Quelle: März 1875 - Mai 1883
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Friedrich Engels
Amerikanische Lebensmittel und die Bodenfrage
["The Labour Standard" Nr. 9 vom 2. Juli 1881, Leitartikel]
Seit Herbst 1837 haben wir uns an den Import von Geldpaniken und
Handelskrisen aus New York nach England gewöhnt. Mindestens die
Hälfte der alle zehn Jahre wiederkehrenden industriellen Krisen
brachen in Amerika aus. Aber daß Amerika auch die altehrwürdigen
Verhältnisse in der englischen Landwirtschaft auf den Kopf stel-
len, die seit unvordenklichen Zeiten bestehenden feudalen Bezie-
hungen zwischen Grundherrn und Pächter revolutionieren, die Rente
in England zugrunde richten und den Ruin der Farmen in England
herbeiführen sollte - dieses Schauspiel blieb dem letzten Viertel
des 19. Jahrhunderts vorbehalten.
Und doch ist dem so. Der jungfräuliche Boden der Prärien des
amerikanischen Westens - der jetzt unter den Pflug kommt, und
zwar nicht in vereinzelten kleinen Parzellen, sondern in Tausen-
den von Quadratmeilen - beginnt jetzt den Weizenpreis und folg-
lich auch den Pachtpreis für Weizenland zu bestimmen. Und kein
alter Boden kann mit ihm konkurrieren. Es ist vortreffliches
Land, eben oder leicht gewellt, durch keine jähen Bodenerhebungen
unterbrochen, noch genau in dem gleichen Zustand, in dem es sich
auf dem Grunde eines tertiären Ozeans allmählich ablagerte, frei
von Steinen, Felsen, Bäumen, ohne vorbereitende Arbeit zu
sofortigem Anbau geeignet. Weder Rodung noch Entwässerung ist
erforderlich; man bearbeitet es mit dem Pflug, und schon ist es
zur Aufnahme der Saat bereit und wird zwanzig bis dreißig
Weizenernten nacheinander ohne Düngung bringen. Es ist ein Boden,
der sich für Ackerbau im größten Maßstab eignet, und tatsächlich
wird er im größten Maßstab betrieben. Die englischen Landwirte
pflegten stolz zu sein auf die Größe ihrer Güter, im Gegensatz zu
den kleinen Höfen der selbständigen Bauern auf dem Kontinent;
aber was sind die
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größten Güter des Vereinigten Königreichs im Vergleich mit den
Farmen der amerikanischen Prärie, die 40 000 Acres und mehr um-
fassen und durch regelrechte Armeen von Männern, Pferden und Ge-
räten bearbeitet werden, von Männern, die wie Soldaten gedrillt,
kommandiert und organisiert werden?
Diese amerikanische Revolution des Ackerbaus ermöglicht es, zu-
sammen mit der Revolutionierung der Transportmittel, wie sie die
Amerikaner erfunden haben, den Weizen zu so niedrigen Preisen
nach Europa zu bringen, daß kein europäischer Landwirt konkurrie-
ren kann - zumindest, solange man von ihm erwartet, daß er Pacht
zahle. Man erinnere sich des Jahres 1879, als sich das zum er-
stenmal fühlbar machte. Die Ernte war in ganz Westeuropa
schlecht; in England gab es eine Mißernte. Dennoch blieben dank
dem amerikanischen Getreide die Preise fast unverändert. Zum
erstenmal hatte der englische Pächter gleichzeitig eine schlechte
Ernte und niedrige Weizenpreise. Damals begannen sich die Pächter
zu rühren und die Grundbesitzer gerieten in Unruhe. Im nächsten
Jahre, als die Ernte besser war, fielen die Preise noch mehr. Den
Getreidepreis bestimmen jetzt die Produktionskosten in Amerika
zuzüglich der Transportkosten. Und das wird von Jahr zu Jahr mehr
der Fall sein, in dem Maße, in dem neues Prärieland unter den
Pflug genommen wird. Die dafür erforderlichen Armeen von Landar-
beitern liefern wir selbst aus Europa, indem wir Auswanderer hin-
überschicken.
