Quelle: Januar 1890 - August 1895
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Einleitung [zu Karl Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich
1848 bis 1850" (1895)] [433]
Die hiermit neu herausgegebene Arbeit war Marx' erster Versuch,
ein Stück Zeitgeschichte vermittelst seiner materialistischen
Auffassungsweise aus der gegebenen ökonomischen Lage zu erklären.
Im "Kommunistischen Manifest" war die Theorie in großen Umrissen
auf die ganze neuere Geschichte angewandt, in Marx' und meinen
Artikeln der "Neuen Rheinischen Zeitung" war sie fortwährend be-
nutzt worden zur Deutung gleichzeitiger politischer Ereignisse.
Hier dagegen handelte es sich darum, im Verlauf einer mehrjähri-
gen, für ganz Europa sowohl kritischen wie typischen Entwicklung
den inneren Kausalzusammenhang nachzuweisen, also, im Sinn des
Verfassers, die politischen Begebenheiten zurückzuführen auf Wir-
kungen von in letzter Instanz ökonomischen Ursachen.
Bei der Beurteilung von Ereignissen und Ereignisreihen aus der
Tagesgeschichte wird man nie imstande sein, bis auf die
l e t z t e n ökonomischen Ursachen zurückzugehn. Selbst heute
noch, wo die einschlägige Fachpresse so reichlichen Stoff lie-
fert, wird es sogar in England unmöglich bleiben, den Gang der
Industrie und des Handels auf dem Weltmarkt und die in den Pro-
duktionsmethoden eintretenden Änderungen Teig für Tag derart zu
verfolgen, daß man für jeden beliebigen Zeitpunkt das allgemeine
Fazit aus diesen mannigfach verwickelten und stets wechselnden
Faktoren ziehen kann, Faktoren, von denen die wichtigsten oben-
drein meist lange Zeit im verborgenen wirken, bevor sie plötzlich
gewaltsam an der Oberfläche sich geltend machen. Der klare Über-
blick über die ökonomische Geschichte einer gegebenen Periode ist
nie gleichzeitig, ist nur nachträglich, nach erfolgter Sammlung
und Sichtung des Stoffes, zu gewinnen. Die Statistik ist hier
notwendiges Hülfsmittel, und sie hinkt immer nach. Für die lau-
fende Zeitgeschichte wird man daher nur zu oft genötigt sein,
diesen den entscheidendsten Faktor als konstant, die am Anfang
der betreffenden Periode
#510# Einleitung zu Marx' "Klastenkämpfe in Frankreich"
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vorgefundene ökonomische Lage als für die ganze Periode gegeben
und unveränderlich zu behandeln oder nur solche Veränderungen
dieser Lage zu berücksichtigen, die aus den offen vorliegenden
Ereignissen selbst entspringen und daher ebenfalls offen zutage
liegen. Die materialistische Methode wird sich daher hier nur zu
oft darauf beschränken müssen, die politischen Konflikte auf In-
teressenkämpfe der durch die ökonomische Entwicklung gegebenen,
vorgefundenen Gesellschaftsklassen und Klassenfraktionen zurück-
zuführen und die einzelnen politischen Parteien nachzuweisen als
den mehr oder weniger adäquaten politischen Ausdruck dieser sel-
ben Klassen und Klassenfraktionen.
Es ist selbstredend, daß diese unvermeidliche Vernachlässigung
der gleichzeitigen Veränderungen der ökonomischen Lage, der ei-
gentlichen Basis aller zu untersuchenden Vorgänge, eine Fehler-
quelle sein muß. Aber alle Bedingungen einer zusammenfassenden
Darstellung der Tagesgeschichte schließen unvermeidlich Fehler-
quellen in sich; was aber niemanden abhält, Tagesgeschichte zu
schreiben.
Als Marx diese Arbeit unternahm, war die erwähnte Fehlerquelle
noch viel unvermeidlicher. Während der Revolutionszeit 1848/49
die sich gleichzeitig vollziehenden ökonomischen Wandlungen zu
verfolgen oder gar den Überblick über sie zu behalten, war rein
unmöglich. Ebenso während der ersten Monate des Exils in London,
Herbst und Winter 1849/50. Das war aber gerade die Zeit, wo Marx
die Arbeit begann. Und trotz dieser Ungunst der Umstände befä-
higte ihn seine genaue Kenntnis, sowohl der ökonomischen Lage
Frankreichs vor wie der politischen Geschichte dieses Landes seit
der Februarrevolution, eine Darstellung der Ereignisse zu geben,
die deren inneren Zusammenhang in einer auch seitdem unerreichten
Weise aufdeckt und die später von Marx selbst angestellte zweifa-
che Probe glänzend bestanden hat.
Die erste Probe erfolgte dadurch, daß seit Frühjahr 1850 Marx
wieder Muße gewann für ökonomische Studien und zunächst die öko-
nomische Geschichte der letzten zehn Jahre vornahm. Dadurch wurde
ihm aus den Tatsachen selbst vollständig klar, was er bisher aus
lückenhaftem Material halb aprioristisch gefolgert hatte: daß die
Welthandelskrise von 1847 die eigentliche Mutter der Februar- und
Märzrevolutionen gewesen und daß die seit Mitte 1848 allmählich
wieder eingetretene, 1849 und 1850 zur vollen Blüte gekommene in-
dustrielle Prosperität die belebende Kraft der neuerstarkten eu-
ropäischen Reaktion war. Das war entscheidend. Während in den
drei ersten Artikeln (erschienen im Januar-, Februar- und März-
heft der "N[euen] Rh[einischen] Z[eitung]. Politisch-ökonomische
Revue", Hamburg 1850)
#511# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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noch die Erwartung eines baldigen neuen Aufschwunges revolutio-
närer Energie durchgeht, bricht die von Marx und mir verfaßte ge-
schichtliche Übersicht des letzten, Herbst 1850 erschienenen Dop-
pelheftes (Mai bis Oktober) ein für allemal mit diesen Illusio-
nen: "Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen
Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese." 14341 Das war
aber auch die einzige wesentliche Änderung, die vorzunehmen war.
An der in den früheren Abschnitten gegebenen Deutung der Ereig-
nisse, an den darin hergestellten ursächlichen Zusammenhängen war
absolut nichts zu ändern, wie die in derselben Übersicht gegebene
Fortführung der Erzählung vom 10. März bis in den Herbst 1850 be-
weist. Ich habe diese Fortsetzung daher als vierten Artikel in
gegenwärtigen Neudruck mit aufgenommen.
Die zweite Probe war noch härter. Gleich nach Louis Bonapartes
Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 bearbeitete Marx aufs neue die
Geschichte Frankreichs vom Februar 1848 bis auf dies die Revolu-
tionsperiode einstweilen abschließende Ereignis. ("Der 18. Bru-
maire des Louis Bonaparte", dritte Auflage, Hamburg, Meißner
1885. 1*)) In dieser Broschüre ist die in unserer Schrift dar-
gestellte Periode, wenn auch kürzer, wieder behandelt. Man ver-
gleiche diese zweite, im Licht des über ein Jahr später fal-
lenden, entscheidenden Ereignisses geschriebene Darstellung mit
der unseren, und man wird finden, daß der Verfasser nur sehr
wenig zu ändern hatte.
