zu La Chaux-de-Fonds
über den Autoritarismus des Generalrats, wobei es vergaß, daß es
selbst zuerst seine Intervention verlangt hatte. Die Hartnäckig-
keit, mit der das Komitee zu La Chaux-de-Fonds sich den Namen:
Romanisches Föderalkomitee anmaßte, brachte in der Schweizer Fö-
deration solche Störungen hervor, daß der Generalrat genötigt
wurde, jede Beziehung mit demselben abzubrechen.
Am 4. September 1870 wurde die Republik in Paris proklamiert. Die
Allianz glaubte, die Stunde habe geschlagen, um "die revolutio-
näre Hydra in der Schweiz zu entfesseln" (Guillaumescher Stil).
Die "Solidarité" ließ ein Manifest los, welches die Bildung von
schweizerischen Freikorps gegen die Preußen verlangte. Dieses Ma-
nifest war jedoch, wenn wir dem Pädagogen Guillaume Glauben
schenken wollen, um "in keiner Weise anonym" zu sein, "nicht un-
terzeichnet". Leider verdampfte die ganze kriegerische Glut der
Allianz mit der Beschlagnahme des Blattes und des Manifestes.
Aber ich, rief der stürmische Guillaume aus, der "seine Haut zu
Markte zu tragen" brannte, "ich blieb auf meinem Posten - in der
Druckerei der Zeitung" ("Jura-Bulletin", 15.Juni 1872).
Die revolutionäre Bewegung zu Lyon war ausgebrochen. Bakunin
stürzt hin, seinem Lieutenant Albert Richard und seinen Unterof-
fizieren Bastelica und Gaspard Blanc zu Hülfe kommend. Am 28.
September, dem Tage seiner Ankunft, hatte das Volk sich des
Stadthauses bemächtigt. Bakunin nahm Posto darin: der kritische,
der lange Jahre hindurch erwartete Moment war endlich da, an wel-
chem Bakunin den revolutionärsten Akt vollziehen konnte, den die
Welt jemals gesehen - er dekretierte die Abschaffung des Staates.
Aber der Staat, in der Form und Gestalt von zwei Kompanien Bour-
geois-Nationalgarden, drang ein durch einen Eingang, den zu be-
setzen man vergessen hatte, fegte den Saal aus und schickte Baku-
nin eiligst auf den Weg nach Genf.
#353# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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In demselben Augenblick, wo der kriegerische Guillaume "auf sei-
nem Posten" die September-Republik verteidigte, flüchtete sein
getreuer Achates Robin vor dieser Republik nach London. Obwohl
der Generalrat wußte, daß er einer der eingefleischtesten Partei-
gänger der Allianz und noch mehr, der Verfasser der gegen ihn in
der "+galité" geschleuderten Angriffe war, nahm er ihn dennoch,
trotz der Berichte der Sektionen zu Brest über Robins wenig mu-
tige Haltung, wegen der Abwesenheit seiner französischen Mitglie-
der in seine Mitte auf. Von diesem Augenblick fungierte Robin da-
selbst ununterbrochen als offiziöser Korrespondent des Komitees
zu La Chaux-de-Fonds. Am 14. März 1871 schlug er die Einberufung
einer vertraulichen Konferenz der Internationalen zur Erledigung
des Schweizer Streites vor. Der Generalrat, voraussehend, daß
große Ereignisse sich in Paris vorbereiteten, wies diesen Vor-
schlag kurzweg ab. Robin wiederholte seine Versuche mehrmals und
machte endlich sogar den Vorschlag, der Generalrat solle über die
Streitfrage endgültig entscheiden. Am 25. Juli entschied der Ge-
neralrat, daß diese Angelegenheit der für den Monat September
1871 einzuberufenden Konferenz mit unterbreitet werden solle.
Am 10. August erklärte die Allianz, nicht sehr begierig, ihre Um-
triebe von einer Konferenz in Untersuchung gezogen zu sehen, daß
sie seit dem 6. desselben Monats aufgelöst sei. Indes, verstärkt
durch einige französische Flüchtlinge, erschien sie bald unter
anderen Namen wieder; so als Sektion der sozialistischen Athei-
sten und Sektion der revolutionären sozialistischen Propaganda
und Aktion. Gemäß der Resolution V [285] des Kongresses zu Basel
und in Übereinstimmung mit dem Romanischen Föderalkomitee wei-
gerte sich der Generalrat, diese Sektionen, bloße neue Intrigen-
herde, anzuerkennen.
Die Londoner Konferenz (September 1871) bestätigte gegenüber den
Jura-Dissidenten die Entscheidung des Generalrats vom 28. Juni
1870.
Nach Eingang der "Solidarité" gründeten die neuen Anhänger der
Allianz die "Revolution Sociale", an der Frau André Léo schrieb,
dieselbe, die auf dem Kongreß der Friedensliga zu Lausanne er-
klärt hatte, zu der Zeit, wo Ferré im Gefängnis die Stunde für
den Gang nach Satory erwartete, daß
"Raoul Rigault und Ferré die beiden finsteren Gestalten der Kom-
mune wären, welche bis dahin" (bis zur Hinrichtung der Geiseln)
"ohne Unterlaß, doch immer vergebens, blutige Maßregeln verlangt
hätten".
Von seiner ersten Nummer an bemühte sich dieses Blatt, sich auf
gleiche Stufe mit dem "Figaro", "Gaulois", "Paris-Journal" und
anderen
#354# Karl Marx/Friedrich Engels
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Schmutzblättern zu stellen, deren infame Verleumdungen gegen den
Generalrat es neu auflegte. Der Augenblick schien ihm günstig,
innerhalb der Internationalen selbst die Flamme des Nationalhas-
ses zu entzünden. Nach ihm war der Generalrat nur ein deutsches
Komitee, geleitet von einem bismarckschen Gehirn.
Die Konferenz hatte durch ihre drei Resolutionen über den Schwei-
zer Streit, über die politische Haltung der Arbeiterklasse und
über die öffentliche Desavouierung Netschajews die Allianz ins
Herz getroffen. [286] Der erste Beschluß richtete einen direkten
Tadel gegen das pseudo-romanische Komitee zu La Chaux-de-Fonds
und billigte das Verfahren des Generalrats. Er riet den Jura-Sek-
tionen, der Romanischen Föderation beizutreten, und für den Fall,
daß diese Vereinigung nicht zustande käme, entschied er, daß die
Sektionen in den Gebirgsgegenden den Namen der Jura-Föderation
annehmen sollten. Er erklärte, daß, falls ihr Komitee seinen Zei-
tungskrieg vor dem Bourgeois-Publikum fortsetze, diese Zeitungen
vom Generalrat desavouiert werden würden. - Der zweite Beschluß
über die politische Haltung der Arbeiterklasse machte der Verwir-
rung ein Ende, welche Bakunin hatte in die Internationale bringen
wollen, indem er in deren Programm die Lehre von der vollständi-
gen Enthaltung auf politischem Gebiete einschob.- Die dritte Re-
solution 1*) bedrohte Bakunin direkt. Weiter unten, wo wir auf
Rußland zu sprechen kommen, wird man sehen, wie sehr Bakunin
persönlich dabei interessiert war, die Niederträchtigkeiten der
Allianz dem westlichen Europa zu verbergen.
Die Allianz sah hierin, und mit Recht, eine Kriegserklärung und
eröffnete ihren Feldzug sofort. Die Jura-Sektionen, welche das
pseudo-romanische Komitee unterstützten, versammelten sich am 12.
November 1871 zu einem Kongreß in Sonvillier. 2*) Sechzehn Dele-
gierte waren dort erschienen, die neun Sektionen zu vertreten
vorgaben. Nach dem Bericht des Föderalkomitees hatte die Sektion
zu Courtelary, welche durch zwei Delegierte vertreten wurde,
"ihre Tätigkeit eingestellt"; die Zentralsektion zu Locle "hatte
sich schließlich aufgelöst", aber sich doch für den Augenblick
wieder konstituiert, um zwei Delegierte zu dem Kongreß der Sech-
zehn zu senden; die Sektion der Graveurs und Guillocheurs zu
Courtelary (zwei Delegierte) "konstituierte sich als Gewerksge-
nossenschaft" außerhalb der Internationalen; die Sektion der Pro-
paganda zu La Chaux-de-Fonds (ein Delegierter) "ist in kritischer
Lage, die, weit entfernt sich zu verbessern, sich noch zu ver-
schlimmern droht". Die Zentralsektion zu Neuchâtel (zwei
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: über Netschajew -
2*) vgl. vorl. Band, S. 43-47
#355# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Delegierte, darunter Guillaume) "hat bedeutend zu leiden gehabt,
und ohne die Opferwilligkeit einiger Mitglieder war ihr Fall ge-
wiß". Die beiden Zirkel für soziale Studien zu Sonvillier und
Saint-Imier (vier Delegierte) im Bezirk von Courtelary haben sich
nach dem Bericht infolge der Auflösung der Zentralsektion zu
Courtelary gebildet; so lassen sich also die paar Mitglieder die-
ses Bezirks dreimal durch sechs Delegierte vertreten! Die Sektion
zu Moutier (ein Delegierter) scheint nur aus ihrem Komitee zu be-
stehen. Also von sechzehn Delegierten vertreten vierzehn tote
oder im Sterben begriffene Sektionen. Doch um den Zustand der
Zerrüttung zu verstehen, welchen die Predigt der Anarchie in die-
ser Föderation angerichtet hatte, muß man noch ein wenig weiter
diesen Bericht lesen. Von zweiundzwanzig Sektionen waren nur neun
auf dem Kongreß vertreten; sieben hatten auf keine Mitteilung des
Komitees je geantwortet und vier waren vollständig tot erklärt.
Dies war die Föderation, welche sich berufen glaubte, die Orga-
nisation der Internationalen von Grund aus umzustürzen.
Der Kongreß zu Sonvillier begann indes damit, sich vor der Londo-
ner Konferenz, die ihm den Namen der Jura-Föderation beigelegt
hatte, zu beugen; um gleichzeitig jedoch eine Probe seines Anar-
chismus abzulegen, erklärte er die ganze Romanische Föderation
für aufgelöst. (Diese gab den Jurassiern ihre Autonomie wieder,
indem sie sie aus ihren Sektionen jagte.) Darauf schleuderte der
Kongreß sein lärmschlagendes Zirkular [55] in die Welt, dessen
Hauptzweck war, gegen die Gesetzmäßigkeit der Konferenz zu pro-
testieren und an einen allgemeinen Kongreß zu appellieren, der in
kürzester Frist einberufen werden sollte.
Das Zirkular beschuldigt die Internationale, von ihrem Geiste ab-
gewichen zu sein, der nichts weiter sein sollte, "als ein unge-
heurer Protest gegen die Autorität". Bis nach 1*) dem Kongreß zu
Brüssel ging alles aufs beste in der besten der Gesellschaften,
aber zu Basel verloren die Delegierten den Kopf; sie wurden die
Beute eines "blinden Vertrauens "und griffen "den Geist und den
Buchstaben der Allgemeinen Statuten" an, in denen die Autonomie
jeder Sektion und jeder Sektionen-Gruppe so deutlich aus-
gesprochen war. Sonach hatte jetzt die Internationale die Autori-
tät auf ihre Fahne geschrieben, und die Jura-Föderation, diese
Marionette der Allianz, die Autonomie der Sektionen. Wir haben
bereits gesehen, wie die Allianz diese Autonomie zu verwirklichen
vorhat.
Die Sünden des Kongresses zu Basel wurden noch von denen der Lon-
doner Konferenz übertroffen, deren Beschlüsse
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1*) In der französischen Ausgabe: zu
#356# Karl Marx/Friedrich Engels
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"danach streben, aus der Internationalen, der freien Föderation
autonomer Sektionen, eine hierarchische, unter Autoritätsgewalt
stehende Organisation disziplinierter Sektionen zu machen, voll-
ständig in der Hand des Generalrats, der ganz nach Belieben ihre
Zulassung verweigern oder selbst ihre Tätigkeit suspendieren
könne".
Die Allianzisten, welche dieses Zirkular abfaßten, vergaßen also,
daß ihr geheimes Reglement nur dazu gemacht ist, eine
"hierarchische und autoritäre Organisation" zu befestigen, die
von der Person des permanenten "Bürgers B." gekrönt wird, und daß
man in diesem Reglement Instruktionen gibt, um die Sektionen zu
"disziplinieren" und sie vollständig nicht nur "in die Hand",
sondern sogar "in die Oberhand" dieses selben "Bürgers" zu brin-
gen.
Waren schon die Sünden der Konferenz Todsünden, die Hauptsünde,
die Sünde gegen den heiligen Geist, wurde doch vom Generalrat be-
gangen. Es befinden sich in demselben "einige Persönlichkeiten",
welche ihr
"Mandat" (als Mitglieder des Generalrats) "als eine persönliche
Eigenschaft 1*)" betrachten, "und London erschien ihnen als unab-
setzbare Hauptstadt unserer Assoziation... Es haben sich Leute
verleiten lassen... in der Internationalen ihr spezielles Pro-
gramm, ihre persönliche Doktrin zur Herrschaft bringen zu wol-
len... als offizielle Theorie, welche allein Bürgerrecht in der
Assoziation habe... So hat sich nach und nach eine Orthodoxie ge-
bildet, deren Sitz London und deren Vertreter die Mitglieder des
Generalrats waren."
Kurz, sie haben vermittelst der "Zentralisation und Diktatur" die
Einheit der Internationalen begründen wollen. - In diesem selben
Zirkular strebt die Allianz danach, "in der Internationalen ihr
spezielles Programm zur Herrschaft zu bringen", indem sie dies
selbe für "einen ungeheuren Protest gegen die Autorität" erklärt
und indem sie den Ausspruch tut, daß die Emanzipation der Arbei-
ter durch die Arbeiter selbst sich machen müsse, "ohne jede lei-
tende Autorität, gleichviel ob diese Autorität von den Arbeitern
gewählt sei und deren Zustimmung habe". Wir werden sehen, wie
überall, wo die Allianz Einfluß hatte, sie gerade das getan hat,
was sie fälschlich dem Generalrat zum Vorwurf macht, daß sie ihr
lächerliches Hirngespinst von Theorie als "offizielle Theorie,
welche allein Bürgerrecht in der Assoziation hätte", aufzwingen
wollte. *) - Alles dieses bezieht sich
---
*) Mazzini zum Beispiel machte die ganze Internationale für die
grotesken Phantasien des Papstes Bakunin verantwortlich. Der Ge-
neralrat sah sich genötigt, öffentlich in den italienischen Blät-
tern zu erklären, daß er "sich stets den wiederholten Versuchen
widersetzt habe, welche darauf gerichtet waren, das weite und um-
fassende Programm
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1*) In der französischen Ausgabe: persönliches Eigentum
#357# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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nur auf die öffentliche und sichtbare Tätigkeit der Allianz; was
ihre geheime Tätigkeit anlangt, so hat der "Geist und Buchstabe"
ihrer geheimen Statuten uns bereits Aufklärung verschafft über
den Grad von "Orthodoxie", von "persönlicher Doktrin", von
"Zentralisation" und "Diktatur", welche in dieser "freien Födera-
tion autonomer Gruppen" herrschen. Wir begreifen sehr wohl, warum
die Allianz die Arbeiterklasse hindern wollte, sich eine gemein-
same Leitung zu schaffen, da die Bakuninsche Vorsehung bereits
für dieselbe gesorgt hatte, als sie ihre Allianz als Generalstab
der Revolution konstituierte.
Weit entfernt davon, der Internationalen eine Orthodoxie auf-
zuzwingen, hatte der Generalrat der Londoner Konferenz die Ab-
schaffung der Sektennamen bestimmter Sektionen vorgeschlagen, und
dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen. *)
Folgendermaßen drückte sich übrigens der Generalrat in seinem
vertraulichen Zirkular ("Prét. scissions", p. 24 1*)) über die
Sekten aus:
"Die erste Phase in dem Kampfe des Proletariats gegen die Bour-
geoisie ist durch die Sektenbewegung bezeichnet. Diese ist be-
rechtigt zu einer Zeit, in der das Proletariat sich noch nicht
hinreichend entwickelt hat, um als Klasse zu handeln. Vereinzelte
Denker unterwerfen die sozialen Gegensätze einer Kritik und geben
zugleich eine phantastische Lösung derselben
-----
der Internationalen (das selbst die Zulassung der Anhänger Bakun-
ins als Mitglieder gestattete) durch das beschränkte und sektie-
rerische Programm Bakunins zu ersetzen, dessen Annahme mit einem
Schlage die ungeheure Mehrheit der Mitglieder der Internationalen
ausschließen würde". [287] - Das Zirkular von Jules Favre [58],
der Bericht des Krautjunker-Deputierten Sacaze über unsere Asso-
ziation, die reaktionären Reden bei der Debatte der spanischen
Cortes über die Internationale [288], kurz alle gegen dieselbe
öffentlich gerichteten Angriffe wimmeln von Zitaten ultra-anar-
chischer Phrasen aus dem Bakuninschen Lager.
*) Resolution II der Konferenz, Art. 2: - "Die lokalen Zweige,
Sektionen oder Gruppen und ihre Komitees werden sich in Zukunft
einfach und ausschließlich als Zweige, Sektionen, Gruppen und Ko-
mitees der Internationalen Arbeiterassoziation unter Zufügung des
Namens der betreffenden Örtlichkeit bezeichnen und konstituieren.
" Art. 3: - "Es ist also von nun an den Zweigen, Sektionen oder
Gruppen verboten, sich mit Sektennamen zu bezeichnen, wie zum
Beispiel als positivistischer, mutualistischer, kollektivisti-
scher, kommunistischer Zweig usw., oder separatistische Gruppen
unter dem Namen: Sektion der Propaganda usw. zu bilden, die sich
spezielle Aufgaben außerhalb des gemeinsamen von allen Gruppen
der Internationalen verfolgten Zweckes stellen." [289]
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1*) Siehe vorl. Band, S. 32-34
#358# Karl Marx/Friedrich Engels
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welche die Masse der Arbeiter nur anzunehmen, zu verbreiten und
praktisch ins Werk zu setzen braucht. Es liegt schon in der Natur
dieser durch die Initiative einzelner gebildeten Sekten, daß sie
sich jeder wirklichen Tätigkeit, der Politik, den Strikes, Ge-
werksgenossenschaften, mit einem Worte jeder Gesamtbewegung ge-
genüber fremd und abgeschlossen verhalten. Die Masse des Proleta-
riats bleibt stets ihrer Propaganda gegenüber gleichgültig, ja
selbst feindlich. Die Arbeiter von Paris und Lyon wollten ebenso-
wenig von den Saint-Simonisten, Fourieristen, Ikariern wissen,
wie die englischen Chartisten [229] und Trades-Unionisten von den
Owenisten. Die Sekten, im Anfange Hebel der Bewegung, werden ein
Hindernis, sowie diese sie überholt, sie werden dann reaktionär;
Beweis dafür sind die Sekten in Frankreich und England und
letzthin die Lassalleaner in Deutschland, welche, nachdem sie
jahrelang die Organisation des Proletariats gehemmt, schließlich
einfache Polizeiwerkzeuge geworden sind. Kurz, sie stellen die
Kindheit der Proletarierbewegung dar, wie die Astrologie und Al-
chimie die Kindheit der Wissenschaft. Damit die Gründung der
Internationalen zur Möglichkeit wurde, mußte das Proletariat
diese Entwicklungsstufe überschritten haben.
Gegenüber den phantastischen Sekten-Organisationen ist die Inter-
nationale die wirkliche und streitende Organisation der Proleta-
rierklasse in allen Ländern, verbunden unter sich in ihrem Kampfe
1*) gegen die Kapitalisten, die Grundeigentümer und ihre im
Staate organisierte Klassenmacht. Daher kennen die Statuten der
Internationalen nur einfache Arbeitergesellschaften, die sämtlich
den gleichen Zweck verfolgen und dasselbe Programm annehmen, das
sich darauf beschränkt, nur die großen Hauptzüge des Ganges der
Arbeiterbewegung zu zeichnen, und ihre theoretische Ausarbeitung
dem durch die Bedürfnisse des praktischen Kampfes und den
Gedankenaustausch innerhalb der Sektionen gegebenen Anstoß
überläßt, wie, denn die Internationale ohne Unterschied jede so-
zialistische "Überzeugung in ihren Organen und auf ihren Kongres-
sen zuläßt."
Die Allianz wollte nicht, daß die Internationale eine kämpfende
Gesellschaft wäre; das Zirkular von Sonvillier verlangte, daß sie
das treue Abbild der zukünftigen Gesellschaft sein sollte;
"wir müssen also dafür sorgen, daß wir diese Organisation unserem
Ideale so nahe wie möglich bringen... Die Internationale, als Em-
bryo der zukünftigen menschlichen Gesellschaft, ist verbunden
2*), schon jetzt die treue Abspiegelung unserer Prinzipien der
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1*) In der französischen Ausgabe: gemeinsamen Kampfe - 2*) in der
französischen Ausgabe: verpflichtet
#359# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Freiheit und der Föderation zu sein und aus ihrem Schöße jedes
nach Autorität, nach Diktatur strebende Prinzip zu verbannen."
Wäre es der Jura-Föderation mit ihrem Plane gelungen, die Inter-
nationale zu einem treuen Abbilde einer noch nicht existierenden
Gesellschaft zu machen und ihr jedes Mittel zu einer kombinierten
Tätigkeit zu entziehen, in der versteckten Absicht, sie der
"Autorität und Diktatur" der Allianz und ihres permanenten Dikta-
tors, des "Bürgers B.", zu unterwerfen, so hätte sie die kühnsten
Wünsche der europäischen Polizei übertroffen, die eben nur ver-
langt, die Internationale in Ruhestand versetzt zu sehen.
Um ihren früheren Kollegen von der Friedensliga und der radikalen
Bourgeoisie den Beweis zu liefern, daß der Feldzug, den sie er-
öffneten, sich gegen die Internationale und nicht gegen die Bour-
geoisie richte, schickten die Männer der Allianz ihr Zirkular an
alle radikalen Blätter. Die Gambettasche "République française"
beeilte sich, ihnen in einem Artikel voller Ermutigungen für die
Jurassier und Schmähungen gegen die Londoner Konferenz ihre Aner-
kennung auszusprechen. Das "Bulletin Jurassien" war so erfreut,
diese Stütze in der Bourgeois-Presse zu finden, daß es diesen
ganzen Artikel in seiner Nummer 3 abdruckte und so bewies, daß
das herzlichste Einvernehmen die ultrarevolutionären Allianzisten
und die Versailler Gambettisten vereinigte. [290] Um der angeneh-
men Nachricht einer in der Internationalen entstehenden Spaltung
mehr Verbreitung unter der Bourgeoisie zu verschaffen, wurde das
Zirkular von Sonvillier in den Straßen mehrerer Städte in
Frankreich, namentlich in Montpellier, an einem Markttage ver-
kauft. Man weiß, daß der Verkauf von Druckschriften auf der
Straße in Frankreich der polizeilichen Erlaubnis bedarf. *)
Dieses Zirkular wurde ballenweise überallhin versandt, wo die Al-
lianz glaubte, Freunde werben oder gegen den Generalrat Mißver-
gnügte gewinnen zu können. Der Erfolg war fast Null. Die spani-
schen Allianzisten sprachen sich gegen die Einberufung des in dem
Zirkular verlangten Kongresses aus und wagten sogar, dem Papste
Verweise zu erteilen. [292] In Italien erklärte sich ein einziges
Individuum, Terzaghi, und auch er nur für einen Augenblick, für
den Kongreß. In Belgien, wo es keine bekannten Allianzisten gab,
wo aber die ganze internationale Bewegung in dem Sumpf der Bour-
geois-Phrasen von politischer Enthaltung, Autonomie, Freiheit,
Föderation, Dezentralisation und im Kirchturmsgeist feststak, er-
hielt das Zirkular eine gewisse wohlwollende Anerkennung (succès
d'estime). Obgleich der Belgische Föderalrat der Forderung eines
außerordentlichen allgemeinen
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*) Toulouser Prozeß [291], siehe "La Réforme" (Toulouse) vom 18.
März 1873.
#360# Karl Marx/Friedrich Engels
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Kongresses seine Zustimmung versagte, die übrigens widersinnig
gewesen wäre, da Belgien auf der Konferenz durch sechs Delegierte
vertreten war, redigierte er doch einen Generalstatuten-Entwurf,
der den Generalrat einfach abschaffte. Als man auf dem belgischen
Kongresse diesen Vorschlag beriet, bemerkte der Delegierte von
Lodelinsart, daß das Gefühl der Arbeitgeber das beste Kriterium
für die Arbeiter sei. Wenn man nur die Freude sehe, welche schon
der Gedanke einer Abschaffung des Generalrats bei den Arbeitge-
bern hervorrufe, dann könne man schon versichern, daß es-unmög-
lich sei,
"einen größeren Fehler zu begehen, als den, diese Abschaffung zu
beschließen".
Der Antrag wurde auch abgelehnt. In der Schweiz protestierte die
Romanische Föderation energisch [293], überall anderswo jedoch
beantwortete man das Zirkular nur mit dem Schweigen der Verach-
tung.
Der Generalrat antwortete auf das Zirkular von Sonvillier und auf
die fortgesetzten Umtriebe der Allianz in dem vertraulichen Zir-
kular: "Les prétendues scissions dans l'Internationale", datiert
vom 5. März 1872. Zum großen Teil ist dieses Zirkular bereits
oben im Auszug mitgeteilt. Der Haager Kongreß machte mit jenen
Intrigen und Intriganten gebührenden kurzen Prozeß.
Gewiß haben diese Leute, die nur vom Lärmschlagen leben, einen
unbestreitbaren Erfolg gehabt. Die ganze liberale und Polizei-
presse hat offen ihre Partei ergriffen; sie sind in ihren persön-
lichen Schmähungen gegen den Generalrat und ihren matten Angrif-
fen gegen die Internationale von den Weltverbessern aller Länder
unterstützt worden - in England von den Bourgeois-Republikanern,
deren Intrigen der Generalrat vereitelte; in Italien von den dog-
matischen Freidenkern, die unter der Fahne Stefanonis den Vor-
schlag machten, eine Allgemeine Gesellschaft der Rationalisten
[67] mit Rom als obligatorischem Sitz, mit einer "autoritären"
und "hierarchischen" Organisation, mit atheistischen Mönchs- und
Nonnenklöstern zu gründen, eine Gesellschaft, deren Statuten eine
im Kongreßsaal aufzustellende Büste für jeden Bourgeois bestim-
men, der zehntausend Franken schenkt; endlich in Deutschland von
den bismarckschen Sozialisten, welche außerhalb ihres Polizei-
blatts, des "Neuen Social-Demokrat", die weißen Blusen [69] des
preußisch-deutschen Kaiserreichs darstellen.
Da die "Révolution Sociale" eingegangen, ließ sich die Allianz in
der Presse durch das "Bulletin Jurassien" vertreten, welches un-
ter dem Vorwande, die autonomen Sektionen gegen die Autoritätsbe-
strebungen des Generalrats und die Anmaßungen der Londoner Konfe-
renz zu schützen, an
#361# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
der Desorganisation der Internationalen arbeitete. Seine Nummer
vom 20. März 1872 gestand es offen, daß sie unter der
"Internationalen nicht diese oder jene Organisation verstehe,
welche heute einen Teil des Proletariats umfaßt. Die Organisatio-
nen sind etwas erst in zweiter Reihe Stehendes und Vorübergehen-
des... die Internationale ist, um in einer allgemeineren Weise zu
sprechen, jenes Gefühl der Solidarität unter den Ausgebeuteten,
welches die neue Welt beherrscht."
Die auf das reine "Gefühl der Solidarität" reduzierte Internatio-
nale wäre noch platonischer als die christliche Liebe. Als Probe
von den ehrenhaften Mitteln, deren sich das "Bulletin Jurassien"
bedient, geben wir folgende Stelle aus einem Briefe von Tokarze-
wicz, Chefredakteur des polnischen Blattes "Wolnosc" (Die Frei-
heit) in Zürich:
"In Nummer 13 des 'Bulletin Jurassien' steht ein Programm der
polnischen sozialistischen Gesellschaft zu Zürich, welche in drei
Tagen ihr Blatt 'Wolnosc' herausgeben wird. Wir autorisieren Sie,
drei Tage nach Empfang dieses Briefes dem Generalrat der Interna-
tionalen die Anzeige zu machen, daß das Programm falsch ist."
[294]
Die Nummer dieses "Bulletin" vom 15. Juni enthält die Antworten
der Allianzisten (Bakunin, Malon, Claris, Guillaume usw.) auf das
vertrauliche Zirkular des Generalrats. Diese Antworten entgegnen
auf keine von den Beschuldigungen, welche der Generalrat gegen
die Allianz und ihre Führer erhoben hatte. Der Papst, zu Ende mit
seinen Gründen, glaubte die Debatte zu schließen, indem er das
Zirkular einen "Schmutzhaufen" nannte.
"Übrigens", sagte er, "hatte ich es mir vorbehalten, alle meine
Verleumder vor ein Ehrengericht zu laden, welches der nächste
Kongreß mir ohne Zweifel nicht verweigern wird. Und wenn mir
diese Jury nur alle Garantien für ein unparteiisches und ernstli-
ches Urteil bietet, werde ich ihr nebst allen notwendigen Details
alle sowohl politischen wie persönlichen Tatsachen auseinander-
setzen können, ohne Furcht vor den Mißlichkeiten und Gefahren ei-
ner indiskreten Veröffentlichung."
Natürlich, der Bürger B. trat in den Riß - wie gewöhnlich: er er-
schien nicht im Haag.
Der Kongreß nahte heran und die Allianz wußte, daß vor diesem
Kongreß der Bericht über den Netschajewschen Prozeß, mit dessen
Abfassung der Bürger Utin von der Konferenz betraut war, veröf-
fentlicht werden sollte. Es war ihr von der höchsten Wichtigkeit,
das Erscheinen des Berichts vor dem Kongreß zu verhindern, damit
dessen Mitglieder nicht vollständig über diesen Gegenstand unter-
richtet würden. Bürger Utin begab sich nach Zürich, um seine Ar-
beit auszuführen. Kaum dort niedergelassen, wurde er das Opfer
eines Mordversuchs, den wir ohne Bedenken auf Rechnung der
#362# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
Allianz setzen. In Zürich hatte Utin keine anderen Feinde als ei-
nige allianzistische Slawen unter der "Oberhand" Bakunins. Übri-
gens ist die Organisation des Hinterhalts und Meuchelmords ein
von jener Gesellschaft anerkanntes und angewandtes Kampfmittel;
wir werden andere Beispiele hierfür in Spanien und Rußland sehen.
Acht slawisch redende Individuen lauerten Utin an einem einsamen
Orte in der Nähe eines Kanals auf; sowie er bei ihnen angekommen
war, griffen sie ihn von hinten an, schlugen ihn mit schweren
Steinen an den Kopf, versetzten ihm eine gefährliche Wunde am
Auge, und, nachdem sie ihn zu Boden geworfen, hätten sie ihn
vollends getötet und in den Kanal geworfen, wären nicht vier
deutsche Studenten hinzugekommen. Bei ihrem Anblick entflohen die
Mörder. Dieses Attentat hat den Bürger Utin nicht abgehalten,
seine Arbeit zu vollenden und sie dem Kongreß zu übersenden.
#363#
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IV
Die Allianz in Spanien
Nach dem zu Bern abgehaltenen Kongreß der Friedensliga im Septem-
ber 1869 begab sich Fanelli, einer der Gründer der Allianz und
Mitglied des italienischen Parlaments, nach Madrid. Er hatte Emp-
fehlungen von Bakunin an den Cortes-Deputierten Garrido, welcher
ihn mit einzelnen Republikanern, sowohl Bourgeois wie Arbeitern,
in Verbindung setzte. Kurze Zeit darauf, im November desselben
Jahres, schickte man von Genf aus Mitgliedskarten der Allianz an
Morago, Córdova y López (Republikaner, Cortes-Kandidat, Redakteur
des Bourgeois-Blatts "Combate" [295]) und Rubau Donadeu
(durchgefallener Kandidat für Barcelona und Gründer einer pseudo-
sozialistischen Partei). Die Kenntnis von der Sendung dieser Kar-
ten brachte Verwirrung in die junge internationale Sektion zu Ma-
drid; ihr Präsident, Jalvo, zog sich zurück, da er nicht einer
Assoziation angehören wolle, die in ihrer Mitte eine aus Bour-
geois bestehende geheime Gesellschaft dulde und sich von ihr lei-
ten lasse.
Bereits auf dem Kongreß zu Basel war die spanische Internationale
durch zwei Allianzisten vertreten, Farga Pellicer und Sentiñon,
von denen der letztere auf der offiziellen Liste als "Delegierter
der Allianz" figuriert. Nach dem Kongreß der spanischen Interna-
tionalen 1*) (Juni 1870) [177] setzte sich die Allianz in Palma,
Valencia, Malaga und Cadiz fest. Im Jahre 1871 wurden Sektionen
zu Sevilla und Córdoba gegründet. Im Anfang des Jahres 1871
schlugen Morago und Viñas, Delegierte der Allianz zu Barcelona,
den Mitgliedern des Föderalrats (Francisco Mora, Angel Mora, An-
selmo Lorenzo, Borrell usw.) vor,... eine Sektion der Allianz in
Madrid zu gründen; diese jedoch widersetzten sich dem, erklärend,
die Allianz sei eine gefährliche Gesellschaft, wenn sie geheim,
eine unnütze, wenn sie öffentlich wäre. Zum zweiten Male genügte
schon die Erwähnung dieses Namens, den
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: zu Barcelona
#364# Karl Marx/Friedrich Engels
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Keim der Uneinigkeit in den Schoß des Föderalrats zu werfen, so
daß Borrell die prophetischen Worte aussprach:
"Von heute an ist jedes Vertrauen unter uns tot."
Als jedoch die Verfolgungen der Regierung die Mitglieder des
Föderalrats zwangen, nach Portugal überzusiedeln, gelang es
Morago, sie von dem Nutzen jener geheimen Assoziation zu überzeu-
gen, und auf ihre Initiative wurde die Sektion der Allianz zu Ma-
drid gegründet. In Lissabon wurden einige Portugiesen, Mitglieder
der Internationalen, von Morago in die Allianz aufgenommen. Da er
jedoch fand, daß diese neuen Mitglieder ihm nicht genügende Ga-
rantien boten, gründete er ohne ihr Wissen eine andere Allianzi-
sten-Gruppe, die aus den schlechtesten, den Reihen der Freimaurer
entnommenen Bourgeois- und Arbeiterelementen bestand. Diese neue
Gruppe, zu der ein der Kutte entlaufener Pfaffe Bonança gehörte,
wollte die Internationalein Sektionen von je zehn Mitgliedern or-
ganisieren, die unter ihrer Leitung den Plänen des Grafen von Pé-
niche dienen sollten und die dieser politische Intrigant in einen
Schwindel-Aufstand zu verwickeln verstand, dessen einziger Zweck
war, ihm zur Macht zu verhelfen. Angesichts der allianzistischen
Intrigen in Portugal und Spanien zogen sich die portugiesischen
Internationalen von dieser geheimen Gesellschaft zurück und ver-
langten auf dem Haager Kongreß ihre Ausstoßung aus der Interna-
tionalen als eine Maßregel des Gemeinwohls.
Auf der Konferenz der spanischen Internationalen zu Valencia
(September 1871) gaben die Delegierten der Allianzisten, wie im-
mer auch Delegierte der Internationalen, ihrer geheimen Gesell-
schaft eine vollständige Organisation für die Iberische Halbin-
sel. Die Mehrheit derselben war des Glaubens, daß das Programm
der Allianz mit dem der Internationalen identisch sei, daß jene
geheime Organisation überall existiere, daß es fast Pflicht sei,
in dieselbe einzutreten, und daß die Allianz danach strebe, die
Internationale weiter zu entwickeln und nicht sie zu beherrschen;
sie beschloß daher, alle Mitglieder des Föderalrats aufzunehmen
1*). Kaum erfuhr dies Mosago, der bis dahin nicht gewagt hatte,
nach Spanien zurückzukehren, so kam er eiligst nach Madrid und
erhob gegen Mora die Beschuldigung, "er habe die Allianz der In-
ternationalen unterordnen wollen", was das Gegenteil des Zwecks
der Allianz sei. Und um dieser Meinung Autorität zu verleihen,
gab er, im folgenden Januar, Mesa einen Brief Bakunins zu lesen,
worin dieser einen machiavellistischen Plan zur Herrschaft über
die Arbeiterklasse entrollte.
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1*) In der französischen Ausgabe: einzuweihen
#365# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Dieser Plan war folgender:
"Die Allianz muß zum Scheine innerhalb der Internationalen, in
Wirklichkeit aber in einer gewissen Entfernung von derselben be-
stehen, um sie besser beobachten und lenken zu können. Aus diesem
Grunde müssen die Mitglieder, welche zu dem Rat oder den Komitees
der internationalen Sektionen gehören, stets in den Sektionen der
Allianz in der Minderheit sein." (Erklärung von José Mesa an den
Haager Kongreß, datiert 1. September 1872. [286])
In einer Versammlung der Allianz erhob Morago gegen Mesa die Be-
schuldigung, daß er diese geheime Gesellschaft durch die Aufnahme
sämtlicher Mitglieder des Föderalrats verraten habe, da dieses
ihnen die Mehrheit in der allianzistischen Sektion verschaffe und
tatsächlich die Herrschaft der Internationalen über die Allianz
begründe. Um diese Herrschaft zu verhindern, bestimmen die gehei-
men Instruktionen, daß nur ein oder zwei Allianzisten sich in den
Rat oder die Komitees der Internationalen einschleichen sollen,
um sie dann zu beherrschen unter Leitung und Hülfe der Allianz-
Sektion, in welcher im voraus alle Beschlüsse gefaßt wurden, wel-
che man der Internationalen aufdrängen wollte. Von diesem Augen-
blick an erklärte Morago dem Föderalrat den Krieg und gründete
auch hier, wie in Portugal, eine neue allianzistische Sektion,
die vor den Verdächtigen geheimgehalten wurde. Die Eingeweihten
an verschiedenen Orten Spaniens unterstützten ihn und begannen
den Föderalrat zu beschuldigen, daß er seine Pflichten gegen die
Allianz vernachlässige, wie es ein Zirkular der Sektion der Alli-
anz zu Valencia (30. Januar 1872) mit der Unterschrift Damon
(allianzistischer Spitzname Montoros) beweist. [297]
Als das Zirkular von Sonvillier ankam, hütete sich die spanische
Allianz wohl, Partei für den Jura zu ergreifen. Sogar die Mutter-
Sektion zu Barcelona behandelt in einem offiziellen Briefe vom
14. November 1871 den Papst Michail, gegen den sie den Verdacht
der persönlichen Rivalität zu Karl Marx erhob, in sehr derber und
ganz und gar ketzerischer Weise.*)
---
*) Dieser von Alerini "im Namen der Barceloneser Gruppe" der Al-
lianz geschriebene Brief, der mit der Anrede: "Mein lieber Baste-
lica und liebe Freunde" beginnt, wurde abschriftlich an alle Sek-
tionen der spanischen Allianz gesandt. Wir geben hier einige
Stellen aus demselben:
"Der gegenwärtige Generalrat kann seine Stellung nicht bis über
den Kongreß des nächsten Jahres behalten und seine unheilvolle
Tätigkeit kann nur eine zeitweilige sein... Ein öffentlicher
Bruch würde im Gegenteil unserer Sache einen Schlag versetzen,
von dem sie sich schwer erholen dürfte, wenn sie ihn überhaupt
aushält. Wir können also in keiner Weise Eure separatistischen
Tendenzen ermutigen... Einige unter uns haben sich gefragt, ob
nicht, abgesehen von der Prinzipienfrage, in all diesem oder
#366# Karl Marx/Friedrich Engels
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Der Föderalrat stimmte übrigens diesem Briefe bei, was uns zeigt,
wie geringen Einfluß damals die Schweizer Zentralbehörde in Spa-
nien besaß. Doch bald konnte man merken, daß die Gnade in den
verstockten Herzen zum Durchbruch kommen sollte. In einer Ver-
sammlung der internationalen Föderation zu Madrid (7. Januar
1872), in der man das Zirkular von Sonvillier besprach, verhin-
derte die neue, von Morago geleitete Gruppe die Verlesung des Ge-
genzirkulars der Romanischen Föderation und schnitt die Debatte
ab. Am 24. Februar schrieb Rafar (allianzistiscbe Maske für
Rafael Farga) an die allianzistische Sektion zu Madrid:
"Man muß die reaktionären Einflüsse und die Autoritätsbestrebun-
gen des Generalrats vernichten."
Dennoch konnte die Allianz nur in Palma auf Mallorca von den
Internationalen eine offene Zustimmungserklärung zum Jura-Zirku-
lar erlangen. Man sieht, daß die Kirchendisziplin den letzten Wi-
derstand gegen die Unfehlbarkeit des Papstes zu brechen begann.
Angesichts dieser ganzen unterirdischen Arbeit begriff der Spani-
sche Föderalrat, daß es dringend notwendig sei, sich der Allianz
zu entledigen. Die Verfolgungen der Regierung boten ihm einen
Vorwand. Um den Fall vorzusehen, daß die Internationale aufgelöst
würde, schlug er vor, geheime Gruppen von "Verteidigern der In-
ternationalen" zu gründen, in welche die Sektionen der Allianz
unmerkbar aufgehen sollten. Die Einführung zahlreicher neuer Mit-
glieder mußte den Charakter dieser Sektionen notwendig modifizie-
ren, die dann definitiv nebst jenen Gruppen an dem Tage ver-
schwinden sollten, wo die Verfolgung aufhörte. Aber die Allianz
erriet den verborgenen Zweck dieses Plans und brachte ihn zum
Fall, obwohl bei Ermangelung einer Organisation, wie die vorge-
schlagene, die Internationale in Spanien in Frage gestellt war,
wenn die Regierung ihre Drohungen ausführte. Die Allianz im Ge-
genteil machte diesen Vorschlag:
-----
neben all diesem Personenfragen mitspielen, zum Beispiel Rivali-
tät zwischen unserem Freunde Michail und Karl Marx, zwischen den
Mitgliedern der früheren A. und dem Generalrat... Wir haben mit
Schmerz in der 'Révolution Sociale' die Angriffe gegen den Gene-
ralrat und Karl Marx gelesen... Wenn wir die Meinung unserer
Freunde auf der Halbinsel, die von Einfluß in den Lokalräten
sind, kennen, werden wir unsere Haltung nach der allgemeinen Ent-
scheidung, der wir uns in jedem Punkte fügen, modifizieren usw."
Die frühere A. ist die vom Generalrat im Keime erstickte öffent-
liche Allianz. Das Exemplar des Briefes, aus dem wir diese Stel-
len ausgezogen haben, ist von Alerinis Hand geschrieben.
#367# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
"Wenn man uns außer Gesetz stellt, dürfte es nützlich sein, der
Internationalen eine äußere Form zu geben, die von der Regierung
geduldet werden könnte, wobei dann die Lokalräte gleichsam der
verborgene innere Kern wären, die unter dem Einfluß der Allianz
den Sektionen eine durchaus revolutionäre Richtung geben würden."
(Zirkular der Sektion der Allianz zu Sevilla, 25. Oktober 1871.
[298])
Feig in der Tat, mutig in der Phrase - da haben wir die ganze Al-
lianz in Spanien wie anderwärts.
Die Resolution der Londoner Konferenz über die politische Haltung
der Arbeiterklasse zwang die Allianz, sich in offene Feindschaft
zur Internationalen zu setzen, und gab dem Föderalrat Gelegen-
heit, seine vollständige Harmonie mit der großen Mehrheit der In-
ternationalen zu konstatieren. Sie brachte ihn noch dazu auf den
Gedanken, in Spanien eine große Arbeiterpartei zu bilden. Um dies
zu erreichen, mußte man zunächst die Arbeiterklasse vollständig
von allen Bourgeois-Parteien ablösen, vor allem von der republi-
kanischen Partei, welche aus den Arbeitern die Masse ihrer Wähler
und Kämpfer rekrutierte. Der Föderalrat empfahl Enthaltung bei
allen, monarchischen wie republikanischen, Deputiertenwahlen; um
dem Volke jede Illusion über das pseudo-sozialistische Phrasenge-
dresch der Republikaner zu nehmen, richteten die Redakteure der
"Emancipacion", die zugleich Mitglieder des Föderalrats waren,
einen Brief an die zum Kongreß versammelten Vertreter der födera-
listisch-republikanischen Partei, in welchem sie von diesem prak-
tische Maßregeln verlangten und sie aufforderten, sich über das
Programm der Internationalen zu erklären. [299] Das hieß der re-
publikanischen Partei einen schweren Schlag versetzen; die Alli-
anz bemühte sich, ihn abzuschwächen, denn sie war eng mit den Re-
publikanern verbündet. [300] Sie gründete in Madrid ein Blatt "El
Condenado" [301], das die drei Kardinaltugenden der Allianz:
Atheismus, Anarchie, Kollektivismus als Programm aufstellte, aber
den Arbeitern vorpredigte, daß sie keine Verkürzung der Arbeits-
zeit verlangen sollten. Neben dem "Bruder" Morago schrieb an die-
sem Blatt auch Estévanez, eines der drei Mitglieder des leitenden
Komitees der republikanischen Partei, neulich Gouverneur von Ma-
drid und Kriegsminister. Pino in Malaga, Mitglied der Föderalko-
mission der Pseudo-Internationalen, und Felipe Martin in Madrid,
gegenwärtig Geschäftsreisender der Allianz, dienten der republi-
kanischen Partei als Wahlagenten. Und um auch ihren Fanelli in
den spanischen Cortes zu haben, beschloß die Allianz, die Kandi-
datur Moragos aufzustellen.
