Quelle: März 1875 - Mai 1883
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Friedrich Engels
Bismarck und die deutsche Arbeiterpartei
["The Labour Standard" Nr. 12 vom 23. Juli 1881. Leitartikel]
Die englische bürgerliche Presse ist in der letzten Zeit sehr
schweigsam gewesen über die von Bismarck und seinen Kreaturen an
den Mitgliedern der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in
Deutschland verübten Brutalitäten. Die einzige Ausnahme machte
bis zu einem gewissen Grade die "Daily News". Früher war die Ent-
rüstung in den englischen Tageszeitungen und Wochenblättern wahr-
haft gewaltig, wenn sich im Ausland despotische Regierungen auf
Kosten ihrer Untertanen solche Übergriffe erlaubten. Aber hier
sind von der Unterdrückung Arbeiter betroffen, die stolz auf die-
sen Namen sind; deshalb verheimlichen die Pressevertreter der
"guten Gesellschaft", der "oberen Zehntausend", die Tatsachen,
und der Hartnäckigkeit ihres Schweigens nach zu schließen, hat es
fast den Anschein, daß sie sie gutheißen. In der Tat, was haben
Arbeiter mit Politik zu schaffen? Sollen sie das den "besseren"
Ständen überlassen! Und dann gibt es für das Schweigen der engli-
schen Presse noch einen anderen Grund: Es ist recht schwer, Bis-
marcks Gewaltgesetz und die Art, wie er es durchführt, anzu-
greifen und in dem gleichen Atemzug Herrn Forsters Gewaltmaßnah-
men in Irland [175] zu verteidigen. Das ist ein besonders wunder
Punkt, an den nicht gerührt werden darf. Man kann von der bürger-
lichen Presse schwerlich erwarten, daß sie selbst darauf hin-
weist, wie sehr das moralische Ansehen Englands in Europa und
Amerika durch das Vorgehen der gegenwärtigen Regierung in Irland
gelitten hat.
Aus jeder allgemeinen Wahl ist die deutsche Arbeiterpartei mit
einer rasch wachsenden Stimmenzahl hervorgegangen; bei der vor-
letzten Wahl entfielen auf ihre Kandidaten über 500 000, bei der
letzten mehr als 600 000 Stimmen. Berlin wählte zwei, Elberfeld-
Barmen einen, Breslau und
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Dresden je einen Sozialdemokraten; zehn Sitze wurden erobert, und
das angesichts der Koalition der Regierung mit der Gesamtheit der
liberalen, konservativen und katholischen Parteien, angesichts
des Geschreis wegen der zwei Attentatsversuche gegen den Kaiser
1*), für die alle anderen Parteien einhellig die Arbeiterpartei
verantwortlich machten. Da gelang es Bismarck, eine Gesetzesvor-
lage durchzubringen, durch die die Sozialdemokratie außerhalb des
Gesetzes gestellt wurde. Die Zeitungen der Arbeiter, mehr als
fünfzig an der Zahl, wurden unterdrückt, ihre Vereine verboten,
ihre Klubs geschlossen, ihre Gelder beschlagnahmt, ihre Versamm-
lungen von der Polizei aufgelöst, und als Krönung des Ganzen
wurde verfügt, daß über ganze Städte und Bezirke der
"Belagerungszustand" verhängt werden kann, genau wie in Irland.
Aber was selbst englische Ausnahmegesetze in Irland [176] niemals
gewagt hatten, das tat Bismarck in Deutschland. In allen Bezir-
ken, über die der "Belagerungszustand" verhängt war, erhielt die
Polizei das Recht, jedermann auszuweisen, der ihr sozialistischer
Propaganda "hinreichend verdächtig" erscheinen mochte. Über Ber-
lin wurde natürlich sofort der Belagerungszustand verhängt, und
Hunderte (mit ihren Familien Tausende) wurden ausgewiesen. Denn
die preußische Polizei weist immer Familienväter aus ; die jun-
gen, unverheirateten Leute läßt sie im allgemeinen ungeschoren ;
für sie wäre die Ausweisung keine große Strafe, für die Fa-
milienväter aber bedeutet sie in den meisten Fällen eine lange
Elendszeit, wenn nicht den völligen Ruin. Dann wählte Hamburg
einen Arbeiter in den Reichstag, und sofort wurde dort der Bela-
gerungszustand erklärt. Der erste Schub aus Hamburg Ausgewiesener
umfaßte gegen hundert, dazu kamen mehr als dreihundert Familien-
angehörige. Die Arbeiterpartei brachte binnen zwei Tagen die
Kosten für die Reise und andere unmittelbare Bedürfnisse auf.