Was unserer Schrift noch eine ganz besondere Bedeutung gibt, ist
der Umstand, daß sie zuerst die Formel ausspricht, in welcher die
allgemeine Einstimmung der Arbeiterparteien aller Länder der Welt
ihre Forderung der ökonomischen Neugestaltung kurz zusammenfaßt:
die Aneignung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft. Im
zweiten Kapitel, gelegentlich des "Rechts auf Arbeit", das be-
zeichnet wird als "erste unbeholfene Formel, worin sich die revo-
lutionären Ansprüche des Proletariats zusammenfassen", heißt es:
"...aber hinter dem Recht auf Arbeit steht die Gewalt über das
Kapital, hinter der Gewalt über das Kapital d i e A n e i g-
n u n g d e r P r o d u k t i o n s m i t t e l, ihre Unter-
werfung unter die assoziierte Arbeiterklasse, also die Aufhebung
der Lohnarbeit wie des Kapitals und ihres Wechselverhältnisses."
2*) Hier ist also - zum erstenmal - der Satz formuliert, durch
den der moderne Arbeitersozialismus sich scharf unterscheidet
ebensowohl von allen verschiedenen Schattierungen des feudalen,
bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Sozialismus wie auch von der
konfusen Gütergemeinschaft des utopischen wie des naturwüchsigen
Arbeiterkommunismus. Wenn später
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1*) Siehe Band 8 unserer Ausgabe - 2*) siehe Band 7 unserer Aus-
gabe, S. 41/42
#512# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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Marx die Formel ausdehnte auf Aneignung auch der Austauschmittel,
so sprach diese Erweiterung, die übrigens nach dem
"Kommunistischen Manifest" sich von selbst verstand, nur ein Ko-
rollar des Hauptsatzes aus. Einige weise Leute in England haben
dann neuerdings noch hinzugefügt, daß auch die "Mittel der Ver-
teilung" der Gesellschaft überwiesen werden sollen. Es würde die-
sen Herren schwer werden, zu sagen, welches denn diese, von den
Produktions- und Austauschmitteln verschiedenen, ökonomischen
Verteilungsmittel sind; es seien denn p o l i t i s c h e Ver-
teilungsmittel gemeint, Steuern, Armenunterstützung, einschließ-
lich der Sachsenwald- [435] und andern Dotationen. Aber diese
sind erstens ja schon jetzt Verteilungsmittel im Besitz der
Gesamtheit, des Staates oder der Gemeinde, und zweitens wollen
wir sie ja gerade abschaffen.
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Als die Februarrevolution ausbrach, standen wir alle, was unsere
Vorstellungen von den Bedingungen und dem Verlauf revolutionärer
Bewegungen betraf, unter dem Bann der bisherigen geschichtlichen
Erfahrung, namentlich derjenigen Frankreichs. Diese letztere war
es ja gerade, die die ganze europäische Geschichte seit 1789 be-
herrscht hatte, von der auch jetzt wieder das Signal zur allge-
meinen Umwälzung ausgegangen war. So war es selbstredend und un-
vermeidlich, daß unsere Vorstellungen von der Natur und dem Gang
der in Paris, im Februar 1848, proklamierten "sozialen" Revolu-
tion, der Revolution des Proletariats, stark gefärbt waren durch
die Erinnerungen der Vorbilder von 1789-1830. Und vollends, als
die Pariser Erhebung ihr Echo fand in den siegreichen Aufständen
von Wien, Mailand, Berlin, als ganz Europa bis an die russische
Grenze in die Bewegung hineingerissen war; als dann im Juni in
Paris die erste große Schlacht um die Herrschaft zwischen Prole-
tariat und Bourgeoisie geschlagen wurde; als selbst der Sieg ih-
rer Klasse die Bourgeoisie aller Länder so erschütterte, daß sie
wieder in die Arme der eben erst gestürzten monarchisch-feudalen
Reaktion zurückfloh - da konnte unter damaligen Umständen für uns
kein Zweifel sein, daß der große Entscheidungskampf angebrochen
sei, daß er ausgefochten werden müsse in einer einzigen langen
und wechselvollen Revolutionsperiode, daß er aber nur enden könne
mit dem endgültigen Sieg des Proletariats.
Wir teilten nach den Niederlagen von 1849 keineswegs die Illusio-
nen der um die provisorischen Zukunftsregierungen in partibus
[436] gruppierten Vulgärdemokratie. Diese rechnete auf einen bal-
digen, ein für allemal entscheidenden
#513# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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Sieg des "Volkes" über die "Dränger"; wir auf einen langen Kampf,
nach Beseitigung der "Dränger", unter den in eben diesem "Volk"
sich verbergenden gegensätzlichen Elementen. Die Vulgärdemokratie
erwartete den erneuten Losbruch von heute auf morgen; wir erklär-
ten schon Herbst 1850, daß wenigstens der e r s t e Abschnitt
der revolutionären Periode abgeschlossen und nichts zu erwarten
sei bis zum Ausbruch einer neuen ökonomischen Weltkrise. Weswegen
wir auch in Acht und Bann getan wurden als Verräter an der Revo-
lution, von denselben Leuten, die nachher fast ohne Ausnahme ih-
ren Frieden mit Bismarck gemacht haben - soweit Bismarck sie der
Mühe wert fand.
Die Geschichte hat aber auch uns unrecht gegeben, hat unsere da-
malige Ansicht als eine Illusion enthüllt. Sie ist noch weiter
gegangen: Sie hat nicht nur unseren damaligen Irrtum zerstört,
sie hat auch die Bedingungen total umgewälzt, unter denen das
Proletariat zu kämpfen hat. Die Kampf-weise von 1848 ist heute in
jeder Beziehung veraltet, und das ist ein Punkt, der bei dieser
Gelegenheit näher untersucht zu werden verdient.
Alle bisherigen Revolutionen liefen hinaus auf die Verdrängung
einer bestimmten Klassenherrschaft durch eine andere; alle bishe-
rigen herrschenden Klassen waren aber nur kleine Minoritäten ge-
genüber der beherrschten Volksmasse. Eine herrschende Minorität
wurde so gestürzt, eine andere Minorität ergriff an ihrer Stelle
das Staatsruder und modelte die Staatseinrichtungen nach ihren
Interessen um. Es war dies jedesmal die durch den Stand der öko-
nomischen Entwicklung zur Herrschaft befähigte und berufene Mino-
ritätsgruppe, und gerade deshalb und nur deshalb geschah es, daß
die beherrschte Majorität sich bei der Umwälzung entweder zugun-
sten jener beteiligte oder sich doch die Umwälzung ruhig gefallen
ließ. Aber wenn wir vom jedesmaligen konkreten Inhalt absehen,
war die gemeinsame Form aller dieser Revolutionen die, daß sie
Minoritätsrevolutionen waren. Selbst wenn die Majorität dazu mit-
tat, geschah es - wissentlich oder nicht - nur im Dienst einer
Minorität; diese aber erhielt dadurch, oder auch schon durch die
passive widerstandslose Haltung der Majorität, den Anschein, als
sei sie Vertreterin des ganzen Volkes.