Die Allianz hatte bereits zwei unverzeihliche Beschwerdepunkte
gegen den Föderalrat : 1. daß sich dieser in der Jura-Frage neu-
tral verhalten, 2. daß er ihren Bestand angegriffen; nach der
Haltung, welche der Föderalrat
#368# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
gegenüber der republikanischen Partei annahm und welche alle ihre
Pläne zu vereiteln drohte, beschloß sie, ihn zu stürzen. Der
Brief an den republikanischen Kongreß wurde von diesem als eine
Kriegserklärung aufgenommen. "La Igualdad" [302], das einfluß-
reichste Organ der republikanischen 1*) Partei, griff heftig die
Redakteure der "Emancipacion" an und beschuldigte sie, sich an
Sagasta verkauft zu haben. Der "Condenado" ermutigte diese Infa-
mie durch sein hartnäckiges Schweigen. Die Allianz tat noch mehr
für die republikanische Partei. Wegen dieses Briefes ließ sie die
Redakteure der "Emancipacion" von der internationalen Föderation
zu Madrid, in der sie. vorherrschte, ausstoßen.
Trotz der Regierungsverfolgungen hatte der Föderalrat während ei-
ner sechsmonatlichen Geschäftsführung 2*) die Zahl der Lokalföde-
rationen von 13 auf 70 gebracht; an 100 anderen Orten hatte er
Lokalföderationen vorbereitet, acht Gewerke hatte er als natio-
nale Gewerksgenossenschaften organisiert; daneben bildete sich
unter seiner Anregung die große Assoziation der katalonischen Fa-
brikarbeiter. Diese von den Mitgliedern des Föderalrats geleiste-
ten Dienste hatten denselben einen so großen moralischen Einfluß
verschafft, daß Bakunin das Bedürfnis fühlte, sie durch eine
lange väterliche Ermahnung, die er unterm 5. April 1872 an Mora,
den Generalsekretär des Föderalrats, sandte (siehe Beweisstücke
Nr. 3 3*)), auf den Weg des Heils zu führen. Der Kongreß zu
Saragossa (4.-11. April 1872) annullierte, trotz der Bemühungen
der durch mindestens zwölf Delegierte vertretenen Allianz, die
Ausstoßung und wählte zwei von den Ausgestoßenen, trotz ihrer
wiederholten Weigerung, eine Kandidatur anzunehmen, in den neuen
Föderalrat.
Auf dem Kongreß zu Saragossa wurden, wie immer, gleichzeitig die
Winkelversammlungen der Allianz abgehalten. Die Mitglieder des
Föderalrats beantragten 4*) die Auflösung der Allianz. Der Antrag
wurde, um nicht abgelehnt zu werden, umgangen. Zwei Monate dar-
auf, am 2. Juni, schickten dieselben Männer in ihrer Eigenschaft
als Direktoren der spanischen Allianz und im Namen der Madrider
Sektion der Allianz ein Zirkular an die anderen Sektionen, in
welchem sie ihren Antrag erneuerten und für denselben folgenden
Grund angaben:
"Die Allianz ist von dem Wege abgewichen, den sie nach unserer
Ansicht hätte verfolgen müssen; sie hat den Gedanken, dem sie
ihre Entstehung verdankt, gefälscht,
-----
1*) In der französischen Ausgabe fehlt: republikanischen - 2*) in
der französischen Ausgabe eingefügt: nach der Konferenz von Va-
lencia - 3*) siehe vorl. Band, S.469-471 - 4*) in der französi-
schen Ausgabe eingefügt: dort
#369# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
und statt ein integrierender Teil unserer großen Assoziation zu
sein, ein tätiges Element, welches den verschiedenen Organen der
Internationalen einen fördernden Antrieb gäbe, indem es sie in
ihrer Entwicklung unterstützte und begünstigte, hat sie sich
vielmehr vollständig von der übrigen Assoziation losgelöst und
ist dahin gelangt, eine Sonderorganisation zu bilden, die sich
über jene stellt und sie zu beherrschen trachtet; hierdurch führt
sie in unserer Mitte Mißtrauen, Zwietracht und Spaltung herbei...
In Saragossa hat sie, statt Ideen zur Lösung der wichtigen Aufga-
ben des Kongresses mitzubringen, denselben im Gegenteil nur Fes-
seln und Hindernisse angelegt."
Schon den Tag darauf ließ die Allianz von neuem die Unterzeichner
des Zirkulars vom 2. Juni aus der internationalen Föderation zu
Madrid ausstoßen. 1*) Zum Vorwand nahm sie einen Artikel der
"Emancipacion" vom 1. Juni, in dem eine Untersuchung verlangt
wurde
"über die Quelle des Vermögens der Minister, Generale, Richter,
öffentlichen Beamten, Bürgermeister usw... und aller politischen
Personen, welche, ohne ein öffentliches Amt zu bekleiden, im
Schatten der verschiedenen Regierungen lebten, denen sie ihre Un-
terstützung in den Cortes gewährten und deren ungerechtes Verfah-
ren sie unter der Maske einer falschen Opposition deckten... de-
ren Vermögens-Konfiskation die erste Maßregel am ersten Tag einer
Revolution sein müßte".
Die Allianz, welche hierin einen direkten Angriff gegen ihre
Freunde in der republikanischen Partei erblickte, beschuldigte
die Redakteure der "Emancipacion", die Sache des Proletariats
verraten zu haben, da sie durch das Verlangen der Konfiskation
des Vermögens der Staatsdiebe ja das Privateigentum anerkannten.
Nichts kennzeichnet besser den reaktionären Geist, der sich unter
dem revolutionären Scharlatanismus der Allianz birgt und den sie
der Arbeiterklasse einimpfen möchte. Und nichts beweist besser
die Perfidie der Allianz, als daß sie dieselben Leute als Vertei-
diger des Privateigentums ausstößt, die sie gleichzeitig wegen
ihrer kommunistischen Ansichten verflucht.
Diese neue Ausstoßung wurde unter Verletzung des in Kraft befind-
lichen Reglements vollzogen; dieses schreibt die Bildung eines
Ehrengerichts vor, zu welchem der Angeklagte zwei von sieben
Richtern ernennt und von deren Entscheidung er an die Generalver-
sammlung der Sektion appellieren kann. Statt dessen ließ die Al-
lianz, um nicht in ihrer Autonomie gestört zu werden, die Aussto-
ßung in derselben Sitzung beschließen, in der sie die Anklage er-
hob. Von 130 Mitgliedern, aus denen die Sektion bestand, hatten
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1*=) Diesem Satz geht in der französischen Ausgabe folgender Satz
voraus: Von allen Sektionen der Allianz in Spanien antwortete nur
die von Cádiz. indem sie ihre Auflösung mitteilte.
#370# Karl Marx/Friedrich Engels
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sich nur 15 Kumpane eingefunden. Die Ausgestoßenen appellierten
an den Föderalrat.
Dieser Föderalrat war, dank den Umtrieben der Allianz, nach Va-
lencia verlegt worden. - Von den beiden auf dem Kongreß zu Sara-
gossa wiedergewählten Mitgliedern des früheren Föderalrats hatte
Mora nicht angenommen und kurz darauf legte Lorenzo sein Amt nie-
der. Von dem Augenblick war der Föderalrat mit Leib und Seele der
Allianz ergeben. Er beantwortete auch die Berufung der Ausgesto-
ßenen mit einer Inkompetenz-Erklärung, obwohl der Art. 7 des Re-
glements der Spanischen Föderation ihm die Pflicht auferlegte,
vorbehaltlich der Berufung an den nächsten Kongreß jede Lokalfö-
deration zu suspendieren, welche die Statuten verletze. Die Aus-
gestoßenen konstituierten sich dann als "Neue Föderation" und be-
antragten ihre Anerkennung beim Föderalrat, der sie kraft der
Autonomie der Sektionen formell verweigerte. Die Neue Madrider
Föderation wandte sich dann an den Generalrat, der sie gemäß Art.
II, 7 und IV, 4 des allgemeinen Reglements zuließ [303]). Der
Haager allgemeine Kongreß billigte diesen Akt und ließ einstimmig
den Delegierten 1*) der Neuen Madrider Föderation zu.
Die Allianz hatte die ganze Bedeutung dieser ersten rebellischen
Bewegung begriffen ; sie hatte begriffen, daß, wenn sie nicht im
Keime erstickt würde, die bisher so gelehrige spanische Interna-
tionale ihren Händen entschlüpfen würde; sie setzte alle anstän-
digen und unanständigen Mittel in Bewegung. Mit der Verleumdung
fing sie an. Die Namen der Ausgestoßenen: Angel und Francisco
Mora, José Mesa, Victor Pagés, Iglesias, Sáenz, Calleja, Pauly
und Lafargue wurden mit der Bezeichnung Verräter in den Zeitungen
veröffentlicht und in den Lokalen der Sektionen angeheftet. Mora,
der, um seine Pflicht als Generalsekretär zu erfüllen, seine Ar-
beit verlassen hatte und mehrere Monate hindurch von seinem Bru-
der unterstützt worden war, weil kein Geld vorhanden war, um sein
Gehalt zu bezahlen, wurde beschuldigt, auf Kosten der Internatio-
nalen gelebt zu haben. Mesa, der, um seinen Lebensunterhalt zu
verdienen, ein Modejournal redigiert und einmal einen Artikel für
ein illustriertes Blatt übersetzt hatte, wurde als an die Bour-
geoisie verkauft behandelt. Lafargue wurde mit der Todsünde bela-
stet, durch ein lukullisches Mahl das schwache Fleisch-von Marti-
nez und Montoro, zwei Mitgliedern des neuen allianzistischen
Föderalrats, den Versuchungen des heiligen Antonius ausgesetzt zu
haben, als ob sie ihr Gewissen in ihrem Wanst trügen. Wir reden
hier nur von den
-----
1*) Paul Lafargue
#371# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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öffentlichen und gedruckten Verleumdungen. Diese Maßregeln trugen
indes nicht die ersehnte Frucht; man ging also über zur Ein-
schüchterung. In Valencia wurde Mora in einen Hinterhalt gelockt,
wo die Mitglieder des Föderalrats ihn mit dem Knüppel in der Hand
erwarteten. Mitglieder der Lokalföderation rissen ihn heraus;
sie, die das Verfahren jener Herren kennen, versichern, daß vor
eben so schlagenden Argumenten Lorenzo seine Entlassung nahm. Zu
Madrid wurde kurz darauf ein ähnlicher Angriff 1*) gemacht. Die
allianzistische Kongregation des Index tat die "Emancipacion" al-
len Gläubigen gegenüber in den Bann; in Cádiz erklärte man, um
eine heilsame Furcht in die Seele der Sünder zu werfen, jeden
Verkäufer der "Emancipacion" als Verräter aus der Internationalen
stoßen zu wollen. Die allianzistische Anarchie verwirklicht sich
in der Praxis als Inquisition.
Die Allianz machte sich nun, wie gewöhnlich, an die Arbeit, dahin
zu wirken, daß auf dem Haager Kongreß die ganze Vertretung der
spanischen Internationalen nur aus ihren Mitgliedern bestehe. Zu
diesem Zweck ließ der Föderalrat den Sektionen ein Privatzirkular
zugehen, dessen Existenz er sorgfältig vor der Neuen Madrider
Föderation verbarg. Er schlug darin vor, den Kongreß durch eine
von sämtlichen Internationalen zu wählende Gesamt-Repräsentation
zu beschicken, und zur Deckung der Vertretungskosten eine allge-
meine Steuer von 25 Cent, pro Kopf zu erheben. Da die Zeit zu
kurz war, um unter den lokalen Föderationen eine Verständigung
über die Kandidaturen zu erlauben, war es klar, wie auch die Tat-
sache bewiesen hat, daß die offiziellen Kandidaten der Allianz
gewählt und auf Kosten der Internationalen zum Kongreß delegiert
werden würden. Dieses Zirkular kam jedoch in die Hände der Neuen
Madrider Föderation und wurde an den Generalrat gesandt, der, be-
kannt mit der Abhängigkeit des Föderalrats von der Allianz, den
Augenblick zum Handeln gekommen sah. Er schrieb also an den Spa-
nischen Föderalrat einen Brief, in dem es heißt:
"Bürger! Wir haben die Beweise in der Hand, daß im Schöße der
Internationalen, und namentlich in Spanien, eine geheime Gesell-
schaft besteht, die sich Allianz der sozialistischen Demokratie
nennt. Diese Gesellschaft, deren Zentralbehörde in der Schweiz
ist, hat die besondere Aufgabe, unsere große Assoziation im Sinne
ihrer Sonderinteressen zu lenken und sie Zwecken dienstbar zu ma-
chen, welche der ungeheuren Mehrheit der Internationalen unbe-
kannt sind. Wir wissen ferner durch die 'Razon' von Sevilla, daß
mindestens drei Mitglieder Eures Rats der Allianz angehören ...
-----
1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: auf Iglesias
#372# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
War der Charakter und die Organisation dieser Gesellschaft schon
damals mit dem Geist und dem Buchstaben unserer Statuten unver-
einbar, als sie noch frei und öffentlich auftrat, so bildet ihre
geheime Fortexistenz mitten in der Internationalen, trotz des ge-
gebenen Worts, einen wahrhaften Verrat gegen unsere Assoziation.
Die Internationale kennt nur eine Art Mitglieder mit gleichen
Rechten und Pflichten für alle; die Allianz teilt sie in zwei
Klassen, Eingeweihte und Profane, von denen die letzteren dazu
bestimmt sind, sich vermittelst einer Organisation lenken zu las-
sen, deren Existenz sie nicht einmal ahnen. Die Internationale
verlangt von allen, die. sich ihr anschließen, daß sie Wahrheit,
Gerechtigkeit und Sittlichkeit als die Regel ihres Verhaltens an-
erkennen: Die Allianz aber macht es ihren Eingeweihten zur ersten
Pflicht, die profanen Internationalen über die Existenz der ge-
heimen Organisation, über die Motive und selbst über die Zwecke
ihrer Worte und Handlungen zu täuschen." 1*)
Der Generalrat verlangte dann von ihnen gewisse Materialien zur
Untersuchung über die Allianz, die er dem Haager Kongreß vorlegen
wollte, sowie eine Erklärung darüber, wie sie ihre Pflichten ge-
gen die Internationale mit der Gegenwart von mindestens drei no-
torischen Mitgliedern der Allianz im Föderalrat vereinbarten.
Der Föderalrat antwortete in einem ausweichenden Briefe, worin er
jedoch die Existenz der Allianz anerkannte.
Da die Ränke, von denen wir gesprochen, nicht auszureichen schie-
nen, um den Erfolg der Wahl zu sichern, ging die Allianz in ihren
Organen so weit, die offiziellen Kandidaturen von Farga, Alerini,
Soriano, Marselau, Mendez, Morago aufzustellen. Das Resultat der
Wahlen ergab für Marselau 3568, für Morago 3442, für Mendez 2850,
für Soriano 2751 Stimmen. Von den anderen Kandidaten erhielt
Lostau 2430 Stimmen aus vier katalonischen Städten, die augen-
scheinlich noch nicht gut diszipliniert waren; Fuster 1053 Stim-
men zu Sans in Katalonien. Keiner der anderen Kandidaten hatte
mehr als 250 Stimmen. Um die Wahl Fargas und Alerinis zu sichern,
erteilte der Föderalrat der Stadt Barcelona, in welcher die Alli-
anz dominierte, das Privileg, selbst ihre Delegierten zu wählen,
die natürlich Farga und Alerini waren. - Dasselbe offizielle Zir-
kular konstatiert ferner, daß die vier katalonischen Städte, die
Lostau und Fuster gewählt, also die offiziellen Kandidaten der
Allianz verworfen hatten, 2654 Reales (ca. 550 Mark) für die De-
legationskosten aufbrachten, während die anderen spanischen
Städte, in denen die Allianz bei der Ungewohntheit der Arbeiter,
-----
1*) Vgl. vorl. Band, S. 122/123
#373# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
ihre Geschäfte selbst in die Hand zu nehmen, ihre Kandidaten
hatte durchbringen können, im ganzen nur 2799 Reales (ca. 580
Mark) zahlten. Die Neue Madrider Föderation hatte also recht ge-
habt, als sie sagte, daß das Geld der Internationalen dazu dienen
würde, die Delegierten der Allianz nach dem Haag zu senden. Übri-
gens zahlte der allianzistische Föderalrat nicht vollständig den
vorschriftsmäßigen Beitrag an den Generalrat.
Alles dieses befriedigte die Allianz noch nicht. Sie brauchte für
ihre Delegierten ein von ihr diktiertes imperatives Mandat und
erlangte es auf folgende Weise. In seinem Zirkular vom 7. Juli
suchte der Föderalrat um die Autorisation nach, die von den Lo-
kalföderationen gegebenen imperativen Mandate in ein Gesamtmandat
zusammenzufassen; er erhielt sie auch. Dieses Manöver, schlimmer
als ein bonapartistisches Plebiszit [304], gestattete der
Allianz, das Mandat ihrer Delegierten zu redigieren, ein Mandat,
das sie dem Kongreß aufzuzwingen sich vermaß, indem sie ihren
Delegierten verbot, an der Abstimmung sich zu beteiligen, wenn
nicht der vom allgemeinen Reglement der Internationalen
vorgeschriebene Modus der Abstimmung sofort geändert würde. Daß
dieses nur eine Spiegelfechterei war, beweist der Umstand, daß
auf dem Kongreß zu Saint-Imier die spanischen Delegierten, trotz
ihres Mandats, sich an der Abstimmung nach Föderationen
beteiligten, ein Modus der Abstimmung, wie er so sehr von
Castelar gerühmt und von der Friedensliga gehandhabt wird. *)
-----
*) Sentiñon, Doktor der Medizin zu Barcelona, ein persönlicher
Freund von Bakunin und einer der Gründer der spanischen Allianz,
gab lange vor dem Haager Kongreß den Internationalen den Rat,
ihre Beiträge nicht an den Generalrat zu zahlen, da dieser sie
zum Ankauf von Gewehren verwendete; er suchte die spanischen In-
ternationalen davon abzuhalten, die Sache der besiegten Kommune
für die ihre zu erklären; wegen Preßvergehen ins Gefängnis ge-
steckt, erließ er ein Manifest, in welchem er die damals ver-
folgte Internationale zu verleugnen den Mut hatte; aus diesem
Grunde von der gesamten Arbeiterklasse in Barcelona verlassen,
blieb er dennoch eines der geheimen Häupter der Allianz, denn in
einem Briefe vom 14. August 1871, drei Monate nach dem Fall der
Kommune, wies Montoro, Mitglied der Allianz, einen allianzisti-
schen Korrespondenten an Sentiñon, der ihm, wie er sagte, über
seinen Charakter und seine Eigenschaft als Allianzmitglied Aus-
kunft geben würde.
Viñas, Student der Medizin, den Sentiñon in einem Briefe vom 26.
Januar 1872 Liebknecht empfahl als "die Seele der Internationalen
zu Barcelona", zog sich, ohne daß die Polizei sich die Mühe gab,
ihn ins Gefängnis zu stecken, von der Internationalen während der
Zeit ihrer Verfolgung zurück, um nicht die Interessen seiner Fa-
milie zu gefährden.
Farga-Pellicer, auch eins der Häupter der Allianz, wird in dem-
selben Briefe Sentiñons beschuldigt, zur Zeit der Verfolgung das
Weite gesucht und die gerichtliche
#374# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
---
Verantwortlichkeit für seine Artikel anderen überlassen zu haben.
Der Hasenmut der Allianzisten pocht kühn, immer und überall, auf
seine antiautoritäre Autonomie. Ihr Protest gegen die Autorität
des Bourgeois-Staats ist die Flucht.
Soriano, ein anderer Führer, Professor der (unbekannten 1*)) Wis-
senschaften, zog sich von der Internationalen zurück, als die
Verfolgung im ärgsten Zuge war. Auf dem Kongreß zu Saragossa wi-
dersetzte er sich mit leider erfolglosem Mute der von Lafargue
und anderen Delegierten verlangten öffentlichen Abhaltung des
Kongresses, weil er es nicht für klug hielt, den Zorn der Autori-
tät zu provozieren. Zuletzt, unter Amadeo, hat Soriano eine
Stelle bei der Regierung angenommen.
Morago, Ladenbesitzer und Kneipenbummler, behauptet seine Autono-
mie als Spieler von Profession mittelst der Arbeit seiner Frau
und seiner Lehrlinge. Als der Föderalrat nach Lissabon übersie-
delte, verließ er seinen Platz als Mitglied des Rats und machte
den Vorschlag, die Papiere der Internationalen in die See zu wer-
fen; als Sagasta die Internationale außer Gesetz erklärte, gab er
von neuem seine Stelle als Mitglied des Lokalrats zu Madrid auf
und rettete sich vor dem Sturm in den Hafen der Allianz. Fehlt
der Allianz auch der Christus, an Petrussen hat sie Überfluß.
Clémente Bové, wurde als Präsident der Assoziation der katatoni-
schen Fabrikarbeiter (las très clases de vapor [305]) wegen sei-
ner zu autonomen Kassenausgleichungen abgesetzt und ausgestoßen.
Dionisio Garcia Fraile - in der Nummer des allianzistischen Blat-
tes "Federacion" vom 28. Juli 1872, in welcher er ein langes
Schreiben voll Angriffen gegen die Neue Föderation zu Madrid ver-
öffentlichte, heißt er "unser lieber Kollege" - stand im Dienste
der Polizei zu San Sebastian und bestahl die Kasse der Interna-
tionalen.
-----
1*) In der französischen Ausgabe: geheimnisvollen
#375#
-----
V
Die Allianz in Italien
In Italien bestand die Allianz vor der Internationalen. Papst Mi-
chail hatte dort seinen Aufenthalt gehabt und sich zahlreiche
Verbindungen unter den jüngeren radikalen Elementen der Bour-
geoisie verschafft. Die erste Sektion der italienischen Interna-
tionalen, die zu Neapel, stand von ihrer Gründung an unter der
Führung dieses Bourgeois- und Allianzistenkreises. Der Advokat
Gambuzzi *), einer der Gründer der Allianz, verschaffte seinem
"Musterarbeiter" Caporusso die Präsidentschaft. Auf dem Kongreß
zu Basel vertrat Bakunin, Arm in Arm mit seinem getreuen Capo-
russo, die neapolitanischen Internationalen, während der Anto-
nelli der Allianz, Fanelli **),
---
*) "Einer der eifrigsten Parteigänger Caporussos war der Advokat
Carlo Gambuzzi, der in ihm das Muster eines Präsidenten einer in-
ternationalen Sektion 1*) gefunden zu haben glaubte. Gambuzzi war
es auch, der ihm die Mittel zum Besuch des Kongresses zu Basel
verschaffte. Und als die Ausstoßung Caporussos in der Generalver-
sammlung der Sektion beschlossen wurde, widersetzte er sich leb-
haft der Veröffentlichung dieser Tatsache im 'Bulletin' und über-
redete auch seine Freunde, nicht auf die Veröffentlichung jener
andern schimpflichen Tatsache, der Aneignung von 300 Franken, zu
dringen." (Brief Cafieros vom 12. Juli 1871.) [306]
**) Fanelli ist bereits seit langer Zeit im italienischen Parla-
ment. Gambuzzi, hierüber interpelliert, erklärte, daß es etwas
sehr Schönes sei, Deputierter zu sein; man sei der Polizei gegen-
über unverletzlich und könne umsonst auf allen italienischen Bah-
nen fahren. Die Allianz verbietet den Arbeitern jede politische
Tätigkeit, denn vom Staate die Feststellung eines Normal-Arbeits-
tages für Frauen und Kinder verlangen, hieße den Staat anerkennen
und sich vor dem bösen Prinzip beugen; aber die Bourgeois-Führer
der Allianz haben päpstlichen Dispens, der ihnen gestattet, im
Parlament zu sitzen und die ihnen von den Bourgeois-Staaten gebo-
tenen Vorrechte zu genießen. Die atheistische und anarchistische
Tätigkeit Fanellis im italienischen Parlament hat sich bisher auf
eine schwülstige Lobrede auf den Autoritarier Mazzini, den Mann
des "Dio e popolo" 2*), beschränkt.
-----
1*) Bei Cafiero: einer Sektion der Internationale - 2*) "Gott und
Volk"
#376# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
Delegierter mehrerer außerhalb der Internationalen stehenden Ar-
beiter-Assoziationen, durch ein Unwohlsein unterwegs aufgehalten
wurde.
Die Vertrautheit mit dem heiligen Vater berauschte den braven
Caporusso. Bei seiner Rückkehr nach Neapel glaubte er, über den
anderen Allianzisten zu stehen; er spielte bei seiner Sektion den
Herrn.
"Die Reise nach Basel wandelte Caporusso von Kopf zu Fuße um...
Er kam zurück vom Kongreß mit sonderbaren Ideen und Ansprüchen,
ganz und gar mit dem Wesen unserer Assoziation im Widerspruch. Er
sprach zuerst andeutungsweise, dann offen in gebieterischem Tone
von Vollmachten, die er nicht hatte und nicht haben konnte; er
versicherte, daß der Generalrat nur zu ihm Vertrauen habe, und
daß er, wenn die Sektion nicht nach seinem Willen ginge, die
Vollmacht habe, sie aufzulösen und eine neue zu gründen."
(Offizieller Bericht der Sektion zu Neapel an den Generalrat,
Juli 1871, abgefaßt und unterzeichnet vom allianzistischen Advo-
katen Carmelo Palladino.)
Die Vollmachten Caporussos mußten vom Zentralkomitee der Allianz
ausgehen, denn die Internationale hat nie derartige erteilt. Der
gute Caporusso, der in der Internationalen nur eine Quelle per-
sönlichen Vorteils erblickte, ernannte seinen Schwiegersohn,
einen Ex-Jesuiten und entlaufenen Priester zum
"Professor der Internationalen und zwang die armen Arbeiter,
seine Tiraden über die Achtung des Eigentums und andern Blödsinn
der Bourgeois-Volkswirtschaft 1*) herunterzuschlucken" (Brief Ca-
fieros) *),
worauf er sich dann von den Kapitalisten kaufen ließ, die durch
die Fortschritte der Internationalen in Neapel in Unruhe versetzt
wurden. Auf ihr Geheiß zog er die Kürschner Neapels in einen
hoffnungslosen Strike. Nebst drei anderen Mitgliedern ins Gefäng-
nis geworfen, behielt er die Summe von 300 Franken ein, welche
von der Sektion zur Unterstützung der vier
---
*) Caporusso hatte zwei Jahre später die Unverschämtheit, dieses
selbe, in Neapel durchgefallene Individuum dem Generalrat durch
folgende Reklame aufdrängen zu wollen: "Bürger-Präsident der In-
ternationalen! Die große Frage von Arbeit und Kapital, welche der
Arbeiterkongreß von Basel behandelte und die heute die Geister
aller Klassen beschäftigt, ist jetzt gelöst. Mein Schwiegersohn,
der Mann meiner Tochter, hat sich mit dem Studium des schweren
Problems der sozialen Frage beschäftigt, er hat die Entscheidun-
gen jenes Kongresses geprüft und mit Hülfe der Wissenschaft den
Faden des schwierigen Knotens gefunden, um die Arbeiterfamilie
mit der Bourgeoisie, jede in ihrem Rechte, in vollkommenes
Gleichgewicht zu bringen" usw. (unterzeichnet Stefano Caporusso).
[307]
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1*) Bei Cafiero: politische Ökonomie
#377# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Gefangenen geschickt wurde. Diese Großtaten bewirkten seine Aus-
stoßung aus der Sektion, die weiter fortexistierte, bis sie durch
Gewalt aufgelöst wurde (20.August 1871). Die Allianz, den Angrif-
fen der Polizei entgangen, benutzte diesen Umstand, um sich an
die Stelle der Internationalen zu setzen. Carmelo Palladino pro-
testierte bei Einsendung des oben zitierten offiziellen Berichts
vom 13. November 1871 gegen die Londoner Konferenz in denselben
Ausdrücken und mit denselben Gründen, die man im Zirkular von
Sonvillier vom Tage vorher findet.
Im November 1871 bildete sich in Mailand eine aus verschiedenen
Elementen zusammengesetzte Sektion. [308] Man fand in ihr Arbei-
ter, besonders Mechaniker, die von Cuno zugeführt wurden; daneben
Studenten, Journalisten der kleinen Presse, Kommis, diese letzte-
ren 1*) vollständig unter dem Einfluß der Allianz. Cuno war schon
wegen seines pangermanischen Ursprungs von ihren Mysterien ausge-
schlossen; doch überzeugte er sich, daß nach einer Pilgerfahrt
nach Locarno, dem allianzistischen Rom, diese jungen Bourgeois
sich als Sektion der geheimen Gesellschaft konstituiert hatten.
Kurz darauf (Februar 1872) wurde Cuno von der italienischen Poli-
zei verhaftet und ausgewiesen; dank dieser Hülfe des Himmels fand
die Allianz das Feld frei und disziplinierte ganz sachte die Mai-
ländische Sektion der Internationalen.
Am 8. Oktober 1871 konstituierte sich in Turin die Arbeiterfö-
dera-tion [62]; sie beantragte beim Generalrat ihre Aufnahme in
die Internationale. Ihr Sekretär, Carlo Terzaghi, schrieb in
jenem Briefe : "Attendiamo i vostri ordini" - wir erwarten Eure
Befehle. Wie um zu zeigen, daß in Italien die Internationale von
ihrem Ursprung an durch den bürokratischen Instanzenzug der Alli-
anz passieren mußte, meldet er, daß
"der Generalrat durch Vermittlung Bakunins einen Brief der Arbei-
ter-Assoziation zu Ravenna erhalten werde, worin diese sich als
internationale Sektion erkläre".
Am 4. Dezember zeigt Carlo Terzaghi dem Generalrat an, daß die
Arbeiterföderation sich gespalten habe, da die Majorität mazzini-
stisch sei, und daß die Minderheit sich unter dem Namen Emanzipa-
tion des Proletariers als Sektion konstituiert habe. [62] Er be-
nutzt die Gelegenheit, um vom Generalrat Geld für sein Journal
"Il Proletario" zu verlangen. Es war nicht die Aufgabe des Gene-
ralrats, für die Bedürfnisse der Presse zu sorgen; doch exi-
stierte in London ein Komitee, das sich bemühte, einige Gelder
zur Unterstützung der internationalen Blätter zu sammeln. Das Ko-
mitee
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1*) In der französischen Ausgabe fehlt: diese letzteren
#378# Karl Marx/Friedrich Engels
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war im Begriff, eine Unterstützung von 150 Franken zu senden, als
das "Gazzettino Rosa" verkündete, die Turiner Sektion habe für
den Jura offen Partei ergriffen und habe beschlossen, einen Dele-
gierten zu dem von der Jura-Föderation einzuberufenden allgemei-
nen Kongreß zu schicken. Zwei Monate später rühmte sich Terzaghi
vor Regis, daß er diesen Beschluß habe fassen lassen, nachdem er
in Locarno persönlich die Instruktionen Bakunins in Empfang ge-
nommen hatte. Bei dieser feindseligen Haltung zur Internationalen
schickte das Komitee kein Geld.
Obwohl Terzaghi in Turin die rechte Hand der Allianz war, so war
doch der wahre päpstliche Legat daselbst ein gewisser Jacobi, an-
geblich polnischer Arzt. Zur Erklärung seines Hasses gegen den
angeblichen Pangermanismus des Generalrats beschuldigte diesen
der allianzistische Doktor
"der Nachlässigkeit und Untätigkeit im französisch-preußischen
Kriege; man muß ihm den Fall der Kommune zuschreiben, da er es
nicht verstanden hat, sich seiner ungeheueren Macht zu bedienen,
um die Pariser Bewegung zu unterstutzen; seine germanischen Ten-
denzen fallen in die Augen, wenn man bedenkt, daß vor den Mauern
von Paris in der deutschen Armee 40 000 Internationale (!) stan-
den und der Generalrat nicht verstanden hat, seinen Einfluß zu
brauchen oder ihn nicht hat brauchen wollen, um die Fortsetzung
des Krieges zu verhindern" (!! - Bericht von Regis an den
Generalrat, 1. März 1872 [309]).
Er beschuldigt den Generalrat, ihn mit dem Preß-Komitee verwech-
selnd, "die Theorie der korrumpierenden und korrumpierten Regie-
rungen zu befolgen", als er die 150 Franken dem Allianzisten Ter-
zaghi verweigerte. Um zu beweisen, daß diese Klage der Allianz
von Herzen kam, machte es sich Guillaume zur Pflicht, sie auf dem
Haager Kongreß zu wiederholen.
Während Terzaghi in seinem Blatte vor dem Publikum die große an-
tiautoritäre Trommel der Allianz schlug, schrieb er unter der
Hand an den Generalrat, daß er seine Autorität brauchen und die
Beiträge der Turiner Arbeiterföderation zurückweisen solle, und
verlangte von ihm eine regelrechte Exkommunikation des Journali-
sten Beghèlli, der nicht einmal Mitglied der Internationalen war.
Derselbe Terzaghi, "der gute Freund (amicone) des Turiner Poli-
zeipräfekten, der ihn auf ein Gläschen Wermuth traktierte, wenn
er ihm begegnete" (offizieller Bericht des Turiner Föderalrats
vom 5. April 1872), denunzierte in einer öffentlichen Versammlung
die Anwesenheit des Flüchtlings Regis, der vom Generalrat nach
Turin gesandt war. Diese Anzeige trieb die Polizei sofort unmit-
telbar auf Regis' Fersen; es gelang diesem nur mit Hülfe der Sek-
tion, die Grenze zu erreichen.
#379# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Terzaghi beschloß in Turin folgendermaßen seine allianzistische
Mission. Da schwere Anklagen sich gegen ihn erhoben hatten, so
"drohte er die Bücher der Sektion zu verbrennen, wenn man ihn
nicht wieder zum Sekretär wählte, wenn man sich seinem Willen,
seiner Autorität zu entziehen trachtete, oder wenn man einen Ta-
del gegen ihn beschlösse. In allen diesen Fällen würde er sich
rächen, indem er Polizeiagent (questurino) würde". Aus dem oben
zitierten Bericht des Turiner Föderalrats.) Terzaghi hatte alle
Ursache, die Sektion einschüchtern zu wollen. In seiner Eigen-
schaft als Kassierer und Sekretär hatte er seine allianzistischen
Kassendiebstähle gar zu weit getrieben. Trotz eines formellen
Verbots von Seiten des Rats gewährte er sich eine Schadloshaltung
von 90 Franken; er trug in die Bücher unbezahlte und in der Kasse
fehlende Summen als bezahlt ein; die von ihm selbst aufgestellte
Rechnungsbilanz wies einen Kassenbestand von 56 Franken auf, die
nicht aufzufinden waren und die er sich zu ersetzen weigerte,
ebenso die 200 Beitragsmarken, welche er vom Generalrat erhalten
hatte. Die Generalversammlung schaßte (scacciò) ihn einstimmig
(der oben zitierte Bericht). Die Allianz, welche immer die Auto-
nomie der Sektionen respektiert, respektierte auch diese Aussto-
ßung, indem sie Terzaghi unmittelbar darauf zum Ehrenmitglied der
Sektion zu Florenz ernennen ließ und später zum Delegierten die-
ser selben Sektion für die Konferenz zu Rimini.
Wenige Tage später, in einem Brief vom 10. März, erklärt Terzaghi
dem Generalrat seine Ausstoßung auf folgende Weise: er habe seine
Entlassung als Mitglied und Sekretär dieser Sektion von Kanaillen
und Polizeispitzeln (canaglia et mardoccheria) eingereicht, weil
dieselbe "aus Agenten der Regierung und Mazzinisten zusammenge-
setzt sei", und weil man versucht habe, ihm ein Tadelsvotum anzu-
heften, "wissen Sie, warum? weil ich Krieg dem Kapital predigte!"
(Diesen Krieg führte er grade gegen die Kasse der Sektion.) Der
Brief hat den Zweck, dem Generalrat zu beweisen, daß er sonderbar
getäuscht sei über den Charakter dieses braven Terzaghi, der
nichts sehnlicher wünsche, als der untertänige Diener des Gene-
ralrats zu sein. Hatte er nicht "stets erklärt, daß man, um In-
ternationaler zu sein, seine Beiträge an den Generalrat zahlen
müsse" - im Gegensatz zu den geheimen Befehlen der Allianz?
"Wenn wir dem Jura-Kongreß beigetreten sind, so geschah es nicht,
um Ihnen, meine lieben Freunde, den Krieg zu erklären, sondern
man folgte einfach dem Strome; unsere Absicht war, in dem Kon-
flikt ein Friedenswort beizutragen. Was die Zentralisation der
Sektionen betrifft, so halte ich dieselbe, ohne ihnen jedoch eine
gewisse eigene Autonomie entziehen zu wollen, für sehr nützlich."
- - Ich hoffe, daß der große Rat die Aufnahme der mazzinistischen
Arbeiterföderation verweigern wird; seien Sie
#380# Karl Marx/Friedrich Engels
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überzeugt, daß niemand es Ihnen für Autoritätssucht auslegen
wird; ich übernehme alle Verantwortlichkeit dafür... Ich wünsche
1*) eine ausführliche Biographie von Karl Marx; in Italien haben
wir noch keine authentische und ich möchte die Ehre haben, zuerst
eine solche zu liefern."
Und was bedeutet diese ganze Schweifwedelei?
"Nicht meinetwegen, sondern um der Sache willen, um meinen zahl-
reichen Feinden nicht den Platz zu räumen, um ihnen zu zeigen,
daß die Internationale feststeht, bitte ich Sie dringend, wenn es
noch Zeit ist, mir die Unterstützung von 150 Franken zu bewilli-
gen, die der große Rat beschlossen hat."
Sich der Straflosigkeit sicher wähnend, scheint Terzaghi durch
neue Streiche in Florenz sich derart unmöglich gemacht zu haben,
daß der Fascio Operaio 2*) selbst sich genötigt sah, ihn zu
desavouieren. Hoffen wir, daß das Jura-Komitee verstanden hat,
seine Dienste besser zu würdigen.
Wenn die Allianz in Terzaghi ihren echten Repräsentanten gefunden
hat, so fand sie in der Romagna ihr richtiges Terrain. Sie bil-
dete dort ihre Gruppe angeblich internationaler Sektionen, die
als erste Verhaltungsregel hatten, sich nicht an die Allgemeinen
Statuten zu kehren und dem Generalrat weder ihre Konstituierung
anzuzeigen, noch Beiträge zu zahlen. Es waren wahrhaft autonome
Sektionen. Sie nahmen den Namen des Fascio Operaio an und dienten
verschiedenen Arbeiter-Assoziationen als Mittelpunkt. Ihr erster,
zu Bologna am 17. März 1872 abgehaltener Kongreß antwortete auf
die Frage:
"Soll man im allgemeinen Interesse und zur Sicherung der voll-
ständigen Autonomie des Fascio Operaio denselben der Leitung des
General-Komitees zu London oder der des Jura unterwerfen oder
soll man seine Unabhängigkeit bewahren, indem man zugleich Bezie-
hungen mit beiden Komitees unterhält?"
mit folgendem Beschluß:
"Der Kongreß erblickt in dem General-Komitee zu London und dem
des Jura nichts weiter als einfache Korrespondenz- und statisti-
sche Büros und beauftragt das Konsulat des Bezirks von Bologna,
sich mit beiden in Verbindung zu setzen und darüber den Sektionen
zu berichten."
Der Fascio Operaio hatte einen großen Bock geschossen, indem er
den Profanen die geheimnisvolle Existenz des geheimen Zentrums
der Allianz enthüllte. Das Jura-Komitee sah sich genötigt, öf-
fentlich seine geheime Existenz zu leugnen. - Was den Generalrat
anlangt, so hat ihm das Konsulat von Bologna nie ein Lebenszei-
chen gegeben.
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1*) In der französischen Ausgabe: Wenn es möglich wäre, möchte
ich - 2*) Arbeiterbund
#381# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Kaum hatte die Allianz von der Einberufung des Haager Kongresses
Kenntnis, so ließ sie ihren Fascio Operaio vorrücken, der im Na-
men seiner autonomen Autorität oder seiner autoritären Autonomie
sich den Titel italienische Föderation beilegte und zum 5. August
eine Konferenz nach Rimini einberief. Von den 21 Sektionen, die
dort vertreten waren, hatte eine einzige, die zu Neapel, jemals
zur Internationalen gehört, während keine der wirklich zur Inter-
nationalen gehörigen Sektionen, selbst nicht die zu Mailand, dort
einen Vertreter hatte. Diese Konferenz deckte den Feldzugsplan
der Allianz in folgender Resolution [310] auf:
"In Erwägung, daß die Londoner Konferenz (September 1871) es ver-
sucht hat, durch ihre Resolution IX der ganzen Internationalen
Arbeiter-Assoziation eine autoritäre Lehre aufzudrängen, welche
die der deutschen kommunistischen Partei ist;
in Erwägung, daß der Generalrat der Hebel und Stützpunkt dieses
Versuchs ist;
in Erwägung, daß die Lehre der autoritären Kommunisten die
Verneinung des revolutionären Gefühls des italienischen Proleta-
riats ist;
in Erwägung, daß der Generalrat die unwürdigsten Mittel, wie Ver-
leumdung und Betrug, gebraucht hat, einzig zu dem Zwecke, der
ganzen internationalen Assoziation die Einheit seiner speziellen
autoritär-kommunistischen Doktrin aufzuzwingen;
in Erwägung, daß der Generalrat das Maß seiner Unwürdigkeit durch
sein vertrauliches Zirkular, datiert London 5. März 1872, voll
gemacht hat, in welchem er, sein Werk der Verleumdung und des Be-
trugs fortsetzend, seine ganze Autoritätssucht enthüllt, nament-
lich in den beiden folgenden, beachtenswerten Stellen:
Es dürfte schwer sein, Befehle auszuführen ohne 'moralische' Au-
torität, in 'Ermangelung jeder anderen frei zugestandenen Autori-
tät'. (Vertrauliches Zirkular, Seite 27. 1*))
'Der Generalrat beabsichtigt, auf dem nächsten Kongreß eine Un-
tersuchung über jene geheime Organisation und ihre Führer in ge-
wissen Ländern, zum Beispiel in Spanien, zu verlangen.' (Seite
31. 2*)
In Erwägung, daß der reaktionäre Geist des Generalrats das revo-
lutionäre Gefühl der Belgier, Franzosen, Spanier, Slawen, Italie-
ner und eines Teiles der Schweiz empört und den Antrag auf Ab-
schaffung des Generalrats wie auf Reform der Allgemeinen Statuten
hervorgerufen hat;
in Erwägung, daß der Generalrat nicht ohne Ursache den Kongreß
nach dem von allen jenen revolutionären Ländern weit entlegenen
Haag berufen hat;
in Erwägung alles dessen erklärt die Konferenz feierlich vor al-
len Arbeitern der Welt, daß die italienische Föderation der In-
ternationalen Arbeiter-Assoziation von diesem Augenblick an jede
Solidarität zwischen sich und dem Londoner Generalrat aufhebt,
zugleich jedoch ihre ökonomische Solidarität mit allen Arbeitern
versichert, und alle Sektionen, welche nicht die autoritären
Prinzipien des Generalrats teilen, auffordert, ihre Vertreter zum
2. September 1872 nicht nach dem Haag, sondern nach
-----
1*) Siehe vorl. Band, S. 37 - 2*) ebenda, S. 42
#382# Karl Marx/Friedrich Engels
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Neuchâtel (Schweiz) zu senden, um an demselben Tage den antiauto-
ritären allgemeinen Kongreß zu eröffnen.
Rimini, 6. August 1872
Für die Konferenz
Carlo Cafiero, Präsident, Andrea Costa, Sekretär."
Der Versuch, den Fascio Operaio an die Stelle des Generalrats zu
setzen, scheiterte vollständig. Sogar der Spanische Föderalrat,
diese einfache Filiale der Allianz, wagte es nicht, die Resolu-
tion von Rimini den spanischen Internationalen zur Abstimmung zu
unterbreiten. Die Allianz versuchte also ihren Schnitzer wieder-
gutzumachen, und ging nach dem Haag, berief aber gleichzeitig ih-
ren antiautoritären Kongreß nach Saint-Imier.
Italien war durch besondere günstige Umstände das gelobte Land
der Allianz geworden. Der Papst Michail deckt dieses Geheimnis in
seinem Briefe an Mora (Beweisstücke Nr. 3 1*)) auf:
"In Italien gibt es, was den anderen Ländern fehlt, eine glü-
hende, energische Jugend ohne jede Stellung, ohne Karriere, ohne
Ausweg (tout-à-fait déplacée, sans carrière, sans issue), die
trotz ihrer Bourgeois-Herkunft nicht moralisch und intellektuell
erschöpft ist wie die junge Bourgeoisie anderer Länder. Heute
stürzt sie sich kopfüber (à tête perdue) in den revolutionären
Sozialismus mit unserem ganzen Programm, dem Programm der Alli-
anz. Mazzini, unser genialer 2*) und mächtiger Gegner, ist tot,
die mazzinistische Partei ist vollständig desorganisiert, und Ga-
ribaldi läßt sich mehr und mehr fortreißen von jener seinen Namen
führenden Jugend, die jedoch viel weiter als er geht, ja läuft."
*)
Der heilige Vater hat recht. Die Allianz in Italien ist nicht ein
"Arbeiter-Bund" (Fascio Operaio), sondern ein Haufen von Deklas-
sierten 3*), der Abhub der Bourgeoisie. Alle angeblichen Sektio-
nen der italienischen Internationalen werden geleitet von Advoka-
ten ohne Klienten, von Ärzten ohne
---
*) Garibaldi selbst schreibt hierüber: "Mein lieber Crescio!