Früher konnten Pächter und Grundbesitzer sich damit trösten, wenn
schon Getreide nichts einbrachte, daß wenigstens Fleisch sich be-
zahlt machte. Das Ackerland wurde in Weideland verwandelt, und
alles war wieder in schönster Ordnung. Heute ist aber auch dieser
Ausweg abgeschnitten. In ständig wachsenden Mengen werden ameri-
kanisches Fleisch und amerikanisches Vieh herübergeschickt. Und
das ist noch-nicht alles. Es gibt zum mindesten zwei große Länder
mit Viehzucht, die eifrig nach Mitteln und Wegen suchen, wie sie
ihren riesigen Überschuß an Fleisch, der jetzt unausgenutzt
bleibt, nach Europa und besonders nach England ausführen können.
Bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft und dem raschen
Fortschritt in ihrer praktischen Anwendung können wir sicher
sein, daß spätestens in ein paar Jahren australisches und südame-
rikanisches Rind- und Hammelfleisch in tadelloser Frische und in
riesigen Mengen herübergeschickt werden wird. Was soll dann aus
dem Wohlstand des britischen Pächters werden, was aus den hohen
Einkünften des britischen Grundbesitzers? Es ist zwar recht gut,
Stachelbeeren, Erdbeeren etc. zu ziehen - der Markt ist aber
schon jetzt zur Genüge damit versorgt. Kein
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Zweifel, daß der britische Arbeiter ein gut Teil mehr von diesen
Leckerbissen konsumieren könnte - aber dann erhöhe man erst sei-
nen Lohn.
Es braucht kaum gesagt zu werden, daß die Auswirkungen dieser
neuen amerikanischen landwirtschaftlichen Konkurrenz auch auf dem
Kontinent fühlbar sind. Der meist bis über die Ohren in Hypothe-
kenschulden steckende kleine, selbständige Bauer, der an Stelle
der Pacht, die der englische und irische Bauer entrichtet, Zinsen
und Prozeßkosten zu zahlen hat, fühlt sie genauso. Es ist eine
eigentümliche Wirkung dieser amerikanischen Konkurrenz, daß durch
sie nicht nur das große Grundeigentum nutzlos wird, sondern auch
das kleine, indem sie beides unrentabel macht.
Man könnte einwenden, daß das System des Raubbaus am Boden, wie
es jetzt im Fernen Westen gehandhabt wird, nicht ewig weitergehen
kann, und daß die Dinge sich schließlich wieder einrenken müssen.
Natürlich kann es nicht ewig dauern; aber es gibt genug jungfräu-
lichen Boden, um diesen Prozeß noch ein Jahrhundert fortzusetzen.
Außerdem gibt es andere Länder, die ähnliche Vorteile bieten. Da
ist die ganze südrussische Steppe, wo ja Geschäftsleute Boden
aufgekauft haben und dieselben Methoden anwenden. Es gibt die
riesigen Pampas der Argentinischen Republik und noch andere Ge-
biete; sämtlich Land, das sich gleichfalls für das moderne System
der landwirtschaftlichen Riesenbetriebe und der billigen Produk-
tion eignet. Deshalb wird dieses System, bis es abgewirtschaftet
hat, lange genug bestanden haben, um sämtliche Grundbesitzer Eu-
ropas, große und kleine, wenigstens zweimal zu erledigen.
Nun, und das Ende von alledem? Das Ende wird und muß sein, daß
wir zur Nationalisierung des Grund und Bodens und zu seiner ge-
nossenschaftlichen Bearbeitung unter der Kontrolle des Volkes ge-
zwungen sein werden. Dann, und nur dann, wird sich die Bearbei-
tung wieder lohnen, sowohl für die Bebauer wie für die ganze Na-
tion, gleichgültig, was auch der Preis des amerikanischen oder
irgendwelchen anderen Getreides und Fleisches sein mag. Und soll-
ten die Grundbesitzer inzwischen, wozu sie mehr oder weniger ge-
neigt zu sein scheinen, wirklich nach Amerika gehen, so wünschen
wir ihnen glückliche Reise.
Geschrieben Ende Juni 1881.
Aus dem Englischen.
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