Nach dem ersten großen Erfolg spaltete sich in der Regel die
siegreiche Minorität; die eine Hälfte war mit dem Erlangten zu-
frieden, die andere wollte noch weiter gehn, stellte neue Forde-
rungen, die wenigstens teilweise auch im wirklichen oder schein-
baren Interesse der großen Volksmenge waren. Diese radikaleren
Forderungen wurden auch in einzelnen Fällen durchgesetzt; häufig
aber nur für den Augenblick, die gemäßigtere Partei erlangte wie-
der die Oberhand, das zuletzt Gewonnene ging ganz oder teilweise
#514# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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wieder verloren; die Besiegten schrieen dann über Verrat oder
schoben die Niederlage auf den Zufall. In Wirklichkeit aber lag
die Sache meist so: Die Errungenschaften des ersten Sieges wurden
erst sichergestellt durch den zweiten Sieg der radikaleren Par-
tei; war dies und damit das augenblicklich Nötige erreicht, so
verschwanden die Radikalen und ihre Erfolge wieder vom Schau-
platz.
Alle Revolutionen der neueren Zeit, angefangen von der großen
englischen des siebzehnten Jahrhunderts, zeigten diese Züge, die
untrennbar schienen von jedem revolutionären Kampf. Sie schienen
anwendbar auch auf die Kämpfe des Proletariats um seine Emanzipa-
tion; anwendbar um so mehr, als gerade 1848 die Leute zu zählen
waren, die auch nur einigermaßen verstanden, in welcher Richtung
diese Emanzipation zu suchen war. Die proletarischen Massen
selbst waren sogar in Paris noch nach dem Sieg absolut im unkla-
ren über den einzuschlagenden Weg. Und doch war die Bewegung da,
instinktiv, spontan, ununterdrückbar. War das nicht gerade die
Lage, worin eine Revolution gelingen mußte, geleitet zwar von ei-
ner Minorität, aber diesmal nicht im Interesse der Minorität,
sondern im eigentlichsten Interesse der Majorität? Waren in allen
längeren revolutionären Perioden die großen Volksmassen so leicht
durch bloße plausible Vorspiegelungen der vorwärtsdrängenden Mi-
noritäten zu gewinnen, wie sollten sie weniger zugänglich sein
für Ideen, die der eigenste Reflex ihrer ökonomischen Lage, die
nichts anderes waren als der klare, verstandesgemäße Ausdruck ih-
rer von ihnen selbst noch unverstandenen, nur erst unbestimmt ge-
fühlten Bedürfnisse? Allerdings hatte diese revolutionäre Stim-
mung der Massen fast immer, und meist sehr bald, einer Ermattung
oder gar einem Umschlag ins Gegenteil Platz gemacht, sobald die
Illusion verraucht, die Enttäuschung eingetreten war. Aber hier
handelte es sich nicht um Vorspiegelungen, sondern um die Durch-
führung der eigentlichsten Interessen der großen Mehrheit selbst,
Interessen, die zwar damals dieser großen Mehrheit keineswegs
klar waren, die ihr aber bald genug klar werden mußten, im Laufe
der praktischen Durchführung, durch den überzeugenden Augen-
schein. Und wenn nun gar, wie im dritten Artikel von Marx nachge-
wiesen, im Frühjahr 1850 die Entwicklung der aus der "sozialen"
Revolution von 1848 erstandenen bürgerlichen Republik die wirkli-
che Herrschaft in den Händen der - obendrein monarchistisch ge-
sinnten - großen Bourgeoisie konzentriert, dagegen alle anderen
Gesellschaftsklassen, Bauern wie Kleinbürger, um das Proletariat
gruppiert hatte, derart, daß bei und nach dem gemeinsamen Sieg
nicht sie, sondern das durch Erfahrung gewitzigte Proletariat der
entscheidende Faktor werden mußte - war da nicht alle Aussicht
vorhanden für
#515# Einleitung zu Marx "Klassenkämpfe in Frankreich'
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den Umschlag der Revolution der Minorität in die Revolution der
Majorität?
Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht
gegeben. Sie hat klargemacht, daß der Stand der ökonomischen Ent-
wicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war
für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion; sie hat dies
bewiesen durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den gan-
zen Kontinent ergriffen und die große Industrie in Frankreich,
Österreich, Ungarn, Polen und neuerdings Rußland erst wirklich
eingebürgert, aus Deutschland aber geradezu ein Industrieland er-
sten Ranges gemacht hat - alles auf kapitalistischer, im Jahre
1848 also noch sehr ausdehnungsfähiger Grundlage. Gerade diese
industrielle Revolution aber ist es, die überall erst Klarheit
geschaffen hat in den Klassenverhältnissen, die eine Menge von
aus der Manufakturperiode und im östlichen Europa selbst aus dem
Zunfthandwerk her überkommenen Zwischenexistenzen beseitigt, eine
wirkliche Bourgeoisie und ein wirkliches großindustrielles Prole-
tariat erzeugt und in den Vordergrund der gesellschaftlichen Ent-
wicklung gedrängt hat. Dadurch aber ist der Kampf dieser beiden
großen Klassen, der 1848 außerhalb Englands nur in Paris und
höchstens in einigen großen Industriezentren bestand, erst über
ganz Europa verbreitet worden und hat eine Intensität erlangt,
wie sie 1848 noch undenkbar war. Damals die vielen unklaren Sek-
tenevangelien mit ihren Panazeen, heute die erne allgemein aner-
kannte, durchsichtig klare, die letzten Zwecke des Kampfes scharf
formulierende Theorie von Marx; damals die nach Lokalität und Na-
tionalität geschiedenen und verschiedenen, nur durch das Gefühl
gemeinsamer Leiden verknüpften, unentwickelten, zwischen Be-
geisterung und Verzweiflung ratlos hin und her geworfenen Massen,
heute die eine große internationale Armee von Sozialisten, unauf-
haltsam vorschreitend, täglich wachsend an Zahl, Organisation,
Disziplin, Einsicht und Siegesgewißheit. Wenn sogar diese mäch-
tige Armee des Proletariats noch immer nicht das Ziel erreicht
hat, wenn sie, weit entfernt, den Sieg mit e i n e m großen
Schlag zu erringen, in hartem, zähem Kampf von Position zu Posi-
tion langsam vordringen muß, so beweist dies ein für allemal, wie
unmöglich es 1848 war, die soziale Umgestaltung durch einfache
Überrumpelung zu erobern.
Eine in zwei dynastisch-monarchische Sektionen gespaltene Bourge-
oisie [168], die aber vor allen Dingen Ruhe und Sicherheit für
ihre Geldgeschäfte verlangte, ihr gegenüber ein zwar besiegtes,
aber immer noch drohendes Proletariat, um das sich Kleinbürger
und Bauern mehr und mehr gruppierten - die stete Drohung eines
gewaltsamen Ausbruchs, der bei alle
#516# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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dem keine Aussicht auf endgültige Lösung bot -, das war die Si-
tuation, wie geschaffen für den Staatsstreich des dritten, des
pseudo-demokratischen Prätendenten Louis Bonaparte. Vermittelst
der Armee machte dieser am 2. Dezember 1851 der gespannten Situa-
tion ein Ende und sicherte Europa die innere Ruhe, um es dafür
mit einer neuen Ära der Kriege [437] zu beglücken. Die Periode
der Revolutionen von unten war einstweilen geschlossen; es folgte
eine Periode der Revolutionen von oben.