Herzlichen Dank für den 'Avvenire Sociale', den Sie mir zugesandt
haben und den ich mit Interesse lesen werde. Sie wollen in Ihrem
Blatte die Lüge und die Sklaverei bekämpfen: das ist ein sehr
schönes Programm. Aber ich glaube, daß die Bekämpfung des Prin-
zips der Autorität einer jener Fehler der Internationalen ist,
der ihre Fortschritte hindert. Die Pariser Kommune ist gefallen,
weil in Paris keine Autorität, sondern nur Anarchie existierte.
Spanien und Frankreich leiden an demselben Übel. Ich wünsche dem
'Avvenire' gutes Gedeihen und bleibe Ihr G. Garibaldi." [311]
------
1*) Siehe vorl. Band, S. 470/471 - 2*) in der französischen Aus-
gabe eingefügt: (sic) - 3*) in der französischen Ausgabe endet
hier der Satz
#383# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über Bakunin
-----
Patienten und ohne Kenntnisse, von Studenten vom Billard, von
Handlungsreisenden und sonstigen Kommis und besonders von Journa-
listen der kleinen Presse von mehr oder minder zweideutigem Ruf.
Italien ist das einzige Land, in dem die internationale Presse -
oder die sich so nennt - einen figaristischen Charakter trägt.
Man braucht nur einen Blick auf die Handschrift der Sekretäre
dieser angeblichen Sektionen zu werfen, um sich zu überzeugen,
daß sie immer eine kaufmännische ist oder doch den gewohnheits-
mäßigen Gebrauch der Feder verrät. Sich so aller offiziellen
Stellungen in den Sektionen bemächtigend, zwang die Allianz die
italienischen Arbeiter, sobald sie untereinander oder mit einem
auswärtigen Rat der Internationalen in Verbindung treten wollten,
sich der Hände jener allianzistischen degradierten Bourgeois zu
bedienen, die in der Internationalen endlich eine "Karriere" und
einen "Ausweg" fanden.
#384#
-----
VI
Die Allianz in Frankreich
Die Mitglieder waren dort wenig zahlreich, aber sehr eifrig. In
Lyon wurde die Allianz geleitet von Albert Richard und Gaspard
Blanc, in Marseille von Bastelica, alle drei tätige Mitarbeiter
an den von Guillaume redigierten Blättern. Ihnen ist es zu dan-
ken, daß die Allianz es fertigbrachte, die Lyoner Bewegung im
September 1870 zu desorganisieren; diese Bewegung hatte für sie
keine andere Bedeutung, als daß sie Bakunin Gelegenheit gab, sein
ewig denkwürdiges Dekret der Abschaffung des Staates loszulassen.
- Die Tätigkeit der Allianz nach der Niederlage der Lyoner Insur-
rektion ist trefflich charakterisiert in folgender Stelle eines
Briefs von Bastelica (Marseille, 13. Dezember 1870):
"Unsere tatsächliche Macht ist ungeheuer groß unter den Arbei-
tern; doch ist unsere Sektion seit den letzten Verfolgungen nicht
wieder organisiert worden. Wir wagen es nicht zu tun, aus Furcht,
daß in Abwesenheit der Führer (initiateurs) die Elemente korrum-
piert Werden könnten. 1*)"
Der Umstand, daß Bastelica zu einem Marschregiment eingezogen war
und jeden Augenblick von Marseille entfernt werden konnte, war
also für ihn ein genügender Grund, die Reorganisation der Inter-
nationalen zu verhindern, so unentbehrlich für ihre Autonomie
hielt er die Gegenwart der allianzistischen Führer. - Das augen-
scheinlichste Resultat, das die Allianz zuwege brachte, war bei
den Lyoner und Marseiller Arbeitern die Internationale, die sie
wie immer und überall zu repräsentieren vorgab, in Mißachtung zu
bringen.
Das Ende Richards und Blancs ist bekannt. Im Herbst 1870 erschie-
nen sie in London und suchten unter den französischen Flüchtlin-
gen Bundesgenossen für eine bonapartistische Restauration zu wer-
ben. Im Januar 1872
-----
1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: Wir halten uns in Re-
serve.
#385# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
veröffentlichten sie die Broschüre: "L'Empire et la France nou-
velle. Appel du peuple et de la jeunesse à la conscience
française, par Albert Richard et Gaspard Blanc, Bruxelles, 1872."
(Das Kaisertum und das neue Frankreich. Ein Appell des Volks und
der Jugend an das französische Gewissen, von Albert Richard und
Gaspard Blanc, Brüssel 1872.)
Mit der gewöhnlichen Bescheidenheit der Scharlatane der Allianz
preisen sie sich hier an:
"Wir, die wir die große Armee des französischen Proletariats ge-
bildet hatten... wir, die einflußreichsten Führer der Internatio-
nalen in Frankreich... wir sind glücklicherweise nicht erschossen
worden, und wir sind da, um angesichts jener (der ehrgeizigen
Parlamentsredner, der vollwanstigen Republikaner, der angeblichen
Demokraten jeder Gattung) die Fahne aufzupflanzen, in deren
Schatten wir kämpfen, und um dem erstaunten Europa trotz der Ver-
leumdungen, trotz der Drohungen, trotz der Angriffe jeder Art,
die unser warten, jenen Ruf entgegenzuschleudern, der aus der
Tiefe unseres Gewissens kommt und bald in dem Herzen aller Fran-
zosen widerhallen wird, den Ruf: 'VIVE L' EMPEREUR!' (Es lebe der
Kaiser!)"
Wir enthalten uns der Untersuchung, ob diese beiden "durch den
normalen Fortschritt ihrer Anschauungen" kaiserlich gewordenen
Allianzisten wirklich einfache "Kanaillen" sind, wie sie ihr ehe-
maliger Freund Guillaume im Haag nannte, oder ob sie vom allian-
zistischen Papst den besonderen Auftrag erhalten haben, in die
Reihen der bonapartistischen Agenten zu treten. Die Dokumente der
russischen Allianz, die nach den geheimen Statuten das Geheimnis
der Geheimnisse dieser geheimnisvollen Gesellschaft enthüllen
sollen und von denen wir weiter unten Auszüge geben werden, sagen
ausdrücklich, daß die internationalen Brüder sich überall Zutritt
verschaffen sollen und daß sie selbst den Auftrag erhalten kön-
nen, in den Polizeidienst zu treten. Übrigens geht die Verehrung
jener beiden Brüder für ihren Bauernkaiser nicht weiter als die,
welche Bakunin selbst im Jahre 1862 für seinen Bauernzar hatte.
In den Städten Frankreichs, wo die Allianzisten nicht hingekommen
waren, entwickelte sich die Internationale reißend seit dem Fall
der Kommune. Auf dem Haager Kongreß konnte der Sekretär für
Frankreich 1*) berichten, daß sie in über dreißig Departements
organisiert war. Die beiden hauptsächlichsten allianzistischen
Korrespondenten für Frankreich, Benoît Malon und Jules Guesde
(der Name des letzteren steht unter dem Zirkular von Sonvillier),
welche die reißende Entwicklung unserer Assoziation kannten, ver-
suchten, sie zugunsten der Allianz zu desorganisieren. Ihre
Briefe
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1*) Auguste Serraillier
#386# Karl Marx/Friedrich Engels
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hatten nicht die beabsichtigte Wirkung; man schickte dann
Emissäre, unter anderen einen Russen namens Metschnikow, doch
auch ihre Anstrengungen führten zu nichts. Diese selben Indivi-
duen, welche schamlos den Generalrat beschuldigten, daß er die
Arbeiter verhindere,
"sich in jedem Lande frei, aus eigenem Antriebe, gemäß ihrem ei-
genen Geiste und ihren besonderen Gewohnheiten zu organisieren"
(Brief Guesdes vom 22. September 1872) [312],
sagten den Arbeitern, sowie diese sich frei, aus eigenem Antriebe
usw., aber in voller Harmonie mit dem Generalrat organisierten,
daß die Deutschen im Generalrat sie unterdrückten und daß es au-
ßer ihrer orthodoxen antiautoritären Kirche kein Heil gebe. Die
französischen Arbeiter, welche sich nur von den Versaillern un-
terdrückt fühlten, schickten diese Briefe an den Generalrat mit
der Frage, was das alles heißen solle.
Diese Tätigkeit der Allianz in Frankreich ist der beste Beweis,
daß sie der Internationalen den Krieg erklärt hatte von dem Au-
genblick an, wo sie die Hoffnung verlor, sie zu beherrschen. Jede
Sektion, die sich nicht ihrer Herrschaft unterwarf, wurde von ihr
als Feindin betrachtet, ja als noch ärgere Feindin denn die Bour-
geoisie. Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns, das ist die
offen von ihr in allen ihren russischen Manifesten eingestandene
Regel. 1*) Den Augenblick, wo die französische Arbeiterklasse vor
allem irgendeiner Organisation, einerlei welcher, bedurfte, ge-
rade diesen Augenblick wählte die Allianz, um Thiers und der
Krautjunker-Versammlung zu Hülfe zu kommen, indem sie der Inter-
nationalen den Krieg erklärte.
Sehen wir jetzt, wer die Agenten der Allianz waren in ihrem Feld-
zuge zugunsten der Versailler.
In Montpellier hatte Guesde zum Vertrauten einen Studenten der
Medizin , namens Paul Brousse *). Dieser machte allianzistische
Propaganda im Hérault-Département 3*), wo Guesde ein Journal:
"Les Droits de l'Homme" [314] (Die Menschenrechte) herausgegeben
hatte. Kurz vor dem Haager Kongreß, als die Internationalen des
Südens übereingekommen waren, Beiträge für einen gemeinschaftli-
chen Kongreßdelegierten zu zahlen, versuchte Brousse die Sektion
von Montpellier zu bewegen, ihren Anteil nicht zu zahlen und
---
*) Jetzt mit Alerini Redakteur der "Solidarité révolutionnaire"
[313] in Barcelona. 2*)
-----
1*) In der französischen Ausgabe folgt: Der Erfolg der allgemei-
nen Bewegung bedeutet für sie ein Unglück, wenn sich diese Bewe-
gung nicht ihrem Sektenjoch unterwirft. - 2*) in der französi-
schen Ausgabe fehlt diese Fußnote - 3*) in der französischen Aus-
gabe: Dieser versuchte, allianzistische Propaganda im ganzen Hér-
ault-Departement zu machen
#387# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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nicht eher Partei zu ergreifen, als bis der Kongreß die schweben-
den Angelegenheiten entschieden habe. Das Komitee des Südens,
Sektion von Montpellier, beschloß, beim Kongreß den Ausschluß
Brousses aus der Internationalen zu beantragen, weil er
"unredlich gehandelt habe, indem er innerhalb der Sektion eine
Spaltung hervorzurufen suchte". Sein Freund Guesde brachte in ei-
ner aus Rom an die Brüsseler "Liberté" gesandten Korrespondenz
[315] vom Monat Dezember dieses autoritäre Attentat gegen Brousse
zur Kenntnis und bezeichnete 1*) Calas in Montpellier mit vollem
Namen als Anstifter, während er Brousse nur mit den Anfangsbuch-
staben andeutete. Die durch diese Denunziation geweckte Polizei
überwachte Calas und nahm gleich darauf auf der Post einen Brief
Serrailliers an Calas in Beschlag, in welchem viel von Dentray-
gues in Toulouse die Rede war. Am 24. Dezember wurde Dentraygues
verhaftet.
Die tätigsten Bundesgenossen der Allianz waren in Narbonne Gon-
drès, als Polizeispion bezeichnet, Bacave, der in Narbonne und
Perpignan das Gewerbe eines Polizeiagenten betrieb, de Saint-Mar-
tin, Advokat und Korrespondent Malons. Herr de Saint-Martin be-
warb sich 1866 um eine Stelle im Ministerium des kaiserlichen
Hauses und der schönen Künste. Im Jahre 1869 wegen Preßvergehens
zu einer Geldbuße von 800 Franken verurteilt, brachten die Repu-
blikaner diese Summe für ihn zusammen; doch Saint-Martin, statt
das Geld zur Erledigung der Geldbuße zu verwenden, verwandte es
zu einem kleinen Ausflug nach Paris 2*), so daß die Arbeiter, um
Skandal zu vermeiden, ihre Sammlung wiederholen mußten. Unmittel-
bar nach den Maitagen 1871 bettelte derselbe Saint-Martin bei der
Versailler Regierung um eine Unterpräfektenstelle.
Noch ein Agent der Allianz: im November 1871 schrieb Calas an
Serraillier:
"Sie können auf die volle Ergebenheit des Bürgers Abel Bousquet
für die soziale Sache rechnen, er ist... Präsident des soziali-
stischen Komitees zu Béziers."
Zwei Tage darauf, am 13. November, erhielt Serraillier folgende
Erklärung:
"In der Überzeugung, ... daß man das Vertrauen des Bürgers Calas,
unseres gemeinschaftlichen Freundes, mißbraucht hat, so daß die-
ser dem Herrn Bousquet, Präsidenten des Wahlkomitees zu Béziers,
ein Vertrauen schenkte, dessen dieser durchaus unwürdig ist, da
besagter Bousquet Sekretär des Zentral-Polizeikommissärs von Be-
ziers ist... so bitten wir den Bürger Serraillier in Übereinstim-
mung mit dem Bürger
-----
1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: in allen Briefen -
2*) in der französischen Ausgabe eingefügt: auf Kosten der Arbei-
ter
#388# Karl Marx/Friedrich Engels
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Calas, der den Irrtum, dessen Opfer er geworden, erkannt hat, den
letzten vom Bürger Calas an ihn gerichteten Brief für nicht ge-
schrieben zu betrachten, und ersuchen ihn außerdem, wenn es an-
geht, den Herrn Bousquet aus der Internationalen streichen zu
lassen. Für die Delegation der sozialistischen Demokratie von Bé-
ziers und Pézenas" (folgen die Unterschriften).
Serraillier benutzte diese Erklärung, um in der Toulouser
"Emancipation" (19. Dezember 1871) diesen Herrn Bousquet als Po-
lizeiagenten zu entlarven. - Ein "Narbonne, 24. Juli 1872" da-
tierter Brief besagt, daß der Herr Bousquet
"die Funktionen eines Chef brigadiers der Polizei und die eines
Reisenden im Auftrage der Genfer Dissidenten in seiner Person
vereinigt".
Ganz natürlich also, daß das "Jura-Bulletin" vom 10.November 1872
seine Verteidigung übernimmt. [203]
#389#
-----
VII
Die Allianz seit dem Haager Kongreß
Wie man weiß, gaben in der letzten Sitzung des Haager Kongresses
die vierzehn Delegierten der Minorität eine gegen die gefaßten
Beschlüsse protestierende Erklärung ab. Diese Minorität bestand
aus folgenden Delegierten: vier Spaniern, fünf Belgiern, zwei Ju-
rassiern, zwei Holländern, einem Amerikaner.
Nachdem sie sich in Brüssel mit den Belgiern über die Grundlagen
eines gemeinsamen Vorgehens gegen den neuen Generalrat verstän-
digt hatten, reisten die Jurassier und die Spanier nach Saint-
Imier in der Schweiz, um dort den antiautoritären Kongreß [200]
abzuhalten, den die Allianz durch ihre Anhänger in Rimini hatte
einberufen lassen.
Diesem Kongreß vorher ging der der Jura-Föderation, welcher die
Haager Beschlüsse verwarf und namentlich die, welche Bakunin und
Guillaume ausgestoßen hatten; infolgedessen wurde die Föderation
vom Generalrat suspendiert.
Auf dem antiautoritären Kongreß war die Allianz vollzählig ver-
treten. Neben den Spaniern und Jurassiern finden wir Italien von
sechs Delegierten vertreten, unter ihnen Costa, Cafiero, Fanelli
und Bakunin selbst; zwei Delegierte gaben vor, "mehrere Sektionen
in Frankreich" und ein Delegierter, zwei Sektionen in Amerika zu
vertreten; im ganzen waren dort fünfzehn "Alliierte". Dieser Kon-
greß bot endlich Bakunin "alle Garantien eines unparteiischen und
ernsten Urteils"; auch herrschte auf ihm die größte Einmütigkeit.
Diese Leute, von denen mindestens die Hälfte nicht zur Inter-
nationalen gehörte, stellten sich als höchsten Gerichtshof hin,
berufen, in letzter Instanz über die Handlungen eines allgemeinen
Kongresses unserer Assoziation zu entscheiden. Sie erklärten,
alle Beschlüsse des Haager Kongresses absolut zu verwerfen und in
keiner Weise die Befugnisse des neuen von demselben gewählten Ge-
neralrats anzuerkennen. Endlich schlössen sie im Namen ihrer Fö-
derationen und ohne irgendeine Art Mandat hierzu ein
#390# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
Schutz- und Trutzbündnis - einen "Pakt der Freundschaft, der So-
lidarität und des gegenseitigen Schutzes" - gegen den Generalrat
und alle diejenigen, welche die Haager Beschlüsse anerkennen wür-
den; sie definierten ihren Enthaltungs-Anarchismus in folgender
Resolution, die eine direkte Verurteilung der Pariser Kommune
ist:
"Der Kongreß erklärt: 1. daß die Vernichtung jeder politischen
Macht die erste Pflicht des Proletariats ist; 2. daß jede Organi-
sation einer angeblich provisorischen und revolutionären politi-
schen Macht zum Zwecke der Bewerkstelligung jener Vernichtung nur
eine neue Täuschung sein kann und für das Proletariat ebenso ge-
fährlich sein muß, wie alle heute existierenden Regierungen."
Endlich beschloß man, die anderen autonomistischen Föderationen
aufzufordern, sich diesem neuen Pakt anzuschließen, und in sechs
Monaten einen zweiten antiautoritären Kongreß abzuhalten.
Die Spaltung in der Internationalen war also ausgesprochen. Das
Jura-Komitee nahm von diesem Augenblick die Geschäftsführung der
Dissidenten offen in die Hand. Der Teil der Internationalen, der
ihr folgte, war nichts weiter als die neugeborene alte öffentli-
che Allianz, die so der geheimen Allianz als Maske und Werkzeug
diente.
Nach Spanien zurückgekehrt, veröffentlichten die vier Haimonskin-
der der spanischen Allianz ein mit Schmähungen gegen den Haager
Kongreß und mit Lobeserhebungen gegen den von Saint-Imier ge-
spicktes Manifest. Der Föderalrat nahm diese Schmähschrift unter
seine Fittiche und berief auf Geheiß der Schweizer Zentralbehörde
den Landeskongreß nach Cordoba zum 25. Dezember 1872, während
dieser erst im April 1873 hätte stattfinden sollen. Die Schweizer
Zentralbehörde ihrerseits beeilte sich, vor allen Augen klarzule-
gen, welche subalterne Stellung ihr gegenüber dieser Föderalrat
einnehme: das Jura-Komitee schickte über den Kopf des Spanischen
Föderalrats hinweg die Resolutionen von Saint-Imier an alle
Lokalföderationen Spaniens.
Auf dem Kongreß zu Córdoba fanden sich von 101 Föderationen (die
vom Föderalrat angegebene offizielle Zahl) nur 36 vertreten; es
war also ein Minderheitskongreß, so reinlich und so zweifelsohne
wie kaum ein anderer. Neugebildete Föderationen waren durch zahl-
reiche Delegierte vertreten; Alcoy hatte ihrer sechs, und doch
war diese Föderation nie vorher auf einem Landeskongreß vertreten
gewesen; zur Zeit des Haager Kongresses existierte sie noch nicht
einmal, denn sie hatte für die spanische Delegation weder eine
Stimme noch einen Groschen abgegeben. Bedeutende und tätige Föde-
rationen, wie Gracia (500 Mitglieder), Badalona (500 Mitglieder),
Sabadell (125), Sans (1061), glänzten durch ihre Abwesenheit. Auf
#391# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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der Liste der achtundvierzig Delegierten findet man die Namen von
vierzehn notorischen Mitgliedern der Allianz, von denen zehn Fö-
derationen vertreten, bei denen sie nicht Mitglieder und wahr-
scheinlich auch unbekannt waren. Die Allianz, der von ihr fabri-
zierten Majorität sicher, ließ ihren Gelüsten jetzt freien Lauf.
Die in Valencia ausgearbeiteten und in Saragossa bestätigten Sta-
tuten der Landesföderation wurden umgestoßen, die Spanische Föde-
ration enthauptet, indem ihr Föderalrat durch eine bloße Korre-
spondenz- und statistische Kommission ersetzt wurde, der man
nicht einmal die Ablieferung der spanischen Beiträge an den Gene-
ralrat auftrug. In einem Wort, man brach mit der, Internationalen
durch die Verwerfung der Haager Beschlüsse und die Annahme des
Pakts von Saint-Imier; man trieb die Anarchie so weit, daß man
schon im voraus den nächsten allgemeinen Kongreß verwarf und
durch einen neuen antiautoritären Kongreß ersetzte,
"für den Fall, daß jener nicht die Würde und Unabhängigkeit der
Internationalen durch Umstoßung der Beschlüsse des Haager Kon-
gresses wiederherstelle".
Im Haag wollte die Allianz durch das imperative Mandat der Spa-
nier den Abstimmungsmodus aufzwingen, der ihr für den Augenblick
am besten paßte; in Córdoba ging sie so weit, daß sie bereits
neun Monate vorher die Beschlüsse vorschrieb, welche der nächste
allgemeine Kongreß fassen müsse. Gestehen wir es, weiter konnte
man die Autonomie der Sektionen und Föderationen nicht treiben.
Der Haager Kongreß, indem er die Allianz und ihre Häupter aus der
Internationalen stieß, gab der gegen die Allianz reagierenden Be-
wegung 1*) neue Kraft. Die Neue Madrider Föderation wurde in dem
Feldzuge, den sie eröffnet hatte, von den Föderationen zu Sara-
gossa, Vitoria, Alcalá de Henares, Gracia, Lérida, Denia, Pont de
Vilumara, Toledo, Valencia, der neuen Föderation zu Cádiz usw.
unterstützt. Das Zirkular des Föderalrats, der den Kongreß von
Córdoba einberief, verlangte von diesem, daß er über die Be-
schlüsse des allgemeinen Kongresses im Haag zu Gericht sitze. Es
war dieses eine offenbare Verletzung nicht nur der Allgemeinen
Statuten, sondern auch der spanischen Landes-Statuten [316], die
im Art. 13 erklären:
"Der Föderalrat hat die Beschlüsse der Landes- und internationa-
len Kongresse auszuführen und ausführen zu lassen."
Die Neue Madrider Föderation antwortete in einem Zirkular an die
anderen Lokalföderationen, in welchem sie erklärte, daß der Fö-
deralrat durch dieses Verfahren sich außerhalb der Internationa-
len gestellt habe,
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: in Spanien
#392# Karl Marx/Friedrich Engels
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und das Verlangen stellte, ihn durch einen neuen provisorischen
Föderalrat zu ersetzen, der die Aufgabe habe, streng die Statuten
aufrechtzuerhalten und nicht blind den Befehlen der Allianz zu
gehorchen. Dieser Vorschlag wurde angenommen; man ernannte einen
neuen Föderalrat, der seinen Sitz in Valencia hat. Derselbe er-
klärt sich in seinem ersten Zirkular (2. Februar 1873) als den
"treuen Wächter der auf den internationalen und Landes-Kongressen
ausgearbeiteten und bestätigten Statuten der Internationalen" und
protestiert energisch gegen diejenigen, welche die "Anarchie in
den Schoß der Internationalen pflanzen wollen, die Anarchie vor
der Revolution, die Entwaffnung vor dem Siege! Welche Freude für
die Bourgeoisie!" [317]
Gleichzeitig mit den Spaniern hielten die Belgier ihren Kongreß
ab und verwarfen gleichfalls die Haager Beschlüsse. Der General-
rat antwortete ihnen, wie den sezessionistischen Spaniern, durch
den Beschluß vom 26. Januar 1873 1*) welcher erklärt, daß "alle
Gesellschaften und Personen, welche sich weigern, die Kongreßbe-
schlüsse anzuerkennen, oder die Erfüllung der von den Allgemeinen
Statuten und Reglements auferlegten Pflichten ausdrücklich versa-
gen, sich selbst außerhalb der Internationalen Arbeiter-Assozia-
tion stellen und derselben anzugehören aufhören". Am 30. Mai ver-
vollständigte er diese Erklärung durch folgende Resolution 2*):
"In Anbetracht, daß der am 25. und 26.Dezember 1872 in Brüssel
abgehaltene Kongreß der Belgischen Föderation beschlossen hat,
die Beschlüsse des fünften allgemeinen Kongresses für null und
nichtig zu erklären;
in Anbetracht ferner, daß der vom 25. Dezember 1872 bis zum 2.
Januar 1873 in Córdoba abgehaltene Kongreß eines Teiles der Spa-
nischen Föderation beschlossen hat, die Beschlüsse des fünften
allgemeinen Kongresses nicht anzuerkennen und die Beschlüsse ei-
ner antiinternationalen Versammlung anzunehmen;
in Anbetracht endlich, daß eine in London am 26. Januar 1873
abgehaltene Versammlung beschlossen hat, die Resolutionen des
fünften allgemeinen Kongresses zu verwerfen;
erklärt der Generalrat der Internationalen Arbeiter-Assoziation
gemäß den Statuten und dem Verwaltungsreglement und in Überein-
stimmung mit seinem Beschluß vom 26. Januar 1873:
Alle Landes- oder Lokalföderationen, Sektionen und Personen, die
an den oben erwähnten Kongressen oder Versammlungen 3*) teilge-
nommen
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1*) Vgl. vorl. Band, S. 691/692 - 2*) vgl. ebenda, S. 693 -
3*) in der französischen Ausgabe eingefügt: zu Brüssel, Córdoba
und London
#393# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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haben oder deren Beschlüsse anerkennen, haben sich dadurch selbst
außerhalb der Internationalen Arbeiter-Assoziation gestellt und
aufgehört, derselben anzugehören."
Zu gleicher Zeit erklärte er von neuem, "daß eine italienische
Landesföderation nicht existiere, da keine sich diesen Titel bei-
legende Organisation jemals die geringste von den Statuten und
dem Verwaltungsreglement in betreff der Zulassung und Aufnahme
vorgeschriebene Bedingung erfüllt habe; es bestehen jedoch in
verschiedenen Teilen Italiens Sektionen in ordnungsmäßiger Bezie-
hung zum Generalrat". 1*)
Die Jurassier hielten ihrerseits am 27. und 28. April in
Neuchâtel einen neuen Kongreß ab. Es waren daselbst neunzehn De-
legierte aus zehn Schweizer Sektionen und einer angeblichen el-
sässischen Sektion erschienen; zwei Sektionen in der Schweiz und
eine in Frankreich hatten keine Delegierten geschickt. Die Jura-
Föderation gab also vor, in der Schweiz zwölf Sektionen zu zäh-
len. Der Delegierte von Moutier erklärte indessen, daß er nur ge-
kommen sei, um zugunsten einer Versöhnung mit der Internationalen
zu reden, und daß sein Mandat ihm verbiete, sich an den Arbeiten
des Kongresses zu beteiligen. Moutier hatte sich in der Tat seit
dem Kongreß zu Saint-Imier von der Jura-Föderation losgelöst. Es
bleiben also elf Sektionen. Der Umstand, daß der Bericht des Ko-
mitees sich aufs peinlichste enthält, auch nur die geringste An-
deutung über ihre Stärke und innere Lage zu machen, gibt uns das
Recht, vorauszusetzen, daß sie nicht mehr Lebensfähigkeit besit-
zen als zur Zeit des Kongresses zu Sonvillier. Zur Entschädigung
stellt der Bericht die auswärtigen Streitkräfte der Jurassier in
Schlachtordnung auf, die Alliierten, welche die Allianz seit dem
Kongreß im Haag gewonnen hat. Es sind dieses nach diesem Bericht
fast alle Föderationen der Internationalen:
"Italien" - Wir haben jedoch gesehen, daß es keine italienische
Föderation gibt.
"Spanien" - Obwohl die Majorität der spanischen Internationalen
in das Lager der Sezessionisten übergegangen ist, haben wir doch
eben gesehen, daß die Spanische Föderation immer noch existiert
und in ordnungsmäßiger Beziehung zum Generalrat steht.
"Frankreich, soweit es ernstlich organisiert ist", - das heißt
die "Sektion in Frankreich", welche sich beim Kongreß zu
Neuchâtel entschuldigt hat, daß sie keinen Delegierten geschickt
habe. Wir werden uns wohl hüten, den Jurassiern zu entdecken, was
in Frankreich bis jetzt noch "ernstlich
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1*) Vgl. vorl. Band. S. 694
#394# Karl Marx/Friedrich Engels
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organisiert" ist, trotz der letzten Verfolgungen, die zur Genüge
gezeigt haben, auf welcher Seite die ernstliche Organisation war,
und die 1*) sorgfältig das Paar Allianzisten schonten, welche
Frankreich besitzt.
"Ganz Belgien" - läßt sich von der Allianz nasführen, deren Prin-
zipien es weit entfernt ist zu teilen.
"Holland mit Ausnahme einer Sektion" - das heißt, zwei holländi-
sche Sektionen sind, nicht dem Pakt von Saint-Imier, sondern der
antiseparatistischen Erklärung der Haager Minorität beigetreten.
"England mit Ausnahme einiger Dissidenten!" - Die "Dissidenten",
d.h. die ungeheure Majorität der englischen Internationalen, ha-
ben am 1. und 2. Juni in Manchester ihren Kongreß abgehalten, auf
dem sechsundzwanzig Delegierte, welche dreiundzwanzig Sektionen
vertraten, erschienen waren [318]; während das England der Juras-
sier weder Sektionen noch Föderalrat, noch gar einen Kongreß hat.
"Amerika mit Ausnahme einiger Dissidenten!" - Die Amerikanische
Föderation 2*) besteht in regelmäßiger Wirksamkeit und in voller
Harmonie mit dem Generalrat; sie hat ihren Föderalrat und ihre
Kongresse. Das Amerika des Jura-Komitees ist nichts anderes als
jene Sorte in freier Liebe, in Papiergeld, in Ämtern und Korrup-
tion spekulierender Bourgeois, auf dem Haager Kongreß so treff-
lich repräsentiert von Herrn West, zu dessen Gunsten nicht einmal
die Jura-Delegierten zu sprechen oder zu stimmen wagten.
"Die Slawen", - das heißt die "slawische Sektion zu Zürich", die
wie immer eine ganze Race vorstellen muß. Die Polen, die Russen,
die österreichischen und ungarischen Slawen in der Internationa-
len, alles ausgesprochene Feinde der Sezessionisten, zählen nicht
mit.
Das sind also die Alliierten der Allianz. Wenn die elf Jura-Sek-
tionen keine reellere Existenz haben als die Majorität dieser Al-
liierten, hat ihr Komitee wohl alle Ursache gehabt, hinsichtlich
ihrer zu schweigen.
In dieser allianzistischen Schlachtordnung glänzt die Schweiz
durch ihre Abwesenheit, und zwar aus sehr guten Gründen. Einen
Monat später, am 1. und 2. Juni, wurde in Ölten ein allgemeiner
schweizerischer Arbeiterkongreß zur Organisation des Widerstandes
gegen das Kapital und der Strikes abgehalten. [319] Fünf Juras-
sier predigten daselbst das Evangelium von der absoluten Autono-
mie der Sektionen; sie ließen den Kongreß über die Hälfte seiner
Zeit verlieren. Endlich mußte man wohl zur Abstimmung
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: wie immer - 2*) in
der französischen Ausgabe eingefügt: der Internationale
#395# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über Bakunin
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schreiten; das Resultat war, daß von achtzig Delegierten fünfund-
siebzig gegen die fünf Jurassier stimmten, denen nichts übrig-
blieb, als den Saal zu verlassen.
Indessen scheint die Allianz in ihren geheimen Winkelsitzungen
sich über ihre wirklichen Hülfsmittel nicht der Täuschung hin-
zugeben, welche sie beim Publikum hervorrufen möchte. Auf demsel-
ben Kongreß zu Neuchâtel ließ sie folgende Resolution annehmen:
"In Erwägung, daß nach dem Wortlaut der Allgemeinen Statuten der
allgemeine Kongreß der Internationalen aus eigenem Recht alljähr-
lich zusammentritt, ohne daß es dazu einer von einem Generalrat
ausgehenden Einberufung bedarf, macht die Jura-Föderation allen
Föderationen der Internationalen den Vorschlag, am Montag, dem 1.
September, in einer Stadt der Schweiz zum allgemeinen Kongreß
zusammenzutreten."
Und um zu verhüten, daß dieser Kongreß in "die unheilvollen Haa-
ger Irrtümer" verfalle, verlangt man, daß die allianzistischen
Delegierten und ihre Alliierten bereits am 28. August als antiau-
toritärer Kongreß zusammentreten. Aus den Debatten über diesen
Vorschlag
"geht hervor, daß für uns als allgemeiner Kongreß der Internatio-
nalen nur derjenige gelten wird, der direkt von den Föderationen
selbst einberufen ist, und nicht der, welchen der angebliche Ge-
neralrat zu Neu) York etwa einzuberufen versuchen möchte".
So ist also die Spaltung bis zur äußersten Konsequenz getrieben.
Die Internationalen werden zu dem Kongreß gehen, mit dessen Ein-
berufung nach einer von ihm zu wählenden Stadt der Schweiz der
Generalrat von dem letzten Kongreß beauftragt ist. Die Allianzi-
sten und ihr von ihnen genasführter Anhang werden zu einem von
ihnen selbst kraft ihrer Autonomie einberufenen Kongreß gehen.
Wir wünschen ihnen glückliche Reise.
#396#
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VIII
Die Allianz in Rußland
1. Der Prozeß Netschajew
Die Tätigkeit der Allianz in Rußland ist uns durch den unter dem
Namen "Prozeß Netschajew" bekannten politischen Prozeß enthüllt
worden, der sich im Juli 1871 vor der Justizkammer in St. Peters-
burg abspielte. Zum ersten Male fand in Rußland die Verhandlung
eines politischen Prozesses öffentlich und vor Geschworenen
statt. Alle Angeschuldigten, mehr als achtzig an der Zahl, Männer
und Frauen, gehörten bis auf wenige Ausnahmen der studierenden
Jugend an. Sie hatten in den Gefängnissen der Petersburger Fe-
stung vom November 1870 bis Juli 1871 eine Präventivhaft er-
litten, die den Tod zweier von ihnen veranlaßte und mehrere an-
dere zum Wahnsinn brachte. Sie kamen aus dem Gefängnis, um ihre
Verurteilung zu den Bergwerken Sibiriens, zur Zwangsarbeit, zu
Gefängnis von fünfzehn, zwölf, zehn, sieben und zwei Jahren anzu-
hören; und diejenigen, welche vom öffentlichen Gerichtshof frei-
gesprochen wurden, wurden "auf dem Verwaltungswege" verbannt.
Ihr Verbrechen bestand darin, einer geheimen Gesellschaft ange-
hört zu haben, die sich den Namen der Internationalen Arbeiter-
Assoziation angemaßt und in die sie aufgenommen worden von einem
Emissär des internationalen revolutionären Komitees, dessen Man-
date mit dem angeblichen Siegel der Internationalen gestempelt
waren. Derselbe hatte zur Verübung von Gaunereien verleitet und
mehrere von ihnen gezwungen, ihn bei der Ausführung eines Mordes
zu unterstützen; dieser Mord hatte die Polizei auf die Spuren der
geheimen Gesellschaft gebracht; doch hatte, wie gewöhnlich, der
Emissär bereits das Weite gesucht. Die Polizei zeigte bei ihren
Nachforschungen einen solchen Scharfblick, daß man eine detail-
lierte Denunziation voraussetzen möchte. In dieser ganzen Affäre
spielt der Emissär die zweideutigste Rolle. Dieser Emissär war
Netschajew, Inhaber eines Vollmachtszeugnisses in folgender Fas-
sung:
#397# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über Bakunin
-----
"Der Inhaber dieses Zeugnisses ist bevollmächtigter Vertreter des
russischen Zweiges der allgemeinen revolutionären Allianz. - Num-
mer 2771."
Dieses Zeugnis führt 1. in französischer Sprache den Stempel:
"Alliance révolutionnaire européenne. Comité général." (Europä-
ische revolutionäre Allianz. Generalkomitee); 2. das Datum: 12.
Mai 1869; 3. die Unterschrift: Michail Bakunin *)
Im Jahre 1861 erhoben die Studenten in Erwiderung auf die fiska-
lischen Maßregeln, welche den Zweck hatten, arme junge Leute von
den höheren Bildungsanstalten fernzuhalten, sowie auf die Diszi-
plinarverfügungen, welche die Tendenz hatten, sie der diskretio-
nären Zucht der Polizeiagenten zu unterwerfen, energische und
einmütige Proteste, die sich aus ihren Versammlungen auf die
Straßen fortpflanzten und zu gewaltigen Kundgebungen heranwuch-
sen. Die Petersburger Universität wurde damals für einige Zeit
geschlossen und die Studenten ins Gefängnis geworfen oder ver-
bannt. Dieses Vorgehen der Regierung trieb die Jugend in geheime
Gesellschaften, die natürlich das Schicksal hatten, daß ein
großer Teil ihrer Angehörigen ins Gefängnis, ins Exil oder nach
Sibirien wanderten. Andere stifteten Kassen zur gegenseitigen Un-
terstützung, um den armen Studenten die Mittel zur Fortsetzung
ihrer Studien zu beschaffen. Die Ernstesten unter ihnen hatten
beschlossen, der Regierung keinen Vorwand mehr zur Unterdrückung
dieser Kassen zu geben, die in der Weise organisiert waren, daß
ihre Geschäftsführung in kleinen Zirkeln gehandhabt wurde. Diese
Zirkel gaben zugleich Gelegenheit, politische und soziale Fragen
zu diskutieren. Die sozialistischen Ideen waren bereits derart in
die Jugend der höheren russischen Schulen, zur großen Mehrheit
Söhne von Bauern und anderen armen Leuten, gedrungen, daß sie be-
reits an sofortige praktische Anwendung dieser Ideen dachte. Mit
jedem Tage verallgemeinerte sich diese Bewegung in den Schulen,
deren theoretische Seele Tschernyschewski (jetzt in Sibirien)
[321] war, und warf in die russische Gesellschaft eine besitzlose
Jugend, die, aus dem niederen Volke hervorgegangen, in den sozia-
listischen Ideen unterrichtet und von ihnen durchdrungen war.
Dies war der Stand der Dinge unter der russischen studierenden
Jugend, als Netschajew das Ansehen, in welchem die Internationale
stand, und die Begeisterung der Jugend benutzte, um die Studenten
zu überreden, daß es nicht mehr an der Zeit sei, sich mit jenen
Läppereien zu beschäftigen, während eine ungeheure geheime
---
*) Petersburger (russische) Zeitung [320], 1871, Nr. 180, 181,
187 etc.
#398# Karl Marx/Friedrich Engels
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Gesellschaft, mit der Internationalen in enger Verbindung, sich
damit beschäftige, die allgemeine Revolution anzufachen, und zum
sofortigen Handeln in Rußland bereit sei. Es gelang ihm, einigen
jungen Leuten zu imponieren und sie fortzureißen zur Begehung ge-
meiner Verbrechen, welche der Polizei den Vorwand boten, diese
ganze für das offizielle Rußland so gefährliche Bewegung der
Schulen niederzuwerfen.
Im März 1869 fand sich in Genf ein junger Russe ein, der als an-
geblicher Delegierter der Petersburger Studenten sich in die en-
geren Kreise der russischen Flüchtlingsschaft einzuführen suchte.
Er stellte sich unter verschiedenen Namen vor. Einige Flüchtlinge
wußten bestimmt, daß kein Delegierter von jener Stadt geschickt
wäre; andere hielten den angeblichen Delegierten, nachdem sie
sich mit ihm unterhalten hatten, für einen Spion. Er gab sich
schließlich unter seinem wahren Namen, Netschajew, zu erkennen;
er erzählte, daß er aus der Petersburger Festung, in der er als
einer der Hauptanstifter der im Januar 1869 in den Hochschulen
der Hauptstadt ausgebrochenen Unruhen gefangen gewesen, entflohen
sei. Mehrere Emigranten, die eine lange Haft in jener Festung er-
litten hatten, kannten aus Erfahrung die Unmöglichkeit jeder
Flucht; sie wußten also, daß Netschajew in diesem Punkte log; da
andererseits die Zeitungen und Briefe, welche die Namen der ver-
folgten Studenten enthielten, Netschajew nirgends erwähnten, so
hielten sie seine angebliche revolutionäre Tätigkeit für eine Fa-
bel. Bakunin jedoch nahm mit großem Lärm für Netschajew Partei;
er verkündete überall, daß er "außerordentlicher Gesandter der
großen in Rußland bestehenden und wirkenden geheimen Organisa-
tion" sei. Man bat damals Bakunin dringend, diesem Individuum
nicht die Namen seiner Bekannten, die er kompromittieren könnte,
anzuvertrauen. Er versprach es, und die Dokumente des Prozesses
zeigen, wie er sein Wort hielt.
In einer Unterredung, die Netschajew bei einem Flüchtlinge nach-
gesucht hatte, wurde er gezwungen, einzugestehen, daß er von kei-
ner geheimen Organisation delegiert sei, aber, sagte er, er habe
Kameraden und Bekannte, die er zu organisieren wünsche; er setzte
hinzu, daß man die alten Emigranten benutzen müsse, um vermit-
telst ihrer Namen die Jugend zu beeinflussen und ihre Presse und
ihr Geld in die Hand zu bekommen. Einige Zeit darauf erschienen
die von Netschajew und Bakunin an die Studenten gerichteten
"Worte". [322] Netschajew wiederholt darin das Märchen von seiner
Flucht und fordert die Jugend auf, sich dem revolutionären Kampfe
zu weihen; Bakunin entdeckt in den Organisationen der Hochschulen
"den staatszerstörenden Geist, ... der aus der Tiefe des Volks-
lebens
#399# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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selbst hervorgeht" *); er wünscht "seinen jungen Brüdern zu ihren
revolutionären Bestrebungen Glück,... denn es ist nahe, das Ende
dieses infamen Kaisertums aller Reußen!"
Sein Anarchismus dient ihm als Vorwand, den Polen den Eselstritt
zu versetzen, indem er ihnen vorwirft, daß sie
"nur an der Wiederherstellung ihres historischen Staates" (!!)
arbeiten - "sie denken also an eine neue Sklaverei ihres Volkes",
und wenn sie Erfolg hätten, "so würden sie ebensowohl unsere
Feinde werden, wie sie die Unterdrücker ihres Volkes sein würden.
Wir werden sie im Namen der sozialen Revolution und der Freiheit
der ganzen Welt bekämpfen."
Man sieht, Bakunin ist mit dem Zar in dem Punkte einverstanden,
daß man die Polen um jeden Preis hindern muß, ihre inneren Ange-
legenheiten nach eignem Ermessen zu ordnen. Die russische offi-
zielle Presse hat bei allen polnischen Aufständen stets die in-
surgierten Rolen beschuldigt, "die Unterdrücker ihres Volkes" zu
sein. Rührende Übereinstimmung zwischen den Organen der dritten
Sektion **) und dem Erzanarchisten von Locarno!
Das russische Volk, fährt Bakunin fort, befindet sich gegenwärtig
in einer Lage, ähnlich der, die es unter dem Zar Alexis, dem Va-
ter Peters des Großen, zum Aufstande zwang. Damals war es der
kosakische Räuberhauptmann Stenka Rasin, der sich an seine Spitze
stellte und ihm den "Weg" zur "Emanzipation" zeigte. Um sich
heute zu erheben, wartet das Volk nur auf einen neuen Stenka Ra-
sin; diesmal jedoch
"wird er ersetzt werden durch die Legion junger, aus ihrem Beruf
geworfener (déclassés) Leute, die jetzt bereits das Volksleben
mitleben ... Das Volk fühlt hinter sich seinen Stenka Rasin,
nicht den persönlichen, sondern den kollektiven (!) und dadurch
unbezwingbaren Helden. Das wird diese ganze herrliche Jugend
sein, über der bereits sein Geist schwebt."
Um diese Rolle eines Gesamt-Stenka-Rasin gut auszufüllen, hat die
Jugend sich vorzubereiten vor allem durch die Unwissenheit:
"So verlaßt denn schleunigst diese der Vernichtung geweihte Welt.
Verlaßt ihre Universitäten, ihre Akademien, ihre Schulen, geht in
das Volk", und seid "der Geburtshelfer seiner selbsttätigen Eman-
zipation, schafft die Einheit und Organisation seiner
---
*) Man muß hierbei bemerken, daß diese "Worte" gerade zur Zeit
der Verfolgungen und Verurteilungen veröffentlicht wurden, als
die Jugend ihr Möglichstes tat, ihre Bewegung unbedeutend er-
scheinen zu lassen, und die Polizei alles Interesse daran hatte,
dieselbe zu übertreiben.
**) Die dritte Sektion der kaiserlich russischen Kanzlei ist das
Zentralbüro der geheimen politischen Polizei in Rußland.
#400# Karl Marx/Friedrich Engels
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Bemühungen und aller Kräfte des Volkes. Kümmert euch in diesem
Augenblick nicht um die Wissenschaft, in deren Namen man euch
binden und entmannen möchte ... Dies ist der Glauben der besten
Männer des Westens... Die Arbeiterwelt Europas und Amerikas ladet
euch zu einer brüderlichen Allianz ein."