Jetzt ist auch über Leipzig der Belagerungszustand verhängt
worden, und zwar mit keiner anderen Begründung, als daß die
Regierung anders die Parteiorganisation nicht zerschlagen könne.
Gleich am ersten Tag wurden 33 Männer ausgewiesen, vorwiegend
Verheiratete mit Familie. An der Spitze der Liste stehen drei
Abgeordnete des deutschen Reichstags; vielleicht schickt ihnen
Herr Dillon ein Glückwunschschreiben in Anbetracht der Tatsache,
daß sie doch nicht ganz so schlecht daran sind wie er selbst.
[177]
Aber das ist noch nicht alles. Nachdem die Arbeiterpartei erst
einmal in aller Form außerhalb des Gesetzes gestellt und all der
politischen Rechte beraubt ist, deren sich die übrigen Deutschen
angeblich erfreuen, kann die
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1*) Wilhelm I.
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Polizei mit den einzelnen Mitgliedern dieser Partei nach Willkür
verfahren. Unter dem Vorwand der Haussuchung nach verbotenen
Schriften unterwirft sie deren Ehefrauen und Töchter der unan-
ständigsten und brutalsten Behandlung. Sie selbst werden ganz
nach Belieben von der Polizei verhaftet, wochenlang in Untersu-
chungshaft gehalten und erst freigelassen, nachdem sie monatelang
im Gefängnis gesessen. Neue, dem Strafgesetzbuch unbekannte Ver-
gehen werden von der Polizei erfunden und die Bestimmungen dieses
Gesetzbuches selbst über die Grenzen des Möglichen hinaus ge-
dehnt. Und oft genug findet die Polizei Justizbeamte und Richter,
die korrumpiert oder fanatisch genug sind, ihr zu helfen und Vor-
schub zu leisten; hängt doch davon die Karriere ab! Was dabei
herauskommt, zeigen die nachfolgenden erstaunlichen Zahlen. In
dem einen Jahre von Oktober 1879 bis Oktober 1880 waren wegen
Hochverrats, Landesverrats, Majestätsbeleidigung etc. allein in
Preußen nicht weniger als 1108 Personen eingekerkert und wegen
politischer Verleumdung, Beleidigung Bismarcks, Verunglimpfung
der Regierung etc. nicht weniger als 10 094. Elftausendzweihun-
dertundzwei politische Gefangene - das übertrifft selbst Herrn
Forsters irische Heldentaten!
Und was hat Bismarck mit all diesen Gewaltmaßnahmen erreicht?
Ebensoviel wie Herr Forster in Irland. Die Sozialdemokratische
Partei floriert genauso und besitzt eine ebenso feste Organisa-
tion wie die Irische Landliga [178]. Vor einigen Tagen haben Wah-
len zum Mannheimer Stadtrat stattgefunden. Die Arbeiterpartei
stellte sechzehn Kandidaten auf und brachte sie alle mit einer
Mehrheit von fast drei zu eins durch. Dann kandidierte Bebel -
Reichstagsabgeordneter für Dresden - im Leipziger Wahlkreis für
den sächsischen Landtag. Bebel ist selbst Arbeiter (Drechsler)
und einer der besten, wenn nicht der beste Redner in Deutschland.
Um seine Wahl zu vereiteln, wies die Regierung sein ganzes Wahl-
komitee aus. Mit welchem Ergebnis? Daß Bebel, trotz der Beein-
trächtigung des Stimmrechts, mit großer Mehrheit gewählt wurde.
So nützen Bismarcks Zwangsmaßnahmen gar nichts; im Gegenteil, sie
erbittern das Volk. Diejenigen, denen alle legalen Möglichkeiten,
sich geltend zu machen, genommen sind, werden eines schönen Tages
zu illegalen Mitteln greifen, und niemand kann ihnen daraus einen
Vorwurf machen. Wie oft haben Herr Gladstone und Herr Forster
diese Doktrin verkündet? Und wie handeln sie jetzt in Irland?
Geschrieben Mitte Juli 1881.
Aus dem Englischen.
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