Der imperialistische Rückschlag von 1851 gab einen neuen Beweis
von der Unreife der proletarischen Aspirationen jener Zeit. Aber
er selbst sollte die Bedingungen schaffen, unter denen sie reifen
mußten. Die innere Ruhe sicherte die volle Entwicklung des neuen
industriellen Aufschwungs, die Notwendigkeit, die Armee zu be-
schäftigen und die revolutionären Strömungen nach außen abzulen-
ken, erzeugte die Kriege, worin Bonaparte, unter dem Vorwand, das
"Nationalitätsprinzip" [16] zur Geltung zu bringen, Annexionen
für Frankreich zu ergattern suchte. Sein Nachahmer Bismarck adop-
tierte dieselbe Politik für Preußen; er machte seinen Staats-
streich, seine Revolution von oben 1866 gegenüber dem Deutschen
Bund und Österreich und nicht minder gegenüber der preußischen
Konfliktskammer. Aber Europa war zu klein für zwei Bonapartes,
und so wollte es die geschichtliche Ironie, daß Bismarck den Bo-
naparte stürzte und daß der König Wilhelm von Preußen nicht nur
das kleindeutsche Kaisertum herstellte, sondern auch die franzö-
sische Republik. Das allgemeine Ergebnis aber war, daß in Europa
die Selbständigkeit und innere Einigung der großen Nationen, mit
Ausnahme Polens, eine Tatsache geworden war. Freilich innerhalb
relativ bescheidener Grenzen - aber immerhin so weit, daß der
Entwicklungsprozeß der Arbeiterklasse nicht mehr an nationalen
Verwicklungen ein wesentliches Hemmnis fand. Die Totengräber der
Revolution von 1848 waren ihre Testamentsvollstrecker geworden.
Und neben ihnen erhob sich schon drohend der Erbe von 1848, das
Proletariat, in der I n t e r n a t i o n a l e.
Nach dem Kriege von 1870/71 verschwindet Bonaparte vom Schau-
platz, und Bismarcks Mission ist vollendet, so daß er nun wieder
zum ordinären Junker herabsinken kann. Den Abschluß der Periode
aber bildet die Kommune von Paris. Ein heimtückischer Versuch von
Thiers, der Pariser Nationalgarde ihre Geschütze zu stehlen, rief
einen siegreichen Aufstand hervor. Es zeigte sich wieder, daß in
Paris keine andere Revolution mehr möglich ist als eine proleta-
rische. Die Herrschaft fiel der Arbeiterklasse nach dem Sieg ganz
von selbst, ganz unbestritten in den Schoß. Und wiederum zeigte
sich, wie unmöglich auch damals noch, zwanzig Jahre nach der in
unserer Schrift geschilderten Zeit, diese Herrschaft der Arbei-
terklasse war.
#517# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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Einerseits ließ Frankreich Paris im Stich, sah zu, wie es unter
den Kugeln Mac-Mahons verblutete; andererseits verzehrte sich die
Kommune im unfruchtbaren Streit der beiden sie spaltenden Par-
teien, der Blanquisten (Majorität) und der Proudhonisten
(Minorität), die beide nicht wußten, was zu tun war. Ebenso un-
fruchtbar wie 1848 die Überrumpelung, blieb 1871 der geschenkte
Sieg.
Mit der Pariser Kommune glaubte man das streitbare Proletariat
endgültig begraben. Aber ganz im Gegenteil, von der Kommune und
vom Deutsch-Französischen Krieg datiert sein gewaltigster Auf-
schwung. Die totale Umwälzung des gesamten Kriegswesens durch die
Einrangierung der ganzen waffenfähigen Bevölkerung in die nur
noch nach Millionen zu berechnenden Armeen, durch Feuerwaffen,
Geschosse und Explosivstoffe von bisher unerhörter Wirkungskraft
machte einerseits der bonapartistischen Kriegsperiode ein jähes
Ende und sicherte die friedliche industrielle Entwickelung, indem
sie jeden anderen Krieg unmöglich machte als einen Weltkrieg von
unerhörter Greuelhaftigkeit und von absolut unberechenbarem Aus-
gang. Andrerseits trieb sie durch die in geometrischer Progres-
sion steigenden Heereskosten die Steuern zu unerschwinglicher
Höhe und damit die ärmeren Volksklassen in die Arme des Sozialis-
mus. Die Annexion von Elsaß-Lothringen, die nächste Ursache der
tollen Konkurrenz in Kriegsrüstungen, mochte die französische und
deutsche Bourgeoisie gegeneinander chauvinistisch verhetzen; für
die Arbeiter beider Länder wurde sie ein neues Band der Einigung.
Und der Jahrestag der Kommune von Paris wurde der erste allge-
meine Festtag des gesamten Proletariats.
Der Krieg von 1870/71 und die Niederlage der Kommune hatten, wie
Marx vorhergesagt, den Schwerpunkt der europäischen Arbeiterbewe-
gung einstweilen von Frankreich nach Deutschland verlegt. In
Frankreich brauchte es selbstverständlich Jahre, bis man sich von
dem Aderlaß des Mai 1871 erholt hatte. In Deutschland dagegen, wo
die obendrein von dem französischen Milliardensegen [438] gerade-
zu treibhausmäßig geförderte Industrie sich immer rascher entwi-
ckelte, wuchs noch weit rascher und nachhaltiger die Sozialdemo-
kratie. Dank dem Verständnis, womit die deutschen Arbeiter das
1866 eingeführte allgemeine Stimmrecht benutzten, liegt das
staunenerregende Wachstum der Partei in unbestreitbaren Zahlen
offen vor aller Welt. 1871: 102 000, 1874: 352 000, 1877: 493 000
sozialdemokratische Stimmen. Dann kam die hohe obrigkeitliche An-
erkennung dieser Fortschritte in Gestalt des Sozialistengesetzes;
die Partei war momentan zersprengt, die Stimmenzahl sank 1881 auf
312 000. Aber das war rasch überwunden, und nun, unter dem Druck
des Ausnahmegesetzes, ohne Presse,
#518# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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ohne äußere Organisation, ohne Vereins- und Versammlungsrecht,
nun fing die rasche Ausbreitung erst recht an: 1884: 550 000,
1887: 763 000, 1890: 1 427 000 Stimmen. Da erlahmte die Hand des
Staates. Das Sozialistengesetz verschwand, die sozialistische
Stimmenzahl stieg auf 1 787000, über ein Viertel der sämtlichen
abgegebnen Stimmen. Die Regierung und die herrschenden Klassen
hatten alle ihre Mittel erschöpft - nutzlos, zwecklos, erfolglos.
Die handgreiflichen Beweise ihrer Ohnmacht, die die Behörden, vom
Nachtwächter bis zum Reichskanzler, hatten einstecken müssen-und
das von den verachteten Arbeitern! -, diese Beweise zählten nach
Millionen. Der Staat war am Ende seines Lateins, die Arbeiter
erst am Anfang des ihrigen.