In ihren geheimen Statuten sagt die Allianz in der dritten Po-
tenz: "Die Grundsätze dieser Organisation... werden noch einge-
hender im Programm der russischen sozialistischen Demokratie aus-
einandergesetzt." 1*) Wir haben hier einen Anfang der Verwirkli-
chung dieses Versprechens. Außer den gewöhnlichen anarchischen
Phrasen und dem chauvinistischen Haß gegen die Polen, den Bakunin
nie hat verbergen können, sehen wir hier zuerst, wie er den rus-
sischen Räuber als das Urbild des wahren Revolutionärs preist,
wie er der russischen Jugend den Kultus der Unwissenheit predigt,
unter dem Vorwand, daß die gegenwärtige Wissenschaft nur eine of-
fizielle Wissenschaft sei (man stelle sich gefälligst eine offi-
zielle Mathematik, Physik oder Chemie vor) und daß dieses die
Meinung der Besten im Westen sei. Endlich gibt er am Schluß sei-
ner Broschüre zu verstehen, daß die Internationale durch seine
Vermittlung jener Jugend, der er selbst die Wissenschaft der
Ignorantenbrüder [323] untersagt, ein Bündnis anbiete.
Dieses evangelische "Wort" hat bei der Netschajewschen Verschwö-
rung eine große Rolle gespielt. Es wurde jedem Neugeweihten vor
seiner Aufnahme geheimnisvoll vorgelesen.
Gleichzeitig mit diesem "Wort" (1869) wurden folgende anonyme
russische Schriften losgelassen: I. "Formel der revolutionären
Frage"; 2. "Prinzipien der Revolution"; 3. "Veröffentlichungen
der Gesellschaft des 'Volksgerichts'" (Narodnaja rasprava) Nr. I,
Sommer 1869, Moskau. [324] - Alle diese Schriften waren in Genf
gedruckt, wie die Identität der Lettern mit denen der übrigen
Genfer russischen Drucksachen beweist - übrigens ist die Tatsache
notorisch unter der ganzen russischen Emigration -, was sie je-
doch nicht hinderte, auf der ersten Seite den Vermerk zu führen:
"Imprimé en Russie - Gedruckt in Rußland", um unter den russi-
schen Studenten die Meinung zu erwecken, daß die geheime Gesell-
schaft in Rußland selbst große Aktionsmittel besitze.
Die "Formel der revolutionären Frage" verrät auf den ersten Blick
ihre Verfasser. Es sind dieselben Phrasen, dieselben Ausdrücke,
deren Bakunin und Netschajew sich in ihren "Worten" bedienen.
"Man muß nicht allein den Staat, sondern auch die Staats- und Ka-
binetts-Revolutionäre vernichten. Wir wahrlich, wir sind für das
Volk."
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1*) Vgl. vorl. Band, S. 462
#401# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über Bakunin
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Vermöge der anarchischen Assimilation setzt sich Bakunin an die
Stelle der studierenden Jugend:
"Die Regierung selbst zeigt uns den Weg, den wir einschlagen müs-
sen, um unser Ziel, d.h. das Ziel des Volks, zu erreichen. Sie
verjagt uns aus den Universitäten, den Akademien, den Schulen.
Wir danken ihr, daß sie uns damit auf ein so ruhmreiches, ein so
günstiges Schlachtfeld gestellt hat. Jetzt haben wir festen Boden
unter den Füßen, jetzt können wir handeln. Und wie sollen wir
handeln? Das Volk unterrichten? Das wäre dumm. Das Volk weiß
selbst und besser als wir, was ihm not tut" -
man vergleiche hiermit die geheimen Statuten, die den Massen die
"Volksinstinkte", den Eingeweihten die "revolutionäre Idee" zu-
schreiben.
"Wir müssen das Volk nicht unterrichten, sondern es empören". Bis
heute "hat es sich immer nutzlos empört, weil es sich nur teil-
weise empörte ... wir können ihm eine äußerst wichtige Hülfe
bringen, wir können ihm das verschaffen, was ihm bisher stets ge-
fehlt hat, was die Hauptursache all seiner Niederlagen war - die
Einheit der allgegenwärtigen Bewegung vermittelst der Zusammen-
fassung seiner eigenen Kräfte."
Man sieht, die Lehre der Allianz, Anarchie von unten und Diszi-
plin von oben, erscheint hier in ihrer ganzen Reinheit. Zuerst
finden wir da 1*) "die Entfesselung dessen, was man heute böse
Leidenschaften nennt", dann aber "ist es notwendig, daß inmitten
der Volksanarchie, welche eben das Leben und die ganze Kraft der
Revolution bilden wird, die Einheit der revolutionären Idee und
Handlung ein Organ finde". Dieses Organ soll die russische Sek-
tion der allgemeinen Allianz sein, die Gesellschaft des Volks-
gerichts.
Doch die Jugend genügt Bakunin nicht. Er ruft unter die Fahne
seiner Allianz, russische Sektion, alle Räuber.
"Das Räubertum ist eine der ehrenhaftesten Formen des russischen
Volkslebens. Der Räuber ist der Held, der Schirmer und Rächer des
Volks, der unversöhnliche Feind des Staats und jeder vom Staat
gegründeten gesellschaftlichen und bürgerlichen Ordnung, der
Kämpfer auf Tod und Leben gegen diese ganze Zivilisation der Be-
amten, Edelleute, Priester und der Krone... Wer das Räubertum
nicht versteht, wird nie von der russischen Volksgeschichte das
Geringste verstehen. Wem das Räubertum nicht sympathisch ist, der
kann auch nicht mit dem Volksleben sympathisieren und hat kein
Herz für die hundertjährigen und unermeßlichen Leiden des Volks;
er gehört ins Lager der Feinde, der Parteigänger des Staats ...
nur im Räubertum zeigt sich die Lebensfähigkeit, die Leidenschaft
und die Kraft des Volks ... Der russische Räuber ist der wahre
und einzige Revolutionär - Revolutionär ohne Phrasen, ohne aus
den Büchern geschöpfte Rhetorik, ein unermüdlicher, unversöhnli-
cher und in der Aktion unwiderstehlicher Revolutionär, ein sozi-
aler und Volksrevolutionär, kein politischer und Klassen-
revolutionär...
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: durch den Aufruhr
#402# Karl Marx/Friedrich Engels
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Die in den Wäldern, Städten und Dörfern von ganz Rußland zer-
streuten und die in den zahllosen Kerkern des Reichs eingesperr-
ten Räuber bilden eine einige und unteilbare, fest verbundene
Welt, die Welt der russischen Revolution. In ihr, in ihr allein
besteht schon seit langem die wahre revolutionäre Verschwörung.
Wer in Rußland eine ernstliche Verschwörung will, wer die Volks-
revolution will, der muß in diese Welt gehen... Schlagen wir den
Weg ein, den uns die Regierung vorgezeichnet hat, als sie uns aus
den Akademien, den Universitäten und den Schulen jagte, Brüder,
werfen wir uns allesamt in das Volk, in die Volksbewegung, in die
Erneute der Räuber und der Bauern, und, einander treue und feste
Freundschaft bewahrend, fassen wir diese zerstreuten Aufstände
der Mushiks (Bauern) zu einer einzigen Masse zusammen. Machen wir
daraus eine wohlüberlegte, aber unerbittliche Volksrevolution".
*)
Auf dem zweiten Blatte, "Die Prinzipien der Revolution", findet
man das in den geheimen Statuten gegebene Gebot entwickelt, so zu
handeln, "daß kein Stein auf dem andern bleibt". Man muß alles
zerstören, um "den vollständigen Amorphismus" (Gestaltlosigkeit)
zu erzeugen, denn wenn "eine einzige alte Form" erhalten bliebe,
so würde sie der "Embryo" werden, aus dem alle anderen alten so-
zialen Formen wiedererständen. Das Blatt beschuldigt die politi-
schen Revolutionäre, welche diesen Amorphismus nicht ernst neh-
men, daß sie das Volk täuschen. Es erhebt die Anklage gegen sie,
daß sie
"neue Galgen und Schafotte aufgebaut, auf denen sie die dem
Kampfgemetzel entronnenen revolutionären Brüder hingerichtet ha-
ben ... bisher haben die Völker noch keine wahre Revolution gese-
hen... die wahre Revolution braucht keine Individuen, die sich an
die Spitze der Masse stellen und sie kommandieren, sondern Män-
ner, die, unsichtbar in ihrer Mitte verborgen, die unsichtbare
Verbindung einer Masse mit der andern ausmachen und so der Bewe-
gung unsichtbar eine und dieselbe Richtung, einen und denselben
Geist und Charakter geben. Die vorbereitende geheime Organisation
hat nur diesen Sinn, und einzig und allein hierzu ist sie notwen-
dig."
Hier ist also dem russischen Publikum und der russischen Polizei
die Existenz der "internationalen Brüder" enthüllt, die man dem
Westen so
---
*) Um seine Leser zu täuschen, vermengt Bakunin die Häupter der
Volksaufstände im 17. und 18. Jahrhundert mit den heutigen russi-
schen Räubern und Dieben. Was diese letzteren betrifft, so dürfte
das Buch Flerowskis "Lage der Arbeiterklasse in Rußland" [325]
die romantischsten Seelen über diese armen Teufel enttäuschen,
aus denen Bakunin die heilige Schar der russischen Revolution zu
bilden vorhat. Das einzige Räubertum - wohl zu verstehen, außer-
halb der Regierungssphäre -, das in Rußland noch im Großen be-
trieben wird, ist der Pferdediebstahl, der zu einem Handelsunter-
nehmen aufgestiegen ist, betrieben von Kapitalisten, deren bloße
Werkzeuge und Opfer die "Revolutionäre ohne Phrase" sind.
#403# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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sorgfältig verbarg. Dann predigt das Blatt den systematischen
Mord und erklärt, daß für die Männer des politischen 1*) revolu-
tionären Werks alle Räsonnements über die Zukunft
"ein Verbrechen sind, weil sie die reine Zerstörung hindern und
den Gang der Revolution hemmen. Wir haben nur zu denen Vertrauen,
welche durch Taten ihre Ergebenheit für die Revolution offenba-
ren, ohne Furcht vor Martern und Kerker, und wir verleugnen jedes
Wort, dem nicht unmittelbar auch die Tat folgt. Wir brauchen
keine zwecklose Propaganda mehr, wir brauchen keine Propaganda,
die nicht mit Bestimmtheit die Stunde und den Ort festsetzt, wo
sie den Zweck der Revolution verwirklichen wird. Im Gegenteil,
sie hindert uns, und wir werden all unsere Kraft gebrauchen, um
ihr Halt zu gebieten... Alle Schwätzer, die dieses nicht begrei-
fen wollen, werden wir mit Gewalt zum Schweigen bringen."
Diese Drohungen wandten sich an die Adresse der russischen
Flüchtlinge, die sich nicht vor dem Papsttum Bakunins gebeugt
hatten und die er Doktrinäre titulierte.
"Wir zerreißen jede Verbindung mit den politischen Emigranten,
welche nicht in ihr Land zurückkehren wollen, um sich in unsere
Reihen zu stellen, und, solange unsere Reihen noch geheim sind,
brechen wir mit all denen, die nicht dazu beitragen wollen, daß
ihr öffentliches Erscheinen auf der Bühne des russischen Lebens
möglich werde. Wir machen nur für diejenigen Flüchtlinge eine
Ausnahme, welche sich als Arbeiter der europäischen Revolution
bewährt haben. Wir werden keine zweite Mahnung ergehen lassen...
Wer Augen und Ohren hat, wird die handelnden Männer sehen und hö-
ren, und wenn er sich ihnen nicht anschließt, so sind wir nicht
schuld an seinem Untergang, noch wird es unsere Schuld sein, wenn
alles, was sich hinter den Kulissen verbirgt, mitsamt diesen Ku-
lissen kalt und unerbittlich zermalmt wird."
Bakunin ist hier vollkommen deutlich. Während er den Flüchtlingen
bei Todesstrafe befiehlt, als Agenten seiner geheimen Gesell-
schaft nach Rußland zurückzukehren, nach dem Vorbild der russi-
schen Polizeispitzel, die ihnen Pässe und Geld anboten, um
dorthin konspirieren zu gehen, erteilt er sich selbst einen
päpstlichen Dispens, um ruhig in der Schweiz zu bleiben als
"Arbeiter der europäischen Revolution" und dort an den Manifesten
zu arbeiten, zur Kompromittierung der armen gefangenen Studenten
2*).
"Indem wir keine andere Tätigkeit als die der Zerstörung zulas-
sen, erkennen wir an, daß die Form, in der sich diese Tätigkeit
äußern muß, eine höchst mannigfaltige sein kann: Gift, Dolch,
Strick etc. Die Revolution heiligt alles ohne Unterschied. Also
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1*) In der französischen Ausgabe: praktischen - 2*) in der fran-
zösischen Ausgabe: unglücklichen Studenten, die die Polizei in
ihren Kerkern gefangen hält (statt: armen gefangenen Studenten)
#404# Karl Marx/Friedrich Engels
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das Feld ist offen!... So mögen also alle jungen und gesunden
Köpfe unverweilt aufnehmen die heilige Arbeit der Zerstörung des
Bösen, der Reinigung und Klärung der russischen Erde mittelst des
Feuers und des Schwertes, indem sie sich brüderlich mit denjeni-
gen vereinigen, welche dasselbe in ganz Europa tun werden."
Fügen wir noch hinzu, daß in dieser erhabenen Proklamation der
unvermeidliche Räuber in der melodramatischen Person Karl Moors
figuriert und daß die Nummer 2 des "Volksgerichts" beim Zitieren
einer Stelle dieses Blattes dasselbe ausdrücklich als "eine Pro-
klamation Bakunins" bezeichnet.
Die Nr. 1 der "Veröffentlichungen der Gesellschaft 'Das Volksge-
richt'" *) beginnt damit, den allgemeinen Aufstand des russischen
Volkes als nahe bevorstehend zu verkünden.
"Wir, das heißt jener Teil der Volksjugend, der zu einer gewissen
Entwicklung gelangt ist, wir müssen ihr den Weg bahnen, d. h.
alle Hindernisse beseitigen, die ihren Gang hemmen können, und
ihr günstige Bedingungen vorbereiten. Angesichts des bevorstehen-
den Aufstandes erachten wir es für notwendig, in einem einzigen
unauflöslichen Gebinde alle über ganz Rußland zerstreuten revolu-
tionären Bestrebungen zusammenzufassen. Deshalb haben wir be-
schlossen, seitens des revolutionären Zentrums Blätter herauszu-
geben, aus denen jeder von unseren in allen Winkeln Rußlands zer-
streuten Glaubensgenossen, jeder, wenn auch uns unbekannte Arbei-
ter an der heiligen Sache der Revolution stets ersehen wird, was
wir wollen und wohin wir gehen."
Dann heißt es:
"Der Gedanke hat für uns nur soweit Wert, als er dem großen Werke
der allgemeinen Allzerstörung dient. Ein Revolutionär, der die
Revolution aus den Büchern studiert, wird nie etwas taugen... Wir
glauben nicht mehr an Worte. Das Wort hat für uns nur Wert, wenn
ihm die Tat auf dem Fuße folgt; aber nicht alles ist Tat, was
diesen Namen führt. Zum Beispiel ist die bescheidene und zu vor-
sichtige Organisation geheimer Gesellschaften ohne äußere Kundge-
bungen in unseren Augen nur ein lächerliches und unerträgliches
Kinderspiel. Wir nennen äußere Kundgebungen nur eine Reihe von
Handlungen, die positiv irgend etwas, eine Person, eine Sache,
ein Verhältnis, das die Volksemanzipation hindert, zerstört ...
Ohne unser Leben zu schonen, ohne vor irgendeiner Drohung, ir-
gendeinem Hindernis, irgendeiner Gefahr etc. zurückzuschrecken,
müssen wir mit einer Reihe verwegener, ja übermütiger Unterneh-
mungen in das Leben des Volkes einbrechen und ihm den Glauben an
seine eigene Macht einflößen, es erwecken, vereinigen und zum
Triumph seiner eigenen Sache hinführen."
---
*) Bakunin und Netschajew übersetzen immer: Volksjustiz, doch be-
deutet das russische Wort "rasprava" nicht Justiz, sondern Ge-
richt, Strafvollstreckung oder besser noch Rache, Vergeltung.
#405# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Plötzlich verwandeln sich die revolutionären Phrasen des "Volks-
gerichts" in Angriffe gegen die "Volkssache", eine in Genf her-
ausgegebene russische Zeitung, die das Programm und die Organisa-
tion der Internationalen verteidigte. [326] Es war begreiflicher-
weise von der größten Wichtigkeit für die allianzistische Propa-
ganda Bakunins in Rußland, die auf den Namen der Internationalen
gemacht wurde, ein Blatt zum Schweigen zu bringen, das diesen Be-
trug aufdeckte.
"Wenn dieses Journal in derselben Weise fortfährt, werden wir
nicht zögern, ihm auszudrücken und kundzugeben, wie unsere Bezie-
hungen zu ihm sein müssen... Wir sind überzeugt, daß alle ernsten
Männer jede Theorie und mit noch stärkerem Grunde jeden Doktrina-
rismus jetzt beiseite setzen werden. Wir können die Veröffentli-
chung von Schriften, welche, wenn auch ehrlich gemeint, doch un-
serer Fahne feindlich sind, durch verschiedene praktische Mittel
verhindern, die wir in Händen haben."
Nach diesen Drohungen gegen seinen gefährlichen Rivalen fährt das
"Volksgericht" fort:
"Unter den letzthin auswärts herausgegebenen Schriften empfehlen
wir fast ohne Einschränkung den Aufruf Bakunins an die ausgesto-
ßene (déclassée) Jugend der Schulen. 1*)"
Man sieht, Bakunin verliert nie eine Gelegenheit, sich ein bissel
Weihrauch zu streuen.
Der zweite Artikel führt den Titel: "Eine Darstellung des Be-
griffs vom Werke in der Vergangenheit und in der Gegenwart". Im
ersten Artikel bedrohten Bakunin und Netschajew das russische in-
ternationale Organ im Ausland; hier erbosen sie sich gegen
Tschernyschewski, gegen den Mann, der am meisten dazu beigetra-
gen, jene angeblich von ihnen vertretene Jugend der Schulen in
die sozialistische Bewegung zu stürzen.
"Wahrlich, der Bauer hat sich nie damit abgegeben, in seiner
Phantasie Formen für die zukünftige gesellschaftliche Ordnung zu
schaffen; nichtsdestoweniger wird er nach der Beseitigung aller
Hindernisse (d.h. nach der allzerstörenden Revolution, die vor
allen Dingen zu machen und die daher das Wichtigste für uns ist)
sein Leben mit mehr Verstand einzurichten wissen, als enthalten
ist in den Theorien und Entwürfen der doktrinären Sozialisten,
die sich dem Volke als Lehrer, und was noch schlimmer ist, als
Leiter aufdrängen wollen. Vor den Augen des nicht durch die
Brille der Zivilisation verdorbenen Volkes liegt das Bestreben
dieser zur Unzeit sich meldenden Professoren zu auffällig dar.
Sie wollen unter dem Vorwande der Wissenschaft, Kunst etc. für
sich und ihresgleichen gute Stellchen vorbereiten. Und wären
diese Bestrebungen
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1*) In der französischen Ausgabe folgt: Bakunin hat recht, wenn
er euch rät, die Akademien, die Universitäten, die Schulen zu
verlassen und ins Volk zu gehen.
#406# Karl Marx/Friedrich Engels
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auch uneigennützig und unbewußt, wären sie nur die unvermeidliche
Frucht jeder von der modernen Zivilisation durchdrungenen Gesell-
schaftsordnung, so würde doch das Volk nicht dabei gewinnen. Der
ideale Zweck der sozialen Gleichheit war in der von Wassili Us in
Astrachan nach der Abreise Stenka Rasins organisierten Kosaken-
Gesellschaft unvergleichlich besser verwirklicht als in den Phal-
ansterien Fouriers, den Anstalten Cabets, Louis Blancs und ande-
rer sozialistischer Gelehrten (!), besser als in den Assoziatio-
nen Tschernyschewskis."
Folgt eine ganze Seite Ausfälle gegen diesen und seine Gefährten.
Das gute Stellchen, welches sich Tschernyschewski vorbereitete,
die russische Regierung hat es ihm angewiesen in einem sibiri-
schen Kerker, während Bakunin, in seiner Eigenschaft als Arbeiter
der europäischen Revolution dieser Gefahr überhoben, sich auf
seine Kundgebungen von außen beschränkte. Und es war gerade in
dem Augenblick, wo die Regierung streng verbot, auch nur den Na-
men Tschernyschewskis in der Presse auszusprechen, daß die Herren
Bakunin und Netschajew ihn angriffen.
Unsere "amorphen" (gestaltlosen) Revolutionäre fahren fort:
"Wir unternehmen es, dieses faule soziale Gebäude zu zerstören...
Wir kommen aus dem Volke, die Haut zerfleischt von den Zähnen der
gegenwärtigen Ordnung, geleitet vom Haß gegen alles, was nicht
Volk ist, wir haben keinen Begriff von moralischen Pflichten oder
irgendwelchen Rücksichten gegen diese Gesellschaft, die wir has-
sen und von der wir nur Böses erwarten. Wir haben nur einen ein-
zigen unveränderlichen negativen Plan: den der unerbittlichen
Zerstörung. Wir verzichten kategorisch auf die Ausarbeitung der
zukünftigen Lebensbedingungen; ein solcher Versuch wäre unverein-
bar mit unserer Tätigkeit, und deshalb erachten wir jede rein
theoretische Kopfarbeit für unnütz... Wir übernehmen ausschließ-
lich die Zerstörung der gegenwärtigen sozialen Ordnung."
Die beiden "Kundgeber von außen" geben zu verstehen, daß der
Mordversuch gegen den Zar im Jahre 1866 zu der "Reihe" allzerstö-
render Handlungen ihrer geheimen Gesellschaft gehörte:
"Karakosow war es, der am 4. April 1866 unser heiliges Werk be-
gann. Seit dieser Zeit erwacht in der Jugend das Bewußtsein ihrer
revolutionären Macht. Es war ein Beispiel, eine Tat! Keine Propa-
ganda kann eine so große Bedeutung haben."
Dann stellen sie eine länge Liste von "Kreaturen" auf, die vom
Komitee dem sofortigen Tode geweiht sind. Mehreren soll "die
Zunge ausgerissen werden...", aber
"wir rühren den Zar nicht an... ihn sparen wir auf für das Ge-
richt des Volkes, der Bauern; dieses Recht gehört dem ganzen
Volke... unser Henker, er möge also leben bis zum Augenblick des
Volkssturms..."
#407# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Niemand wird wagen, in Zweifel zu ziehen, daß diese russischen
Flugschriften, die geheimen Statuten und die von Bakunin 1869 in
französischer Sprache herausgegebenen Schriften aus derselben
Quelle stammen. Im Gegenteil, diese drei Klassen von Schriften
ergänzen einander. Sie entsprechen gewissermaßen den drei Weihe-
graden der famosen allzerstörenden geheimen Gesellschaft. Die
französischen Broschüren 1*) sind geschrieben für die gewöhnli-
chen Allianzisten, deren Vorurteile man schont. Man spricht zu
ihnen nur von der reinen Anarchie, vom Antiautoritarismus, von
der freien Föderation autonomer Gruppen und von anderen ebenso
abgestandenen Dingen: reiner Galimathias. Die geheimen Statuten
sind bestimmt für die internationalen Brüder des Westens; die An-
archie wird dort zur "vollständigen Entfesselung des Volksle-
bens... der bösen Leidenschaften", aber mitten in dieser Anarchie
existiert das geheime leitende Element - eben diese Brüder; man
gibt ihnen nur einige unbestimmte Andeutungen über die allianzi-
stische, dem heiligen Loyola entnommene Moral; man erwähnt nur
die Notwendigkeit, keinen Stein auf dem andern zu lassen, - denn
im Westen ist man noch mit philiströsen Vorurteilen genährt und
man bedarf einiger Schonung. Man sagt ihnen, daß die Wahrheit, zu
blendend für Augen, die des wahren Anarchismus noch ungewohnt,
erst vollständig enthüllt werde im Programm der russischen Sek-
tion. Nur zu den geborenen Anarchisten, zum auserwählten Volke,
zu seiner Jugend des heiligen Rußlands wagt der Prophet offen zu
reden. Da wird die Anarchie zur allgemeinen Allzerstörung, die
Revolution zu einer Reihe von erst einzelnen individuellen, dann
Massenmorden; die einzige Verhaltungsregel ist die gesteigerte
Jesuitenmoral; das Urbild des Revolutionärs ist der Räuber. Da
wird der Jugend das Denken und die Wissenschaft verboten als
weltliche Beschäftigungen, die sie zum Zweifel an der allzerstö-
renden Orthodoxie führen könnten. Wer etwa bei ihren theoreti-
schen Ketzereien hartnäckig zu verharren oder den Maßstab der ge-
wöhnlichen Kritik an den allgemeinen Amorphismus anzulegen sich
vermäße, wird mit der heiligen Inquisition bedroht. Vor der rus-
sischen Jugend braucht der Papst sich keinen Zwang mehr anzule-
gen, weder im Inhalt, noch in der Form. Da läßt er seiner Sprache
den Zügel schießen. Der absolute Mangel an Ideen drückt sich in
einem so schwülstigen Galimathias aus, daß es unmöglich ist, den-
selben in einer westlichen Sprache wiederzugeben, ohne das Gro-
teske abzuschwächen. Diese Sprache selbst ist nicht einmal rus-
sisch, sie ist tartarrisch, dafür hat sie ein Russe erklärt.
Diese Männchen mit verschrumpften
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: des Bürgers B.
#408# Karl Marx/Friedrich Engels
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Gehirnen blähen sich auf mit haarsträubenden Phrasen, um in ihren
eigenen Augen als revolutionäre Riesen zu erscheinen. Es ist die
alte Geschichte vom Frosch und vom Ochsen.
Was für schreckliche Revolutionäre! Sie wollen alles, "absolut
alles" vernichten und amorphisieren (vollständig gestaltlos ma-
chen), sie stellen Proskriptionslisten auf, deren Opfer ihren
Dolchen, ihrem Gift, ihrem Strick, den Kugeln ihrer Revolver ge-
weiht sind. Mehreren sogar werden sie "die Zunge ausreißen", aber
sie beugen sich vor der Majestät des Zars. Doch der Zar, die Be-
amten, der Adel, die Bourgeoisie können ruhig schlafen. Die Alli-
anz bekämpft nicht die konstituierten Staaten, sondern die Revo-
lutionäre, die sich nicht zu Figuranten dieser Tragikomödie
erniedrigen wollen. Friede den Palästen, Krieg den Hütten!
Tschernyschewski wird verleumdet; die Redakteure, der "Volks-
sache" werden benachrichtigt, daß man sie zum Schweigen bringen
werde "durch verschiedene praktische Mittel, die wir in der Hand
haben"; die Allianz droht mit Meuchelmord allen Revolutionären,
die nicht mit ihr gehen. Das ist der einzige Teil ihres
allzerstörenden Programms, dessen Ausführung begonnen hat. Wir
kommen jetzt zu ihrer ersten Heldentat auf diesem Gebiet.
---
Seit April 1869 begannen Bakunin und Netschajew das Terrain für
die Revolution in Rußland vorzubereiten. Sie schickten Briefe,
Proklamationen und Telegramme von Genf aus nach Petersburg, Kiew
Und anderen Städten. Sie wußten indes, daß man nach Rußland keine
Briefe, Proklamationen und vor allem keine Telegramme schicken
kann, ohne daß die dritte Sektion (die geheime Polizei) davon
Kenntnis nimmt. Dieses alles konnte keinen anderen Zweck haben,
als die Leute zu kompromittieren. Das feige Vorgehen dieser
Leute, die in ihrer guten Stadt Genf keinerlei Gefahr liefen, be-
wirkte zahlreiche Verhaftungen in Rußland. Und dabei waren die
Herren benachrichtigt von der Gefahr, die sie hervorriefen. Wir
haben den Beweis in Händen, daß folgende Stelle aus einem Briefe
aus Rußland Bakunin mitgeteilt wurde:
"Bitte 1*), lassen Sie Bakunin sagen, daß er, wenn ihm an der Re-
volution irgend etwas heilig ist, aufhören möge, seine unsinnigen
Proklamationen herzusenden, die in mehreren Städten zu Verfolgun-
gen, zu Verhaftungen Anlaß geben und jede ernste Tätigkeit läh-
men."
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1*) In der französischen Ausgabe: Um alles in der Welt
#409# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Bakunin antwortete, daran sei nichts und Netschajew sei nach Ame-
rika abgereist. Aber der geheime Kodex Bakunins schreibt, wie man
später sehen wird, vor, "die Ehrgeizigen und Liberalen der ver-
schiedenen Schattierungen ... vollständig zu kompromittieren,...
so daß ihnen der Rückzug unmöglich wird, und sich dann ihrer zu
bedienen". (Revolutionärer Katechismus § 19. 1*))
Hier eine Probe davon. Am 7. April 1869 schrieb Netschajew an
Frau Tomilowa, die Gattin eines seitdem infolge ihrer Verhaftung
vor Kummer gestorbenen Obersten, "daß es in Genf ungeheuer viel
zu tun gebe", und er drang in sie, einen zuverlässigen Mann zu
schicken, mit dem er sich verständigen könne. "Die Angelegenheit,
über die wir uns ins Einvernehmen ¿ setzen müssen, betrifft nicht
allein unseren Verkehr, sondern den von ganz Europa. Hier ist die
Sache im Kochen. Man bereitet eine Suppe, die ganz Europa nicht
imstande sein wird auszuessen. Beeilen Sie sich also." Es folgt
dann die Genfer Adresse. Dieser Brief gelangte nicht an seine
Adresse; er wurde auf der Post von der geheimen Polizei mit Be-
schlag belegt und führte die Verhaftung der Frau Tomilowa herbei,
der er erst während der Untersuchung vorgelegt wurde. (Bericht
über den Prozeß Netschajew, "Petersb. Ztg.", Nr. 187.) *)
Hier noch ein Beweis dafür, wie klug sich Bakunin bei der Organi-
sation Seiner Verschwörung benahm. Ein Student der Akademie zu
Kiew, Mawrizki, erhielt Proklamationen aus Genf, die an seinen
Namen adressiert waren. Er schickte sie sofort an die Regierung,
die sich beeilte, nach Genf einen Vertrauensmann, d.h. einen Po-
lizeispion, zu senden. Bakunin und Netschajew knüpften alsbald
vertrauliche Beziehungen mit diesem "Delegierten aus dem Süden
Rußlands" an, lieferten ihm Proklamationen sowie Adressen von
Personen, die Netschajew in Rußland kennengelernt haben wollte,
und gaben ihm einen Brief, der nur ein Vertrauens- und Empfeh-
lungsbrief sein konnte ("St. Petersburger Zeitung", Nr. 187).
Am 3. September (15. September neuen Stils) 1869 stellte sich
Netschajew in Moskau einem jungen Manne, Uspenski, den er vor
seiner Abreise ins Ausland kennengelernt, als delegierter Emissär
des Genfer allgemeinen revolutionären Komitees vor und zeigte ihm
das oben abgedruckte Mandat. Er teilte ihm mit, daß Emissäre die-
ses europäischen Komitees mit
---
*) Alle die Verschwörung Netschajew betreffenden Tatsachen, die
wir zitieren, sind den in der russischen "St. Petersburger
Zeitung" veröffentlichten Prozeßberichten entnommen. Wir geben
die Nummern des Blattes an, aus denen wir zitieren.
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1*) Vgl. vorl. Band. S. 430
#410# Karl Marx/Friedrich Engels
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gleichen Mandaten nach Moskau kommen würden, und daß er die Auf-
gabe habe, "eine geheime Gesellschaft unter der studierenden Ju-
gendzu organisieren,... um in Rußland den Volksaufstand hervorzu-
rufen". Auf Empfehlung Uspenskis ging Netschajew, um eine sichere
Wohnung zu finden, nach der in einem entlegenen Stadtteil befind-
lichen landwirtschaftlichen Akademie und setzte sich in Verbin-
dung mit Iwanow, einem der wegen ihres Eifers für die Interessen
der Jugend und des Volkes bekanntesten Studenten. Von da ab wurde
die landwirtschaftliche Akademie der Mittelpunkt seiner Tätig-
keit. Er führte sich zuerst unter falschem Namen ein, erzählte,
daß er viel in Rußland gereist sei, daß überall das Volk zur Er-
hebung bereit sei, und daß es dies schon lange getan hätte, ohne
den ihm von den Revolutionären erteilten Rat, sich zu gedulden
bis zur Vollendung ihrer großen und mächtigen Organisation, die
alle revolutionären Kräfte Rußlands vereinen soll. Er drängte
Iwanow und andere Studenten zum Eintritt in diese geheime Gesell-
schaft, die ein allmächtiges Komitee habe, in dessen Namen alles
geschehe, dessen Sitz und Zusammensetzung jedoch den Mitgliedern
unbekannt bleiben müsse. Dies Komitee und diese Organisation bil-
deten den russischen Zweig der allgemeinen Union, der revolutio-
nären Allianz, der Internationalen Arbeiter-Assoziation! *)
Netschajew begann mit der Verteilung der oben zitierten "Worte"
an die Studenten, um ihnen zu zeigen, daß Bakunin, der berühmte
Revolutionär von 1848, der Flüchtling aus Sibirien, eine große
Rolle in Europa spiele, daß er der Generalbevollmächtigte der Ar-
beiter sei, daß er Mandate des Zentralkomitees der universellen
Assoziation unterzeichne und daß dieser Heros ihnen rate, ihre
Studien aufzugeben usw. Um ihnen einen sprechenden Beweis einer
bis zum Tode gehenden Hingebung zu geben, las er ihnen ein Ge-
dicht Ogarjews, eines Freundes Bakunins und Redakteurs des Her-
zenschen "Kolokol" [18], vor, betitelt: "Der Student" und gewid-
met "seinem jungen Freunde Netschajew". [327] Dieser wurde darin
als das ideale Vorbild des Studenten dargestellt, als "der uner-
müdliche Kämpfer von Kindheit an"; Ogarjew beschrieb darin, wie
die lebendige Arbeit der Wissenschaft
----
*) Wir müssen hier bemerken, daß in der russischen Sprache die
Worte Assoziation, Union, Allianz (obschtschestvo, sojuz, tova-
rischtschestvo) mehr oder weniger synonym sind und ohne Unter-
schied gebraucht werden. Ebenso wird das Wort: International mei-
stens mit allgemein (vsemirnyi) übersetzt. In der russischen
Presse wird also die "Internationale Assoziation" oft mit Worten
übersetzt, die ebensogut auch die "allgemeine oder universelle
Allianz" bedeuten könnten. Durch Benutzung dieser Sprachverwir-
rung gelang es Bakunin und Netschajew, den Namen unserer Assozia-
tion auszubeuten und fast hundert junge Leute ins Unglück zu
stürzen.
#411# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Netschajew die Qualen seiner Jugendzeit ertragen lehrte, wie
seine Hingebung für das Volk stieg, wie er, durch die Rache des
Zars und den Schrecken der Bojaren verfolgt, sich dem Nomadenle-
ben (skitanie, Herumstreichen) hingab, wie er auf die Pilgerfahrt
ging, um allen Bauern vom Aufgang bis zum Niedergang 1*) zuzuru-
fen: Sammelt euch, erhebt euch mutig etc.; wie er sein Leben in
der Zwangsarbeit im Schnee Sibiriens geendet, und wie er, der
kein Heuchler war, sein ganzes Leben hindurch dem Kampfe treu
blieb und beim letzten Hauch noch wiederholte: Das ganze Volk muß
sein Land und seine Freiheit erobern I - Diese allianzistische
Dichtung wurde im Frühjahr 1869 gedruckt, während Netschajew sich
in Genf amüsierte. Sie wurde mit den übrigen Proklamationen pa-
ketweise nach Rußland gesandt. Es scheint, daß schon das Ab-
schreiben dieser Dichtung die Eigenschaft hatte, den Neugeweihten
Selbstverleugnung einzuflößen, denn Netschajew ließ sie auf Be-
fehl des Komitees von jedem Neuaufgenommenen abschreiben und ver-
teilen (Aussagen mehrerer Angeklagter).
Die Musik scheint das einzige zu sein, was dem Amorphismus entge-
hen soll, dem die allgemeine Allzerstörung alle Künste und
Wissenschaften überliefern wird. Netschajew befahl im Namen des
Komitees, die Propaganda durch revolutionäre Musik, zu unterstüt-
zen und mühte sich ab, eine Melodie zu finden, nach der jenes
Meisterstück der Poesie von der Jugend gesungen werden könnte
("St. Petersb. Ztg.", Nr. 190).
Jene mystische Legende über seinen Tod hielt ihn nicht ab, anzu-
deuten, daß Netschajew wohl noch am Leben sein könnte, oder gar
unter dem Siegel des Geheimnisses zu erzählen, daß Netschajew
sich im Ural als Arbeiter befinde und dort Arbeitergenossenschaf-
ten gegründet habe ("St. Petersb. Ztg.", Nr. 202). Er machte die-
se Enthüllung besonders jenen, die "nichts taugten", d.h. denen,
die an Gründung von Arbeitergenossenschaften dachten, um auch
ihnen Bewunderung für den fabelhaften Heros einzuflößen. Endlich,
sobald die Legende von seiner erdichteten Flucht aus der
Petersburger Festung und von seinem poetischen Tode in Sibirien
die Geister genügend vorbereitet hatte und er seine Schüler hin-
reichend eingepaukt glaubte, bewirkte er seine evangelische Auf-
erstehung und erklärte: Er sei es, Netschajew in Person! Aber
diesmal war es nicht mehr der Netschajew von ehemals, der von den
Studenten in Petersburg verlachte und verachtete, wie Zeugen und
Angeklagte bestätigten, sondern der Bevollmächtigte des allgemei-
nen revolutionären Komitees. Das Wunder dieser
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1*) In der französischen Ausgabe: Sonnenaufgang bis Sonnenunter-
gang (statt: Aufgang bis zum Niedergang)
#412# Karl Marx/Friedrich Engels
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Umwandlung hatte Bakunin fertiggebracht. Netschajew hatte alle
Bedingungen erfüllt, welche die Statuten der von ihm gepredigten
Organisation verlangten; er hatte sich "durch Taten ausgezeich-
net, welche das Komitee kannte und würdigte"; er hatte in Brüssel
einen bedeutenden Strike der Internationalen organisiert und ge-
leitet; das belgische Komitee hatte ihn als Delegierten zur In-
ternationalen in Genf geschickt, woselbst er mit Bakunin zusam-
mentraf, und da er nach seinem eigenen Ausspruch "es nicht
liebte, auf seinen Lorbeeren zu ruhen", war er nach Rußland
zurückgekehrt, um die "revolutionäre Aktion" zu beginnen. Er ver-
sicherte auch, daß mit ihm ein ganzer Generalstab, aus sechzehn
russischen Flüchtlingen bestehend, nach Rußland gekommen sei. *)
Uspenski, Iwanow und vier oder sechs andere junge Leute scheinen
die einzigen in Moskau gewesen zu sein, die sich von all diesen
Gaukeleien fangen ließen. Vier dieser Aufgenommenen erhielten den
Auftrag, neue Anhänger zu werben und Zirkel oder kleine Sektionen
zu bilden. Der Organisationsplan findet sich in den Dokumenten
des Prozesses; er stimmt fast in jedem Punkte mit dem der gehei-
men Allianz überein. Das "allgemeine Reglement der Organisation"
wurde in voller Gerichtssitzung verlesen und keiner der Hauptein-
geweihten hat seine Echtheit angefochten; übrigens hat die Nr. 2
des von Bakunin und Netschajew redigierten "Volksgerichts" die
Echtheit folgender Stellen zugegeben:
"Die Organisation hat das Vertrauen gegen das Individuum zur
Grundlage. - Kein Mitglied weiß, welchen Grad es einnimmt, ob es
weiter oder näher vom Zentrum entfernt ist. - Der Gehorsam gegen
das Komitee muß absolut, ohne irgendwelchen Einwand sein. - Ver-
zichtleistung auf jedes Eigentum zugunsten des Komitees, das dar-
über verfügen kann. - Jedes Mitglied, das eine bestimmte Anzahl
Proselyten für unsere Sache geworben hat, das durch Taten Beweis
abgelegt hat vom Grad seiner Kräfte und Fähigkeiten, kann Kennt-
nis von diesem Reglement und später mehr oder weniger vollständig
von den Statuten der Gesellschaft erhalten. Der Grad der Kräfte
und Fähigkeiten unterliegt der Schätzung des Komitees."
Um die Moskauer Affiliierten zu täuschen, sagte ihnen Netschajew,
daß in Petersburg die Organisation schon ungeheuer groß sei, wäh-
rend in Wirklichkeit daselbst nicht ein einziger Zirkel oder eine
Sektion existierte. Einen Augenblick vergaß er sich einmal und
rief vor einem seiner Eingeweihten aus: "In Petersburg sind sie
mir untreu geworden wie die Weiber
---
*) Von den russischen Flüchtlingen war niemand nach Rußland zu-
rückgekehrt, und in ganz Europa wären kaum sechzehn russische po-
litische Flüchtlinge aufzutreiben.
#413# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
und haben mich verraten wie die Sklaven." In Petersburg sagte er
umgekehrt, daß die Organisation in Moskau wunderbare Fortschritte
mache.
Da man in dieser letzteren Stadt ein Komiteemitglied zu sehen
verlangte, so lud er einen jungen Petersburger Offizier, der sich
für die Studentenbewegung interessierte, ein, mit ihm nach Moskau
zu kommen, um sich ihre Zirkel anzusehen. Der junge Mann willigte
ein und unterwegs weihte ihn Netschajew zum "außerordentlichen
Delegierten des Komitees der Internationalen Assoziation von
Genf".
"Sie würden", sagte er zu ihm, "zu unseren Versammlungen nicht
zugelassen, weil Sie nicht Mitglied sind, aber hier haben Sie ein
Mandat, welches bescheinigt, daß Sie Mitglied der Internationalen
Assoziation sind und als solches haben Sie Zutritt."
Das Mandat hatte einen französischen Stempel und lautete: "Der
Inhaber dieses Mandats ist bevollmächtigter Vertreter der Inter-
nationalen Assoziation." Die anderen Angeklagten bestätigen, daß
Netschajew sie glauben machte, daß dieser Unbekannte "der wirkli-
che Agent des revolutionären Komitees zu Genf" sei (Nr. 225 und
226, "St. Petersb. Ztg.").
Dolgow, ein Freund Iwanows, bezeugt, daß "Netschajew, wenn er von
der geheimen Gesellschaft sprach, die zu dem Zwecke organisiert
sei, das Volk im Falle einer Erhebung zu unterstützen und den
Aufstand so zu leiten, daß er gelingen müsse, auch der Interna-
tionalen Assoziation erwähnte und angab, daß Bakunin ihnen als
Bindeglied mit der Internationalen diene" (Nr. 198). Ripman ver-
sicherte, daß Netschajew, "um ihn von seiner Idee über koopera-
tive Assoziationen abzubringen, ihm erzählte, daß in Europa die
Internationale Arbeiter-Assoziation existierte, und daß es, um
den von dieser verfolgten Zweck zu erreichen, genüge, in seine
Gesellschaft einzutreten, von der eine Sektion bereits in Moskau
existierte" (Nr. 198).
Man sieht ferner aus den Aussagen, daß Netschajew die Internatio-
nale für eine geheime Gesellschaft und seine Gesellschaft für
einen Zweig derselben gelten ließ. Auch versicherte er seinen
Vertrauten, daß ihre Sektion zu Moskau mit Strikes und Genossen-
schaften in großem Maßstabe, wie die Internationale vorgehen
werde. Als der Angeklagte Ripman von ihm das Programm der Gesell-
schaft verlangte, las ihm Netschajew einige Stellen aus einem
französischen Schriftstück über den Zweck der Gesellschaft vor;
der Angeklagte verstand, daß dies Schriftstück das Programm der
Internationalen sei, und setzte hinzu, "da man in der Presse viel
von dieser Gesellschaft gesprochen hätte, habe er in dem Vor-
schlage Netschajews nichts besonderes Strafbares gesehen". Einer
der Hauptangeklagten, Kusnezow, sagte, daß Netschajew das Pro-
gramm der Internationalen Assoziation
#414# Karl Marx/Friedrich Engels
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vorgelesen habe (Nr. 181); sein Bruder sagt aus, daß "er gesehen
habe, wie man bei seinem Bruder ein französisches Schriftstück
kopierte, welches das Programm der Gesellschaft sein sollte" (Nr.
202). Der Angeklagte Klimin erklärt, man habe ihm "das Programm
der Internationalen Assoziation nebst einigen von Bakunin als
Postskriptum geschriebenen Zeilen" vorgelesen, "... doch soweit
ich mich erinnere, war dieses Programm in sehr allgemeinen Aus-
drücken abgefaßt und sagte nichts über die Mittel zum Zwecke,
sondern sprach nur von der Gleichheit im allgemeinen" (Nr. 199).
