Quelle: MEW 23 Das Kapital - Erster Band


       zurück

       #461# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
       -----
       6. Die  Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie ver-
       drängten Arbeiter
       
       Eine ganze  Reihe bürgerlicher  Ökonomen, wie  James  Mill,  Mac-
       Culloch, Torrens,  Senior, J.  St. Mill  usw. behauptet, daß alle
       Maschinerie, die  Arbeiter verdrängt, stets gleichzeitig und not-
       wendig ein  adäquates Kapital zur Beschäftigung derselben identi-
       schen Arbeiter freisetzt. 213)
       Man unterstelle,  ein Kapitalist  wende 100  Arbeiter an, z.B. in
       einer Tapetenmanufaktur,  den Mann  zu 30  Pfd. St. jährlich. Das
       von ihm  jährlich ausgelegte  variable Kapital  beträgt also 3000
       Pfd.St. Er entlasse 50 Arbeiter und beschäftige die übrigbleiben-
       den 50  mit einer  Maschinerie, die  ihm 1500 Pfd.St. kostet. Der
       Vereinfachung halber  wird von  Baulichkeiten, Kohlen  usw. abge-
       sehn. Man nimmt ferner an, das jährlich verzehrte Rohmaterial ko-
       ste nach  wie vor  3000 Pfd.St. 214) Ist durch diese Metamorphose
       irgendein Kapital.  "freigesetzt"? In der alten Betriebsweise be-
       stand die ausgelegte
       ---
       213) Ricardo  teilte ursprünglich  diese Ansicht,  widerrief  sie
       aber später  ausdrücklich mit  seiner charakteristischen  wissen-
       schaftlichen Unbefangenheit  und Wahrheitsliebe.  Sieh l.c.,  ch.
       XXXI "On Machinery".
       214) NB, ich gebe die Illustration in der Weise der obengenannten
       Ökonomen.
       
       #462# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
       -----
       Gesamtsumme von 6000 Pfd.St. halb aus konstantem und halb aus va-
       riablem Kapital.  Sie besteht  jetzt aus  4500 Pfd.St. (3000 Pfd.
       St. für  Rohmaterial und 1500 Pfd.St. für Maschinerie) konstantem
       und 1500  Pfd.St. variablem  Kapital. Statt der Hälfte bildet der
       variable oder  in lebendige  Arbeitskraft umgesetzte  Kapitalteil
       nur noch  1/4 des  Gesamtkapitals. Statt  der Freisetzung  findet
       hier Bindung  von Kapital  in einer Form statt, worin es aufhört,
       sich gegen  Arbeitskraft auszutauschen,  d.h. Verwandlung von va-
       riablem in  konstantes Kapital.  Das Kapital  von 6000  Pfd.  St.
       kann, unter  sonst gleichbleibenden Umständen, jetzt niemals mehr
       als 50  Arbeiter beschäftigen. Mit jeder Verbeßrung der Maschine-
       rie beschäftigt es weniger. Kostete die neu eingeführte Maschine-
       rie weniger  als die  Summe der  von ihr verdrängten Arbeitskraft
       und Arbeitswerkzeugt,  also z.B.  statt 1500 nur 1000 Pfd.St., so
       würde ein  variables Kapital  von 1000 Pfd.St. in konstantes ver-
       wandelt oder  gebunden, während ein Kapital von 500 Pfd.St. frei-
       gesetzt würde.  Letzteres, denselben Jahreslohn unterstellt, bil-
       det einen  Beschäftigungsfonds für  ungefähr 16 Arbeiter, während
       50 entlassen  sind, ja  für viel  weniger als 16 Arbeiter, da die
       500 Pfd.St.  zu ihrer  Verwandlung in  Kapital wieder zum Teil in
       konstantes Kapital  verwandelt werden  müssen, also  auch nur zum
       Teil in Arbeitskraft umgesetzt werden können.
       Indes, gesetzt  auch, die  Anfertigung der  neuen Maschinerie be-
       schäftige eine  größre Anzahl Mechaniker; soll das eine Kompensa-
       tion sein  für die  aufs Pflaster geworfnen Tapetenmacher? Im be-
       sten Fall beschäftigt ihre Anfertigung weniger Arbeiter, als ihre
       Anwendung verdrängt.  Die Summe von 1500 Pfd.St., die nur den Ar-
       beitslohn der  entlaßnen Tapetenmacher  darstellte, stellt jetzt,
       in der  Gestalt von  Maschinerie, dar: 1. den Wert der ihrer Her-
       stellung erforderlichen Produktionsmittel, 2. den Arbeitslohn der
       sie anfertigenden  Mechaniker. 3. den ihrem "Meister" zufallenden
       Mehrwert. Ferner:  einmal fertig,  braucht die Maschine nicht er-
       neuert zu  werden bis nach ihrem Tod. Um also die zusätzliche An-
       zahl Mechaniker dauernd zu beschäftigen, muß ein Tapetenfabrikant
       nach dem andern Arbeiter durch Maschinen verdrängen.
       In der  Tat meinen  jene Apologeten auch nicht diese Art Freiset-
       zung von  Kapital. Sie  meinen die Lebensmittel der freigesetzten
       Arbeiter. Es kann nicht geleugnet werden, daß im obigen Fall z.B.
       die Maschinerie  nicht nur  50  Arbeiter  freisetzt  und  dadurch
       "disponibel" macht, sondern zugleich ihren Zummenhang mit Lebens-
       mitteln zum  Wert von 1500 Pfd. St. aufhelbt und so diese Lebens-
       mittel "freisetzt".  Die einfache  und keineswegs  neue Tatsache,
       daß die Maschinerie den Arbeiter von Lebensmitteln
       