Die deutschen Arbeiter hatten aber zudem ihrer Sache noch einen
zweiten großen Dienst erwiesen neben dem ersten, der mit ihrer
bloßen Existenz als die stärkste, die disziplinierteste, die am
raschesten anschwellende sozialistische Partei gegeben war. Sie
hatten ihren Genossen aller Länder eine neue, eine der schärfsten
Waffen geliefert, indem sie ihnen zeigten, wie man das allgemeine
Stimmrecht gebraucht.
Das allgemeine Stimmrecht hatte schon lange in Frankreich bestan-
den, war aber in Verruf gekommen durch den Mißbrauch, den die bo-
napartistische Regierung damit getrieben. Nach der Kommune war
keine Arbeiterpartei vorhanden, es zu benutzen. Auch in Spanien
bestand es seit der Republik [439], aber in Spanien war die Wahl-
enthaltung aller ernstlichen Oppositionsparteien von jeher Regel.
Auch die Schweizer Erfahrungen mit dem allgemeinen Stimmrecht wa-
ren alles, nur nicht aufmunternd für eine Arbeiterpartei. Die re-
volutionären Arbeiter der romanischen Länder hatten sich ange-
wöhnt, das Stimmrecht als einen Fallstrick, als ein Instrument
der Regierungsprellerei anzusehn. In Deutschland war das anders.
Schon das "Kommunistische Manifest" hatte die Erkämpfung des all-
gemeinen Wahlrechts, der Demokratie, als eine der ersten und
wichtigsten Aufgaben des streitbaren Proletariats proklamiert,
und Lassalle hatte diesen Punkt wieder aufgenommen. Als nun Bis-
marck sich genötigt sah, dies Wahlrecht einzuführen als einziges
Mittel, die Volksmassen für seine Pläne zu interessieren, da
machten unsere Arbeiter sofort Ernst damit und sandten August Be-
bel in den ersten konstituierenden Reichstag. Und von dem Tage an
haben sie das Wahlrecht benutzt in einer Weise, die sich ihnen
tausendfach gelohnt und die den Arbeitern aller Länder als Vor-
bild gedient hat. Sie haben das Wahlrecht, in den Worten des
französischen marxistischen Programms, transformé, de moyen de
duperie qu'il a été jusqu'ici, en instrument d'émancipation - es
verwandelt aus einem Mittel der Prellerei, was es bisher
#519# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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war, in ein Werkzeug der Befreiung [440]. Und wenn das allgemeine
Wahlrecht keinen anderen Gewinn geboten hätte, als daß es uns er-
laubte, uns alle drei Jahre zu zählen; daß es durch die regelmä-
ßig konstatierte, unerwartet rasche Steigerung der Stimmenzahl in
gleichem Maße die Siegesgewißheit der Arbeiter wie den Schrecken
der Gegner steigerte und so unser bestes Propagandamittel wurde;
daß es uns genau unterrichtete über unsere eigene Starke wie über
die aller gegnerischen Parteien und uns dadurch einen Maßstab für
die Proportionierung unserer Aktion lieferte, wie es keinen zwei-
ten gibt - uns vor unzeitiger Zaghaftigkeit ebensosehr bewahrte
wie vor unzeitiger Tollkühnheit -, wenn das der einzige Gewinn
wäre, den wir vom Stimmrecht haben, dann wäre es schon über und
übergenug. Aber es hat noch viel mehr getan. In der Wahlagitation
lieferte es uns ein Mittel, wie es kein zweites gibt, um mit den
Volksmassen da, wo sie uns noch ferne stehen, in Berührung zu
kommen, alle Parteien zu zwingen, ihre Ansichten und Handlungen
unseren Angriffen gegenüber vor allem Volk zu verteidigen; und
dazu eröffnete es unseren Vertretern im Reichstag eine Tribüne,
von der herab sie mit ganz anderer Autorität und Freiheit zu ih-
ren Gegnern im Parlament wie zu den Massen draußen sprechen konn-
ten als in der Presse und in Versammlungen. Was half der Regie-
rung und der Bourgeoisie ihr Sozialistengesetz, wenn die Wahlagi-
tation und die sozialistischen Reichstagsreden es fortwährend
durchbrachen?
Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts
war aber eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksam-
keit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus. Man fand,
daß die Staatseinrichtungen, in denen die Herrschaft der Bour-
geoisie sich organisiert, noch weitere Handhaben bieten, vermit-
telst deren die Arbeiterklasse diese selben Staatseinrichtungen
bekämpfen kann. Man beteiligte sich an den Wahlen für Einzelland-
tage, Gemeinderäte, Gewerbegerichte, man machte der Bourgeoisie
jeden Posten streitig, bei dessen Besetzung ein genügender Teil
des Proletariats mitsprach. Und so geschah es, daß Bourgeoisie
und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der ge-
setzlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei,
vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Rebellion.
Denn auch hier hatten sich die Bedingungen des Kampfes wesentlich
verändert. Die Rebellion alten Stils, der Straßenkampf mit Barri-
kaden, der bis 1848 überall die letzte Entscheidung gab, war be-
deutend veraltet.
Machen wir uns keine Illusion darüber: Ein wirklicher Sieg des
Aufstandes über das Militär im Straßenkampf, ein Sieg wie zwi-
schen zwei Armeen, gehört zu den größten Seltenheiten. Darauf
hatten aber die Insurgenten
#520# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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es auch ebenso selten angelegt. Es handelte sich für sie nur
darum, die Truppen mürbe zu machen durch moralische Einflüsse,
die beim Kampf zwischen den Armeen zweier kriegführender Länder
gar nicht oder doch in weit geringerem Grad ins Spiel kommen. Ge-
lingt das, so versagt die Truppe oder die Befehlshaber verlieren
den Kopf, und der Aufstand siegt. Gelingt das nicht, so bewährt
sich, selbst bei einer Minderzahl auf seiten des Militärs, die
Überlegenheit der besseren Ausrüstung und Schulung, der einheit-
lichen Leitung, der planmäßigen Verwendung der Streitkräfte und
der Disziplin. Das Höchste, wozu es die Insurrektion in wirklich
taktischer Aktion bringen kann, ist die kunstgerechte Anlage und
Verteidigung einer einzelnen Barrikade. Gegenseitige Unterstüt-
zung, Aufstellung resp. Verwendung von Reserven, kurz, das schon
zur Verteidigung eines Stadtbezirks, geschweige einer ganzen
großen Stadt, unentbehrliche Zusammenwirken und Ineinandergreifen
der einzelnen Abteilungen wird nur höchst mangelhaft, meist gar
nicht zu erreichen sein; Konzentration der Streitkräfte auf einen
entscheidenden Punkt fällt da von selbst weg. Damit ist die pas-
sive Verteidigung die vorwiegende Kampfform; der Angriff wird
sich hier und da, aber auch nur ausnahmsweise, zu gelegentlichen
Vorstößen und Flankenanfällen aufraffen, in der Regel aber sich
nur auf Besetzung der von der zurückgehenden Truppe verlassenen
Stellungen beschränken. Wozu noch auf Seite des Militärs die Ver-
fügung über Geschütz und vollständig ausgerüstete und geübte Ge-
nietruppen kommt, Streitmittel, die den Insurgenten in fast allen
Fällen gänzlich abgehn. Kein Wunder also, daß selbst die mit dem
größten Heldenmut geführten Barrikadenkämpfe - Paris Juni 1848,
Wien Oktober 1848, Dresden Mai 1849 - mit der Niederlage des Auf-
standes endigten, sobald die angreifenden Führer, ungehemmt durch
politische Rücksichten, nach rein militärischen Gesichtspunkten
handelten und ihre Soldaten zuverlässig blieben.