Der Angeklagte Gawrischew erklärte, daß das "französische
Schriftstück, soweit man den Sinn verstehen konnte, eine Darle-
gung der Grundsätze der Vertreter des Sozialismus, die ihren Kon-
greß in Genf gehabt hatten, enthielt". Endlich klärt uns die Aus-
lassung des Angeklagten Swjatski vollständig über dieses geheim-
nisvolle französische Schriftstück auf; bei der Untersuchung fand
man bei ihm ein französisch geschriebenes Blatt mit der Über-
schrift: "Programm der Internationalen Allianz der sozialisti-
schen Demokratie"; er sagte aus: "Man hat in den Zeitungen viel
von der internationalen Assoziation gesprochen, und das erregte
in mir das Interesse, in ausschließlich theoretischer Absicht ihr
Programm kennenzulernen" ("St. Petersb. Ztg.", Nr. 230). Diese
Aussagen beweisen, daß das geheime Programm der Allianz im Manu-
skript für das der Internationalen ausgegeben wurde. Die Identi-
tät des universellen revolutionären Komitees, als dessen Emissär
sich Netschajew erklärte, mit dem Zentralbüro der Allianz (dem
Bürger B.) ist durch die Auslassung des Hauptangeklagten Uspenski
bewiesen, welcher erklärt, daß er alle Protokolle der Versammlun-
gen des Zirkels gesammelt habe, "um aus denselben einen Bericht
für Bakunin in Genf herzustellen". Pryshow, einer der Hauptange-
klagten, bekundete, daß Netschajew ihm befohlen habe, nach Genf
zu gehen, um Bakunin Bericht zu überbringen.
Aus Mangel an Raum erwähnen wir hier nicht alle Lügen, Albernhei-
ten, Schwindeleien und Gewaltstreiche des Agenten Bakunins, die
durch den Prozeß aufgedeckt wurden. Wir lassen nur die auffällig-
sten Züge hervortreten.
Alles in dieser Organisation war Geheimnis. Dolgow sagte aus,
"daß er gewünscht habe, bevor er in diese Gesellschaft eintrat,
ihre Organisation und ihre Mittel kennenzulernen; Netschajew ant-
wortete ihm, das sei ein Geheimnis und er werde es später erfah-
ren" ("St. Petersb. Ztg.", Nr. 198).-Wenn Mitglieder sich Fragen
erlaubten, stopfte Netschajew ihnen den Mund, indem er ihnen
sagte, daß nach den Statuten niemand das Recht habe, etwas zu er-
fahren, er habe sich denn zuvor durch irgendeine Tat aus
#415# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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gezeichnet (Nr. 199). - "Sobald wir eingewilligt hatten, Mitglie-
der der Gesellschaft zu werden", erklärt ein Angeklagter, "begann
Netschajew uns mit der Macht und Gewalt des Komitees zu terrori-
sieren, von dem er vorgab, daß es existiere und uns lenke; er
sagte, das Komitee habe seine Polizei, und wenn jemand sein Wort
nicht halte oder den Befehlen von Individuen entgegenhandle, die
höher ständen als unser Zirkel, das Komitee Rache nehmen würde."
Der Angeklagte bekennt, "als er die Schwindeleien Netschajews
bemerkt, habe er diesem seine Absicht angekündigt, vollständig
von dieser Sache zurückzutreten und zur Herstellung seiner Ge-
sundheit nach dem Kaukasus zu gehen. Netschajew erklärte ihm, daß
dies ihm nicht gestattet sei, und daß das Komitee ihn mit dem
Tode bestrafen könnte, falls er die Gesellschaft zu verlassen
wage; er befahl ihm gleichzeitig, in eine Versammlung zu gehen,
dort von der geheimen Gesellschaft zu reden, um Anhänger zu wer-
ben, und auch das Gedicht über den Tod Netschajews zu verlesen.
Da der Angeklagte sich zu gehorchen weigerte, drohte ihm Ne-
tschajew: Sie sind nicht hier zum Diskutieren, rief er aus, Sie
sind verpflichtet, ohne Einwand den Befehlen des Komitees zu ge-
horchen." (Nr. 198.) - Wäre dieses nur eine vereinzelte Tatsache,
so könnte man sie in Zweifel ziehen, aber mehrere Angeklagte, die
sich in der Unmöglichkeit befanden, sich gegenseitig zu verstän-
digen, bezeugen genau dasselbe. - Ein anderer erklärt, daß die
Mitglieder des Zirkels, als sie bemerkt hatten, wie sie getäuscht
wurden, die Gesellschaft zu verlassen wünschten, aber es nicht
wagten aus Furcht vor der Rache des Komitees (Nr. 198).
Ein Zeuge sagte, indem er von einem seiner angeklagten Freunde
sprach: Der Angeklagte Florinski wußte nicht mehr, wie er Net-
schajew loswerden sollte, der ihn am Arbeiten hinderte; der Zeuge
riet ihm, Moskau zu verlassen und sich nach Petersburg zurückzu-
ziehen, aber Florinski gab ihm zur Antwort, daß Netschajew ihn
ebensogut in Petersburg wie in Moskau auffinden werde, daß Net-
schajew den Überzeugungen einer großen Anzahl junger Leute Gewalt
antue, und sie terrorisiere; was Florinski am meisten zu fürchten
schien, war eine Denunziation von seiten Netschajews. "Man sagte,
und ich hatte es gehört, bekundete Lichutin, daß Netschajew aus
dem Auslande in sehr heftigen Ausdrücken abgefaßte Briefe an
seine Bekannten schickte, um sie zu kompromittieren und verhaften
zu lassen. Diese Handlungsweise war ein Zug in seinem Charakter"
(Nr. 186). - Jenischerlow erklärt sogar, daß er Netschajew als
einen Agenten der Regierung zu betrachten anfing.
In einer kleinen Zirkelsitzung gab ein Mitglied, Klimin, dem Un-
bekannten, der in seiner Eigenschaft als Emissär der Sitzung bei-
wohnte und
#416# Karl Marx/Friedrich Engels
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seine Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Zirkels ausdrückte,
zur Antwort, "daß auch sie unzufrieden seien; am Anfang habe man
den Angeworbenen gesagt, jede Sektion könne mehr oder weniger un-
abhängig handeln, ohne daß man von ihren Mitgliedern blinden Ge-
horsam verlange, dann aber schlug man einen ganz anderen Ton an
und das Komitee machte sie förmlich zu Sklaven" (Nr. 199). - Net-
schajew erteilte seine Befehle auf Zetteln mit dem Stempel:
"Russische Sektion der universellen revolutionären Allianz, öf-
fentlicher Stempel", und formulierte sie in folgender Weise: "Das
Komitee befiehlt euch...", dieses oder jenes zu tun, hier- oder
dorthin zu gehen etc.
Ein junger Offizier, der sich enttäuscht sah, will die Gesell-
schaft verlassen. Netschajew scheint seine Einwilligung zu geben,
verlangt aber einen Loskauf. Man muß ihm einen Wechsel auf 6000
Rubel mit der Unterschrift Kolatschewskis verschaffen. Sowohl Ko-
latschewski wie seine Schwestern hatten im Jahre 1866, nach dem
Attentat Karakosows, eine lange Haft zu erleiden gehabt. Zu der
Zeit, in welcher diese Geschichte spielt, befand sich eine der
Schwestern zum zweiten Male wegen politischer Angelegenheiten im
Gefängnis. Die ganze Familie stand unter strengster Polizeiauf-
sicht, und Kolatschewski konnte in jedem Augenblick einer neuen
Verhaftung gewärtig sein. Netschajew benutzte diese Lage; auf
sein Geheiß lud der junge Offizier, von dem wir oben sprachen,
unter einem falschen Vorwand Kolatschewski zu sich ein, knüpfte
mit ihm ein Gespräch an und gab ihm Proklamationen, die derselbe
aus Neugier annahm. Kaum ist jedoch Kolatschewski auf der Straße,
als ein Offizier an ihn herantritt, und ihm befiehlt, ihm zu fol-
gen; er sei Beamter der dritten Sektion (geheime Polizei) und
wisse, daß Kolatschewski aufständische Proklamationen bei sich
führe. Nun ist der bloße Besitz solcher Papiere schon mehr als
hinreichend,um jemandem mehrjährige Untersuchungshaft zuzuziehen
und ihn einer Verurteilung zur Zwangsarbeit auszusetzen, wenn
derselbe das Unglück hat, bereits in einer politischen Sache kom-
promittiert gewesen zu sein. Der angebliche Agent der dritten
Sektion fordert Kolatschewski auf, in einen Wagen zu steigen, und
dort macht er ihm das Anerbieten, sich durch sofortige Unter-
zeichnung einer Tratte von 6000 Rubeln loszukaufen. Vor der si-
cheren Aussicht, sonst nach Sibirien zu wandern, unterzeichnete
Kolatschewski. Tags darauf erfuhr ein anderer junger Mann, Ne-
greskul, diese Geschichte; sein Verdacht fiel sogleich auf Net-
schajew; er suchte den angeblichen Agenten der dritten Sektion
auf und verlangte Rechenschaft über seine Gaunerei. Netschajew
leugnete alles; die Tratte wurde verborgen gehalten und fand sich
erst später bei den Haussuchungen wieder.
#417# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Die Entdeckung der Verschwörung und die Flucht Netschajews hatten
diesem das Inkasso unmöglich gemacht. - Negreskul kannte Netscha-
jew schon lange. In Genf war er das Opfer einer seiner Gaunereien
geworden; dann hatte Bakunin ihn an sich zu ziehen gesucht. Spä-
ter erpreßte man von ihm hundert Rubel (Nr. 230). Schließlich
wurde er durch Netschajew kompromittiert, obwohl er diesen haßte
und jeder Niederträchtigkeit fähig hielt. Er wurde verhaftet und
starb im Gefängnis.
Wie wir sahen, gehörte Iwanow zu den ersten von Netschajew
Angeworbenen. Er war einer der beliebtesten und einflußreichsten
Studenten der landwirtschaftlichen Akademie zu Moskau. Er widmete
sich der Verbesserung der Lage seiner Kollegen und organisierte
Unterstützungskassen und Kosthäuser, in denen armen Studierenden
die Kost unentgeltlich gewährt wurde und die zugleich den Vorwand
zu Zusammenkünften abgaben, in welchen man soziale Fragen disku-
tierte. Seine ganze freie Zeit widmete er dem Unterricht der in
der Umgebung der Akademie wohnenden Bauernkinder. Seine Kollegen
gaben ihm das Zeugnis, daß er alles mit Leidenschaft tat, indem
er seinen letzten Groschen weggab und sich sehr oft ohne warme
Nahrung behalf.
Iwanow wurde von dem Blödsinn in den gewaltsamen Proklamationen
Netschajews und Bakunins betroffen. Er konnte nicht begreifen,
weshalb das Komitee befahl, die "Worte", den "Totengesang" Ogar-
jews, das "Volksgericht", ja sogar Bakunins "Aufruf an den 1*)
Adel", eine ganz aristokratische Proklamation *), zu verbreiten.
---
*) Wir geben hier einige Stellen aus der im Druck erschienenen
Proklamation Bakunins: "Aufruf an den russischen Adel": "Was für
Privilegien haben wir dafür empfangen, daß wir während der ganzen
Hälfte des 19ten Jahrhunderts die Stütze des oft in seinen Grund-
festen erschütterten Thrones gewesen, daß wir 1848, während der
über ganz Europa entfesselten Sturme des Volkswahnsinns, durch
unsere Großtaten das russische Reich vor den es bedrohenden so-
zialistischen Utopien bewahrt haben?... Was hat man uns dafür ge-
währt, daß wir das Reich vor der Zerstückelung retteten, daß wir
in Polen die Flammen des Brandes, der ganz Rußland zu verzehren
drohte, erstickten, daß wir bis zu diesem Augenblick ohne Scho-
nung unserer Kräfte und mit einem Mute sondergleichen an der Ver-
nichtung der revolutionären Elemente in Rußland arbeiteten? -
Ging nicht aus unserem Schöße Michail Murawjow hervor, dieser
mutvolle Mann, den Alexander II. selbst trotz seiner Geistes-
schwäche den Retter des Vaterlandes nannte? Für all diese un-
schätzbaren Dienste werden wir alles dessen beraubt, was wir be-
sitzen... Unser gegenwärtiger Aufruf ist die Kundgebung einer
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: russischen
#418# Karl Marx/Friedrich Engels
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Er begann die Geduld zu verlieren und fragte, wo das Komitee sei,
was es tue, wie es beschaffen sei, dieses Komitee, das Netschajew
fortwährend recht gebe und allen anderen Mitgliedern unrecht. Er
offenbarte den Wunsch, jemanden von diesem Komitee zu sehen; er
hatte hierzu das Recht erlangt, da Netschajew selbst ihn zu einem
Grade erhoben, der dem eines Mitgliedes eines Nationalkomitees
der geheimen Allianz entsprach. Bei dieser Gelegenheit war es,
daß sich Netschajew aus der Verlegenheit zog, indem er die oben
erzählte Komödie mit dem Emissär der Genfer Internationalen auf-
führte.
Eines Tages befahl Netschajew, das für die Kasse zur gegenseiti-
gen Unterstützung der Studenten bestimmte Geld an das Komitee
auszuliefern. Dagegen protestierte Iwanow und es entspann sich
ein Streit. Andere Kameraden bewogen ihn, sich der Entscheidung
des Komitees zu unterwerfen; sie seien ja den Statuten beigetre-
ten, welche diese Unterwerfung geboten. Ihrem Drängen gab Iwanow
nach und ließ es widerwillig geschehen. Von diesem Augenblick
sann Netschajew, wie er sich dieses Mannes entledigen könne, den
er wahrscheinlich als doktrinären Revolutionär betrachtete, der
aus der Welt geschafft werden müsse. Er knüpfte mit Uspenski
theoretische Gespräche an über die Bestrafung, die Vernichtung
treuloser Mitglieder, die durch ihre Widersetzlichkeit die ganze
ungeheuere geheime Organisation kompromittieren und vernichten
könnten.
Die Art und Weise, wie Netschajew die geheime Organisation
lenkte, war allerdings geeignet, Zweifel an deren ernsthaften
Charakter hervorzurufen. Die Sektionen mußten regelmäßig Sitzun-
gen halten, um die akademischen Namensverzeichnisse der Studie-
renden zu prüfen und diejenigen zu bezeichnen, deren Heranziehung
man wünschenswert erachtete, sowie um Mittel zu finden, wie man
Geld schaffe. Zu diesen Mitteln gehörten die Subskriptionslisten
für "Studenten, welche gelitten haben", d.h. die im Verwaltungs-
wege verbannt waren ; der Ertrag dieser Listen ging gradeswegs in
die Tasche des Komitees Netschajew. Man mußte sich allerlei Kos-
tüme verschaffen, die an sicherm Orte aufbewahrt wurden und spä-
ter Netschajew bei seiner Flucht zur Verkleidung dienten. Die
Hauptbeschäftigung jedoch
---
großen Mehrheit des russischen Adels, welcher seit langer Zeit
schon in organisierter Bereitschaft dasteht... Wir fühlen in un-
serem Rechte unsere Macht und werfen kühn dem Despoten, dem klei-
nen deutschen Prinzen Alexander II. Saltykow-Romanow den Hand-
schuh ins Gesicht und fordern ihn zu edlem, ritterlichem Kampfe
heraus, der im Jahre 1870 zwischen den Nachkommen Ruriks und der
Partei des unabhängigen russischen Adels beginnen soll."
"Murawjow, dieser mutvolle Mann", ist niemand anders, als der
Henker Polens.
#419# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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bestand im Abschreiben des "Totengesanges" und der oben zitierten
Proklamationen. Die Verschworenen mußten alles in ihren Versamm-
lungen Verhandelte möglichst genau aufschreiben, und Netschajew
drohte ihnen mit dem Komitee, das überall seine Spione habe,
falls sie etwas zu verbergen wagten. Jeder von ihnen mußte
schriftliche Berichte über alles, was er seit der letzten Ver-
sammlung getan, in seinen Zirkel mitbringen, und aus all diesen
Berichten wurde ein Auszug gemacht, um ihn an Bakunin zu schic-
ken.
Diese ganze kindische und inquisitorische Handlungsweise ließ
Iwanow sogar an der Existenz des Komitees und an der so sehr ge-
rühmten Macht der Organisation zweifeln; er begann zu merken, daß
alles sich auf sinnlose Ausbeutung und riesenhafte Lügen be-
schränke, und er gestand seinen Vertrauten, daß, wenn die Sache
nicht in Gang käme und man sie mit nichts weiter als mit Spiele-
reien beschäftige, er sich von Netschajew trennen und selbst eine
ernstliche Organisation gründen würde.
Grade damals ergriff Netschajew eine energische Maßregel: Er be-
fahl, seine Proklamationen in den Sälen der Studentenkosthäuser
anzuschlagen. Iwanow sah in der Anheftung dieser Proklamationen
den Schluß der Kosthäuser, das Verbot der Versammlungen, die Zer-
streuung der besten Studenten. Er widersetzte sich dieser Maßre-
gel. (Die Verköstigungsanstalt der Studenten wurde denn auch
wirklich geschlossen, und alle in deren Verwaltung gewählte De-
legierte wurden verbannt.) Hierüber entspann sich der Streit;
Netschajew wiederholte wieder seine stereotype Phrase: "Es ist
der Befehl des Komitees!"
Iwanow ist in höchster Verzweiflung. Am 20. November 1869 er-
scheint er bei einem Mitgliede der Sektion 1*) und erklärt dem-
selben, daß er aus jener Gesellschaft austrete; Pryshow teilt
diese Erklärung Uspenski mit, der seinerseits eiligst Netschajew
benachrichtigt. Nach einigen Stunden kommen diese drei Personen
bei Kusnezow zusammen, bei dem auch Nikolajew wohnt. Dort erklärt
Netschajew, daß man Iwanow wegen seiner Widersetzlichkeit gegen
die Befehle des Komitees strafen und sich seiner entledigen
müsse, um ihn zu hindern, ihnen weiteren Schaden zuzufügen. Kus-
nezow, der vertraute Freund Iwanows, scheint die Absicht Netscha-
jews nicht zu verstehen; da erklärt dieser, man müsse Iwanow tö-
ten. Pryshow ruft hierauf aus, indem er sich an Kusnezow wendet:
Netschajew ist verrückt, er will Iwanow töten; man muß ihn daran
hindern. Netschajew macht ihrem Bedenken durch seine gewöhnliche
Phrase ein Ende: "Wollt ihr euch auch gegen die Befehle des Komi-
tees empören? Wenn man ihn
-----
1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: Pryshow
#420# Karl Marx/Friedrich Engels
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nicht anders töten kann, so werde ich mit Nikolajew diese Nacht
auf sein Zimmer gehen und ihn dort erdrosseln." Dann macht er den
Vorschlag, Iwanow nachts in eine Grotte im Park der Akademie zu
locken, unter dem Vorwande, eine daselbst seit längerer Zeit ver-
borgen gehaltene Presse auszugraben, und ihn dort zu ermorden.
So gab Netschajew selbst in diesem entscheidenden Augenblick der
Hingebung Iwanows die Ehre. Er war überzeugt, daß Iwanow trotz
seines Austritts ihm bei der Ausgrabung der Presse zur Hülfe kom-
men werde, daß er nicht fähig sei, ihn zu verraten, denn wenn er
dieses beabsichtigte, so hätte er es vor seiner Austrittserklä-
rung oder unmittelbar nach derselben getan. Hätte Iwanow ihn bei
der Polizei denunzieren wollen, so hatte er jetzt die
Gelegenheit, ihn bei offener Tat abfassen zu lassen. Aber im
Gegenteil, Iwanow war glücklich, endlich einen positiven Beweis
für die Existenz dieser Organisation zu finden, ein faßbares
Zeichen, daß sie irgendwelche Aktionsmittel besitze und wären es
auch nur typographische Lettern. Er vergaß alle so oft von
Netschajew gegen die Treulosen ausgestoßenen Drohungen; eiligst
verließ er einen Freund, bei dem er seinen Tee nahm und von dem
ihn Nikolajew auf Befehl Netschajews abholte, und kam der Auf-
forderung nach.
In der Dunkelheit der Nacht nähert sich Iwanow ohne Argwohn der
Grotte. Plötzlich ertönt ein Schrei; jemand springt von hinten
auf ihn. Ein schrecklicher Kampf beginnt, man hört nur das Heulen
Netschajews und das Röcheln seines Opfers, das er mit den Händen
würgte; ein Schuß fällt und Iwanow ist tot. Die Kugel aus Net-
schajews Revolver war ihm durch den Kopf gegangen. "Schnell
Stricke, Steine!" ruft Netschajew, indem er in den Taschen des
Ermordeten wühlt, um das Geld und die Papiere herauszunehmen.
Dann wirft man die Leiche in einen Teich.
Die Mörder kehren zu Kusnezow zurück und ergreifen dort Maßre-
geln, um die Spuren ihres Verbrechens zu verbergen. Sie verbren-
nen das blutige Hemd Netschajews. Alle Mitschuldigen sind düster
und niedergeschlagen. Plötzlich ertönt ein zweiter Revolverschuß
und eine Kugel saust Pryshow am Ohre vorbei. Netschajew entschul-
digt sich: "Er habe Nikolajew zeigen wollen, wie sein Revolver
gehe". Die Zeugen bekundeten einmütig, daß dies ein neues Atten-
tat war. Netschajew wollte Pryshow töten, weil dieser vormittags
gegen den Mord Iwanows zu protestieren gewagt.
Unmittelbar darauf verläßt Netschajew eiligst Moskau und begibt
sich mit Kusnezow nach Petersburg, indem er Uspenski überläßt, in
Moskau das Weitere zu besorgen. In Petersburg stellt er sich, als
ob er sich noch immer mit seiner Organisation beschäftige; doch
zu seiner großen Verwunderung
#421# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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findet Kusnezow, daß dort noch weniger Organisation vorhanden ist
als in Moskau. Da wagt er endlich Netschajew zu fragen: "Wo ist
denn das Komitee? Bist du es etwa?" - Noch leugnet Netschajew und
versichert, das Komitee existiere. Er kehrt nach Moskau zurück
und gesteht Nikolajew, daß, da Uspenski bereits verhaftet, dies
allen übrigen in kurzer Zeit auch bevorstehe, und daß "er nicht
wisse, was er tun solle". Da entschließt sich Nikolajew, sein Ge-
treuester, ihn zu fragen, ob denn das wunderbare Komitee in Wirk-
lichkeit existiere oder ob es aus Netschajew allein bestehe. -
"Ohne geradeaus diese Frage zu beantworten, sagte er mir, alle
Mittel seien erlaubt, um die Leute in solch ein Unternehmen
hineinzuziehen, diese Regel werde auch im Auslande gehandhabt.
Bakunin befolge sie ebenso wie andere, und wenn solche Männer in
dieser Weise handeln, dann sei es natürlich, daß er, Netschajew,
ebenso handle" (Nr. 181). Darauf heißt er Nikolajew mit Pryshow
nach Tula gehen, um einem von früher her mit Netschajew befreun-
deten Arbeiter einen Paß abzuschwindeln. Später begibt er sich
selbst nach Tula; wo er Frau Alexandrowskaja bittet, ihn nach
Genf zu begleiten; es sei dies für ihn durchaus notwendig.
Frau Alexandrowskaja war seit den Unruhen von 1861 und 1862 stark
kompromittiert; man hatte sie sogar in Haft genommen, bei welcher
Gelegenheit ihre Handlungsweise sehr viel zu wünschen übrigließ.
In einem Anfall von Offenherzigkeit hatte sie den Richtern ein
schriftliches Geständnis abgelegt und dies Geständnis hatte viele
Personen kompromittiert. Später wurde sie in einer Provinzial-
stadt unter Polizeiaufsicht interniert. Da sie keinen Paß zu er-
halten fürchtete, verschaffte ihr Netschajew einen, man weiß
nicht wie. Man möchte fragen, warum Netschajew die Begleitung ei-
ner Frau suchte, deren Gesellschaft allein genügen konnte, seine
Verhaftung an der Grenze herbeizuführen. Doch er gelangte unter
Deckung der Frau Alexandrowskaja gesund und wohlbehalten nach
Genf, und während die von ihm getäuschten armen Teufel in den
Kerker geworfen wurden, fabrizierten er und Bakunin die zweite
Nummer des "Volksgerichts". Bakunin fühlte sich aufs höchste in
seinem Stolze geschmeichelt, als er im "Journal de Genève" von
der Verschwörung Netschajew las, deren Leitung man ihm zuschrieb;
er vergaß dabei, daß sein "Volksgericht" in Moskau gedruckt zu
sein vorgab, und füllte eine ganze Seite darin mit dem Artikel
des "Journal de Genève" in französischer Sprache. Kaum war das
Blatt fertig, so erhielt Frau Alexandrowskaja den Auftrag, es
nebst andern Proklamationen nach Rußland einzuschmuggeln. An der
Grenze erwartete ein Agent der dritten Sektion die Frau Alexan-
drowskaja, nahm ihr das Paket ab und verhaftete sie. Darauf
stellte sie ihm eine Liste mit Namen zu, die nur
#422# Karl Marx/Friedrich Engels
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Bakunin allein bekannt sein konnten. - Einer der Angeklagten in
der Affäre Netschajew, und zwar einer seiner Vertrautesten, be-
kannte vor Gericht, daß "er vorher Bakunin für einen Ehrenmann
gehalten habe, und daß er nicht begreifen könne, wie er und an-
dere in so feiger Weise jene Frau der Verhaftung hätte aussetzen
können".
Wenn Bakunin sich auch nicht verbunden hielt, selbst nach Rußland
zu gehen; um die große Revolution, deren bevorstehenden Ausbruch
er stets voraussagte, in eigener Person zu leiten, so ließ er
doch in Europa arbeiten, als hätte er "den Teufel im Leibe". Der
"Progrès" zu Locle, das schweizerische Organ der Allianz, veröf-
fentlichte lange Auszüge aus dem "Volksgericht". Guillaume strich
die großen Erfolge der großen russischen Sozialisten heraus und
erklärte, daß sein Enthaltungsprogramm mit dem der großen russi-
schen Sozialisten identisch sei. *) Als auf dem Kongreß zu La
Chaux-de-Fonds Utin die Infamien Netschajews zu enthüllen ver-
suchte, schnitt ihm Guillaume das Wort ab, indem er sagte, es sei
Spionage treiben, wenn man von jenen Männern rede. Bakunin selbst
schrieb in der "Marseillaise", als ob er eben zurückgekehrt sei
"von einer langen Reise nach fernen Ländern, wo freie Blätter
keinen Eingang finden" [329], damit man glauben sollte, die Dinge
nähmen in Rußland eine so revolutionäre Wendung, daß seine Anwe-
senheit dort notwendig gewesen.
Wir kommen jetzt zur Lösung des Knotens in der Tragikomödie der
russischen Allianz. Herzen hatte im Jahre 1859 von einem jungen
Russen ein Vermächtnis von 25 000 Franken erhalten, um damit in
Rußland revolutionäre Propaganda zu machen. [330] Herzen, der
diese Summe nie hatte an jemanden ausliefern wollen, ließ sich
doch von Bakunin überreden; es gelang diesem, das Geld unter dem
Vorwand zu erhalten, daß Netschajew der Vertreter einer weitver-
zweigten und mächtigen geheimen Organisation sei. Netschajew
glaubte sich nun berechtigt, seinen Anteil zu verlangen; doch die
beiden internationalen Brüder, die der Mord Iwanows nicht hatte
entzweien können, gerieten bei der Geldfrage in Streit. Bakunin
weigerte sich, das Geld zu geben. Netschajew verließ Genf und gab
im Frühjahr 1870 in London ein russisches Blatt heraus, "Die Kom-
mune" (Obschtschina) [331], worin er öffentlich von Bakunin den
Rest des Kapitals verlangte, das er von
---
*) Im Jahre 1868, also noch nicht zwei Jahre vor dem Kongreß zu
La Chaux-de-Fonds, auf welchem die Allianzisten ihre Doktrin von
der politischen Enthaltung sanktionieren ließen, schrieb Bakunin,
indem er die politische Enthaltung der französischen Arbeiter ta-
delte, in der "Démocratie" von Chassin: "Die politische Ent-
haltung ist ein Blödsinn, von Schurken erfunden, um Narren zu
täuschen." [328]
#423# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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weiland Herzen erhalten habe. Hieraus sehen wir, daß die interna-
tionalen Brüder "nie einander angreifen, noch ihre Streitigkeiten
vor dem Publikum ausmachen".
---
Der erste Artikel der zweiten Nummer des "Volksgerichts" enthält
wieder einen Totengesang in poetischer Prosa auf den ewig toten
und ewig lebenden Netschajew. Diesmal war der Held erdrosselt
worden von Gendarmen , die ihn nach Sibirien schleppten. Er war
in Tambow verhaftet worden, als Arbeiter verkleidet, während er
im Wirtshause saß. Diese Verhaftung hatte in Regierungskreisen
außerordentliche Bewegung hervorgerufen. Man sprach nur vom
"verkleideten Netschajew... von Denunziationen... von geheimen
Gesellschaften... von Bakunisten... von Revolution". Beim Tode
Netschajews schickte der Gouverneur von Perm ein Telegramm nach
Petersburg; dieses Telegramm wird wörtlich zitiert. Ein anderes,
ebenso wörtlich zitiertes Telegramm wird an die dritte Sektion
geschickt, und das "Volksgericht" weiß ganz genau, daß "der Poli-
zeichef nach Empfang dieses Telegramms von seinem Stuhl aufsprang
und den ganzen Abend ein hämisches Lächeln aufsetzte". So starb,
zum zweiten Male, Netschajew.
Der Mord Iwanows wird zugegeben, aber man nennt ihn
"eine Tat der Rache seitens der Gesellschaft, verübt an einem
Mitgliede wegen Abweichung von seiner Pflicht. Die strenge Logik
der wahren Arbeiter am Werke darf nicht zurückschrecken vor einer
Tat, die zum Erfolge des Werkes führt, und noch weniger vor Ta-
ten, welche das Werk retten und ihr Verderben abwenden."
Der "Erfolg des Werks" in den Augen Bakunins war die Verhaftung
von achtzig jungen Leuten.
Der zweite Artikel ist betitelt: "Ja, wer nicht für uns ist, der
ist wider uns", und enthält eine Verherrlichung des politischen
Mordes. Das Schicksal Iwanows, der nicht genannt wird, wird allen
Revolutionären angedroht, die nicht der Allianz anhängen:
"Der entscheidende Augenblick ist gekommen... die kriegerischen
Operationen zwischen beiden Lagern haben begonnen... es ist nicht
mehr möglich, neutral zu bleiben; hierbei in der Mitte stehen
wollen, hieße sich zwischen zwei feindliche Heere stellen, im Au-
genblick, wo diese das Feuer eröffnen; es hieße, sich umsonst dem
Tode aussetzen, unter den Kartätschen der einen oder der anderen
fallen, ohne Möglichkeit der Verteidigung. Es hieße, entweder die
Knutenhiebe und Martern der dritten Sektion auf sich nehmen oder
unter den Kugeln unserer Revolver fallen."
Folgt dann eine anscheinend ironische Danksagung an die russische
Regierung wegen "ihrer Mitwirkung an der Entwicklung und dem
#424# Karl Marx/Friedrich Engels
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beschleunigten Fortgange unseres Werks, das sich mit geflügeltem
Schritt seiner so sehr ersehnten Vollendung nähert". Allerdings.
Im Augenblick, wo unsere beiden Helden der Regierung dankten we-
gen ihrer Beschleunigung der "so sehr ersehnten Vollendung", wa-
ren sämtliche Mitglieder ihrer vorgeblichen geheimen Gesellschaft
verhaftet. - Daran schließt sich ein neuer Aufruf. Ihre "Arme
sind zur Aufnahme aller frischen und ehrenhaften Kräfte geöff-
net", aber diese werden zugleich unterrichtet, daß, einmal von
dieser Umarmung umschlungen, sie sich allen Anforderungen der
geheimen Gesellschaft unterwerfen müssen, "daß jede Absage, jeder
Rücktritt von der Gesellschaft, der wissentlich aus Mangel an
Glauben an die Wahrheit und Gerechtigkeit gewisser Prinzipien ge-
schieht, auch zur Ausstreichung aus der Liste der Lebenden
führt". Sodann machen unsere beiden Helden sich lustig über die
Verhafteten, es seien das nur kleine Liberale, die wirklichen
Mitglieder der Organisation werden durch die geheime Gesellschaft
geschützt, welche ihre Verhaftung nicht zulassen würde.
Der dritte Artikel führt die Überschrift: "Hauptgrundlagen der
sozialen Ordnung der Zukunft". Dieser Artikel beweist, daß, wenn
gewöhnliche Sterbliche für jedes Nachdenken über die soziale Or-
ganisation der Zukunft wie für ein Verbrechen bestraft werden,
dies nur geschieht, weil die Häupter bereits alles ins reine ge-
bracht haben.
"Das Ende der gegenwärtigen 1*) Ordnung und die Erneuerung des
Lebens mit Hülfe der neuen Prinzipien kann nur erzielt werden
durch die Konzentrierung aller Mittel der sozialen Existenz in
den Händen unseres Komitees und durch die Proklamierung der Ver-
pflichtung zur physischen Arbeit für alle.
Das Komitee verkündet unmittelbar nach dem Umsturz der gegenwär-
tigen Einrichtungen, daß alles Eigentum Gemeingut ist; es be-
fiehlt die Gründung von Arbeitergesellschaften (Arteis) und ver-
öffentlicht gleichzeitig von Sachverständigen angefertigte stati-
stische Tabellen, welche die an einem gegebenen Orte notwendig-
sten Industriezweige angeben, sowie diejenigen, welche daselbst
auf Hindernisse stoßen könnten.
Während einer bestimmten Frist, ausgefüllt durch die revolutio-
näre Umwandlung und die dieselbe unvermeidlich begleitenden Stö-
rungen, muß jedes Individuum in irgendein selbstgewähltes Artel
eintreten... Alle diejenigen, welche ohne genügenden Grund in ih-
rer Vereinzelung beharren und sich keiner Arbeitergruppe an-
schließen, haben kein Recht der Zulassung zu den gemeinsamen
Kosthäusern, Schlafstellen oder zu irgendwelchen anderen Gebäu-
den, welche zur Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse der
Arbeiterbrüder, oder zur Aufbewahrung der für die verschiedenen
Zweige der neubegründeten Arbeitergesellschaft dienenden Pro-
dukte, Materialien, Lebensmittel oder Werkzeuge bestimmt sind;
mit einem Wort, wer ohne genügenden Grund
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: sozialen
#425# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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keinem Artel beigetreten ist, bleibt ohne Existenzmittel. Alle
Wege und Mittel des Verkehrs bleiben für ihn verschlossen; es
gibt für ihn keinen anderen Ausweg als Arbeit oder Tod."
Jedes Artel wählt seinen Taxator (otzienschtschik), der den Gang
der Arbeit regelt, über die Produktion und Konsumtion sowie über
die Produktivität jedes Arbeiters Buch führt und zwischen dem Ar-
tel und dem gemeinschaftlichen Kontor des Orts vermittelt. Das
Kontor besteht aus Mitgliedern , die von den Arteis des Ortes ge-
wählt werden ; es bewirkt den Austausch zwischen den Arteis,
führt die Verwaltung aller gesellschaftlichen Anstalten (Schlaf-
räume, Kosthäuser, Schulen, Hospitäler) und leitet alle öffent-
lichen Arbeiten:
"Alle gemeinschaftlichen Arbeiten stehen unter der Verwaltung des
Kontors, während alle individuellen Arbeiten, für welche es be-
sonderer Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit bedarf, von den
Arteis gesondert ausgeführt werden."
Dann kommt ein langes Reglement über Erziehung, Arbeitsstunden,
Säugung der Kinder, Erteilung von Arbeitserlaß an Erfinder usw.
"Mit der vollständig öffentlichen und der allgemeinen Kenntnis
unterliegenden Tätigkeit jedes einzelnen verschwindet spurlos und
für immer jeder Ehrgeiz, wie man ihn jetzt versteht, und jede
Lüge... Es wird dann ein jeder bestrebt sein, soviel wie möglich
für die Gemeinschaft zu produzieren und sowenig wie möglich zu
konsumieren, und der ganze Stolz, der ganze Ehrgeiz des Arbeiters
wird in dem Bewußtsein seiner sozialen Nützlichkeit bestehen."
Ein prachtvolles Probestück von Kasernenkommunismus! Da haben wir
alles, gemeinsame Schlaf räume und Kosthäuser, Taxatoren und Kon-
tors zur Bevormundung der Erziehung, der Produktion, der Konsum-
tion, mit einem Worte jeder sozialen Tätigkeit, und hoch über dem
allem die Oberleitung unseres namenlosen und unbekannten Komi-
tees. Reiner "Antiautoritarismus" vom reinsten Wasser!
Um diesem blödsinnigen Organisationsplan den Anschein einer
theoretischen Grundlage zu geben, wird der Überschrift des Arti-
kels selbst folgende Anmerkung angehängt:
"Wer die vollständige theoretische Entwicklung unserer Haupt-
grundsätze kennenlernen will, findet sie in der von uns herausge-
gebenen Schrift: 'Manifest der kommunistischen Partei'."
Es findet sich wirklich die russische Übersetzung des (deutschen)
Manifestes der kommunistischen Partei vom Jahre 1847 (Preis ein
Franken) in jeder Nummer des "Kolokol" vom Jahre 1870 [332] neben
dem Aufruf Bakunins "An die Offiziere der russischen Armee" und
den beiden Nummern
#426# Karl Marx/Friedrich Engels
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des "Volksgerichts" angekündigt. Derselbe Bakunin, der dieses Ma-
nifest mißbraucht, um seinen tatarischen Phantasien in Rußland
Ansehen zu verschaffen, ließ dasselbe durch die westeuropäische
Allianz als eine äußerst ketzerische Schrift verschreien, welche
die unheilvollen Lehren des deutschen autoritären Kommunismus
predige (siehe die Resolution der Konferenz von Rimini, die Rede
Guillaumes im Haag, das "Jura-Bulletin" Nummer 10 und 11, die
"Federacion" zu Barcelona etc.).
Jetzt, da jedermann die Rolle kennt, zu welcher "unser Komitee"
bestimmt ist, wird man leicht jenen Konkurrenzneid gegen den
Staat und gegen jede Zentralisation der Arbeiterkräfte begreifen.
In der Tat, solange die Arbeiterklasse ihre eigenen Vertretungs-
organe hat, werden die unter dem Inkognito "unseres Komitees" re-
volutionierenden Herren Bakunin und Netschajew es nicht dahin
bringen, die Inhaber und Verwalter des gesellschaftlichen Reich-
tums zu werden und die Früchte jenes erhabenen Ehrgeizes zu ern-
ten, den sie - anderen einzuflößen brennen: viel zu arbeiten, um
wenig zu verzehren!
2. Der Revolutionskatechismus
Netschajew hob mit größter Sorgfalt ein in Chiffern geschriebenes
Büchelchen auf, benannt: "Der Revolutionskatechismus" [333]; er
behauptete, daß der Besitz dieses Buches das charakteristische
Kennzeichen 1*) jedes Emissärs oder Agenten der Internationalen
Assoziation sei. Aus allen Aussagen sowie aus den von den Vertei-
digern gelieferten klaren Beweisen geht hervor, daß dieser Kate-
chismus von Bakunin geschrieben; auch hat dieser seine Vater-
schaft nie zu leugnen gewagt. Übrigens zeigen Form und Inhalt des
Werkes deutlich, daß es derselben Quelle entspringt wie die ge-
heimen Statuten, die "Worte", die Proklamationen und das
"Volksgericht", von denen wir bereits gesprochen haben. Der Kate-
chismus ergänzt sie nur. Diese allzerstörenden Anarchisten, die
alles amorphisieren wollen, 2*) führen die Anarchie in der Moral
ein, indem sie die Unsittlichkeit der Bourgeoisie aufs äußerste
übertreiben. Wir haben bereits an einigen Proben jene allian-
zistische Moral würdigen können, deren Dogmen, ganz und gar
christlichen Ursprungs, zuerst von den Escobar [334] des 17.
Jahrhunderts im einzelnen
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1*) In der französischen Ausgabe: Privileg - 2*) in der französi-
schen Ausgabe lautet der folgende Satzteil: um die Anarchie in
der Moral einzuführen, treiben die Unsittlichkeit der Bourgeoisie
bis aufs äußerste
#427# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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ausgearbeitet wurden. Nur übertreibt die Allianz deren Ausdrucks-
weise ins Lächerliche, und setzt an die Stelle der heiligen, ka-
tholischen, apostolischen und römischen Kirche ihr "heiliges
Werk" der erzanarchistischen und allzerstörenden Revolution. Der
Revolutionskatechismus ist der offizielle Kodex dieser Moral, die
hier systematisch und unverhüllt dargestellt wird. Wir veröffent-
lichen ihn vollständig, wie er vor dem Gerichtshofe in der Sit-
zung vom 8. Juli 1871 verlesen wurde.
"Pflichten des Revolutionärs gegen sich selbst
§ 1. Der Revolutionär ist ein geweihter Mensch. Er hat keine per-
sönlichen Interessen, Angelegenheiten, Gefühle oder Neigungen,
kein Eigentum, nicht einmal einen Namen. Alles in ihm wird ver-
schlungen von einem einzigen ausschließlichen Interesse, einem
einzigen Gedanken, einer einzigen Leidenschaft - der Revolution,
§ 2. In der Tiefe seines Wesens, nicht nur in Worten, sondern
auch in der Tat, hat er vollständig gebrochen mit der bürgerli-
chen Ordnung und mit der gesamten zivilisierten Welt, mit den in
dieser Welt landläufig anerkannten Gesetzen, Herkommen, Moral und
Gebräuchen. Er ist ihr unversöhnlicher Gegner, und wenn er in
dieser Welt fortlebt, so geschieht es nur, um sie desto sicherer
zu vernichten.
§ 3. Ein Revolutionär verachtet jeden Doktrinarismus und verzich-
tet auf die Wissenschaft der heutigen Welt, die er den zukünfti-
gen Generationen überläßt. Er kennt nur eine Wissenschaft: die
Zerstörung. Hierzu und nur hierzu studiert er Mechanik, Physik,
Chemie und vielleicht auch Medizin. Zu demselben Zweck studiert
er Tag und Nacht die lebendige Wissenschaft - die Menschen, Cha-
raktere, Verhältnisse, sowie alle Bedingungen der gegenwärtigen
sozialen Ordnung auf allen möglichen Gebieten. Der Zweck ist der-
selbe, die schnellste und sicherste Zerstörung dieser unflätigen
(poganyi) Weltordnung.
§ 4. Er verachtet die öffentliche Meinung. Er verachtet und haßt
die gegenwärtige gesellschaftliche Moral in allen ihren Antrieben
und allen ihren Kundgebungen. Für ihn ist alles sittlich, was den
Triumph der Revolution begünstigt, alles unsittlich und verbre-
cherisch, was ihn hemmt.
§ 5. Der Revolutionär ist ein geweihter Mensch (der sich nicht
mehr selbst angehört) 1*), er hat keine Schonung für den Staat
überhaupt und für die ganze zivilisierte Klasse der Gesellschaft
und er darf ebensowenig Schonung für sich erwarten. Zwischen ihm
und der Gesellschaft herrscht Krieg auf Tod und Leben, offener
oder geheimer Kampf, aber stets ununterbrochen und unversöhnlich.
Er muß sich daran gewöhnen, jede Marter zu ertragen.
§ 6. Streng gegen sich selbst, muß er es auch gegen andere sein.
Alle Gefühle der Neigung, die verweichlichenden Empfindungen der
Verwandtschaft, Freundschaft, Liebe, Dankbarkeit, müssen in ihm
erstickt werden durch die einzige, kalte Leidenschaft
-----
1*) In der französischen Ausgabe fehlt das in Klammern Geschrie-
bene
#428# Karl Marx/Friedrich Engels
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des revolutionären Werks. Für ihn existiert nur ein Genuß, ein
Trost, ein Lohn, eine Befriedigung: der Erfolg der Revolution.
Tag und Nacht darf er nur einen Gedanken, nur einen Zweck haben -
die unerbittliche Zerstörung. Während er diesen Zweck kaltblütig
und unaufhörlich verfolgt, muß er selbst zu sterben bereit sein
und ebenso bereit, mit eigenen Händen jeden zu töten, der ihn an
der Erreichung dieses Ziels hindert.
§ 7. Die Natur des wahren Revolutionärs schließt jede Romantik,
jede Empfindsamkeit, jeden Enthusiasmus und jede Hinreißung aus;
sie schließt sogar persönlichen Haß oder Rache aus. Die revolu-
tionäre Leidenschaft, bei ihm zu einer alltäglichen und beständi-
gen Gewohnheit geworden, muß mit kalter Berechnung gepaart sein.
Immer und überall muß er nicht seinen persönlichen Trieben, son-
dern nur dem gehorchen, was ihm das allgemeine Interesse der Re-
volution vorschreibt.
Pflichten des Revolutionärs gegen seine Revolutionsgenossen
§ 8. Der Revolutionär kann Freundschaft und Zuneigung nur zu dem
hegen, der durch Taten bewiesen hat, daß er gleichfalls Agent der
Revolution ist. Der Grad der Freundschaft, Ergebenheit und son-
stiger Verbindlichkeiten gegen einen solchen Gefährten bemessen
sich nur nach dessen Nützlichkeit in dem praktischen Werke der
allzerstörenden (vserasruschitelnoi) Revolution.
§ 9. Es ist überflüssig, von der Solidarität unter den Revolutio-
nären zu reden, auf ihr beruht die ganze Macht des revolutionären
Werks. Die Revolutionsgenossen, welche auf gleicher Höhe revolu-
tionären Verständnisses und revolutionärer Leidenschaft sich be-
finden, müssen soviel wie möglich über alle wichtigen Angelegen-
heiten gemeinschaftlich beraten und ihre Beschlüsse einstimmig
fassen. Bei Ausführung einer so beschlossenen Sache muß jeder
möglichst nur auf sich selbst rechnen. Wo es sich um Ausführung
einer Reihe zerstörender Handlungen handelt, muß jeder auf eigene
Hand tätig sein und Hülfe und Rat von seinen Gefährten nur bean-
spruchen, wo es für den Erfolg unumgänglich ist.
