Quelle: März 1875 - Mai 1883
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#309#
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Friedrich Engels
Der Vikar von Bray
Aus dem Englischen von Friedrich Engels
["Der Sozialdemokrat" Nr. 37 vom 7. September 1882]
Zu König Karls Zeit, da noch war
Loyalität zu finden,
Dient' ich der Hochkirch ganz und gar,
Und so erwarb ich Pfründen.
Der König ist von Gott gesetzt -
So lehrt' ich meine Schafe -
Und wer ihm trotzt, ihn gar verletzt,
Den trifft die Höllenstrafe.
Denn dieses gilt, und hat Bestand,
Bis an mein End' soll's wahr sein:
Daß wer auch König sei im Land,
In Bray will i c h Vikar sein.
Jakob nahm auf dem Throne Platz,
Das Papsttum kam zu Ehren:
Da galt's, die Katholikenhatz
Ins Gegenteil zu kehren.
Für mich auch, fand ich, paßten schon
Roms Kirch' und Priesterorden;
Kam nicht die Revolution,
Wär' ich Jesuit geworden.
Denn dieses gilt und hat Bestand,
Bis an mein End' soll's wahr sein:
Daß wer auch König sei im Land,
In Bray will ich Vikar sein.
#310# Friedrich Engels
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Als König Wilhelm kam, der Held,
Und rettete die Freiheit,
Hab' ich mein Segel umgestellt
Nach dieses Windes Neuheit.
Der Knechtsgehorsam vor'ger Zeit,
Der war jetzt bald erledigt:
Der Tyrannei gebt Widerstreit!
So wurde nun gepredigt.
Denn dieses gilt und hat Bestand,
Bis an mein End' soll's wahr sein:
Daß wer auch König sei im Land,
In Bray will i c h Vikar sein.
Als Anna wurde Königin,
Der Landeskirche Glorie,
Das hatte einen andern Sinn,
Und da ward ich ein Tory.
Für unsrer Kirch' Integrität,
Da galt es jetzt zu eifern,
Und Mäßigung und Laxität
Als sündhaft zu begeifern.
Denn dieses gilt und hat Bestand,
Bis an mein End' soll's wahr sein:
Daß, wer auch König sei im Land,
In Bray will i c h Vikar sein.
Als König Georg bracht' ins Land
Gemäßigte Politik, mein Herr,
Hab' nochmals ich den Rock gewandt,
Und so ward ich ein Whig, mein Herr.
Das war es, was mir Pfründen gab
Und Gunst bei dem Regenten;
Auch schwor ich fast alltäglich ab,
So Papst wie Prätendenten.
Denn dieses gilt und hat Bestand,
Bis an mein End' soll's wahr sein:
Daß wer auch König sei im Land,
In Bray will i c h Vikar sein.
#311# Der Vikar von Bray
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Hannovers hoher Dynastie -
Mit Ausschluß von Papisten -
Der schwör' ich Treu, so lange sie
Sich an dem Thron kann fristen.
Denn meine Treu wankt nimmermehr -
Veränd'rung ausgenommen -
Und Georg sei mein Fürst und Herr,
Bis andre Zeiten kommen.
Denn dieses gilt und hat Bestand,
Bis an mein End' soll's wahr sein:
Daß wer auch König sei im Land,
In Bray will i c h Vikar sein.
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Das obige Lied ist wohl das einzige politische Volkslied, das
sich in England seit mehr als hundertsechzig Jahren in Gunst er-
halten hat. Es verdankt dies großenteils auch seiner prächtigen
Melodie, die noch heute allgemein gesungen wird. Im übrigen ist
das Lied, auch gegenüber unsern heutigen deutschen Verhältnissen,
keineswegs veraltet. Nur, daß wir, wie sich gebührt, inzwischen
Fortschritte gemacht haben. Der brave Originalvikar brauchte doch
bloß bei jedem Thronwechsel seinen Rock zu wenden. Aber wir
Deutsche haben über unsern vielen politischen Vikaren von Bray
einen richtigen Papst von Bray 1*), der seine Unfehlbarkeit damit
bewährt, daß er nach immer kürzer werdenden Zeilräumen die ganze
politische Glaubenslehre selbst gründlich umwälzt. Gestern
Freihandel, heute Schutzzoll; gestern Gewerbefreiheit, heute
Zwangsinnungen; gestern Kulturkampf, heute mit fliegenden Fahnen
nach Kanossa - und warum nicht? Omnia in majorem Dei gloriam
(Alles zur größeren Ehre Gottes), was auf deutsch heißt: Alles,
um mehr Steuern und mehr Soldaten herauszuschlagen. Und die armen
kleinen Vikare müssen mit, müssen immer von neuem, wie sie selbst
es nennen, "über den Stock springen", und das noch oft genug ohne
Entgelt. Mit welcher Verachtung würde unser alter strammer Vikar
auf diese seine winzigen Nachtreter herabsehen - er, der noch
ordentlich stolz ist auf den Mut, mit dem er seine Position durch
alle Stürme behauptet!
Fr. Engels
Geschrieben Anfang September 1882.
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1*) Anspielung auf Bismarck
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