Die zahlreichen Erfolge der Insurgenten bis 1848 sind sehr man-
nigfachen Ursachen geschuldet. In Paris Juli 1830 und Februar
1848, wie in den meisten spanischen Straßenkämpfen, stand zwi-
schen den Insurgenten und dem Militär eine Bürgerwehr, die entwe-
der direkt auf Seite des Aufstandes trat oder aber durch laue,
unentschiedene Haltung die Truppen ebenfalls ins Schwanken
brachte und dem Aufstand obendrein Waffen lieferte. Da, wo diese
Bürgerwehr von vornherein gegen den Aufstand auftrat, wie Juni
1848 in Paris, wurde dieser auch besiegt. In Berlin 1848 siegte
das Volk teils durch den bedeutenden Zuwachs neuer Streitkräfte
während der Nacht und des Morgens am 19. [März], teils infolge
der Erschöpfung und schlechten Verpflegung der Truppen, teils
endlich infolge der erlahmenden
#521# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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Befehlsgebung. In allen Fällen aber wurde der Sieg erkämpft, weil
die Truppe versagte, weil den Befehlshabern die Entschlußfähig-
keit ausging oder aber, weil ihnen die Hände gebunden waren.
Selbst in der klassischen Zeit der Straßenkämpfe wirkte also die
Barrikade mehr moralisch als materiell. Sie war ein Mittel, die
Festigkeit des Militärs zu erschüttern. Hielt sie vor, bis dies
gelang, so war der Sieg erreicht; wo nicht, war man geschlagen.
(Es ist dies der Hauptpunkt, der im Auge zu halten ist, auch wenn
man die Chancen etwaiger künftiger Straßenkämpfe untersucht.) 1*)
Diese Chancen standen 2*) schon 1849 ziemlich schlecht. Die Bour-
geoisie hatte sich überall auf die Seite der Regierungen geschla-
gen, "Bildung und Besitz" begrüßten und bewirteten das gegen Auf-
stände ausziehende Militär. Die Barrikade hatte ihren Zauber ver-
loren; der Soldat sah hinter ihr nicht mehr "das Volk", sondern
Rebellen, Wühler, Plünderer, Teiler, den Auswurf der Gesell-
schaft; der Offizier war mit der Zeit bewandert geworden in den
taktischen Formen des Straßenkampfes, er marschierte nicht mehr
geradeaus und ungedeckt auf die improvisierte Brustwehr los, son-
dern umging sie durch Gärten, Höfe und Häuser. Und das gelang
jetzt, bei einigem Geschick, in neun Fällen von zehn.
Seitdem aber hat sich noch sehr viel verändert, und alles zugun-
sten des Militärs. Sind die Großstädte bedeutend größer geworden,
so noch mehr die Armeen. Paris und Berlin sind seit 1848 nicht
ums Vierfache gewachsen, ihre Garnisonen aber um mehr als das.
Diese Garnisonen können vermittelst der Eisenbahnen in 24 Stunden
sich mehr als verdoppeln, in 48 Stunden zu Riesenarmeen anschwel-
len. Die Bewaffnung dieser enorm verstärkten Truppenzahl ist un-
vergleichlich wirksamer geworden. 1848 der glatte Perkussions-
Vorderlader, heute der kleinkalibrige Magazin-Hinterlader, der
viermal so weit, zehnmal so genau und zehnmal so rasch schießt
wie jener. Damals die relativ schwach wirkenden Vollkugeln und
Kartätschen der Artillerie, heute die Perkussionsgranaten, deren
eine hinreicht, die beste Barrikade zu zertrümmern. Damals die
Spitzhacke des Pioniers zum Durchbrechen von Brandmauern, heute
die Dynamitpatrone.
Auf seiten des Insurgenten dagegen sind alle Bedingungen schlech-
ter geworden. Ein Aufstand, mit dem alle Volksschichten sympathi-
sieren, kommt schwerlich wieder; im Klassenkampf werden sich wohl
nie alle Mittelschichten so ausschließlich ums Proletariat grup-
pieren, daß die um
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1*) Spitze Klammern kennzeichnen Textstellen, die aus Rücksicht
auf die "umsturzvorlagenfurchtsamlichen Bedenken" (Engels) des
Berliner Parteivorstandes gestrichen wurden - 2*) (2.Fassung:)
Die Chancen standen übrigens
#522# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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die Bourgeoisie sich scharende Reaktionspartei dagegen fast ver-
schwinde. Das "Volk" wird also immer geteilt erscheinen, und da-
mit fehlt ein gewaltiger, 1848 so äußerst wirksamer Hebel. Kommen
1*) auf Seite der Aufständischen mehr gediente Soldaten, so wird
ihre Bewaffnung um so schwieriger. Die Jagd- und Luxusflinten der
Waffenläden - selbst wenn nicht vorher von Polizei wegen durch
Wegnahme eines Schloßteiles unbrauchbar gemacht - sind auch im
Nahkampf dem Magazingewehr des Soldaten nicht entfernt gewachsen.
Bis 1848 konnte man aus Pulver und Blei sich die nötige Munition
selbst machen, heute ist die Patrone für jedes Gewehr verschieden
und nur in dem einen Punkt überall gleich, daß sie ein Kunstpro-
dukt der großen Industrie, also nicht ex tempore anzufertigen
ist, daß also die meisten Gewehre nutzlos sind, solange man nicht
die speziell für sie passende Munition hat. Und endlich sind die
seit 1848 neugebauten Viertel der großen Städte, in langen, gra-
den, breiten Straßen angelegt, wie gemacht für die Wirkung der
neuen Geschütze und Gewehre. Der Revolutionär müßte verrückt
sein, der sich die neuen Arbeiterdistrikte im Norden und Osten
von Berlin zu einem Barrikadenkampf selbst aussuchte.
(Heißt das, daß in Zukunft der Straßenkampf keine Rolle mehr
spielen wird? Durchaus nicht. Es heißt nur, daß die Bedingungen
seit 1848 weit ungünstiger für die Zivilkämpfer, weit günstiger
für das Militär geworden sind. Ein künftiger Straßenkampf kann
also nur siegen, wenn diese Ungunst der Lage durch andere Momente
aufgewogen wird. Er wird daher seltener im Anfang einer großen
Revolution vorkommen als im weiteren Verlauf einer solchen und
wird mit größeren Kräften unternommen werden müssen. Diese aber
werden dann wohl, wie in der ganzen großen französischen Revolu-
tion, am 4. September und 31. Oktober 1870 in Paris [441], den
offenen Angriff der passiven Barrikadentaktik vorziehen.)
Versteht der Leser nun, weshalb die herrschenden Gewalten 2*) uns
platterdings dahin bringen wollen, wo die Flinte schießt und der
Säbel haut? Warum man uns heute der Feigheit zeiht, weil wir uns
nicht ohne weiteres auf die Straße begeben, wo wir der Niederlage
im voraus gewiß sind? Warum man uns so inständig anfleht, wir
möchten doch endlich einmal Kanonenfutter spielen?