§ 10. Jeder Revolutionsgenosse muß mehrere Revolutionäre zweiter
oder dritter Ordnung, d.h. solche, die noch nicht vollständig
eingeweiht sind, in seiner Hand haben. Er muß dieselben als
einen, seiner Verfügung anvertrauten Teil des allgemeinen revolu-
tionären Kapitals betrachten. Er muß ökonomisch mit seinem Kapi-
talanteil wirtschaften und möglichst großen Nutzen aus demselben
herausschlagen. Er hat sich selbst auch nur als ein Kapital zu
betrachten, das für den Triumph des Revolutionswerks verwendet
wird, als ein Kapital jedoch, über das er nicht allein und ohne
Zustimmung sämtlicher vollständig eingeweihter Genossen verfügen
kann.
§ 11. Wenn sich ein Kamerad in Gefahr befindet, so darf der Revo-
lutionär bei der Frage, ob er ihn retten soll oder nicht, kein
persönliches Gefühl zu Rate ziehen, sondern einzig und allein das
Interesse der Sache der Revolution. Demnach muß er auf der einen
Seite den Nutzen, welchen sein Kamerad gewährt, auf der anderen
den Aufwand an Revolutionskräften, den seine Befreiung erfordert,
gegeneinander abwägen und handeln, je nachdem sich die Waage zur
einen oder andern Seite neigt.
#429# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Pflichten des Revolutionärs gegen die Gesellschaft
§ 12. Ein neues Mitglied kann, nachdem es seine Proben nicht in
Worten, sondern in Taten abgelegt hat, nur mit Einstimmigkeit in
die Assoziation aufgenommen werden.
§ 13. Ein Revolutionär tritt in die Welt des Staates, in die Welt
der Klassen, in die sich zivilisiert nennende Welt und lebt in
derselben einzig aus dem Grunde, weil er an ihre nahe und voll-
ständige Vernichtung glaubt. Er ist kein Revolutionär, wenn er
noch an irgend etwas in dieser Welt hängt. Er darf nicht zurück-
beben, wo es sich darum handelt, irgendein jener alten Welt ange-
höriges Band zu zerreißen, irgendeine Einrichtung oder irgendei-
nen Menschen zu vernichten. Er muß alles und alle gleichmäßig
hassen. Um so schlimmer für ihn, wenn er in jener Welt Bande der
Verwandtschaft, Freundschaft oder Liebe hat; er ist kein Revolu-
tionär, wenn diese Bande seinen Arm aufhalten können.
§ 14. Um der unerbittlichen Zerstörung willen kann der Revolutio-
när, und muß er sogar oft, mitten in der Gesellschaft leben und
dabei den Schein bewahren, er sei ein ganz anderer als er wirk-
lich ist. Ein Revolutionär muß sich überall Eingang verschaffen,
in der höheren Gesellschaft wie beim Mittelstand, im Kaufmannsla-
den, in der Kirche, im aristokratischen Palast, in der bürokrati-
schen, militärischen und literarischen Welt, in der dritten Sek-
tion (geheime Polizei) und selbst im kaiserlichen Palast.
§ 15. Jene ganze unflätige Gesellschaft teilt sich in mehrere Ka-
tegorien. Die erste besteht aus denen, die unverzüglich dem Tode
geweiht sind. Die Genossen mögen Listen dieser Verurteilten auf-
stellen, nach dem Grade ihrer verhältnismäßigen Bösartigkeit und
mit Rücksicht auf den Erfolg des Revolutionswerkes geordnet, und
zwar so, daß die ersten Nummern vor den übrigen abgefertigt wer-
den.
§ 16. Bei der Aufstellung dieser Listen, bei der Feststellung der
Kategorien darf nicht die individuelle Verderbtheit eines Men-
schen entscheiden oder gar der Haß, den er den Mitgliedern der
Organisation oder dem Volke einflößt. Können doch selbst diese
Verderbtheit und dieser Haß gewissermaßen nützlich sein, indem
sie zum Volksaufstand reizen. Man darf nur den Maßstab des Nut-
zens berücksichtigen, der aus dem Tode einer bestimmten Person
für das Revolutionswerk hervorgehen kann. An erster Stelle müssen
die vernichtet werden, die für die revolutionäre Organisation am
verderblichsten sind und deren gewaltsamer und plötzlicher Tod am
geeignetsten ist, die Regierung zu erschrecken und ihre Macht zu
erschüttern, indem er sie der energischsten und intelligentesten
Agenten beraubt.
§ 17. Die zweite Kategorie besteht aus denen, welchen man provi-
sorisch (!) das Leben läßt, damit sie durch eine Reihe empörender
Taten das Volk zum unvermeidlichen Aufstand treiben.
§ 18. Zur dritten Kategorie gehört eine große Anzahl hochstehen-
der Bestien 1*), die weder durch Geist noch durch Energie sich
auszeichnen, die aber vermittelst ihrer
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: oder Individuen
#430# Karl Marx/Friedrich Engels
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Stellung Reichtum, hohe Verbindungen, Einfluß und Macht besitzen.
Man muß sie auf alle mögliche Art ausbeuten, man muß sie umgarnen
und verwirren, und, indem man sich zum Herrn ihrer schmutzigen
Geheimnisse macht, sie zu unsern Sklaven machen. Auf diese Weise
werden ihre Macht, ihre Verbindungen, ihr Einfluß und ihr Reich-
tum zu einem unerschöpflichen Schatze und zu einer kostbaren
Hülfe bei mannigfaltigen Unternehmungen.
§ 19. Die vierte Kategorie besteht aus allerlei ehrgeizigen Beam-
ten und aus den Liberalen der verschiedenen Schattierungen. Mit
diesen kann man nach ihrem eigenen Programm konspirieren, indem
man tut, als ob man ihnen blindlings folge. Man muß sie in unsere
Hand bringen, sich ihrer Geheimnisse bemächtigen, sie vollständig
kompromittieren, so daß ihnen der Rückzug unmöglich wird, und
sich ihrer zur Herbeiführung von Unruhen im Staate bedienen.
§ 20. Die fünfte Kategorie bilden die Doktrinäre, Verschwörer,
Revolutionäre, alle diejenigen, welche in Versammlungen oder auf
dem Papier Geschwätz machen. Man muß sie unaufhörlich zu prakti-
schen und gefahrvollen Kundgebungen treiben und fortreißen, deren
Erfolg sein wird, daß der größte Teil von ihnen verschwindet,
während einige darunter sich zu echten Revolutionären entwickeln.
§ 21. Die sechste Kategorie ist von großer Bedeutung; es sind die
Frauen, die in drei Klassen einzuteilen sind. Zur ersten gehören
die oberflächlichen Frauen, ohne Geist und Herz, deren man sich
in derselben Weise bedienen muß, wie der Männer der dritten und
vierten Kategorie. Zur zweiten Klasse gehören die leidenschaftli-
chen, hingebenden und befähigten Frauen, die jedoch nicht zu uns
gehören, weil sie noch nicht zum praktischen und phrasenlosen re-
volutionären Verständnis emporgedrungen sind; man muß sie benut-
zen wie die Männer der fünften Kategorie. Endlich kommen die
Frauen, die ganz und gar zu uns gehören, das heißt, die vollstän-
dig eingeweiht sind und unser gesamtes Programm angenommen haben.
Sie müssen wir als den kostbarsten unserer Schätze betrachten,
ohne dessen Beistand wir nichts auszurichten vermögen.
Pflichten der Assoziation gegen das Volk
§ 22. Die Assoziation hat keinen anderen Zweck als die vollstän-
dige Emanzipation und das Glück des Volkes, d.h. der hart arbei-
tenden Menschheit (tschernorabotschii ljud). Aber von der Über-
zeugung ausgehend, daß diese Emanzipation und dieses Glück nur
vermittelst einer alles zerstörenden Volksrevolution erreicht
werden können, wird die Assoziation alle ihre Mittel und Kräfte
anwenden, um die Übel und Leiden zu erhöhen und zu vermehren, die
endlich die Geduld des Volkes zerreißen und seinen Massenaufstand
anfachen werden.
§ 23. Unter Volksrevolution versteht unsere Gesellschaft nicht
eine nach dem klassischen Muster des Westens geregelte Bewegung,
die stets vor dem Eigentum und der überlieferten gesellschaftli-
chen Ordnung der sogenannten Zivilisation und Moralität haltmacht
und sich bisher darauf beschränkt hat, den Wegfall einer
politischen Form auszusprechen, um sie durch eine andere zu er-
setzen, und einen sogenannten revolutionären Staat zu schaffen.
Die einzige Revolution, die dem Volke zum Heile gereichen
#431# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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kann, ist die, die jeden Staatsbegriff durch und durch vernichtet
und alle Überlieferungen, Ordnungen und Klassen des Staats in
Rußland umstürzt.
§ 24. Bei diesem Ziel hat die Gesellschaft nicht die Absicht, dem
Volke irgendeine von oben kommende Organisation aufzudrängen. Die
zukünftige Organisation wird ohne Zweifel aus der Bewegung und
dem Leben des Volks hervorgehen, aber das ist die Sache künftiger
Generationen. Unsere Arbeit ist die schreckliche, totale,
unerbittliche und allgemeine Zerstörung.
§ 25. Deshalb müssen wir, indem wir uns dem Volke nähern, uns vor
allem mit den Elementen des Volkslebens verbinden, welche seit
Gründung des moskowitischen Staats unaufhörlich, nicht nur in
Worten, sondern auch in Taten gegen alles protestiert haben, was
direkt oder indirekt mit dem Staat verbunden ist, gegen den Ade],
die Bürokratie, die Priester, die große Handelswelt und die
Kleinhändler, gegen alle Ausbeuter des Volks. Wir müssen uns mit
der abenteuernden Welt der Räuber verbinden, die die einzig wah-
ren Revolutionäre Rußlands sind.
§ 26. Diese Welt zu einer einzigen allzerstörenden und unbesieg-
baren Macht zusammenzufassen, darin besteht unsere ganze Organi-
sation, unsere ganze Verschwörung und unser ganzes Unternehmen."
Solch ein Meisterwerk kritisiert man nicht. Man verdürbe sich den
Spaß an seiner Fratzenhaftigkeit. Man nähme auch diesen amorphi-
schen All-Zerstörer viel zu ernst, der Rudolph von Gerolstein,
Monte-Christo, Karl Moor und Robert Macaire glücklich in eine
Person verschmolzen hat. Wir beschränken uns darauf, durch einige
Nachweise die Identität des Geistes und selbst der Ausdrücke des
Katechismus, ihre krampfhafte Übertreibung abgerechnet, mit denen
der geheimen Statuten und der sonstigen russischen Produktionen
der Allianz festzustellen.
Die drei Grade der Einweihung in den geheimen Statuten der Alli-
anz werden im § 10 des Katechismus wiedergegeben, wo von
"Revolutionären zweiter und dritter Ordnung... die noch nicht
vollständig eingeweiht sind", die Rede ist. - Die im Art. 6 ihres
Reglements definierten Pflichten der internationalen Brüder sind
dieselben, wie die in den §§ 1 und 13 des Katechismus anbefoh-
lenen. - Die Bedingungen, unter denen die Brüder Regierungsämter
annehmen können, laut Art. 8 des Reglements, werden noch "ein-
gehender auseinandergesetzt" im § 14 des Katechismus, der ihnen
sogar die Möglichkeit klarmacht, auf Befehl bei der Polizei ein-
treten zu müssen. Die den Brüdern im Reglement, Art. 9, erteilte
Vorschrift, einander zu Rate zu ziehen, wird im § 9 des Katechis-
mus wiederholt. - Die Art. 2, 3 und 6 des Programmes der interna-
tionalen Brüder legen der Revolution genau denselben Charakter
bei, wie die §§ 22 und 23 des Katechismus. - Die Jakobiner im
Art. 4 des Programmes figurieren im § 20 des Katechismus als eine
Unterabteilung der "Männer der fünften Kategorie"; hier wie dort
#432# Karl Marx/Friedrich Engels
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sind sie dem Tode geweiht. - Die Vorstellungen der Art. 5 und 6
des Programmes über den Gang einer wahrhaft anarchischen Revolu-
tion fallen zusammen mit denen des § 24 des Katechismus.
Die Verdammung der Wissenschaft im § 3 des Katechismus findet
sich wieder in allen schon erwähnten russischen Druckschriften.
Die Verherrlichung des Räubers als des wahren revolutionären Vor-
bildes, in den "Worten" nur erst in schwachen Anfängen angedeu-
tet, wird in allen anderen Schriften voll und ganz bekannt und
gepredigt. Für die "fünfte Kategorie" in § 20 des Katechismus hat
die "Formel der revolutionären Frage" die Bezeichnung der
"Staats- und Kabinettsrevolutionäre". Auch da, wie im § 25 und
26, wird erklärt, daß es erste Pflicht des Revolutionärs sei,
sich aufs Räubertum zu legen. Aber erst in den "Prinzipien der
Revolution" und im "Volksgericht" beginnt man, die in den §§ 6,8
und 26 des Katechismus befohlene Allzerstörung und den systemati-
schen Mord, wie in den §§ 13, 15, 16 und 17 zu predigen.
3. Der Aufruf Bakunins an die Offiziere der russischen Armee
Indes schien Bakunin daran gelegen, daß kein Zweifel bleibe an
seiner Mitschuld an der angeblichen Verschwörung Netschajews. Er
veröffentlichte eine "Genf, Januar 1870" datierte und "Michail
Bakunin" unterzeichnete Proklamation: "An die Offiziere der rus-
sischen Armee". Diese Proklamation, "Preis ein Frank", findet
sich als Werk Bakunins in allen Nummern des "Kolokol" von 1870
angekündigt. Wir geben hier einige Auszüge.
Sie kündigt zunächst an, wie es auch Netschajew in Rußland tat,
daß
"die Stunde des letzten Kampfes zwischen den Romanow-Holstein-
Gottorp und dem russischen Volke, der Kampf zwischen dem tata-
risch-deutschen Joche und der weiten slawischen Freiheit heran-
naht. Der Frühling ist an unserer Schwelle und in den ersten Ta-
gen des Frühlings wird der Kampf beginnen... die revolutionäre
Gewalt ist bereit und bei der tiefen und allgemeinen Unzufrieden-
heit der Massen, welche in diesem Augenblick in Rußland herrscht,
ist sie ihres Triumphs sicher."
Eine Organisation ist vorhanden, um die bevorstehende Revolution
zu leiten, denn "eine geheime Organisation ist wie der General-
stab einer Armee, und diese Armee ist das ganze Volk".
"In meinem 'Aufruf an die jungen russischen Brüder' sagte ich,
daß der Stenka Rasin, der sich während der so sichtbar nahen Ver-
nichtung des russischen Reiches an die Spitze der Volksmassen
stellen wird, nicht mehr der individuelle Held, sondern ein Ge-
samt-Stenka-Rasin sein wird. Wer kein Tor ist, wird leicht be-
griffen haben, daß
#433# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über Bakunin
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ich von einer vorhandenen und bereits in diesem Augenblick täti-
gen Organisation sprach, die in ihrer Disziplin, in der leiden-
schaftlichen Hingebung und Selbstverleugnung ihrer Mitglieder und
in dem blinden Gehorsam gegen ein einziges allwissendes, doch von
niemandem gekanntes Komitee seine Stärke findet.
Die Mitglieder dieses Komitees haben vollständig auf ihre eigene
Persönlichkeit Verzicht geleistet; dies gibt ihnen das Recht, von
allen Mitgliedern der Organisation eine gleiche absolute Entsa-
gung zu verlangen. Sie haben in solchem Grade auf alles verzich-
tet, was sonst den Gegenstand der Begierde eitler, ehrgeiziger
und machtgieriger Leute bildet, daß sie ein für allemal auf den
individuellen Besitz der Gewalt, auf jede öffentliche oder offi-
zielle Macht, ja im allgemeinen selbst auf das Bekanntwerden
ihres Namen in der Gesellschaft verzichten und sich einer ewigen
Verborgenheit hingeben, und, während sie anderen den offenkundi-
gen Ruhm und Glanz des Werks überlassen, für sich nur, doch immer
als Gesamtheit, das Wesen des Werkes aufheben 1*).
Wie die Jesuiten, aber nicht zum Zwecke der Knechtung, sondern
der Emanzipation des Volkes, hat jeder von ihnen selbst auf den
eigenen Willen verzichtet. In dem Komitee wie in der ganzen Orga-
nisation ist es nicht das Individuum, welches denkt, will und
handelt, sondern die Gesamtheit. Ein solcher Verzicht auf eigenes
Leben, Denken und Wollen wird vielen unmöglich, ja selbst empö-
rend scheinen. Es ist in der Tat schwer, ihn durchzusetzen, aber
es ist unumgänglich notwendig. Besonders den Neulingen wird es
schwer erscheinen, die kaum in die Organisation eingetreten sind,
den Leuten, die noch nicht die Gewohnheit geschwätziger und eit-
ler Prahlerei abgelegt haben, Leuten, die nach Ehre, nach persön-
licher Würde und nach Macht streben, und von allen denen, die
sich von den jämmerlichen Phantomen einer erdichteten Humanität
lenken lassen, Phantomen, hinter denen in der russischen Gesell-
schaft eine allgemeine Servilität gegenüber der gemeinsten und
verworfensten Wirklichkeit sich zeigt. Dieser Verzicht wird denen
peinlich erscheinen, die in dem großen Werke nur die Befriedigung
ihrer Eigenliebe, nur eine Gelegenheit zum Phrasendrechseln su-
chen und die nicht das Werk um des Werkes willen lieben, sondern
wegen der theatralischen Aufspreizung ihrer eigenen Person.
Jedes neue Mitglied tritt aus freien Stücken in unsere Organisa-
tion ein und weiß im voraus, daß es, einmal eingetreten, nicht
mehr sich, sondern ganz ihr angehört. Der Eintritt in die Organi-
sation ist frei, der Austritt aber unmöglich, denn jedes austre-
tende Mitglied würde die Existenz der Organisation selbst unzwei-
felhaft gefährden, und diese darf nicht von dem Leichtsinn und
der Laune, oder der größeren oder geringeren Zuverlässigkeit, Eh-
renhaftigkeit und Macht eines oder mehrerer Individuen abhän-
gen... Wer ihr daher angehören will, muß im voraus wissen, daß er
sich ihr vollständig hingibt, mit allem, was er an Kräften, Mit-
teln und Wissen besitzt, ja mit seinem ganzen Leben und das unwi-
derruflich... Es ist dies klar und deutlich in ihrem Programm
auseinandergesetzt; dasselbe ist veröffentlicht und ist bindend
für alle Mitglieder des Komitees wie für alle, die nicht zum Ko-
mitee gehören... Ist ein Mitglied wirklich
-----
1*) In der französischen Ausgabe: behüten
#434# Karl Marx/Friedrich Engels
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von der" (revolutionären) "Leidenschaft durchdrungen, so wird ihm
alles leicht erscheinen, was die Organisation von ihm verlangt.
Es ist eine bekannte Sache, daß es für die Leidenschaft keine
Schwierigkeiten gibt; sie kennt keine Unmöglichkeit; je größer
die Hindernisse sind, desto stärker wird auch der Wille, die
Kraft und das Geschick des Leidenschaftlichen angespannt. Die
kleinen persönlichen Leidenschaften finden bei dem von der"
(revolutionären) "Leidenschaft Besessenen nicht einmal Raum, er
brauchte jene nicht einmal zu opfern, weil sie bei ihm nicht mehr
vorhanden sind. Ein zuverlässiges Mitglied der Assoziation hat
bereits jedes Gefühl der Neugier in sich erstickt und verfolgt
diesen Fehler unbarmherzig bei allen andern. Obgleich er sich je-
den Vertrauens würdig weiß und gerade Weil er desselben würdig
ist, d.h., weil er ein zuverlässiger Mann ist, strebt er nicht
danach, ja wünscht nicht einmal mehr zu wissen, als für ihn zur
möglichst guten Ausführung der ihm anvertrauten Aufgabe notwendig
ist. Er spricht über die Geschäfte nur mit den ihm bezeichneten
Personen und sagt nur das, was ihm in den erhaltenen Befehlen
vorgeschrieben ist; überhaupt richtet er sich streng und unbe-
dingt nach den von oben ihm zugehenden Befehlen und Verfügungen,
ohne zu fragen oder auch nur sich zu erkundigen, in welchem Grade
der Organisation er sich befinde; er wird natürlich den Wunsch
hegen, daß ihm so viel Geschäfte wie möglich übertragen werden,
jedoch nichtsdestoweniger mit Geduld den Augenblick abwarten, wo
man ihm eins anvertraut.
Eine so starre und absolute Disziplin mag einem Neuling wunderbar
vorkommen und ihn selbst erstaunen; ein zuverlässiges Mitglied,
einen wirklich starken und verständigen Mann wird sie weder über-
raschen noch verletzen, sie wird ihm im Gegenteil Freude machen
und ihm eine Bürgschaft für seine Sicherheit sein, vorausgesetzt,
daß er unter dem Einflüsse jener alles absorbierenden Leiden-
schaft des Volkssieges steht, von der ich oben gesprochen. Ein
ernsthaftes Mitglied wird begreifen, daß solche Disziplin das
notwendige Unterpfand für die verhältnismäßige Unpersönlichkeit
jedes Mitgliedes ist, die wiederum die conditio sine qua non des
gemeinschaftlichen Triumphes ist; es wird begreifen, daß diese
Disziplin allein imstande ist, eine wirkliche Organisation zu
bilden und eine vereinigte Revolutionsmacht zu schaffen, die, ge-
stützt auf die elementare Macht des Volkes, imstande sein wird,
die furchtbare Gewalt der Staatsorganisation zu besiegen.
Man wird vielleicht fragen: wie kann man sich der diktatorischen
Leitung eines uns unbekannten Komitees unterwerfen? Aber das Ko-
mitee ist euch bekannt, und zwar zunächst durch das Programm,
welches es veröffentlicht hat, das mit solcher Klarheit und Be-
stimmtheit abgefaßt ist und das jedem in die Organisation eintre-
tenden Mitgliede noch mehr im einzelnen auseinandergesetzt wird.
Das Komitee empfiehlt sich euch aber zweitens durch das blinde
Vertrauen, welches ihm Personen, euch bekannte, von euch geach-
tete, schenken, dasselbe Vertrauen, das euch dieser Organisation
den Vorzug geben läßt vor jeder anderen. Das Komitee gibt sich
den tätigen Mitgliedern der Organisation noch weiter zu erkennen
durch seine unermüdliche, entschlossene Tätigkeit, die sich über-
allhin erstreckt und stets dem Programm und dem Zwecke der Orga-
nisation entspricht. Und jedermann unterwirft sich gern seiner
Autorität, indem er durch die Praxis selbst mehr und mehr eines-
teils von seiner wahrhaft staunenerregenden
#435# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Voraussicht überzeugt wird, von seiner Wachsamkeit, von seiner
mit Vorsicht gepaarten Energie und von seinem Geschick, die zu-
treffenden Maßregeln dem Zwecke anzupassen, und andernteils von
der Notwendigkeit und heilsamen Wirkung einer solchen Disziplin.
Man könnte an mich die Frage stellen: wenn der Personenbestand
des Komitees ein undurchdringliches Geheimnis für alle Welt
bleibt, wie hast du dich denn über dasselbe unterrichten und dich
von seinem wirklichen Werte überzeugen können? -Ich antworte
freimütig auf diese Frage. Ich kenne kein einziges von den Mit-
gliedern dieses Komitees, nicht einmal ihre Zahl oder ihren Sitz.
Ich weiß nur eins, daß es sich nicht im Auslande befindet, son-
dern in Rußland, wie es sein muß, denn ein russisches revolutio-
näres Komitee, das im Auslande seinen Sitz hat, ist ein Unsinn,
den nur das Gehirn sinnloser und dummehrgeiziger Phrasenschmiede
aushecken kann, die zur Emigration gehören und ihren lächerlich
eitlen und boshaft intriganten Müßiggang unter dem volltönenden
Namen der 'Volkssache' *) verbergen.
Nach der Adelsverschwörung der Dekabristen" (1825) "wurde der
erste ernste Versuch einer Organisation von Ischutin und Genossen
gemacht. Die gegenwärtige Organisation ist die erste Organisation
der revolutionären Kräfte von ganz Rußland, die wirklich gelungen
ist. Sie hat alle Vorbereitungen, alle Erfahrungen benutzt; keine
Reaktion wird sie zur Auflösung zwingen; sie wird alle Regierun-
gen überleben und ihre Tätigkeit erst dann enden, wenn ihr Pro-
gramm zum Alltagsleben der Russen und der gesamten Welt geworden
ist.
Vor nahe einem Jahr hielt es das Komitee für nützlich, mich von
seiner Existenz zu benachrichtigen, und schickte mir sein Pro-
gramm nebst einer Darlegung des allgemeinen Plans für die revolu-
tionäre Tätigkeit in Rußland. Da ich mit beiden vollständig über-
einstimmte und mich überzeugt hatte, daß das Unternehmen ebenso-
gut wie die Männer, welche die Initiative ergriffen haben, einen
durchaus ernstlichen Charakter hat, so tat ich, was nach meiner
Meinung jeder ehrenhafte Flüchtling tun mußte: ich habe mich der
Autorität des Komitees als des einzigen Vertreters und Leiters
der Revolution in Rußland bedingungslos unterworfen. Wenn ich
mich heute an euch wende, so gehorche ich damit nur den Befehlen
des Komitees. Mehr kann ich euch nicht sagen. Ich will nur noch
ein Wort in dieser Sache hinzufügen. Der Plan der Organisation
ist mir genügend bekannt, um mir die Überzeugung zu gewähren, daß
keine Macht mehr imstande ist, sie zu vernichten. Selbst wenn die
Volkspartei eine neue Niederlage im nächsten Kampfe erleiden
sollte - was niemand unter uns befürchtet, wir glauben sämtlich
an den nahe bevorstehenden Triumph des Volks -, ja, wenn selbst
unsere Hoffnung getäuscht würde, so würde dennoch unter den
schrecklichsten Unterdrückungsmaßregeln, inmitten der wildesten
Reaktion die Organisation wohlbehalten und ungeschädigt blei-
ben...
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*) Der Leser wird sich erinnern, daß dies der Titel eines inter-
nationalen russischen Blattes war, das in Genf von einigen jungen
Russen herausgegeben wurde [326], die genau wußten, woran in be-
treff des angeblichen Komitees und der Organisation Bakunins sich
zu halten.
#436# Karl Marx/Friedrich Engels
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Die Grundlage des Programms ist die breiteste, die humanste:
vollständige Freiheit und vollständige Gleichheit aller Menschen,
gegründet auf gemeinsamem Eigentum und gemeinsamer Arbpit, die
gleich obligatorisch für alle ist, mit Ausnahme natürlich derje-
nigen, welche es vorziehen, ohne Arbeit zu verhungern.
Dies ist auch das gegenwärtige Programm der Arbeiterwelt aller
Länder, und dieses Programm entspricht den hundertjährigen Forde-
rungen und Instinkten unseres Volks... Als die Mitglieder unserer
Organisation dies Programm den Leuten aus niederem Volke vorleg-
ten, waren sie ganz erstaunt zu sehen, wie schnell und überall
diese es begreifen und mit welcher glühenden Begeisterung sie es
annehmen. Also das Programm ist fertig, es ist unveränderlich.
Wer für dieses Programm ist, wird mit uns gehen. Wer wider uns
ist, der ist der Freund der Gegner des Volks, der Gensdarm des
Zaren, der Henker des Zaren, unser Feind...
Ich habe euch gesagt, daß unsere Organisation so fest gegründet
ist, und ich füge jetzt hinzu, daß sie so tief im Volke Wurzel
geschlagen hat, daß, selbst wenn wir eine Niederlage erleiden,
die Reaktion ohnmächtig ist, sie zu zerstören...
Die servile Presse, den Befehlen der dritten Sektion gehorsam,
gibt sich Mühe, dem Publikum einzureden, daß es der Regierung ge-
lungen, die Verschwörung an ihrer Wurzel selbst zu fassen. Man
hat durchaus nichts gefaßt. Das Komitee und die Organisation sind
unangetastet und werden es stets bleiben; die Regierung wird sich
bald davon überzeugen, denn der Ausbruch des Volksaufstands steht
nahe bevor. Er ist so nahe gerückt, daß jeder sich jetzt ent-
scheiden muß, ob er unser Freund, der Freund des Volkes, oder un-
ser Feind und der des Volkes sein will. Allen Freunden, welchen
Platz oder welche Stellung sie auch einnehmen mögen, stehen un-
sere Reihen offen. Aber wie soll man uns finden, werdet ihr fra-
gen. Die Organisation, welche euch von allen Seiten umgibt, die
unter euch zahlreiche Anhänger zählt, wird von selbst denjenigen
herausfinden, der sie sucht mit dem aufrichtigen Wunsche und dem
festen Willen, der Sache des Volks zu dienen. Wer nicht für uns
ist, der ist wider uns. Wählt!"
In dieser mit seinem Namen unterzeichneten Broschüre stellt sich
Bakunin, als ob er den Ort und die Zusammensetzung des Komitees,
in dessen Namen er spricht und in dessen Namen Netschajew in Ruß-
land gehandelt hat, nicht kenne. Und doch ist die einzige Voll-
macht, welche Netschajew hatte, um im Namen dieses Komitees zu
handeln, unterzeichnet: Michail Bakunin, und der einzige Mann,
der Berichte über die Sektionen erhielt, war wieder Michail Baku-
nin. Wenn also Michail Bakunin dem Komitee unbedingten Gehorsam
gelobt, nun so schwört er, niemand anders gehorchen zu wollen als
eben Michail Bakunin.
Wir halten es für unnütz, die vollständige Identität der Tenden-
zen und selbst der Ausdrücke dieser von Bakunin unterzeichneten
Schrift mit den anderen anonymen russischen Dokumenten noch wei-
ter nachzuweisen. Wir wollen nur die Art und Weise hervorheben,
in welcher Bakunin hier die Moral des Katechismus in Anwendung
bringt. Zuerst predigt er diese
#437# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Moral den russischen Offizieren; er erklärt ihnen, daß er und die
anderen Eingeweihten sowohl eine Pflicht vollbracht, wie eine
Lücke ausgefüllt haben, indem sie sich als die Jesuiten der Revo-
lution konstituierten, und daß sie gegenüber dem Komitee nicht
mehr persönlichen Willen haben, als der bekannte "Leichnam" der
Gesellschaft Jesu. Und damit sie nicht durch die Ermordung Iwa-
nows abgeschreckt werden, sucht er ihnen die Notwendigkeit be-
greiflich zu machen, jedes Mitglied zu ermorden, das aus der ge-
heimen Gesellschaft austreten will. Dann wendet er diese selbe
Moral seinen Lesern gegenüber an, indem er ihnen unverschämt vor-
lügt. Er wußte, daß die Regierung nicht bloß alle Eingeweihten in
Rußland verhaftet hatte, sondern sogar noch eine zehnfach größere
Anzahl von Netschajew kompromittierter Personen von der bekannten
"fünften Kategorie" des Katechismus; er wußte, daß in Rußland
auch nicht der Schatten einer Organisation bestand, daß das Komi-
tee ebensowenig daselbst existierte, wie es jemals außer in der
Person Netschajews, der sich damals bei ihm in Genf befand, da-
selbst existiert hatte; er wußte auch, daß diese Broschüre nicht
einen einzigen Anhänger in Rußland gewinnen würde, daß sie der
Regierung nur einen Vorwand zu neuen Verfolgungen bieten könnte;
dennoch proklamiert er, daß die Regierung durchaus nichts abge-
faßt hat, daß das Komitee noch immer seinen Sitz in Rußland hat
und daselbst eine unermüdliche, entschlossene, sich nach allen
Seiten hin erstreckende Tätigkeit, wahrhaft bewundernswürdige
Voraussicht, Wachsamkeit, eine mit Vorsicht gepaarte Energie und
eine staunenerregende Geschicklichkeit (die Aussagen im Prozeß
zeigen es) entwickelt, daß seine geheime Organisation, die ein-
zige ernste, welche in Rußland seit 1825 existiert, unangetastet
dasteht, daß sie in das niedere Volk gedrungen, welches mit glü-
hender Begeisterung ihr Programm annimmt, daß sie bereits die Of-
fiziere von allen Seiten umgibt, daß die Revolution bereits vor
der Türe steht, daß sie in einigen Monaten, im Frühjahr 1870 aus-
brechen wird. Die Eitelkeit, seiner Person eine "theatralische
Aufspreizung" vor seinen säubern internationalen Brüdern und vor
seinem Spiegel zu geben, ist es allein, die Bakunin bewegt, wenn
er seine lügnerischen Großprahlereien an die Russen richtet unter
dem Vorgeben, "auf das eigene Leben, Denken und Wollen verzich-
tet" zu haben und erhaben zu sein über die "geschwätzige und
eitle Prahlerei" der "Leute, die nach Ehre, nach persönlicher
Würde und nach Recht streben".
Dieser selbe Mann, der 1870 den Russen blinden, unbedingten
Gehorsam predigt gegenüber Befehlen, die von oben herab von einem
unbekannten namenlosen Komitee kommen, der erklärt, daß die je-
suitische Disziplin die notwendige Bedingung des Sieges, daß sie
allein fähig sei, die furchtbare
#438# Karl Marx/Friedrich Engels
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Zentralisation des Staats, und zwar nicht bloß des russischen,
sondern jedes Staates zu besiegen; der einen Kommunismus verkün-
digt, der autoritärer ist als der primitivste Kommunismus - die-
ser selbe Mann zettelt im Jahre 1871 im Schöße der Internationa-
len eine separatistische und desorganisierende Bewegung an, unter
dem Vorwande, den Autoritarismus und die Zentralisation der deut-
schen Kommunisten zu bekämpfen, die Autonomie der Sektionen, die
freie Föderation autonomer Gruppen zu bilden und aus der Interna-
tionalen das zu machen, was sie sein sollte: das Bild der zukünf-
tigen Gesellschaft. Wenn die künftige Gesellschaft nach dem Mu-
ster der Allianz, russischer Sektion, eingerichtet würde, dann
würde sie das Paraguay der Ehrwürdigen Jesuiten-Patres [335] 1*)
weit überbieten.
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: die Bakunin so teuer
sind
#439#
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IX
Schluß
Während die Internationale der Arbeiterklasse der verschiedenen
Länder die vollste Freiheit in ihren Bewegungen und Bestrebungen
ließ, brachte sie es gleichzeitig fertig, die Gesamtarbeiter-
klasse zu einem Bunde zu vereinigen und zum ersten Male den herr-
schenden Klassen und ihren Regierungen die kosmopolitische Macht
des Proletariats fühlbar zu machen. Die herrschenden Klassen und
die Regierungen haben diese Tatsache anerkannt dadurch, daß sie
ihre Angriffe auf das exekutive Organ unserer Gesamtorganisation,
den Generalrat, konzentrierten. Diese Angriffe wurden mehr und
mehr verschärft seit dem Falle der Kommune. Und gerade diesen Au-
genblick wählten die Allianzisten, um ihrerseits dem Generalrat
offenen Krieg zu erklären! Ihnen zufolge war sein Einfluß, diese
mächtige Waffe in den Händen der Internationalen, nur eine gegen
die Internationale gerichtete Waffe. Dieser Einfluß war die
Frucht 1*) eines Kampfes, der nicht gegen die Feinde des Proleta-
riats, sondern gegen die Internationale selbst geführt worden
war. Sie behaupteten, die herrschsüchtigen Bestrebungen des Gene-
ralrats hätten den Sieg über die Autonomie der Sektionen und Na-
tionalföderationen davongetragen. Es blieb demnach nichts weiter
übrig, als die Internationale zu enthaupten, um die Autonomie zu
retten.
In der Tat, die Männer der Allianz wußten, daß, wenn sie nicht
diesen entscheidenden Augenblick ergriffen, es um die von den
hundert internationalen Brüdern geträumte geheime Leitung der Ar-
beiterbewegung geschehen war. Ihre Angriffe fanden ein beifälli-
ges Echo in der Polizeipresse aller Länder.
Ihre hochtönenden Phrasen von Autonomie und freier Föderation,
überhaupt ihr Kriegsgeschrei gegen den Generalrat waren nichts
weiter als ein Kunstgriff zur Maskierung ihres wahren Zwecks: die
Internationale zu
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1*) In der französischen Ausgabe: der Preis
#440# Karl Marx/Friedrich Engels
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desorganisieren und sie eben dadurch der geheimen, hierarchischen
und autokratischen Regierung der Allianz zu unterwerfen.
Autonomie der Sektionen, freie Föderation autonomer Gruppen,
Antiautoritarismus, Anarchie - das sind Phrasen, welche gar wohl
anstehen einer "Gesellschaft von 'Deklassierten' ohne Beruf und
ohne Ausweg" (sans carrière, sans issue), einer Gesellschaft, die
im Schöße der Internationalen konspiriert, um diese einer geheim-
gehaltenen Diktatur zu unterwerfen und ihr das Programm des Herrn
Bakunin aufzudrängen!
Wenn man von diesem Programm die melodramatischen Flittern ab-
löst, so kommt es auf folgendes heraus:
1. Alle Scheußlichkeiten, in denen sich nun einmal, wie durch
Schicksalsschluß, das Leben der Deklassierten der höheren gesell-
schaftlichen Schichten bewegt, werden als ebenso viele ultrarevo-
lutionäre Tugenden gepriesen.
2.Man stellt die Notwendigkeit als Grundsatz auf, eine kleine,
gut ausgesuchte Minderzahl von Arbeitern zu verlocken; diesen
schmeichelt man, indem man sie durch geheimnisvolle Einweihung
von den Massen trennt, sie an dem betrügerischen Intrigenspiel
der Geheimregierung teilnehmen läßt und ihnen vorpredigt, daß sie
die alte Gesellschaft durch und durch umstürzen, wenn sie ihren
"bösen Leidenschaften" freien Lauf lassen.
3. Die Hauptmittel der Propaganda bestehen darin, daß man die Ju-
gend durch erdichtete Schilderungen - Lügen über die Ausdehnung
und Macht der geheimen Gesellschaft, Prophezeiungen vom nahe be-
vorstehenden Ausbruch der von ihr vorbereiteten Revolution etc. -
verleitet und den Regierungen gegenüber die vorgeschrittensten
Männer der besitzenden Klassen kompromittiert, um sie pekuniär
auszubeuten.
4. An die Stelle des ökonomischen und politischen Kampfes der
Arbeiter um ihre Emanzipation treten die allzerstörenden Taten
des Zuchthausgesindels, als der höchsten Verkörperung der Revolu-
tion. Mit einem Worte, man muß das bei den "Revolutionen nach dem
klassischen Muster des Westens" von den Arbeitern selbst nieder-
gehaltene Lumpentum loslassen und so aus eigenem Antrieb den Re-
aktionären eine wohldisziplinierte Bande von Agents provocateurs
zur Verfügung stellen.
Es ist schwer zu entscheiden, welches von beiden in den theoreti-
schen Phantasien und praktischen Anläufen der Allianz mehr vor-
herrscht, das Groteske oder das Infame. Nichtsdestoweniger ist es
ihr gelungen, im Schöße der Internationalen einen heimlichen
Kampf hervorzurufen, der zwei Jahre lang die Tätigkeit unserer
Assoziation gehemmt und schließlich zum Abfall eines Teils der
Sektionen und Föderationen geführt hat. Die
#441# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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vom Haager Kongreß gegen die Allianz gefaßten Beschlüsse waren
daher reine Handlungen der Pflicht, er konnte nicht die Interna-
tionale, diese große Schöpfung des Proletariats, in den Fall-
stricken des Auswurfs der Ausbeuterklassen sich verfangen lassen.
Was diejenigen anlangt, die dem Generalrat die Befugnisse abneh-
men wollen, ohne welche die Internationale nur eine zerstreute,
zusammenhanglose und, um die Sprache der Allianz zu reden,
"amorphe" Masse wäre, so können wir in ihnen nur Verräter oder
Gimpel sehen.
London, den 2I.Juli 1873
Die Kommission:
E. Dupont, F. Engels, Leo Frankel, A. Le Moussu,
Karl Marx, Aug. Serraillier
#442#
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X
Anhang zur Allianz in Rußland
1. Die Hegira 1*) Baukunins
Im Jahre 1857 wurde Bakunin nach Sibirien geschickt, nicht zur
Zwangsarbeit, wie er in seinen Berichten glauben machen will,
sondern nur in die einfache Verbannung. Gouverneur von Sibirien
war zu jener Zeit der Graf Murawjow-Amurski, ein Verwandter des
Henkers von Polen und Vetter Bakunins. Dank dieser Verwandt-
schaft, dank auch seinen der Regierung erwiesenen Diensten, er-
freute sich Bakunin einer ausnahmsweisen und begünstigten Stel-
lung.
Um diese Zeit befand sich in Sibirien Petraschewskî, der Organi-
sator und Hauptführer des Komplotts von 1849. [336] Bakunin
setzte sich zu ihm in offene Feindschaft und versuchte, ihm auf
jede Weise zu schaden, was für den Vetter des sibirischen Vize-
Kaisers eine leichte Sache war. Diese Verfolgung Petraschewskis
gab Bakunin neue Ansprüche auf Vergünstigungen seitens der Regie-
rung. Eine dunkle Geschichte, die in Sibirien und Rußland viel
von sich reden machte, brachte den Kampf der beiden Verbannten
zum Abschluß. Das Verhalten eines hohen Beamten, der den Libe-
ralen spielte, hatte zu mancherlei Bemerkungen Anlaß gegeben, in
ihrem Gefolge brach in der Umgebung des Vize-Kaisers ein Gewitter
los, das zu einem tödlichen Duell führte. Nun trug diese ganze
Affäre so sehr den Charakter persönlicher Intrigen und betrügeri-
scher Ränke an sich, daß die ganze Bevölkerung in Aufregung ge-
riet und die höchsten Beamten beschuldigte, das Opfer des Duells,
einen jungen Freund Petraschewskis, ermordet zu haben. Die Bewe-
gung nahm solche Verhältnisse 2*) an, daß die Regierung einen
Volksaufstand fürchtete. Da übernahm Bakunin die Verteidigung der
hohen Beamten, namentlich auch Murawjows. Er benutzte seinen Ein-
fluß,
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1*) Hedschra - 2*) in der französischen Ausgabe: Dimensionen
#443# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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um Petraschewski nach einer entlegeneren Gegend verbannen zu las-
sen, und verteidigte dessen Verfolger in einer langen von ihm
verfaßten, aber nur "als Zeuge" unterzeichneten und an Herzen ge-
sandten Korrespondenz. Herzen ließ bei der Veröffentlichung im
"Kolokol" alle Angriffe gegen Petraschewski fort; aber in Peters-
burg hatte man unterwegs eine Abschrift von dem Artikel genommen,
die nun im Manuskript zirkulierte und den Originaltext bekannt-
machte.
Die sibirischen Kaufleute, im allgemeinen liberaler als die des
eigentlichen Rußlands, wollten in ihrem Lande eine Universität
gründen, um nicht mehr nötig zu haben, ihre Kinder nach den ent-
legenen Hochschulen jenseits des Ural 1*) zu schicken, und um
einen eigenen geistigen Mittelpunkt für Sibirien zu schaffen.
Hierzu bedurften sie der kaiserlichen Genehmigung. Murawjow wi-
dersetzte sich auf Anraten und Zureden Bakunins diesem Projekte.
Der Haß Bakunins gegen die Wissenschaft ist von altem Datum.
Diese Tatsache ist in Sibirien allgemein bekannt. Bakunin wurde
hierüber bei mehreren Gelegenheiten von Russen zur Rede gestellt,
und da er nicht leugnen konnte, so erklärte er stets sein Verhal-
ten damit, daß er, mit den Vorbereitungen zu seiner Flucht be-
schäftigt, habe suchen müssen, die Gunst seines Vetters, des Gou-
verneurs, zu verdienen.
Nicht allein für sich brauchte und mißbrauchte Bakunin die
Begünstigungen der Regierung; er ließ sie dieselben auch für ein
geringes Trinkgeld auf Kapitalisten, Unternehmer und Generalpäch-
ler regnen. Die bei den Opfern Netschajews mit Beschlag belegten
und von der Regierung 1869 und 1870 veröffentlichten Proklamatio-
nen Bakunins enthielten Proskriptionslisten, in die auch der be-
kannte Katkow, Chefredakteur der "Moskauer Zeitung" [337], einge-
tragen war. Dieser rächte sich, indem er in seinem Blatte fol-
gende Enthüllung veröffentlichte: Katkow besitzt Briefe von Baku-
nin, datiert aus London nach seiner Rückkehr von Sibirien, in
denen Bakunin an Katkow, seinen alten Freund, die Bitte richtet,
ihm einige tausend Rubel vorzuschießen. Bakunin bekennt, daß er
bei seinem Aufenthalt in Sibirien von einem Branntwein-General-
pächter einen Jahresgehalt bezog, den derselbe ihm zahlte, um
sich durch seine Vermittlung die Gunst des Gouverneurs zu si-
chern. Dieser unredliche Lohn (den er seit seiner Flucht nicht
mehr bezog) lastete ihm auf dem Gewissen, und er wünschte dem
Generalpächter das diesem abgezapfte Geld zurückzuschicken. Zur
Ausführung dieses guten Werks erbat er den Vorschuß von seinem
Freunde Katkow. Katkow schlug ab.