Die Herren verschwenden ihre Bittgesuche wie ihre Herausforderun-
gen für nichts und wieder nichts. So dumm sind wir nicht. Sie
könnten ebensogut von ihrem Feind im nächsten Krieg verlangen, er
solle sich ihnen stellen in der Linienformation des alten Fritz
oder in den Kolonnen ganzer Divisionen
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1*) (2. Fassung:) Kämen auch - 2*) (2. Fassung:) Klassen
#523# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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à la Wagram und Waterloo [442],und das mit dem Steinschloßgewehr
in der Hand. Haben sich die Bedingungen geändert für den Völker-
krieg, so nicht minder für den Klassenkampf. Die Zeit der Über-
rumpelungen, der von kleinen bewußten Minoritäten an der Spitze
bewußtloser Massen durchgeführten Revolutionen ist vorbei. Wo es
sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Or-
ganisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein,
selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie
mit Leib und Leben eintreten 1*). Das hat uns die Geschichte der
letzten fünfzig Jahre gelehrt. Damit aber die Massen verstehen,
was zu tun ist, dazu bedarf es langer, ausdauernder Arbeit, und
diese Arbeit ist es gerade, die wir jetzt betreiben, und das mit
einem Erfolg, der die Gegner zur Verzweiflung bringt.
Auch in den romanischen Ländern sieht man mehr und mehr ein, daß
die alte Taktik revidiert werden muß. Überall hat man das deut-
sche Beispiel der Benutzung des Wahlrechts, der Eroberung aller
uns zugänglichen Posten, nachgeahmt (, überall ist das unvorbe-
reitete Losschlagen in den Hintergrund getreten). In Frankreich,
wo doch der Boden seit über hundert Jahren durch Revolution auf
Revolution unterwühlt ist, wo es keine einzige Partei gibt, die
nicht in Konspirationen, Aufständen und allen anderen revolutio-
nären Aktionen das ihrige geleistet hätte; in Frankreich, wo in-
folgedessen die Armee der Regierung keineswegs sicher ist und wo
überhaupt die Umstände für einen insurrektionellen Handstreich
weit günstiger liegen als in Deutschland - selbst in Frankreich
sehen die Sozialisten mehr und mehr ein, daß für sie kein dauern-
der Sieg möglich ist, es sei denn, sie gewinnen vorher die große
Masse des Volks, d.h. hier die Bauern. Langsame Arbeit der Propa-
ganda'und parlamentarische Tätigkeit sind auch hier als nächste
Aufgabe der Partei erkannt. Die Erfolge blieben nicht aus. Nicht
nur sind eine ganze Reihe von Gemeinderäten erobert worden; in
den Kammern sitzen 50 Sozialisten, und diese haben bereits drei
Ministerien und einen Präsidenten der Republik gestürzt. In Bel-
gien haben sich die Arbeiter voriges Jahr das Wahlrecht erzwungen
[356] und in einem Viertel der Wahlkreise gesiegt. In der
Schweiz, in Italien, in Dänemark, ja selbst in Bulgarien und Ru-
mänien sind die Sozialisten in den Parlamenten vertreten. In
Österreich sind alle Parteien darüber einig, daß uns der Zutritt
zum Reichsrat nicht länger verwehrt bleiben kann. Hinein kommen
wir, das ist gewiß, man streitet nur noch darüber: durch welche
Tür. Und selbst wenn in Rußland der berühmte Semski Sobor [443]
zusammentritt, jene
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1*) (2. Fassung:) für was sie eintreten sollen
#524# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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Nationalversammlung, gegen die der junge Nikolaus sich so verge-
bens sperrt, selbst da können wir mit Gewißheit darauf rechnen,
daß wir auch dort vertreten sind.
Selbstverständlich verzichten unsere ausländischen Genossen nicht
auf ihr Recht auf Revolution. Das Recht auf Revolution ist ja
überhaupt das einzige w i r k l i c h "historische Recht", das
einzige, worauf alle modernen Staaten ohne Ausnahme beruhen,
Mecklenburg eingeschlossen, dessen Adelsrevolution beendigt wurde
1755 durch den "Erbvergleich" [444], die noch heute gültige glor-
reiche Verbriefung des Feudalismus. Das Recht auf Revolution ist
so sehr im allgemeinen Bewußtsein unumstößlich anerkannt, daß so-
gar der General von Boguslawski aus diesem Volksrecht allein das
Recht auf den Staatsstreich ableitet, das er seinem Kaiser vindi-
ziert.
Was aber auch in anderen Ländern geschehen möge, die deutsche
Sozialdemokratie hat eine besondere Stellung und damit wenigstens
zunächst auch eine besondere Aufgabe. Die zwei Millionen Wähler,
die sie an die Urnen schickt, nebst den jungen Männern und den
Frauen, die als Nichtwähler hinter ihnen stehen, bilden die
zahlreichste, kompakteste Masse, den entscheidenden "Gewalthau-
fen" der internationalen proletarischen Armee. Diese Masse
liefert schon jetzt über ein Viertel der abgegebnen Stimmen; und
wie die Einzelwahlen für den Reichsteig, die einzelstaatlichen
Landtagswahlen, die Gemeinderats- und Gewerbegerichtswahlen be-
weisen, nimmt sie unablässig zu. Ihr Wachstum geht so spontan, so
stetig, so unaufhaltsam und gleichzeitig so ruhig vor sich wie
ein Naturprozeß. Alle Regierungseingriffe haben sich ohnmächtig
dagegen erwiesen. Auf 2 1/4 Millionen Wähler können wir schon
heute rechnen. Geht das so voran, so erobern wir bis Ende des
Jahrhunderts den größeren Teil der Mittelschichten der Gesell-
schaft, Kleinbürger wie Kleinbauern, und wachsen aus zu der
entscheidenden Macht im Lande, vor der alle andern Mächte sich
beugen müssen, sie mögen wollen oder nicht. Dies Wachstum unun-
terbrochen in Gang zu halten, bis es dem gegenwärtigen 1*) Regie-
rungssystem von selbst über den Kopf wächst, (diesen sich täglich
verstärkenden Gewalthaufen nicht in Vorhutkämpfen aufreiben, son-
dern ihn intakt zu erhalten bis zum Tag der Entscheidung,) das
ist unsere Hauptaufgabe. Und da ist nur ein Mittel, wodurch das
stetige Anschwellen der sozialistischen Streitkräfte in Deutsch-
land momentan aufgehalten und selbst für einige Zeit zurück-
geworfen werden könnte: ein Zusammenstoß auf großem Maßstab mit
dem Militär, ein Aderlaß wie 1871 in Paris. Auf die Dauer würde
das auch überwunden.
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1*) (2. Fassung:) herrschenden
#525# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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wunden. Eine Partei, die nach Millionen zählt, aus der Welt
schießen, dazu reichen alle Magazingewehre von Europa und Amerika
nicht hin. Aber die normale Entwickelung wäre gehemmt, (der Ge-
walthaufe wäre vielleicht im kritischen Moment nicht verfügbar,)
der Entscheidungskampf 1*) würde verspätet, verlängert und mit
schwereren Opfern verknüpft.
Die Ironie der Weltgeschichte stellt alles auf den Kopf. Wir, die
"Revolutionäre", die "Umstürzler", wir gedeihen weit besser bei
den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Um-
sturz. Die Ordnungsparteien, wie sie sich nennen, gehen zugrunde
an dem von ihnen selbst geschaffenen gesetzlichen Zustand. Sie
rufen verzweifelt mit Odilon Barrot: la légalité nous tue, die
Gesetzlichkeit ist unser Tod[214i, während wir bei dieser Gesetz-
lichkeit pralle Muskeln und rote Backen bekommen und aussehen wie
das ewige Leben. Und wenn w i r nicht so wahnsinnig sind, ihnen
zu Gefallen uns in den Straßenkampf treiben zu lassen, dann
bleibt ihnen zuletzt nichts anderes, als selbst diese ihnen so
fatale Gesetzlichkeit zu durchbrechen.
Einstweilen machen sie neue Gesetze gegen den Umsturz. Es ist
wieder alles auf den Kopf gestellt. Diese Fanatiker des Anti-Um-
sturzes von heute, sind sie nicht selbst die Umstürzer von ge-
stern? Haben w i r etwa den Bürgerkrieg von 1866 heraufbeschwo-
ren? Haben w i r den König von Hannover, den Kurfürsten von
Hessen, den Herzog von Nassau aus ihren angestammten, legitimen
Erblanden vertrieben und diese Erblande annektiert? [445] Und
diese Umstürzer des Deutschen Bundes und dreier Kronen von Gottes
Gnaden beklagen sich über Umsturz? Quis tulerit Gracchos de sedi-
tione querentes? 2*) Wer könnte den Bismarckanbetern erlauben,
auf den Umsturz zu schimpfen?
Mögen sie indes ihre Umsturzvorlagen durchsetzen, sie noch
verschlimmern, das ganze Strafgesetz in Kautschuk verwandeln, sie
werden nichts erreichen als den neuen Beweis ihrer Ohnmacht. Um
der Sozialdemokratie ernstlich auf den Leib zu rücken, werden sie
noch ganz andere Maßregeln ergreifen müssen. Dem sozialdemokrati-
schen Umsturz, der augenblicklich davon lebt 3*), daß er die Ge-
setze hält, können sie nur beikommen durch den ordnungsparteili-
chen Umsturz, der nicht leben kann, ohne daß er die Gesetze
bricht. Herr Rößler, der preußische Bürokrat, und Herr von Bogus-
lawski, der preußische General, haben ihnen den einzigen Weg ge-
zeigt, auf dem man den Arbeitern, die sich nun einmal nicht in
den Straßenkampf
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1*) (2. Fassung:) die Entscheidung - 2*) Wer wird den Gracchen
erlauben, sich über einen Aufruhr zu beklagen? (Juvenal:
"Satiren", II, 24) - 3*) (2. Fassung:) dem es grade jetzt so gut
bekommt
#526# Einleitung zu Marx' "Klassenkämpfe in Frankreich"
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locken lassen, vielleicht noch beikommen kann. Bruch der Verfas-
sung, Diktatur, Rückkehr zum Absolutismus, regis voluntas suprema
lex! 1*) Also nur Mut, meine Herren, hier hilft kein Maulspitzen,
hier muß gepfiffen sein!
Vergessen Sie aber nicht, daß das Deutsche Reich, wie alle Klein-
staaten und überhaupt alle modernen Staaten, ein P r o d u k t
d e s V e r t r a g e s ist; des Vertrages erstens der Fürsten
untereinander, zweitens der Fürsten mit dem Volk. Bricht der eine
Teil den Vertrag, so fällt der ganze Vertrag, der andere Teil ist
dann auch nicht mehr gebunden. (Wie uns das Bismarck 1866 so
schön vorgemacht hat. Brechen Sie also die Reichsverfassung, so
ist die Sozialdemokratie frei, kann Ihnen gegenüber tun und las-
sen, was sie will. Was sie aber dann tun wird - das bindet sie
Ihnen heute schwerlich auf die Nase.)
Es sind nun fast aufs Jahr 1600 Jahre, da wirtschaftete im Römi-
schen Reich ebenfalls eine gefährliche Umsturzpartei. Sie unter-
grub die Religion und alle Grundlagen des Staates; sie leugnete
geradezu, daß des Kaisers Wille das höchste Gesetz, sie war va-
terlandslos, international, sie breitete sich aus über alle
Reichslande von Gallien bis Asien und über die Reichsgrenzen hin-
aus. Sie hatte lange unterirdisch, im verborgenen gewühlt; sie
hielt sich aber schon seit längerer Zeit stark genug, offen ans
Licht zu treten. Diese Umsturzpartei, die unter dem Namen der
Christen bekannt war, hatte auch ihre starke Vertretung im Heer;
ganze Legionen waren christlich. Wenn sie zu den Opferzeremonien
der heidnischen Landeskirche kommandiert wurden, um dort die Hon-
neurs zu machen, trieben die Umstürzlersoldaten die Frechheit so
weit, daß sie zum Protest besondere Abzeichen - Kreuze - an ihre
Helme steckten. Selbst die üblichen Kasernenschurigeleien der
Vorgesetzten waren fruchtlos. Der Kaiser Diokletian konnte nicht
länger ruhig zusehen, wie Ordnung, Gehorsam und Zucht in seinem
Heere untergraben wurden. Er griff energisch ein, weil es noch
Zeit war. Er erließ ein Sozialisten-, wollte sagen Christenge-
setz. Die Versammlungen der Umstürzler wurden verboten, ihre
Saallokalitäten geschlossen oder gar niedergerissen, die christ-
lichen Abzeichen, Kreuze etc., wurden verboten wie in Sachsen die
roten Schnupftücher. Die Christen wurden für unfähig erklärt,
Staatsämter zu bekleiden, nicht einmal Gefreite sollten sie wer-
den dürfen. Da man damals noch nicht über so gut auf das "Ansehen
der Person" dressierte Richter verfügte, wie Herrn von Kollers
Umsturzvorlage [446] sie voraussetzt, so verbot man den Christen
kurzerhand, sich vor Gericht ihr Recht zu holen. Auch dies Aus-
nahmegesetz blieb wirkungslos. Die Christen rissen
-----
1*) des Königs Wille ist das oberste Gesetz!
#527# Einleitung zu Marx "Klassenkämpfe in Frankreich"
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es zum Hohn von den Mauern herunter, ja sie sollen dem Kaiser in
Nikomedien den Palast über dem Kopf angezündet haben. Da rächte
sich dieser durch die große Christenverfolgung des Jahres 303 un-
serer Zeitrechnung. Sie war die letzte ihrer Art. Und sie war so
wirksam, daß siebzehn Jahre später die Armee überwiegend aus
Christen bestand, und der nächstfolgende Selbstherrscher des ge-
samten Römerreichs, Konstantin, von den Pfaffen genannt der
Große, das Christentum proklamierte als Staatsreligion.
London, 6. März 1895
F. Engels
Nach den Setzereifahnen der Ausgabe von 1895.
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