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1*) In der französischen Ausgabe: Rußlands (statt: jenseits des
Ural)
#444# Karl Marx/Friedrich Engels
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In der Zeit, wo Bakunin diese Bitte an seinen alten Freund Katkow
richtete, hatte dieser sich bereits lange seine Sporen im Dienste
der dritten Sektion verdient, und sein Blatt zu Denunziationen
hergegeben gegen die russischen Revolutionäre, besonders Tscher-
nyschewski, sowie gegen die polnische Revolution. Also im Jahre
1862 erbat Bakunin Geld von einem Menschen, von dem er wußte, daß
er Denunziant und literarischer Buschklepper im Solde der russi-
schen Regierung war. Bakunin hat nie gewagt, diese so schwere Be-
schuldigung Lügen zu strafen.
Versehen mit Geld - wir wissen, durch welche Mittel es erworben -
und im Genuß der hohen Protektion des Gouverneurs, konnte Bakunin
seine Flucht auf die einfachste Weise ausführen. Nicht nur gab
man ihm einen Paß zum Herumreisen in Sibirien auf seinen Namen,
sondern obendrein die offizielle Mission, das Land bis zur äußer-
sten östlichen Grenze zu besichtigen. Einmal im Hafen von Nikola-
jewsk angelangt, kam er ohne Schwierigkeit nach Japan, von wo er
sich ruhig nach Amerika einschiffen und Ende 1861 in London an-
langen konnte. So vollzog sich die wunderbare Hegira dieses neuen
Mohammed.
2. Das panslawistische Manifest Bakunins
Am 3. März 1861 hatte Alexander II. unter dem Beifallsgejubel des
gesamten liberalen Europas die Aufhebung der Leibeigenschaft pro-
klamiert. Die Bemühungen Tschernyschewskis und der revolutionären
Partei, die Aufrechterhaltung des Gemeindebesitzes an Grund und
Boden durchzusetzen, hatten zwar Erfolg gehabt, aber in so wenig
befriedigender Weise, daß Tschernyschewski bereits vor der Pro-
klamierung der Aufhebung der Leibeigenschaft traurig eingestand:
"Hätte ich gewußt, daß die von mir aufgeworfene Frage eine solche
Lösung erhalten würde, so wäre mir eine Niederlage lieber gewesen
als solch ein Sieg. Ich hätte es vorgezogen, daß man gehandelt
hätte, wie es die erste Absicht war, ohne irgendwie auf unsere
Forderungen Rücksicht zu nehmen."
In der Tat war der Emanzipationsakt nur ein Taschenspieler-
streich. Das Land wurde zum großen Teil seinen wirklichen Besit-
zern genommen und das System des Rückkaufs des Bodens durch die
Bauern proklamiert. Aus diesem Akt zaristischer Täuschung schöpf-
ten Tschernyschewski und seine Partei ein neues unwiderlegliches
Argument gegen die kaiserlichen Reformen. Der sich zur Fahne Her-
zens schlagende Liberalismus brüllte aus Leibeskräften: "Du hast
gesiegt, Galiläer!" Galiläer bedeutete in ihrem
#445# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Munde Alexander II. - Diese liberale Partei, deren Hauptorgan
Herzens "Kolokol" war, wußte seit diesem Augenblick nichts als
das Lob des Zaren, des Befreiers, zu singen, und um die öffentli-
che Aufmerksamkeit von den Klagen und Einsprüchen abzulenken, die
jener volksfeindliche Akt hervorrief, ersuchte sie den Zaren,
sein Emanzipationswerk fortzusetzen und einen Kreuzzug zu begin-
nen zur Befreiung der unterdrückten slawischen Völker, zur Ver-
wirklichung des Panslawismus.
Im Sommer 1861 entlarvte Tschernyschewski in der Revue "Der Zeit-
genosse" (Sovremennik) [338] die Umtriebe der Panslawisten und
sagte den slawischen Völkern die Wahrheit über den Stand der
Dinge in Rußland sowie über die interessierte Reaktionswut 1*)
ihrer falschen Freunde, der Panslawisten. Da glaubte Bakunin,
eben von Sibirien zurückgekehrt, den Augenblick gekommen, um sich
vorzuschieben. Er schrieb den ersten Teil eines langen Mani-
festes, veröffentlicht als Beiblatt zum "Kolokol" vom 15. Februar
1862 unter dem Titel: "An die russischen, polnischen und sämt-
liche slawischen Freunde." Der zweite Teil ist niemals erschie-
nen.
Das Manifest führt sich ein mit folgender Erklärung:
"Ich habe mir den Mut des allerobernden Gedankens bewahrt, und in
meinem Herzen, meinem Willen und meiner Leidenschaft bin ich den
Freunden, der großen gemeinsamen Sache, mir selbst treu geblie-
ben... Ich erscheine jetzt vor euch, meine alten erprobten
Freunde, und vor euch jungen Freunde, die ihr in demselben Gedan-
ken, in demselben Willen lebt wie wir, und ich bitte euch: nehmt
mich von neuem in eure Mitte auf; möge es mir vergönnt sein, un-
ter euch und zusammen mit euch den ganzen Rest meines Lebens zu
weihen dem Kampfe für die russische Freiheit, für die polnische
Freiheit, für die Freiheit und Unabhängigkeit aller Slawen."
Wenn Bakunin diese demütige Bitte an seine alten und jungen
Freunde richtet, so tut er es, weil es
"ein schlimmes Ding ist, seine Tätigkeit in fremdem Lande aus-
zuüben. Ich habe dies nur zu sehr erprobt in den Revolutionsjah-
ren; weder in Frankreich, noch in Deutschland habe ich Wurzel
schlagen können. Und so widme ich auch ferner der fortschritt-
lichen Bewegung der gesamten Welt meine glühende Sympathie; um
jedoch den Rest meines Lebens nicht zu vergeuden, muß ich von
jetzt an meine direkte Tätigkeit auf Rußland, Polen und die Sla-
wen beschränken. Diese drei heute 2*) getrennten Welten sind un-
zertrennbar in meiner Liebe und meinem Glauben."
Im Jahre 1862, also vor elf Jahren, im Alter von 51 Jahren be-
kannte der große Anarchist Bakunin den Staatskultus und den pan-
slawistischen Patriotismus.
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1*) In der französischen Ausgabe: über den interessierten Obsku-
rantismus - 2*) in der französischen Ausgabe fehlt: heute
#446# Karl Marx/Friedrich Engels
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"Bis zur Gegenwart hat das großrussische Volk, man kann sagen
ausschließlich, von dem nach außen gerichteten Leben des Staates
gelebt. Wie drückend auch immer seine Lage nach innen sein
mochte, wie sehr diese es auch zur äußersten Verarmung und Skla-
verei führte, trotzdem blieb es erfüllt von Liebe für die Ein-
heit, Größe und Macht Rußlands und für diese Prinzipien war es zu
allen Opfern bereit. So entwickelte sich im großrussischen Volke
das Staatsbewußtsein und ein Patriotismus, nicht der Phrase, son-
dern der Tat. Daher erhielt sich unter allen slawischen Nationa-
litäten allein das großrussische Volk unversehrt, es allein er-
hielt sich aufrecht in Europa und ließ dieses seine Macht füh-
len... Glaubt nicht, daß es den berechtigten Einfluß und die po-
litische Macht verlieren werde, die es nur durch Kämpfe errungen
hat, Kämpfe, geführt durch drei Jahrhunderte und mit der Selbst-
verleugnung des Märtyrers, nur um den unversehrten Bestand seines
Staates zu retten... Verweisen wir die Tataren nach Asien und die
Deutschen nach Deutschland, und seien wir ein freies, ein rein
russisches Volk..."
Zur besseren Beglaubigung dieser panslawistischen Propaganda, die
im Kreuzzuge gegen die Tataren und Deutschen gipfelt, verweist
Bakunin seine Leser auf den Kaiser Nikolaus:
"Man sagt, daß selbst der Kaiser Nikolaus kurz vor seinem Tode,
als er sich anschickte, Österreich den Krieg zu erklären, alle
österreichischen und türkischen Slawen, die Ungarn und die Ita-
liener zum allgemeinen Aufstande aufrief 1*). Er selbst hatte den
orientalischen Krieg gegen sich heraufbeschworen und, um sich zu
verteidigen, hätte er sich fast aus einem despotischen Kaiser in
einen revolutionären verwandeln mögen. Man sagt, daß seine Pro-
klamationen an die Slawen, darunter ein Aufruf an die Polen, be-
reits unterzeichnet waren. Trotz all seines Hasses gegen Polen
begriff er, daß ohne dasselbe der slawische Aufstand unmöglich
war... er bezwang seine Abneigung bis zu dem Grade, daß er 2*)
bereit war, die unabhängige Existenz Polens anzuerkennen, aber...
nur jenseits der Weichsel."
Derselbe Mann also, der seit 1868 in Internationalismus macht,
predigte noch 1862 den Racenkrieg im Interesse der russischen Re-
gierung. Der Panslawismus ist eine Erfindung des Petersburger
Kabinetts und hat keinen andern Zweck als den, die europäischen
Grenzen Rußlands nach Westen und Süden vorzuschieben. Da man aber
nicht wagt, den österreichischen, preußischen und türkischen Sla-
wen ihren Beruf anzukündigen, im großen russischen Reich aufzuge-
hen, stellt man ihnen Rußland als die Macht dar, welche sie vom
fremden Joche befreien und in einer großen freien Föderation ver-
einigen wird. Der Panslawismus ist demnach verschiedener Schat-
tierungen fähig, vom Panslawismus des Kaisers Nikolaus bis zu dem
Bakunins; aber alle laufen sie auf dieselbe Tendenz hinaus und
stehen
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1*) Im "Kolokol": aufrufen wollte - 2*) in der französischen Aus-
gabe eingefügt: sagt man
#447# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über Bakunin
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im Grunde in inniger Harmonie, wie die eben angeführte Stelle be-
weist. Das Manifest, das uns jetzt beschäftigen wird, läßt hier-
über keinen Zweifel mehr.
3. Bakunin und der Zar
Wir haben gesehen, daß in Rußland, bei Gelegenheit der Aufhebung
der Leibeigenschaft der Krieg zwischen der liberalen und der re-
volutionären Partei ausgebrochen war. Um Tschernyschewski, den
Führer der revolutionären Partei, reihte sich eine ganze Phalanx
Publizisten, eine zahlreiche Gruppe Offiziere und die Jugend der
Hochschulen. Die liberale Partei war vertreten durch Herzen, ei-
nige Panslawisten und eine große Anzahl friedlicher Reformatoren
und Bewunderer Alexanders II. Die Regierung gewährte der libera-
len Partei ihre Unterstützung. Im März 1861 hatte die Jugend der
russischen Universitäten sich energisch für die Befreiung Polens
ausgesprochen; im Herbst 1861 hatte sie versucht, dem Staats-
streiche Widerstand zu leisten, der mittelst disziplinarischer
und fiskalischer Maßregelungen den armen Studierenden (über zwei
Drittel der Gesamtzahl) die Möglichkeit rauben sollte, am höheren
Unterricht teilzunehmen. Die Regierung behandelte ihre Proteste
als Emeute; in Petersburg, Moskau, Kasan werden Hunderte junge
Leute ins Gefängnis geworfen, von den Universitäten vertrieben
oder nach dreimonatlicher Haft ausgestoßen. Und aus Furcht, daß
diese jungen Leute die Mißstimmung der Bauern verschärfen könn-
ten, verbot eine Entscheidung des Staatsrats den Ex-Studenten je-
den Zutritt zu öffentlichen Ämtern auf dem Lande. Die Verfolgun-
gen hörten hiermit nicht auf. Man verbannt Professoren wie Paw-
low; man schließt die von den aus den Universitäten ausgeschlos-
senen Studenten organisierten öffentlichen Vorlesungen; man be-
ginnt unter den nichtigsten Vorwänden neue Verfolgungen; die kaum
genehmigte "Kasse der studierenden Jugend" wird plötzlich aufge-
hoben; Zeitungen werden suspendiert. Alles dies versetzt die ra-
dikale Partei in die höchste Entrüstung und Aufregung und zwingt
sie, zur heimlichen Presse ihre Zuflucht zu nehmen. Es erschien
das Manifest dieser Partei unter dem Titel "Das junge Rußland"
mit einem Motto aus Robert Owens Schriften. [339] Dieses Manifest
gab eine klare und deutliche Darstellung der inneren Lage des
Landes, des Zustandes der verschiedenen Parteien und der Presse,
und schloß daraus, indem es den Kommunismus proklamierte, auf die
Notwendigkeit einer sozialen Revolution. Es forderte alle tüchti-
gen Leute auf, sich um die radikale Fahne zu scharen.
#448# Karl Marx/Friedrich Engels
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Kaum hatte dies Manifest die heimliche Presse verlassen, als
durch ein verhängnisvolles Zusammentreffen (insofern die Polizei
nicht ihre Hand dabei im Spiele hatte) zahlreiche Feuersbrünste
in Petersburg ausbrachen. Die Regierung und die reaktionäre
Presse ergriffen mit Freuden diese Gelegenheit, die Jugend und
die gesamte radikale Partei der Brandstiftung zu beschuldigen.
Von neuem füllen sich die Gefängnisse, neue Opfer drängen sich
auf den Wegen zur Verbannung. Tschernyschewski wird verhaftet und
auf die Petersburger Festung gebracht; von da schickt man ihn
nach zwei langen martervollen Jahren zur Zwangsarbeit nach Sibi-
rien.
Schon vor dieser Katastrophe griffen Herzen und Gromeka, welch
letzterer später als Gouverneur einer polnischen Provinz bei der
Unterwerfung Polens mitwirkte, der eine in London, der andere in
Rußland, die radikale Partei aufs wütendste an und gaben zu ver-
stehen, daß Tschernyschewski vielleicht noch schließlich mit ei-
nem Orden begnadigt werde. Tschernyschewski forderte Herzen in
einem ganz besonders gemäßigten Artikel auf, über die Folgen der
neuen Rolle nachzudenken, worin der "Kolokol" sich in offene
Feindschaft mit der russischen revolutionären Partei setze. [340]
Herzen erklärte pomphaft, er sei bereit, in Gegenwart von allem
dem, was er die internationale Demokratie nannte, Mazzinis, Vic-
tor Hugos, Ledru-Rollins, Louis Blancs u.a., den famosen Toast
auf den großen Zar und Emanzipator auszubringen, und, fügte er
hinzu, was auch die revolutionären Daniels in Petersburg sagen
mögen, ihnen und ihren Schreiern zum Trotz, "ich weiß, daß dieser
Toast ein günstiges Echo im Winterpalast" (Residenz des Zaren)
"finden wird". 1*)
Bakunin übertraf Herzen. Gerade als die revolutionäre Partei in
voller Auflösung, als Tschernyschewski im Gefängnis war, veröf-
fentlichte Bakunin, damals schon einundfünfzig Jahre alt, seine
berüchtigte Broschüre für den Bauernzar: "Romanow, Pugatschow
oder Pestel? Die Sache des Volks." Von Michail Bakunin. 1862.
"Manche fragen sich noch, ob es in Rußland eine Revolution geben
wird. Aber diese Revolution vollzieht sieb schrittweise, sie
herrscht überall vor, in allen Verhältnissen wie in allen Gemü-
tern. Sie betätigt sich durch die Hand der Regierung noch erfolg-
reicher als in den Bemühungen ihrer eigenen Anhänger. Sie läßt
sich nicht beschwichtigen noch aufhalten, bis sie die russische
Welt wiedergeboren, bis sie neue slawische Welten geschaffen ha-
ben wird.
Die Dynastie arbeitet selbst an ihrem Sturz. Sie sucht ihr Heil
darin, nicht das erwachte Volksleben zu beschützen, sondern
darin, ihm Halt zu gebieten. Würde dieses
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1*) In der französischen Ausgabe folgt: Mit den revolutionären
Daniels sind Tschernyschewski und seine Freunde gemeint.
#449# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Volksleben verstanden, es hätte das kaiserliche Haus zu einer bis
auf den heutigen Tag unbekannten Höhe der Macht und des Ruhmes
erheben können... Es ist zu beklagen. Selten hatte das Schicksal
dem zarischen Hause eine so großartige, so segensreiche Rolle zu-
gewiesen. Alexander II. konnte leicht der Abgott des Volkes wer-
den, der erste Zar der Bauern *), mächtig nicht durch die Furcht,
sondern durch die Liebe, die Freiheit, das Glück seines Volkes.
Indem er sich auf das Volk stützte, hätte er der Herr und Erlöser
der gesamten slawischen Welt werden können...
Hierzu freilich mußte er ein russisches Herz haben, weit und
stark in Hochsinn und in der Wahrheit. Die ganze lebende russi-
sche und slawische Gegenwart kam ihm mit offenen Armen entgegen,
bereit, seiner historischen Größe als Fußgestell zu dienen."
Weiter verlangt Bakunin die Abschaffung des Staates Peter des
Großen, des deutschen Staates, und die Gründung des "neuen Ruß-
lands". Alexander II. ist zu diesem Werk berufen.
"Sein Anfang war herrlich; er verkündete die Freiheit des Volkes,
die Freiheit und ein neues Leben nach tausendjähriger Sklaverei;
es hatte den Anschein, als wollte er das Rußland der Bauern"
(zemskuju Russiju) "organisieren, weil im Staate Peters ein
freies Volk unmöglich ist. Am 19. Februar 1861 war Alexander II.
trotz aller Fehler, aller absurden Widersprüche des Ukases über
die Bauern-Emanzipation, der größte, geliebteste, mächtigste Zar,
den Rußland je gehabt." - Jedoch "widerspricht die Freiheit allen
Instinkten Alexanders II.", weil er ein "Deutscher" ist, und "ein
Deutscher wird nie Verständnis oder Liebe für das Rußland der
Bauern haben... er hat nur daran gedacht, das Staatsgebäude Pe-
ters zu befestigen... damit hat er ein verhängnisvolles und un-
mögliches Werk unternommen und arbeitet an seinem eigenen Unter-
gang und dem seines Hauses; er steht auf dem Punkt, Rußland in
eine blutige Revolution zu stürzen."
Alle Widersprüche des Emanzipations-Ukas, alle Bauernmetzeleien,
die Erneuten der Studenten, die ganze Schreckensherrschaft mit
einem Worte, lassen sich nach Bakunin
"vollständig erklären aus dem Mangel an russischem Geiste beim
Zaren, an einem Herzen, das für das Volk schlägt, aus seinem tö-
richten Streben, koste es was es wolle, den Staat Peters zu er-
halten... und doch ist er es, er allein, der in Rußland, ohne
einen Tropfen Bluts zu vergießen, die bedeutendste und wohltätig-
ste Revolution durchführen könnte. Er kann es noch jetzt; wenn
wir am friedlichen Ausgange verzweifeln, so geschieht es nicht,
weil es zu spät ist, sondern weil wir schließlich allen Glauben
aufgegeben haben, daß Alexander II. die Fähigkeit besitzt, einzu-
sehen, auf welche Weise allein er sich und Rußland retten kann.
Die Bewegung des nach tausendjährigem
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*) Der Titel des Bauernzaren (Zemsky Tzar), mit dem Alexander II.
beschenkt wird, ist eine Erfindung Bakunins und des "Kolokol".
#450# Karl Marx/Friedrich Engels
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Schlafe erwachten Volkes aufzuhalten, ist unmöglich. Aber stellte
sich der Zar kühn und entschlossen an die Spitze der Bewegung,
dann hätte seine Macht für das Wohl und den Ruhm Rußlands keine
Grenzen."
Hierzu brauchte er nur den Bauern Land zu geben und Freiheit und
Selbstverwaltung zu gewähren.
"Es ist nicht zu fürchten, daß die Selbstverwaltung der einzelnen
Landesteile den Zusammenhang der Provinzen miteinander löse, daß
die Einheit Rußlands erschüttert werde; die Selbständigkeit der
Provinzen wird nur eine administrative, für die inneren Angele-
genheiten gesetzgebende, juridische sein, aber keine politische.
Und in keinem Lande, mit Ausnahme Frankreichs vielleicht, ist das
Volk in solchem Grade wie in Rußland durchdrungen vom Bewußtsein
der Einheit, Harmonie und Unteilbarkeit des Staates und der na-
tionalen Größe."
Zu jener Zeit verlangte man in Rußland die Einberufung einer
Nationalversammlung 1*). Die einen verlangten sie, um finanzielle
Schwierigkeiten zu lösen, die anderen, um der Monarchie ein Ende
zu machen. Bakunin forderte sie, als Ausdruck der Einheit
Rußlands, zur Befestigung der Macht und Größe des Zaren.
"Die Einheit Rußlands, die bisher nur in der Person des Zaren ih-
ren Ausdruck gefunden, bedarf einer anderen Vertretung durch eine
Nationalversammlung... Es handelt sich nicht darum, zu wissen, ob
eine Revolution kommen wird, sondern ob sie friedlich oder blutig
sein wird. Sie wird friedlich und wohltätig sein, sobald der Zar,
an der Spitze der Volksbewegung, mit der Nationalversammlung ent-
schlossen und auf breiter Grundlage die Umwandlung Rußlands im
Sinne der Freiheit vornehmen will; will aber der Zar rückwärts-
schreiten oder bei halben Maßregeln stehenbleiben, wird die Revo-
lution schrecklich sein. Sie wird dann beim Aufstande des ge-
samten Volkes den Charakter eines unerbittlichen Blutbades anneh-
men... Noch kann Alexander II. Rußland vor vollständigem Unter-
gang und vor Blutvergießen schützen."
Für Bakunin war also 1862 die Revolution der vollständige Unter-
gang Rußlands, und er beschwor den Zaren, Rußland davor zu behü-
ten. Vielen russischen Revolutionären galt die Einberufung einer
Nationalversammlung als eine Niederlage des kaiserlichen Hauses;
Bakunin jedoch schneidet kurzweg ihre Hoffnungen ab und verkündet
ihnen, daß
"die Nationalversammlung gegen sie und für den Zaren sein wird.
Und wenn die Versammlung dem Zaren feindlich wäre? - Das ist
nicht möglich, ist es ja das Volk, welches seine Delegierten
schicken wird, das Volk, dessen Vertrauen zum Zaren bis jetzt
keine Grenzen kennt und das alles an ihm mit Ehrfurcht betrach-
tet. Woher sollte also die
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1*) Im russischen Text gebraucht Bakunin hier und an anderen
Stellen den Terminus: ???????????? ??????? ?????
#451# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Feindseligkeit kommen?... Es ist kein Zweifel, daß, wenn der Zar
jetzt" (Februar 1862) "die Nationalversammlung einberiefe, er
sich zum ersten Male von Männern umringt fände, die ihm aufrich-
tig ergeben sind. Dauert die Anarchie 1*) noch einige Jahre, so
kann die Stimmung des Volkes sich ändern. In unserer Zeit lebt
man schnell. Aber gegenwärtig ist das Volk für den Zaren und ge-
gen den Adel, gegen die Beamten und gegen alles, was deutsche
Tracht" (d.h. europäische Tracht) "trägt. Im Lager des offiziel-
len Rußlands ist alles Feind des Volkes, alles mit Ausnahme de-
sZaren. Wer sollte es also versuchen, zum Volke gegen den Zaren
zu reden? Und wenn es selbst jemand versuchen wollte, würde das
Volk ihm glauben? War er nicht der Zar, welcher die Bauern gegen
den Willen der Adeligen, gegen den allgemeinen Wunsch der Beamten
emanzipiert hat?
In seinen Abgeordneten wird das russische Volk zum ersten Male
Angesicht zu Angesicht seinem Zaren gegenüberstehen. Das ist ein
entscheidender, im höchsten Grade kritischer Moment. Werden sie
aneinander Gefallen finden? Von dieser Begegnung wird die ganze
Zukunft des Zaren und Rußlands abhängen. Das Vertrauen und die
Ergebenheit der Abgeordneten für den Zaren werden keine Grenzen
kennen. Stützt er sich auf sie, kommt er ihnen mit Liebe und Ver-
trauen entgegen, so wird er seinen Thron zu einer noch nie er-
reichten Höhe und Festigkeit erheben. Aber was wird geschehen,
wenn die Delegierten in ihm statt eines emanzipatorischen Zaren,
eines volkstümlichen 2*) Zaren, einen Petersburger Kaiser in
preußischer Uniform, einen engherzigen Deutschen vorfinden? Was
wird geschehen, wenn ihnen der Zar statt der erwarteten Freiheit
nichts oder fast nichts gibt?... Dann, wehe dem Cäsarismus 3*)!
Es wird dann geschehen sein mindestens um das Petersbur-
ger,deutsche, Holstein-Gottorpsche Kaisertum.
Wenn in diesem verhängnisvollen Augenblick, da die Frage um Leben
und Tod, Frieden oder Blut, für ganz Rußland sich entscheiden
soll, wenn da vor der Nationalversammlung der volkstümliche Zar
erschiene, der gute und redliche Zar, voll Liebe für Rußland, be-
reit, dem Volke eine Organisation nach seinem Willen zu geben,
was könnte der nicht mit einem solchen Volke machen! Wer würde
wagen, sich gegen ihn zu erheben? Frieden und Vertrauen wären wie
durch ein Wunder hergestellt, das Geld wäre gefunden und alles
ordnete sich einfach, natürlich, ohne jemanden zu schädigen, zu
allgemeiner Befriedigung. Unter Leitung eines solchen Zaren würde
die Nationalversammlung ein neues Rußland schaffen. Kein böswil-
liges Unternehmen, keine feindliche Macht wäre imstande, gegen
die vereinigte Macht des Zaren und des Volkes anzukämpfen... Kann
man hoffen, daß diese Vereinigung zustande kommt? Wir sagen gera-
dezu nein."
Trotz alledem gibt Bakunin nicht die Hoffnung auf, den Zar hinzu-
reißen, und um ihn zu bestimmen, droht er ihm mit der revolutio-
nären Jugend, die, wenn er sich nicht beeilt, ihr Werk vollenden
und den Weg zum Volke finden wird.
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1*) Bei Bakunin: ?????????? - 2*) ???????? - 3*) in der französi-
schen Ausgabe: Zarismus
#452# Karl Marx/Friedrich Engels
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"Und warum ist diese Jugend nicht für Sie, sondern gegen Sie? Es
ist dies ein großes Unglück für Sie... sie" (die revolutionäre
Jugend) "bedarf vor allem der Freiheit und der Wahrheit. Aber
warum hat sie den Zaren aufgegeben, warum hat sie sich gegen den
erklärt, der zuerst dem Volke Freiheit gegeben hat? Sollte sie
sich durch das abstrakte revolutionäre Ideal und durch jenes
klangvolle Wort der Republik haben hinreißen lassen? Das ist zum
Teil möglich, ist aber doch nur ein in zweiter Reihe stehender
und nicht tiefgehender Grund. Die Mehrheit unserer vorgeschritte-
nen Jugend weiß sehr wohl, daß die Abstraktionen des Westens,
sowohl die konservativen als die bürgerlichen, liberalen oder de-
mokratischen, auf die russische Bewegung nicht anwendbar sind...
das russische Volk bewegt sich nicht nach abstrakten Prinzi-
pien... das Ideal des Westens ist ihm fremd und alle Versuche des
konservativen, liberalen oder selbst revolutionären Doktrinaris-
mus, ihm seine Tendenzen aufzudrängen, werden vergeblich sein...
es hat sein Ideal für sich... es wird neue Prinzipien in die Ge-
schichte hineintragen, es wird eine andere Zivilisation schaffen,
eine neue Religion, ein neues Recht, ein neues Leben.
Gegenüber dieser großen, ernsten und selbst schrecklichen Er-
scheinung, dem Volk, wagt man keine Torheiten zu begehen. Die Ju-
gend wird die lächerliche und hochmütige 1*) Rolle eines täu-
schenden Schulmeisters fallenlassen... Was können wir das Volk
lehren? Wenn man die mathematischen und Naturwissenschaften bei-
seite läßt, wird das letzte Wort unserer Wissenschaft die Vernei-
nung der angeblich unumstößlichen Wahrheiten der westlichen Dok-
trin sein, die vollständige Negation des Westens."
Dann nimmt Bakunin die Gründer des "Jungen Rußlands" vor; er be-
schuldigt sie, daß sie Doktrinäre seien, daß sie sich zu Herren
des Volkes aufwerfen wollen, daß sie die Sache kompromittiert ha-
ben, daß sie Kinder seien, die nichts begreifen und die ihre
Ideen aus einigen Büchern des Westens geschöpft haben. - Die Re-
gierung, die damals diese selbe Jugend als Brandstifter einker-
kerte, schleuderte dieselben Vorwürfe gegen sie. Und um seinen
Zar zu beruhigen, verkündet Bakunin, daß
"das Volk nicht für jene revolutionäre Partei ist... die unge-
heure Mehrheit unserer Jugend gehört der Volkspartei an, der Par-
tei, welche zum einzigen und alleinigen Zweck den Triumph der
Volkssache hat; diese Partei hat keine Vorurteile, weder für noch
gegen den Zar, und wenn nicht der Zar, der das große Werk begon-
nen, das Volk verraten hätte, man hätte ihn nie aufgegeben. Und
auch jetzt ist es noch nicht zu spät für ihn, auch jetzt noch
würde diese Jugend ihm mit Freuden folgen, vorausgesetzt, daß er
an der Spitze seines Volkes schritte. Sie würde sich durch keines
der revolutionären Vorurteile des Westens behindern lassen. Es
ist Zeit, daß die Deutschen nach Deutschland abziehen. Wenn der
Zar begriffen hätte, daß er von nun an nicht mehr das Haupt einer
Zwangs-Zentralisation, sondern das einer freien Föderation freier
Völker sein müßte, gestützt auf eine feste und neugekräftigte
Macht, im Bündnis mit Polen und der Ukraine, daß er alle sosehr
verabscheuten deutschen Bündnisse lösen und kühn das panslawisti-
sche Banner erheben müßte - er würde der Heiland der slawischen
Welt.
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1*) In der französischen Ausgabe: widerwärtige
#453# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Ja, in der Tat, der Krieg gegen die Deutschen ist für die Slawen
ein gutes und unerläßliches Werk; es ist jedenfalls besser, als
die Polen zum Vergnügen der Deutschen zu ersticken. Eine Notwen-
digkeit und heilige Pflicht für das befreite russische Volk wird
es sein, sich zur Befreiung der Slawen vom türkischen und deut-
schen Joche zu erheben."
In derselben Broschüre verpflichtet Bakunin die revolutionäre
Partei, sich unter das Banner der Volkssache zu scharen. Wir ge-
ben hier einige Glaubensartikel des Programms dieser für den Za-
ren zugeschnittenen Volkssache:
"Art. 1. 1*) Wir" (Bakunin & Co.) "wollen die Selbstregierung des
Volks in der Gemeinde, der Provinz, dem einzelnen Lande und end-
lich dem Gesamtstaate, ob mit oder ohne Zar, daran liegt uns we-
nig; das wird sich machen, je nachdem das Volk entscheidet. -
Art. 2. 2*) ... Wir sind bereit, und die Pflicht gebietet es uns,
Litauen, Polen und der Ukraine zur Hülfe zu kommen, um jede Ver-
gewaltigung zu verhindern und diese Länder gegen ihre äußeren
Feinde zu beschützen, besonders gegen die Deutschen. - Art. 4.
3*) Vereinigt mit Polen, Litauen und der Ukraine wollen wir unse-
ren Arm allen unseren slawischen Brüdern leihen, die gegenwärtig
unter dem Joche des Königreichs Preußen, des österreichischen und
türkischen Reichs seufzen, und wir verpflichten uns, das Schwert
nicht in die Scheide zu stecken, so lange noch ein einziger Slawe
Sklave der Deutschen, Türken oder wessen sonst sein wird."
Der Artikel 6 schreibt eine Allianz mit Italien, Ungarn, Rumänien
und Griechenland vor; es waren gerade diese Allianzen, welche die
russische Regierung damals suchte.
"Art. 7. Wir werden mit allen übrigen slawischen Stämmen nach der
Verwirklichung des teuern Traums der Slawen streben, nach der
Gründung der großen und freien panslawischen Föderation, damit es
nur eine einzige und unteilbare panslawische Macht gebe.
Das ist das große Programm der slawischen Sache, das ist das
letzte unabänderliche Wort der russischen Volkssache. Wir haben
unser ganzes Leben dieser Sache geweiht.
Und nun: wohin gehen wir, und mit wem werden wir gehen? Wir haben
gesagt, wohin wir gehen wollen; wir haben auch gesagt, mit wem
wir gehen wollen, mit niemandem anders als mit dem Volke. Bleibt
nur noch zu wissen, wem wir folgen werden. Werden wir Romanow,
Pugatschow oder einem neuen Pestel, wenn sich ein solcher findet,
folgen? *)
---
*) Romanow ist der Familienname des Zaren; Pugatschow war das
Haupt des großen Kosaken-Aufstandes unter Katharina II.; Pestel
war das Haupt der Verschwörung gegen Nikolaus I. im Jahre 1825,
er wurde gehängt.
-----
1*) Bei Bakunin: 2. - 2*) ebenda: 4. - 3*) ebenda: 5.
#454# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
Sagen wir die Wahrheit. Wir würden es vorziehen, Romanow zu fol-
gen, wenn Romanow sich aus einem Petersburger Kaiser in einen
Bauernzar umwandeln könnte und wollte. Wir würden uns gern unter
seine Fahne stellen, weil das russische Volk sie noch anerkennt,
und weil seine Macht bereits geschaffen und zum Handeln bereit
ist und weil sie unbesiegbar würde, sobald er ihr die Volkstaufe
gäbe. Wir würden ihm auch deshalb folgen, weil er allein die
große friedliche Revolution durchführen kann, ohne einen Tropfen
russischen oder slawischen Bluts zu vergießen. Blutige Revolu-
tionen, dank der menschlichen Torheit, werden oft notwendig;
nichtsdestoweniger sind sie ein großes Übel und ein großes Un-
glück, nicht nur wegen ihrer Schlachtopfer, sondern auch hin-
sichtlich der Reinheit und Fülle des Zweckes, wozu sie sich voll-
ziehen. Wir haben dies während der Französischen Revolution gese-
hen.
So ist unsere Haltung gegenüber Romanow klar. Wir sind nicht
seine Feinde, wir sind ebensowenig seine Freunde. Wir sind die
Freunde der russischen Volkssache, der slawischen Sache. Steht
der Zar an der Spitze dieser Sache, so folgen wir ihm; stellt er
sich gegen sie, so sind wir seine Feinde. Daher handelt es sich
einfach darum: Will Romanow der russische Zar, der Zar der Bauern
sein, oder will er lieber der Petersburger, der Holstein-Gottorp-
sche Kaiser sein? Will er Rußland, will er den Slawen oder den
Deutschen seine Dienste widmen? Diese Frage wird sich bald ent-
scheiden, und dann werden wir wissen, was wir zu tun haben."
Leider hielt es der Zar nicht für angemessen, die Nationalver-
sammlung einzuberufen, für welche Bakunin in dieser Broschüre be-
reits seine Kandidatur aufstellte. Er hatte also dieses sein
Wahlmanifest und seine Kniebeugungen vor Romanow weggeworfen.
Schmählich in seinem unschuldsvollen Vertrauen getäuscht, blieb
ihm nichts weiter übrig, als sich kopfüber in die pan-destruktive
Anarchie zu stürzen.
Nach diesem Machwerk des Meisters, der vor seinem Bauernzar auf
dem Bauche kriecht, war es seinen Freunden und Schülern Albert
Richard und Gaspard Blanc wohl gestattet, aus vollem Halse zu
schreien: Es lebe Napoleon III., der Bauernkaiser!
#455#
-----
XI
Belegstücke
1. Geheime Statuten der Allianz
Das in unseren Händen befindliche Exemplar dieser Statuten ist
teilweise von der Hand Bakunins geschrieben. Er gab Abschriften
nicht nur an seine Eingeweihten, sondern auch an viele andere,
die er durch die Enthüllung seines prachtvollen Programms zu ver-
führen hoffte. Die Eitelkeit des Schriftstellers trug über die
finstre Zurückhaltung des Mystifikators den Sieg davon.
ORGANISATION DER ALLIANZ DER INTERNATIONALEN BRÜDER
Drei Grade:
I. Internationale Brüder.
II. Die nationalen Brüder.
III. Die halb geheime, halb öffentliche Organisation der Interna-
tionalen Allianz der sozialistischen Demokratie.
I. Reglement der internationalen Brüder
1. Die internationalen Brüder haben kein anderes Vaterland als
die allgemeine Revolution, kein anderes Ausland und keinen ande-
ren Feind als die Reaktion.
2. Sie verwerfen jede Versöhnungs- und Kompromiß-Politik und hal-
ten jede politische Bewegung für reaktionär, die nicht den Tri-
umph ihrer Prinzipien zum unmittelbaren und direkten Zweck hat.
3. Sie sind Brüder - nie greifen sie einander an, noch machen sie
ihre Streitigkeiten vor der Öffentlichkeit oder den Gerichten
aus. Ehren-Jury, gewählt von beiden Parteien aus der Zahl der
Brüder - das ist ihre einzige Gerichtsbarkeit.
#456# Karl Marx/Friedrich Engels
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4. Jeder von ihnen muß allen anderen heilig sein, heiliger als
ein natürlicher Bruder. Jeder Bruder hat auf die Hülfe und den
Beistand aller anderen bis auf die Auslöschung der Möglichkeit zu
rechnen.
5. Internationaler Bruder kann nur werden, wer offen das ganze
Programm in allen seinen theoretischen und praktischen Konsequen-
zen angenommen hat und außer der gehörigen Intelligenz, Energie,
Ehrenhaftigkeit und Zuverlässigkeit auch noch die revolutionäre.
Leidenschaft besitzt - den Teufel im Leibe hat. Wir legen weder
Pflichten noch Opfer auf. Denn wer jene Leidenschaft besitzt,
wird vieles vollbringen, ohne sich nur einzubilden, daß er Opfer
bringt.
6. Es darf für einen Bruder keine ernsteren und heiligeren Ange-
legenheiten, Interessen und Pflichten geben als den Dienst der
Revolution und unserer ihrem Dienste bestimmten geheimen Assozia-
tion.
7. Ein Bruder hat stets das Recht, die Dienste zu verweigern,
welche das Zentralkomitee oder sein Nationalkomitee von ihm for-
dert - doch werden viele aufeinanderfolgende Weigerungen geeignet
sein, ihn als trag oder böswillig betrachten zu lassen; er kann
durch sein Nationalkomitee suspendiert und auf Vorstellung des
letzteren durch das Zentralkomitee bis zur definitiven Entschei-
dung der Konstituante in Ruhestand versetzt werden.
8. Kein Bruder darf ein öffentliches Amt annehmen ohne Zustimmung
des Komitees, dem er angehört. - Er darf sich an keiner öffentli-
chen Handlung oder Kundgebung beteiligen, die der von seinem Ko-
mitee gezogenen Richtschnur feindlich oder selbst nur fremd ist,
oder bei der er letzteres nicht zu Rate gezogen hat. Sooft zwei
oder mehrere Brüder beisammen sind, haben sie sich über alle
wichtigen öffentlichen Angelegenheiten zu beraten.
9. Alle internationalen Brüder kennen einander. Kein politisches
Geheimnis darf je unter ihnen existieren. Niemand kann irgendei-
ner geheimen Gesellschaft angehören ohne positive Zustimmung sei-
nes Komitees oder im Notfall, wenn dieses es verlangt, ohne die
des Zentralkomitees; und er kann ihr nur unter der Bedingung an-
gehören, daß er diesen Komitees alle Geheimnisse aufdeckt, welche
sie direkt oder indirekt interessieren könnten.
10. Die Organisation der internationalen Brüder teilt sich ein
in: A. Das Generalkomitee oder die Konstituante. B. Das Zentral-
komitee. C. Die Nationalkomitees.
A. Das Generalkomitee
Dies ist die Vereinigung von allen oder mindestens zwei Dritteln
der internationalen Brüder, die ordnungsmäßig zu bestimmter Zeit
oder als außerordentliche Versammlung von 1*) dem Zentralkomitee
einberufen ist. Das Generalkomitee bildet die höchste konstituie-
rende und vollziehende Gewalt unserer ganzen Organisation, und
kann deren Programm, deren Reglements und organische Statuten mo-
difizieren.
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1*) In der französischen Ausgabe lautet der folgende Satzteil:
der Majorität des Zentralkomitees einberufen ist
#457# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
-----
B. Das Zentralkomitee
Dasselbe besteht aus a) dem Zentralbüro und b) dem Zentral-Über-
wachungskomitee. Mitglieder dieses letzteren sind alle interna-
tionalen Brüder, die nicht zum Büro gehören und sich in solcher
Nähe befinden, daß sie innerhalb zweier Tage zusammenberufen wer-
den können, sowie natürlich alle durchreisenden Brüder. Für ihre
gegenseitigen Beziehungen gilt das Reglement der Allianz der so-
zialistischen Demokratie (siehe Art. 2-4).
C. Die Nationalkomitees
Jedes Nationalkomitee besteht aus allen internationalen Brüdern
(einerlei welcher Nationalität), die sich am Zentrum der Natio-
nal-Organisation oder in dessen Nähe aufhalten. Jedes Nationalko-
mitee zerfällt gleichfalls in zwei Unterabteilungen, in a) das
National-Exektitivbüro und b) das National- Überwachungskomitee.
Dieses letztere umfaßt alle anwesenden internationalen Brüder,
die nicht zum Büro gehören. Es gelten dieselben Verhältnisse wie
in der Allianz der sozialistischen Demokratie.
11. Zur Schaffung eines neuen Bruders bedarf es der Einstimmig-
keit aller (wenigstens in der Zahl von dreien) anwesenden Mit-
glieder des Nationalkomitees und der Bestätigung des Zentralkomi-
tees mit Zweidrittel-Majorität. Das Zentralkomitee kann neue Mit-
glieder mit Einstimmigkeit aller seiner Mitglieder aufnehmen.
12. Jedes Nationalkomitee versammelt sich mindestens einmal wö-
chentlich, um die organisatorische, agitatorische und administra-
tive Arbeit seines Büros zu kontrollieren und anzuspornen. - Das
Nationalkomitee ist der natürliche Richter über die Haltung sei-
ner Mitglieder in allem, was ihre revolutionäre Würdigkeit sowie
ihre Beziehungen zur Gesellschaft betrifft. Seine Entscheidungen
müssen dem Zentralkomitee zur Bestätigung vorgelegt werden. Es
schreibt der Tätigkeit wie allen öffentlichen Kundgebungen aller
seiner Mitglieder die Richtung vor. Es hat, sei es durch Vermitt-
lung seines Büros oder durch einen von ihm hierzu zu ernennenden
Bruder, eine regelmäßige Korrespondenz mit dem Zentralbüro zu
führen, dem es mindestens einmal alle vierzehn Tage schreiben
muß.
13. Das Nationalkomitee wird die geheime Assoziation der nationa-
len Brüder seines Landes organisieren.
II. Die nationalen Brüder
14. Die nationalen Brüder müssen in jedem Lande in der Art orga-
nisiert werden, daß sie sich niemals der Leitung der allgemeinen
Organisation der internationalen Brüder und namentlich der des
Generalkomitees und des Zentralkomitees entziehen können. Ihre
Programme und Reglements können definitiv nur in Kraft gesetzt
werden, nachdem sie die Sanktion des Zentralkomitees erhalten ha-
ben.
15. Jedes Nationalkomitee kann, wenn es dies für nützlich befin-
det, zwei Kategorien aufstellen: a) solche nationale Brüder, die
in jedem einzelnen Lande einander kennen, und b) solche, die sich
nur in kleinen Gruppen kennen. - In keinem Falle
#458# Karl Marx/Friedrich Engels
-----
dürfen die nationalen Brüder die Existenz einer internationalen
Organisation auch nur ahnen.
16. Provinzial-Zentren, ganz oder teilweise aus internationalen
Brüdern oder aus nationalen Brüdern der ersten Kategorie beste-
hend, sollen an allen Hauptpunkten eines Landes gegründet werden;
sie haben die Aufgabe, die geheime Organisation und die Propa-
ganda der Prinzipien, so tief und soweit sie nur können, wachsen
zu lassen, indem sie sich nicht mit der Tätigkeit in den Städten
begnügen, sondern auch den Versuch machen, sie in den Dörfern und
unter den Bauern auszudehnen.
17. Die Nationalkomitees werden suchen, aufs schnellste die fi-
nanziellen Mittel zu ' schaffen, welche notwendig sind nicht nur
für den Erfolg ihrer eigenen Organisation, sondern auch für die
allgemeinen Bedürfnisse der ganzen Assoziation. Sie werden also
einen Teil - die Hälfte? - an das Zentralbüro schicken.
18. Die Nationalbüros müssen außerordentlich tätig sein und be-
denken, daß die Prinzipien, Programme und Reglements nur soweit
etwas wert sind, als die Personen, welche dieselben in Ausübung
bringen sollen, den Teufel im Leibe haben.
GEHEIME ORGANISATION DER INTERNATIONALEN ALLIANZ
DER SOZIALISTISCHEN DEMOKRATIE
1. Das permanente Zentralkomitee der Allianz besteht aus allen
Mitgliedern der permanenten Nationalkomitees und denen der Genfer
Zentralsektion.
In ihrer Vereinigung bilden alle diese Mitglieder die geheime Ge-
neralversammlung der Allianz, welche die höchste und zugleich die
konstituierende Macht der Allianz ist und mindestens einmal jähr-
lich auf dem Arbeiterkongreß als Delegierte der verschiedenen na-
tionalen Gruppen der Allianz zusammentritt; die außerdem zu jeder
Zeit sowohl vom Zentralbüro als auch durch die Genfer Zentralsek-
tion einberufen werden kann.
2. Die Genfer Zentralsektion ist die permanente Delegation des
permanenten Zentralkomitees. Sie besteht aus allen Mitgliedern
des Zentralbüros und des Überwachungskomitees, die notwendiger-
weise stets Mitglieder des permanenten Zentralkomitees sind. -
Die Zentralsektion ist der höchste vollziehende Rat der Allianz
innerhalb der Grenzen der einzig durch die Generalversammlung
festzustellenden oder abzuändernden Verfassung und Richtschnur.
Die Zentralsektion entscheidet mit einfacher Stimmenmehrheit in
allen Exekutiv-Angelegenheiten (bei denen es sich nicht um die
Verfassung oder die allgemeine Politik handelt), und ihre so
gefaßten Beschlüsse sind obligatorisch für das Zentralbüro, falls
dieses nicht in der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt, da-
gegen an die Generalversammlung zu appellieren, die es dann
innerhalb drei Wochen einzuberufen hat. - Eine so einberufene
Generalversammlung bedarf, um ordnungsgemäß zu sein, der
Anwesenheit von zwei Dritteln aller ihrer Mitglieder.
3. Das Zentralbüro - die Exekutivgewalt - wird von 3 bis 5 oder
selbst 7 Mitgliedern gebildet, welche immer gleichzeitig Mitglie-
der des permanenten Zentralkomitees sein
#459# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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müssen. Als eines der beiden Bestandteile der geheimen Zentral-
sektion ist das Zentralbüro eine geheime Organisation. Als solche
erhält es von der Zentralsektion seine Inspirationen und hat sei-
nerseits seine Mitteilungen, um nicht zu sagen seine geheimen Be-
fehle, an alle Nationalkomitees zu richten, von denen es wenig-
stens einmal monatlich geheime Berichte empfangen soll. Als voll-
ziehendes Direktorium der öffentlichen Allianz ist das Zentral-
büro aber zugleich eine öffentliche Organisation. Als solche hat
es je nach den Ländern und Umständen mehr oder weniger vertrauli-
che oder öffentliche Beziehungen zu allen Nationalbüros, von
denen es gleichfalls monatliche Berichte zu empfangen hat. Seine
äußerliche Regierungsform wird die einer Präsidentschaft in einer
Föderativ-Republik sein. Das Zentralbüro, als sowohl geheime wie
öffentliche Exekutivgewalt der Allianz, wird die geheime und öf-
fentliche Propaganda der Gesellschaft ins Werk setzen und ihre
Entwickelung in allen Ländern durch alle möglichen Mittel för-
dern. Es hat die Verwaltung über den Teil der Finanzen, welche
ihm nach Artikel b) des öffentlichen Reglements aus allen Ländern
für die allgemeinen Bedürfnisse gesandt werden. Es wird eine
Zeitschrift und Broschüren herausgeben, und Reise-Agenten aussen-
den, um Allianzgruppen in den Ländern zu gründen, wo solche noch
nicht existieren. Bei allen Maßregeln, die das Zentralbüro zum
Wohle der Allianz zu ergreifen hat, hat es sich jedoch den Ent-
scheidungen der Mehrheit der geheimen Zentralsektion zu unterwer-
fen, zu der übrigens alle Mitglieder des Büros selbst gehören.
Als zugleich öffentliche und geheime Organisation und als ganz
aus Mitgliedern des permanenten Zentralkomitees zusammengesetzt,
wird das Zentralbüro immer ein direkter Ausfluß dieses Komitees
sein. Das provisorische Zentralbüro soll diesmal der Genfer Grün-
dungsgruppe präsentiert werden als provisorisch gewählt von allen
Gründungsmitgliedern der Allianz, die, zum größten Teil ehemalige
Mitglieder des Kongresses zu Bern, heimgereist sind, nachdem sie
ihre Vollmacht an Bürger B. 1*) übertragen. - Dieses Büro wird in
Tätigkeit bleiben bis zur ersten öffentlichen Generalversammlung,
welche nach Artikel 7 des öffentlichen Reglements auf dem näch-
sten Arbeiterkongreß als Zweig der Internationalen Arbeiter-Asso-
ziation zusammentritt. Es versteht sich, daß die Mitglieder des
neuen Zentralbüros von dieser Versammlung gewählt werden. Aber da
es dringend notwendig ist, daß das Zentralbüro stets nur aus Mit-
gliedern des permanenten Zentralkomitees bestehe, so wird dieses
letztere vermittelst seiner Nationalkomitees dafür sorgen müssen,
alle lokalen Gruppen so zu organisieren und zu leiten, daß sie
als Delegierte in diese Versammlung nur Mitglieder des permanen-
ten Zentralkomitees senden, oder, in Ermangelung solcher, nur
Leute, die vollständig der Leitung ihrer respektiven Nationalko-
mitees ergeben sind - damit das permanente Zentralkomitee in der
ganzen Organisation der Allianz stets die Oberhand habe.
4. Das Überwachungskomitee übt die Kontrolle über alle Handlungen
des Zentralbüros. - Es besteht aus allen Mitgliedern des perma-
nenten Zentralkomitees, die am Orte 2*) in der Nähe des Sitzes
des Zentralbüros wohnen, sowie aus allen zeitweilig anwesenden
oder durchreisenden Mitgliedern, mit Ausnahme derer, die das Büro
bilden. Auf Antrag von zwei Mitgliedern des Überwachungskomitees
müssen alle Mitglieder
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1*) Michail Bakunin - 2*) in der französischen Ausgabe eingefügt:
selbst oder
#460# Karl Marx/Friedrich Engels
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desselben innerhalb drei Tagen mit den Mitgliedern des Zentralbü-
ros zusammentreten, um die Versammlung der Zentralsektion des
höchsten vollziehenden Rats zu konstituieren, deren Rechte im Ar-
tikel 2 festgestellt sind.
5. Die Nationalkomitees werden von allen zu derselben Nation ge-
hörigen Mitgliedern des permanenten Zentralkomitees gebildet. -
Sowie es drei Mitglieder des permanenten Zentralkomitees aus der-
selben Nation gibt, werden dieselben vom Büro und nötigenfalls
von der Zentralsektion aufgefordert, sich als Nationalkomitee
ihres Landes zu konstituieren. Jedes Nationalkomitee kann ein
neues Mitglied des Zentralkomitees aus seinem Lande ernennen,
aber nur unter Einstimmigkeit aller seiner Mitglieder. Sowie ein
neues Mitglied von einem Nationalkomitee ernannt ist, hat dieses
hiervon unmittelbar das Zentralbüro in Kenntnis zu setzen, wel-
ches dieses neue Mitglied in die Liste aufnimmt und eben hier-
durch auf dasselbe alle Rechte eines Mitgliedes des permanenten
Zentralkomitees überträgt. - Die Genfer Zentralsektion ist
gleichfalls ermächtigt, unter Einstimmigkeit aller ihrer Mitglie-
der, neue Mitglieder zu ernennen.
Jedes Nationalkomitee hat die besondere Aufgabe, in seinem Lande
sowohl die öffentliche wie die geheime nationale Gruppe zu grün-
den und zu organisieren. Das Nationalkomitee ist deren höchste
Leitungs- und Verwaltungsbehörde 1*), vermittelst seines Natio-
nalbüros, für dessen Gründung es in der Art zu sorgen hat, daß es
ganz und gar aus Mitgliedern des permanenten Zentralkomitees be-
steht. Die Nationalkomitees werden ihren respektiven Büros gegen-
über dieselben Beziehungen, Rechte und Befugnisse haben, wie die
Zentralsektion gegenüber dem Zentralbüro. - Die Nationalkomitees,
welche durch die Vereinigung ihrer bezüglichen Büros und Über-
wachungskomitees gebildet werden, haben kein anderes Oberhaupt
als das Zentralbüro anzuerkennen; sie dienen als die einzigen
Mittelorgane zwischen diesem letzteren und allen Lokalgruppen
ihres Landes sowohl in betreff der Propaganda und der Verwaltung,
wie auch der Erhebung und Verwendung der Steuern. Die Nationalko-
mitees haben vermittelst ihrer respektiven Büros für die Organi-
sation der Allianz in ihren Ländern zu sorgen, doch in der Art,
daß diese immer durch Mitglieder des permanenten Zentralkomitees
beherrscht und auf den Kongressen vertreten werde.
In dem Maße als die Nationalbüros ihre lokalen Gruppen organisie-
ren, haben sie auch dafür zu sorgen, daß das Reglement und Pro-
gramm dieser letzteren der Bestätigung des Zentralbüros unter-
breitet werde - ohne diese Bestätigung können die Lokalgruppen
keinen Teil der Internationalen Allianz der sozialistischen Demo-
kratie bilden.
PROGRAMM DER SOZIALISTISCHEN INTERNATIONALEN ALLIANZ
1. Die Internationale Allianz ist zu dem Zwecke gegründet, auf
Grundlage der in unserem Programm ausgesprochenen Prinzipien der
allgemeinen Revolution zu dienen, sie zu organisieren und zu be-
schleunigen.
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1*) In der französischen Ausgabe: höchster Chef und Administrator
#461# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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2. Gemäß diesen Grundsätzen kann das Ziel der Revolution nur
sein: a) die Vernichtung aller religiösen, monarchischen, aristo-
kratischen und bürgerlichen Mächte und Gewalten in Europa. Die
Konsequenz hiervon ist der Umsturz aller gegenwärtig bestehenden
Staaten nebst allen ihren politischen, rechtlichen, bürokrati-
schen und finanziellen Einrichtungen, b) Der Aufbau einer neuen
Gesellschaft auf der einzigen Grundlage der freien genossen-
schaftlichen Arbeit, die zum Ausgangspunkt nimmt das Kollektivei-
gentum, die Gleichheit und Gerechtigkeit.
3. Die Revolution, wie wir sie auffassen, oder vielmehr, wie die
Macht der Tatsachen sie heute mit Notwendigkeit hervorruft, trägt
einen wesentlich internationalen oder universellen Charakter. An-
gesichts der drohenden Koalition aller privilegierten Interessen
und aller reaktionären Mächte in Europa, welche über alle die
furchtbaren Mittel gebieten, die ihnen eine klug organisierte Or-
ganisation verleiht, angesichts der tiefen Kluft, welche 1*)
überall zwischen der Bourgeoisie und den Arbeitern herrscht,
könnte keine nationale Revolution auf Erfolg rechnen, wenn sie
sich nicht zugleich auf die anderen Nationen erstreckt, und sie
könnte nie die Grenze 2*) überschreiten und diesen Charakter der
Allgemeinheit annehmen, wenn sie nicht in sich selbst alle Ele-
mente dieser Allgemeinheit trägt, das heißt, wenn sie nicht eine
geradezu sozialistische, staatzerstörende und vermittelst der
Gleichheit und Gerechtigkeit freiheitschaffende ist; denn nichts
von nun an kann noch die große, die einzig wahre Macht unseres
Jahrhunderts - die Arbeiter - vereinigen, elektrisieren, zur Er-
hebung bringen, es sei denn allein die vollständige Emanzipation
der Arbeit auf den Trümmern aller zum Schutze des Erbeigentums
und des Kapitals bestehenden Einrichtungen.
4. Da die nächste Revolution nur eine allgemeine sein kann, so
muß die Allianz, oder um das Wort geradeheraus zu sagen, die Ver-
schwörung, welche dieselbe vorbereiten, organisieren und be-
schleunigen soll, es auch sein.
5. Die Allianz wird einen doppelten Zweck verfolgen: a) Sie wird
sich bemühen, in den Volksmassen aller Länder die wahren Ideen
über Politik, über Sozialökonomie und über alle philosophischen
Fragen zu verbreiten. Sie wird tatkräftige Propaganda machen
sowohl durch Zeitschriften, Broschüren und Bücher wie auch durch
Gründung öffentlicher Assoziationen, b) Sie wird an sich zu zie-
hen suchen alle intelligenten, tatkräftigen und zuverlässigen
Männer, die guten Willen und treue Ergebenheit für unsere Ideen
haben, um so über ganz Europa und, soweit es sich tun läßt, auch
über Amerika ein unsichtbares Netz von aufopferungsfähigen und
durch diese ihre Allianz selbst mächtigen Revolutionären zu bil-
den.
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: heute - 2*) in der
französischen Ausgabe eingefügt: eines Landes
#462# Karl Marx/Friedrich Engels
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PROGRAMM UND ZWECK DER REVOLUTIONÄREN ORGANISATION
DER INTERNATIONALEN BRÜDER
1. Die Grundsätze dieser Organisation sind dieselben wie die des
Programms der Internationalen Allianz der sozialistischen Demo-
kratie. In Beziehung auf die Frauenfrage, auf die religiöse und
juristische Stellung der Familie und auf den Staat sind sie noch
eingehender auseinandergesetzt im Programm der russischen sozia-
listischen Demokratie.
Das Zentralbüro behält sich übrigens vor, bald eine vollständi-
gere theoretische und praktische Entwicklung der Grundsätze zu
liefern.
2. Die Assoziation der internationalen Brüder will zugleich die
soziale, philosophische, ökonomische und politische allgemeine
Revolution, damit von der gegenwärtigen Ordnung der Dinge, be-
gründet auf dem Eigentum, der Ausbeutung, der Herrschaft und dem
Autoritätsprinzip, dasselbe sei religiös oder metaphysisch und
bourgeoisdoktrinär, ja selbst jakobinisch-revolutionär - zunächst
in ganz Europa und dann auf der übrigen Welt kein Stein auf dem
anderen bleibe. Mit dem Rufe: Friede den Arbeitern, Freiheit den
Unterdrückten und Tod den Herrschern, Ausbeutern und Vormündern
jeder Sorte! wollen wir alle Staaten und alle Kirchen nebst allen
ihren religiösen, politischen, juristischen, finanziellen, poli-
zeilichen, universitätlichen, ökonomischen und sozialen Einrich-
tungen und Gesetzen vernichten, damit alle diese Millionen armer
Menschenwesen, die man bisher betrog, knechtete, marterte, aus-
beutete, nunmehr von allen ihren offiziellen und offiziösen Len-
kern und Wohltätern befreit, Genossenschaften wie Individuen,
endlich in vollkommener Freiheit aufatmen.
3. In der Überzeugung, daß das individuelle und soziale Übel viel
weniger in den einzelnen Individuen als in der Organisation der
Dinge und den sozialen Verhältnissen wurzelt, werden wir mensch-
lich sein sowohl aus dem Gefühl der Gerechtigkeit wie aus Nütz-
lichkeitsberechnung und werden wir ohne Erbarmen Verhältnisse und
Dinge vernichten, um ohne Gefahr für die Revolution die Menschen
schonen zu können. Wir leugnen den freien Willen und das angebli-
che Strafrecht der Gesellschaft. Die Gerechtigkeit selbst, im
menschlichsten, im weitesten Sinne genommen, ist nur eine nega-
tive, eine Übergangs-Idee; sie stellt die soziale Frage, aber sie
löst sie nicht, sie zeigt uns nur den einzigen möglichen Weg der
Menschheits-Emanzipation, das heißt, der Humanisierung der Ge-
sellschaft durch die Freiheit innerhalb der Gleichheit; die posi-
tive Lösung kann nur durch die mehr und mehr vernunftgemäße Orga-
nisation der Gesellschaft erreicht werden. Diese so sehr ersehnte
Lösung, unser aller Ideal, ist die Freiheit, Sittlichkeit, Bil-
dung und Wohlfahrt eines jeden vermittelst der Solidarität aller,
- es ist die menschliche Brüderlichkeit.
Jedes menschliche Individuum ist das unfreiwillige Produkt der
natürlichen und sozialen Lage, innerhalb deren es geboren ist,
sich entwickelte und deren Einfluß es beständig weiter zu dulden
hat. Die drei großen Ursachen jeder menschlichen
#463# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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Immoralität sind: die politische wie ökonomische und soziale Un-
gleichheit, die Unwissenheit als deren natürliches Resultat und
als notwendige Konsequenz die Sklaverei.
Da die Organisation der Gesellschaft immer und überall die ein-
zige Ursache der von den Menschen begangenen Verbrechen ist, so
ist es eine offenbare Heuchelei oder Widersinnigkeit seitens der
Gesellschaft, die Verbrecher zu bestrafen, indem jede Strafe die
Schuld des zu Bestrafenden voraussetzt, die Verbrecher aber nie-
mals die Schuldigen sind. Die Theorie von Schuld und Strafe geht
aus der Theologie hervor, das heißt aus der Ehe des Widersinnes
mit der religiösen Heuchelei.
Das einzige Recht, welches man der Gesellschaft in ihrem gegen-
wärtigen Übergangszustande zugestehen könnte, ist das natürliche
Recht, die von ihr selbst geschaffenen Verbrecher im Interesse
ihrer eigenen Verteidigung zu ermorden, nicht aber das Recht, sie
zu richten und zu verurteilen. Dieses Recht ist nicht einmal ein
solches in strikter Wortbedeutung, sondern vielmehr ein natürli-
ches, bedauerliches aber unvermeidliches, tatsächliches Verhält-
nis, zugleich ein Zeichen und Produkt der Ohnmacht und Dummheit
der gegenwärtigen Gesellschaft; je mehr die Gesellschaft es ver-
stehen wird, die Übung dieses Rechtes zu vermeiden, um so näher
wird sie ihrer wirklichen Emanzipation rücken.
Alle Revolutionäre, die Unterdrückten, die leidenden Opfer der
gegenwärtigen Organisation der Gesellschaft, deren Herzen natür-
lich von Rache und Haß erfüllt sind, müssen wohl im Auge behal-
ten, daß die Könige, die Unterdrücker, die Ausbeuter jeder Gat-
tung ebenso schuldig sind, als die aus der Volksmasse hervorge-
gangenen Verbrecher: auch jene sind Übeltäter, aber auch nicht
Schuldige, da sie ebenfalls, wie die gewöhnlichen Verbrecher, die
unfreiwilligen Produkte der gegenwärtigen Organisation der Ge-
sellschaft sind. Man wird sich nicht wundern dürfen, wenn das
Volk im ersten Augenblick seiner Erhebung ihrer viele tötet - das
wird ein vielleicht unvermeidliches, aber auch ebenso vorüberge-
hendes Unglück sein wie die Verheerungen eines Ungewitters.
Aber diese natürliche Tatsache wird weder moralisch noch selbst
nützlich sein. In dieser Hinsicht ist die Geschichte äußerst
lehrreich: - die schreckliche Guillotine von 1793, die man gewiß
nicht der Langsamkeit und Milde beschuldigen kann, ist nicht dazu
gekommen, die Adelsklasse in Frankreich zu vernichten. Die Ari-
stokratie wurde dort, wenn nicht vollständig zerstört, so doch
tief erschüttert, aber nicht durch die Guillotine, sondern durch
die Konfiskation und den Verkauf ihrer Güter. Und im allgemeinen
kann man sagen, daß politische Metzeleien niemals Parteien getö-
tet haben; jene haben sich überall 1*) ohnmächtig gegen die pri-
vilegierten Klassen gezeigt, da die Macht viel weniger in den
Menschen ihren Grund hat, als in den Zuständen, welche für die
Privilegierten durch die Organisation der Dinge, d.h. durch die
Einrichtung des Staates und seine natürliche Konsequenz wie
Grundlage, das individuelle Eigentum, geschaffen sind.
Um eine radikale Revolution zu machen, muß man also den Angriff
gegen die zugrunde liegenden Verhältnisse und Dinge richten, man
muß das Eigentum und den
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1*) In der französischen Ausgabe: besonders
#464# Karl Marx/Friedrich Engels
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Staat vernichten, dann hat man nicht mehr nötig, Menschen zu ver-
nichten und sich selbst zu der unfehlbaren und unvermeidlichen
Reaktion zu verurteilen, welche in jeder Gesellschaft stets 1*)
als die Folge des Menschenmordes eingetreten ist und stets als
solche eintreten wird.
Aber um das Recht zu haben, ohne Gefahr für die Revolution
menschlich gegen Menschen zu sein, muß man unerbittlich gegen die
Zustände und Dinge sein; man muß vollständig vernichten, überall
und vor allem das Eigentum und sein unvermeidliches Korollar: den
Staat. Das ist das ganze Geheimnis der Revolution.
Man darf sich nicht wundern, wenn die Jakobiner und Blanquisten,
die mehr aus Notwendigkeit als aus Überzeugung Sozialisten gewor-
den sind und für die der Sozialismus ein Revolutionsmittel, nicht
aber der Revolutionszweck ist, da sie die Diktatur wollen, d.h.
die Zentralisation des Staates, und da der Staat sie in unver-
meidlicher logischer Notwendigkeit zur Wiederherstellung des Ei-
gentums führen muß - es ist also sehr natürlich, sagen wir, wenn
sie, die keine radikale Revolution gegen die Dinge selbst durch-
führen wollen, von einer blutigen Revolution gegen die Menschen
träumen. Diese blutige Revolution aber, gegründet auf dem Aufbau
eines mächtig zentralisierten revolutionären Staates, hätte, wie
wir später noch mehr beweisen werden, die Militärdiktatur mit ei-
nem neuen Herrn zur unvermeidlichen Folge. Der Triumph der Jako-
biner und Blanquisten also wäre der Tod der Revolution.
4. Wir sind die natürlichen Feinde dieser Revolutionäre - der Zu-
kunftsdiktatoren, Gesetzgeber und Vormünder der Revolution - die,
bevor noch die gegenwärtigen monarchischen, aristokratischen und
Bourgeois-Staaten zerstört sind, bereits an die Schöpfung neuer
revolutionärer Staaten denken, Staaten, ebenso zentralisierend
und noch despotischer als die heute existierenden Staaten sind -,
die so sehr an die durch irgendeine Autorität von oben geschaf-
fene Ordnung gewöhnt sind und einen so großen Abscheu vor alledem
haben, was ihnen als Unordnung erscheint und was doch nichts wei-
ter ist, als der freie und natürliche Ausdruck des Volkslebens,
daß sie, bevor noch eine gute und gesunde Unordnung durch die Re-
volution hervorgebracht ist, bereits daran denken, ihr ein Ende
zu machen und den Maulkorb anzulegen durch irgendeine Autorität,
die von der Revolution nur den Namen trägt, in Wirklichkeit aber
nur eine neue Reaktion ist, da sie in der Tat von neuem die
Volksmassen durch Dekrete regieren läßt und sie so wieder zum Ge-
horsam, zum Stillstand, zum Tode, das heißt zur Sklaverei und zur
Ausbeutung durch eine neue quasi-revolutionäre Aristokratie ver-
dammt.
5. Wir fassen die Revolution auf in dem Sinne der Entfesselung
alles dessen, was man heute die bösen Leidenschaften nennt, und
der Vernichtung desjenigen, was in derselben Sprache "öffentliche
Ordnung" heißt.
Wir fürchten die Anarchie nicht, wir rufen sie herbei, überzeugt,
daß aus dieser Anarchie, das heißt, aus der vollständigen Gel-
tendmachung des entfesselten Volkslebens, die Freiheit, die
Gleichheit, die Gerechtigkeit, die neue Ordnung und selbst
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1*) In der französischen Ausgabe lautet der folgende Satzteil: zu
Menschenmassakern geführt hat und stets führen wird
#465# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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die Macht der Revolution der Reaktion gegenüber hervorgehen muß.
Dies neue Leben - die Volksrevolution - wird unzweifelhaft es
auch nicht unterlassen, sich zu organisieren, aber es wird sich
seine revolutionäre Organisation von unten nach oben und von der
Peripherie zum Zentrum schaffen - dem Prinzip der Freiheit gemäß,
nicht aber von oben nach unten oder vom Zentrum zur Peripherie
hin nach Art der Autorität, wie auch immer diese beschaffen -
denn es ist uns wenig daran gelegen, ob diese sich Kirche, Monar-
chie, konstitutioneller Staat, Bourgeois-Republik oder selbst re-
volutionäre Diktatur nennt. Wir verabscheuen und verwerfen sie
alle aus gleichem Grunde - als unfehlbare Quellen der Ausbeutung
und des Despotismus.
6. Die Revolution, wie wir sie verstehen, muß vom ersten Tage an
radikal und vollständig den Staat und alle Staatseinrichtungen
vernichten. Die natürlichen und notwendigen Konsequenzen dieser
Vernichtung werden sein: a) der Staatsbankerott; b) das Auf hören
der Bezahlung von Privatschulden durch Einmischung des Staates,
indem jedem Schuldner überlassen bleibt, seine Schulden zu bezah-
len, wenn ihm dies so beliebt; c) das Aufhören jeder Steuerzah-
lung und der Erhebung irgendwelcher direkter oder indirekter Ab-
gaben; d) die Auflösung des Heeres, der Magistratur, der Büro-
kratie, der Polizei und der Priester; e) die Abschaffung der amt-
lichen Rechtspflege, die Aufhebung alles dessen, was juridisch
Recht heißt odermit der Ausübung dieses Rechtes in Verbindung
steht. Demgemäß Abschaffung und Autodafé (Verbrennung) aller Ei-
gentumstitel, Erbschafts-, Kauf-, Schenkungs-, Prozeßakten - mit
einem Worte, des gesamten juridischen und bürgerlichen Papier-
krams. Überall und in allen Dingen die revolutionäre Tatsache an
Stelle des durch den Staat geschaffenen und garantierten Rechtes;
f) die Konfiskation aller produktiven Kapitalien und Arbeitswerk-
zeuge zugunsten der Arbeitergenossenschaften, die jene kollektiv
produzieren lassen müssen; g) die Konfiskation alles Eigentums
der Kirche und des Staates, sowie des im Privatbesitz befindli-
chen Edelmetalls zugunsten der Föderativallianz aller
Arbeitergenossenschaften - einer Allianz, welche die Kommune bil-
den wird.
An Stelle der konfiszierten Güter wird die Kommune allen so be-
raubten Individuen genau das Notwendige geben, und können sie
dann später durch ihre eigene Arbeit mehr erwerben, wenn sie es
vermögen und wenn sie es wollen. - h) Für die Organisation der
Kommune eine Föderation der Barrikaden in Permanenz und die Funk-
tion eines Rates der revolutionären Kommune durch Delegation von
einem oder zwei Abgeordneten für jede Barrikade, einem per Straße
oder per Bezirk; die Deputierten sind mit imperativen Mandaten
versehen und stets verantwortlich sowie jederzeit abberufbar. Der
so organisierte Kommunalrat kann aus seiner Mitte Exekutivkomi-
tees wählen, und für sie die einzelnen Gebiete der revolutionären
Verwaltung der Kommune abzweigen. - i) Erklärung der insurgierten
und als Kommune organisierten Hauptstadt, daß, nachdem sie den
Autoritäts- und Bevormundungsstaat zerstört (wozu sie berechtigt
war, da sie in derselben Sklaverei unter demselben gestanden wie
alle anderen örtlichkeiten), sie nunmehr ihrem Rechte entsage
oder vielmehr jeder Anmaßung, die Provinzen zu regieren und zu
beherrschen, k) Aufruf an alle Provinzen, Kommunen und Genossen-
schaften, sämtlich sofort dem von der Hauptstadt gegebenen Bei-
spiele zu folgen und sich zuerst revolutionär zu reorganisieren
und sodann an einen zu verabredenden
#466# Karl Marx/Friedrich Engels
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Versammlungsort ihre gleichfalls mit imperativen Mandaten verse-
henen verantwortlichen und abberufbaren Abgeordneten zu delegie-
ren, um die Föderation der im Namen derselben Prinzipien insur-
gierten Assoziationen, Kommunen und Provinzen zu konstituieren
und eine Revolutionsmacht zu organisieren, stark genug, um über
die Reaktion zu triumphieren. Sendung, nicht von offiziellen Re-
volutions-Kommissarien mit irgendwelchen Schärpen, sondern von
Revolutions-Agitatoren in alle Provinzen und Gemeinden - beson-
ders zu den Bauern, die nicht durch Prinzipien oder durch Ver-
fügungen irgendwelcher Diktatur revolutioniert werden können,
sondern einzig und allein durch die Tatsache der Revolution
selbst, das heißt, durch die notwendigen Konsequenzen des voll-
ständigen Aufhörens des offiziellen juridischen Staatslebens in
allen Gemeinden. Abschaffung des nationalen Staates sogar in dem
Sinne, daß jedes fremde Land, Provinz, Gemeinde, Genossenschaft,
ja selbst jedes vereinzelte Individuum, das sich im Namen dersel-
ben Prinzipien erhoben hat, in die revolutionäre Föderation ohne
Rücksicht auf die gegenwärtigen Staatsgrenzen aufgenommen wird,
wenn sie auch zu verschiedenen politischen oder nationalen Syste-
men gehören, und daß die eigenen Provinzen, Kommunen, Genossen-
schaften, wie Individuen, welche die Partei der Reaktion ergrei-
fen, ausgeschlossen bleiben. So wird also die Tatsache der Aus-
strömung und der Organisation der Revolution selbst bei dem ge-
genseitigen Schutze der insurgierten Länder es bewirken, daß die
Universalität der auf Abschaffung der Grenzen und auf der Zer-
trümmerung des Staates begründeten Revolution triumphiert.
7. Es kann keine politische oder nationale Revolution mehr trium-
phieren, es sei denn, daß die politische Revolution sich in eine
soziale verwandelt, und die vernunftgemäße, eben durch ihren Cha-
rakter radikal sozialistische und staatszerstörende Revolution
zur allgemeinen Revolution wird.
8. Da die Revolution überall aus dem Volke selbst hervorgehen und
die Oberleitung immer bei dem als freie Föderation ackerbauender
und industrieller Genossenschaften organisierten Volke bleiben
muß, so wird der neue revolutionäre Staat, der sich auf dem Wege
der revolutionären Delegation von unten nach oben organisiert und
alle im Namen derselben Prinzipien organisierten 1*) Länder ohne
Rücksicht auf die alten Grenzen und die Verschiedenheit der Na-
tionalität umfaßt, die Verwaltung des öffentlichen Dienstes und
nicht die Regierung der Völker zum Gegenstande haben. Er wird das
neue Vaterland, die Allianz der allgemeinen Revolution gegen die
Allianz aller Reaktionären konstituieren.
9. Diese Organisation schließt jeden Gedanken einer Diktatur oder
irgendeiner bevormundend leitenden Gewalt aus. Aber zur Gründung
dieser revolutionären Allianz und zum Triumphe der Revolution
über die Reaktion ist es notwendig, daß inmitten der Volksanar-
chie, welche eben das Leben und die ganze Kraft der Revolution
bilden wird, die Einheit des Gedankens und des revolutionären
Handelns ein Organ finde. Dieses Organ soll die geheime und uni-
verselle Assoziation der internationalen Brüder sein.
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1*) In der französischen Ausgabe: insurgierten
#467# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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10. Diese Assoziation geht von der Überzeugung aus, daß Revolu-
tionen niemals von Individuen, auch nicht einmal von geheimen Ge-
sellschaften gemacht werden. Sie machen sich wie von selbst, die
Macht der Dinge, der Strom der Ereignisse und der Tatsachen
schaffen sie. Lange bereiten sie sich vor in der Tiefe des in-
stinktiven Bewußtseins der Volksmassen - dann kommen sie zum Aus-
bruch, anscheinend oft nur durch unbedeutende Ursachen hervorge-
rufen. Alles was eine gut organisierte geheime Gesellschaft tun
kann, besteht zunächst darin, daß sie die Geburt einer Revolution
unterstützt, indem sie in den Massen die den Masseninstinkten
entsprechenden Ideen verbreitet, und daß sie, nicht die Revoluti-
onsarmee - die Armee muß immer das Volk sein - wohl aber eine Art
revolutionären Generalstabs organisiert, der aus ergebenen, ener-
gischen, intelligenten Individuen und vor allem aus aufrichtigen
und nicht ehrgeizigen oder eitlen Freunden des Volkes besteht,
die die Fähigkeit besitzen, als Vermittler zwischen der revolu-
tionären Idee und den Volksinstinkten zu dienen.
11. Die Zahl dieser Individuen darf also nicht sehr groß sein.
Für die internationale Organisation von ganz Europa genügen hun-
dert fest und ernst verbündete Revolutionäre. Zwei-, dreihundert
Revolutionäre werden für die Organisation des größten Landes ge-
nügen.
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2. Programm und Reglement der öffentlichen Allianz
Indem die sozialistische Minorität der Friedens- und Freiheits-
liga (!) sich von dieser Liga trennte infolge des Majoritätsvo-
tums auf dem Kongreß zu Bern, welches Votum sich ausdrücklich ge-
gen das Grundprinzip aller Arbeitergenossenschaften, das Prinzip
der ökonomischen und sozialen Gleichheit der Klassen und Indivi-
duen, aussprach, ist diese Minorität hierdurch von selbst den von
den Arbeiterkongressen zu Genf, Lausanne und Brüssel ausgespro-
chenen Prinzipien beigetreten. Mehrere verschiedenen Nationen an-
gehörige Mitglieder der erwähnten Minorität haben uns den Vor-
schlag gemacht, eine neue Internationale Allianz der sozialisti-
schen Demokratie zu organisieren, die, zwar vollständig in der
großen Internationalen Arbeiter-Assoziation aufgegangen, sich
doch die besondere Mission stelle, die politischen und philoso-
phischen Fragen auf der Grundlage dieses großen Prinzips der all-
gemeinen und sittlichen 1*) Gleichheit aller Menschenwesen auf
Erden zu studieren.
Unsererseits von dem Nutzen eines solchen Unternehmens überzeugt,
das den aufrichtigen sozialistischen Demokraten Europas und Ame-
rikas das Mittel gewähren wird, sich zu verständigen und ihre
Ideen zu befestigen außerhalb jeder Pression jenes falschen So-
zialismus, welchen die Bourgeois-Demokratie heute zur Förderung
ihrer Zwecke zur Schau trägt, haben wir, in Übereinstimmung mit
den gedachten Freunden, geglaubt, die Initiative für diese neue
Organisation ergreifen zu müssen.
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1*) In der französischen Ausgabe: wirklichen
#468# Karl Marx/Friedrich Engels
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Demgemäß haben wir uns als Zentralsektion der Internationalen Al-
lianz der sozialistischen Demokratie organisiert und veröffentli-
chen heute das Programm und Reglement derselben.
PROGRAMM DER INTERNATIONALEN ALLIANZ
DER SOZIALISTISCHEN DEMOKRATIE
1. Die Allianz erklärt sich als atheistisch; sie will die Ab-
schaffung aller Religionskulte und die Ersetzung des Glaubens
durch die Wissenschaft sowie der göttlichen Gerechtigkeit durch
die menschliche.
2. Sie will vor allem die politische, ökonomische und soziale
Gleichmachung der Klassen und der Individuen beider Geschlechter,
indem sie mit der Abschaffung des Erbrechts den Anfang macht, da-
mit in Zukunft der Genuß gleich sei der produktiven Arbeit 1*)
eines jeden und, dem vom letzten Arbeiterkongreß zu Brüssel ge-
faßten Beschlüsse gemäß, der Grund und Boden, die Arbeitswerk-
zeuge sowie alles andere Kapital, als Kollektiveigentum der ge-
samten Gesellschaft, nur 2*) dem Nutzen der Arbeiter, d.h. der
ackerbauenden und industriellen Assoziationen dienen.
3. Sie will für alle Kinder beiderlei Geschlechter von ihrer Ge-
burt an die Gleichheit der Mittel zu ihrer Entwickelung, d.h.
ihres Unterhaltes, ihrer Erziehung und ihres Unterrichtes auf al-
len Stufen der Wissenschaft, der Industrie und der Künste; sie
hegt die Überzeugung, daß diese zunächst nur ökonomische und so-
ziale Gleichheit die Folge haben wird, eine immer größere natür-
liche Gleichheit der Individuen zu schaffen, indem sie alle
künstlichen Ungleichheiten, historische Produkte einer ebenso
falschen als unbilligen sozialen Organisation, verschwinden
macht.
4. Als Feindin jedes Despotismus und keine andere politische Form
als die republikanische anerkennend sowie jedes reaktionäre Bünd-
nis absolut verwerfend, weist sie jede politische Tätigkeit von
sich, die nicht den Triumph der Sache der Arbeiter gegen das Ka-
pital zum unmittelbaren und direkten Zweck hat.
5. Sie bekennt, daß alle gegenwärtig existierenden politischen
Autoritätsstaaten, sich mehr und mehr zu einfachen Funktionen der
Verwaltung des öffentlichen Dienstes in ihren betreffenden Län-
dern umwandelnd, in der universellen Einigung freier, acker-
bauender wie industrieller Genossenschaften verschwinden müssen.
6. Da die soziale Frage nur auf der Grundlage der internationalen
oder allgemeinen Solidarität der Arbeiter aller Länder ihre
schließliche und wirkliche Lösung finden kann, verwirft die Alli-
anz jede auf dem sogenannten Patriotismus und der Rivalität der
Nationen begründete Politik.
7. Sie will die universelle Genossenschaft aller lokalen Genos-
senschaften vermittelst der Freiheit.
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1*) In der französischen Ausgabe: Produktion (statt: produktiven
Arbeit) - 2*) in der französischen Ausgabe lautet der folgende
Satzteil: durch die Arbeiter, d.h. die ackerbauenden und indu-
striellen Assoziationen nutzbar gemacht werden können
#469# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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REGLEMENT
1. Die Internationale Allianz der sozialistischen Demokratie kon-
stituiert sich als ein Zweig der Internationalen Arbeiter-Asso-
ziation, deren sämtliche allgemeine Statuten sie annimmt.
2. Die Gründungsmitglieder (membres fondateurs) 1*) organisieren
provisorisch ein Zentralbüro in Genf.
3. Die Gründungsmitglieder ein und desselben Landes konstituieren
das Nationalbüro dieses Landes.
4. Die Nationalbüros haben die Aufgabe, an allen Orten Lokalgrup-
pen der Allianz der sozialistischen Demokratie zu gründen, die
sodann vermittelst ihrer bezüglichen Nationalbüros beim Zentral-
büro der Allianz ihre Aufnahme in die Internationale Arbeiter-As-
soziation zu beantragen haben.
5. Alle Lokalgruppen bilden ihre Büros in der bei den Lokalsek-
tionen der Internationalen Arbeiter-Assoziation üblichen Weise.
6. Alle Mitglieder der Allianz verpflichten sich zur Zahlung ei-
nes monatlichen Beitrages von zehn Centimes. Die Hälfte des Bei-
trages hält jede nationale Gruppe für ihre eigenen Bedürfnisse
zurück, die andere Hälfte fließt in die Kasse des Zentralbüros
für die allgemeinen Zwecke.
In den Ländern, in welchen man diesen Beitrag für zu hoch erach-
tet, können ihn die Nationalbüros in Übereinstimmung mit dem Zen-
tralbüro ermäßigen.
7. Bei dem jährlichen Arbeiterkongreß wird die Delegation der Al-
lianz der sozialistischen Demokratie, als Zweig der Internationa-
len Arbeiter-Assoziation, ihre öffentlichen Sitzungen in einem
besonderen Lokale halten.
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3. Brief Bakunins an Francisco Mora in Madrid
(Der Brief ist französisch geschrieben)
Locarno, den 5. April 1872
Lieber Alliierter und Genosse! Da unsere Freunde zu Barcelona
mich aufgefordert haben, an Sie zu schreiben, tue ich es mit um
so größerem Vergnügen, als auch ich und meine Freunde, unsere Al-
liierten von der Jura-Föderation, den Verleumdungen des Londoner
Generalrats ausgesetzt sind, in Spanien so gut wie anderwärts. Es
ist wahrlich etwas sehr Betrübendes, daß in dieser schrecklichen
Krisis, in der sich für viele Jahrzehnte das Schicksal des Prole-
tariats von ganz Europa entscheidet, und in der alle Freunde des
Proletariats, der Menschheit und der Gerechtigkeit sich brüder-
lich vereinigen müßten, um dem gemeinsamen Feinde, der im Staat
organisierten Gesellschaft
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1*) In der französischen Ausgabe eingefügt: der Allianz
#470# Karl Marx/Friedrich Engels
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der Privilegierten, die Spitze- zu bieten - es ist sehr betrü-
bend, sage ich, daß Leute, die übrigens in der Vergangenheit der
Internationalen große Dienste geleistet haben, heute, durch eine
böse autoritätssüchtige Leidenschaft getrieben, sich sogar zur
Lüge erniedrigen und Zwietracht säen, statt überall jene freie
Einigung zu schaffen, aus der allein die Macht hervorgehen kann.
Um Ihnen eine richtige Idee unserer Bestrebungen zu geben, brau-
che ich Ihnen nur eins zu sagen. Unser Programm ist das Ihre,
dasselbe, welches Sie im vergangenen Jahre auf Ihrem Kongreß pro-
klamiert haben, und wenn Sie demselben treu geblieben sind, gehö-
ren Sie zu uns, aus demselben Grunde, wie wir zu Ihnen gehören.
Wir verabscheuen das Prinzip der Diktatur, des Regierungssystems
(gouvernementalisme) und der Autorität, wie Sie es verabscheuen;
wir haben die Überzeugung, daß jede politische Gewalt zu einer
unfehlbaren Quelle der Entsittlichung für die Regierenden und der
Knechtschaft für die Regierten wird. - Staat bedeutet Herrschaft,
und die menschliche Natur ist so geartet, daß jede Herrschaft zur
Ausbeutung führt. Als Feinde des Staates unter allen Umständen,
des Staates in allen seinen Kundgebungen, wollen wir einen sol-
chen ebensowenig in der Internationalen dulden. Wir betrachten
die Londoner Konferenz und die von ihr angenommenen Resolutionen
als eine Intrige des Ehrgeizes und als einen Staatsstreich, und
deshalb haben wir protestiert und werden bis ans Ende protestie-
ren. Ich berühre nicht die persönlichen Angelegenheiten, leider
werden sie nur zu sehr den nächsten Kongreß beschäftigen, wenn
dieser Kongreß stattfindet, woran ich meinerseits zweifle, denn
wenn die Dinge in derselben Weise fortgehen wie bisher, wird es
bald auf dem Festlande Europas keinen Ort geben, wo sich die De-
legierten des Proletariats versammeln können, um frei zu beraten.
Und jetzt sind alle Augen auf Spanien und auf den Ausgang Eures
Kongresses gerichtet. Was wird das Resultat desselben sein? Die-
ser Brief wird Ihnen, wenn er Ihnen zukommt, erst nach dem Kon-
gresse zukommen. Wird er Sie in voller Revolution oder in voller
Reaktion finden? Alle unsere Freunde in Italien, in Frankreich,
in der Schweiz erwarten in grausamer Spannung Nachrichten aus Ih-
rem Lande.
Sie wissen ohne Zweifel, daß in Italien in der letzten Zeit die
Internationale und unsere teure Allianz eine sehr bedeutende Ent-
wicklung erreicht haben. Das Volk, sowohl auf dem Lande wie in
den Städten, befindet sich in einer vollständig revolutionären,
d.h. in einer ökonomisch verzweifelten Lage, und die Massen be-
ginnen, sich in sehr ernster Weise zu organisieren, ihre Interes-
sen beginnen Ideen zu werden. - Was bisher Italien gefehlt hat,
das waren nicht die Instinkte, sondern gerade die Organisation
und die Idee. Beide bilden sich jetzt derart, daß Italien nächst
Spanien, mit Spanien in dieser Stunde vielleicht das revolutio-
närste Land ist. In Italien existiert, was den anderen Ländern
fehlt: eine glühende, energische Jugend ohne jede Stellung, ohne
Karriere, ohne Ausweg (tout à fait déplacée, sans carrière, sans
issue), die trotz ihrer Bourgeois-Herkunft nicht moralisch und
intellektuell erschöpft ist, wie die Bourgeois-Jugend anderer
Länder. Heute stürzt sie sich kopfüber (à tête perdue) in den
revolutionären Sozialismus mit unserem ganzen Programm, dem Pro-
gramm der Allianz. Mazzini, unser genialer und mächtiger Gegner,
ist tot, die mazzinistische Partei ist vollständig desorgani-
siert, und Garibaldi läßt sich mehr und mehr fortreißen von jener
#471# Ein Komplott gegen die IAA - Bericht über ... Bakunin
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seinen Namen führenden Jugend, die jedoch viel weiter geht, oder
vielmehr läuft, als er. Ich habe den Freunden in Barcelona eine
italienische Adresse gesandt; ich werde ihnen bald noch andere
schicken. Es ist gut, es ist notwendig, daß die Alliierten Spani-
ens mit denen Italiens in direkte Verbindung treten. Erhalten Sie
die italienischen sozialistischen Blätter? Ich empfehle Ihnen be-
sonders: die "Eguaglianza" in Girgenti, Sizilien, die "Campana"
in Neapel - den "Fascio Operaio" in Bologna - "II Gazzettino
Rosa", aber vor allen "II Martello" in Mailand, der leider mit
Beschlag belegt und dessen Redakteure sich sämtlich im Gefängnis
befinden.
In der Schweiz empfehle ich Ihnen zwei Alliierte: James Guillaume
(Schweiz, Neuchâtel, 5, Rue de la Place d'Armes) und Adhémar
Schwitzguébel, Graveur (Mitglied und korrespondierender Sekretär
der Jura-Föderation), Schweiz, Berner Jura, Sonvillier, Herrn Ad-
hémar Schwitzguébel, Graveur. (Folgt die Adresse Bakunins.)
Allianz und Brüderlichkeit
M. Bakunin
Ich bitte, grüßen Sie meinerseits den Bruder Morago, und bitten
Sie ihn, mir sein Blatt zu schicken.
Bekommen Sie das "Bulletin" der Jura-Föderation?
Ich bitte Sie, diesen Brief zu verbrennen, da er Namen enthält.
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Der Haager Kongreß hat Bakunin nicht bloß als Gründer der Alli-
anz, sondern auch wegen einer persönlichen Tatsache aus der In-
ternationalen ausgestoßen. Das authentische Dokument, das diese
Tatsache belegt, ist noch in unseren Händen, doch gebieten uns
politische Gründe, vorläufig von seiner Veröffentlichung Abstand
zu nehmen.
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