       #463# 13. KapiteI - Maschine und große Industrie
       -----
       freisetzt, lautet also ökonomisch, daß die Maschinerie Lebensmit-
       tel für  den Arbeiter  freisetzt oder in Kapital zu seiner Anwen-
       dung verwandelt. Man sieht, es kommt alles auf die Ausdrucksweise
       an. Nominibus mollire licet mala. [124]
       Nach dieser  Theorie waren  die Lebensmittel  zum Wert  von  1500
       Pfd.St. ein  durch die Arbeit der fünfzig entlaßnen Tapetenarbei-
       ter verwertetes Kapital. Dies Kapital verliert folglich seine Be-
       schäftigung, sobald  die fünfzig Feiertag bekommen, und hat nicht
       Ruh noch  Rast, bis es eine neue "Anlage" gefunden, worin besagte
       fünfzig es  wieder produktiv konsumieren können. Früher oder spä-
       ter müssen  also Kapital und Arbeiter sich wieder zusammenfinden,
       und dann  ist die  Kompensation da.  Die Leiden der durch die Ma-
       schinerie verdrängten  Arbeiter sind  also ebenso vergänglich wie
       die Reichtümer dieser Welt.
       Die Lebensmittel  zum Betrag von 1500 Pfd.St. standen den entlaß-
       nen Arbeitern  niemals als Kapital gegenüber. Was ihnen als Kapi-
       tal gegenüberstand,  waren die  jetzt in Maschinerie verwandelten
       1500 Pfd.St. Näher betrachtet, repräsentierten diese 1500 Pfd.St.
       nur einen Teil der vermittelst der entlaßnen 50 Arbeiter jährlich
       produzierten Tapeten, die sie in Geldform statt in natura von ih-
       rem Anwender  zum Lohn erhielten. Mit den in 1500 Pfd.St. verwan-
       delten Tapeten  kauften sie  Lebensmittel  zu  demselben  Betrag.
       Diese existierten  für sie  daher nicht  als Kapital, sondern als
       Waren, und sie selbst existierten für diese Waren nicht als Lohn-
       arbeiter, sondern  als Käufer.  Der Umstand,  daß die Maschinerie
       sie von Kaufmitteln "freigesetzt" hat, verwandelt sie aus Käufern
       in Nicht-Käufer.  Daher verminderte  Nachfrage  für  jene  Waren.
       Voilà tout. 1*) Wird diese verminderte Nachfrage nicht durch ver-
       mehrte Nachfrage  von andrer  Seite  kompensiert,  so  sinkt  der
       Marktpreis der  Waren. Dauert dies länger und in größrem Umfange,
       so erfolgt  ein Deplacement der in der Produktion jener Waren be-
       schäftigten Arbeiter.  Ein Teil  des Kapitals, das früher notwen-
       dige Lebensmittel  produzierte, wird in andrer Form reproduziert.
       Während des  Falls der Marktpreise und des Deplacements von Kapi-
       tal werden  auch die in der Produktion der notwendigen Lebensmit-
       tel  beschäftigten   Arbeiter  von   einem   Teil   ihres   Lohns
       "freigesetzt". Statt  also zu beweisen, daß die Maschinerie durch
       die Freisetzung  der Arbeiter  von Lebensmitteln letztere gleich-
       zeitig in  Kapital zur  Anwendung der erstren verwandelt, beweist
       der Herr  Apologet mit  dem probaten Gesetz von Nachfrage und Zu-
       fuhr umgekehrt, daß die Maschinerie nicht nur in dem Produktions-
       zweig,
       -----
       1*) Das ist alles.
       
       #464# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
       -----
       worin sie  eingeführt, sondern  auch in  den  Produktionszweigen,
       worin sie nicht eingeführt wird, Arbeiter aufs Pflaster wirft.
       Die wirklichen,  vom ökonomischen Optimismus travestierten Tatsa-
       chen sind  diese: Die  von der  Maschinerie verdrängten  Arbeiter
       werden aus der Werkstatt hinaus auf den Arbeitsmarkt geworfen und
       vermehren dort  die Zahl der schon für kapitalistische Ausbeutung
       disponiblen Arbeitskräfte.  Im siebenten Abschnitt wird sich zei-
       gen, daß  diese Wirkung  der Maschinerie,  die uns  hier als eine
       Kompensation für  die Arbeiterklasse dargestellt wird, den Arbei-
       ter im  Gegenteil als  furchtbarste Geißel trifft. Hier nur dies:
       Die aus  einem Industriezweig hinausgeworfnen Arbeiter können al-
       lerdings in  irgendeinem andern  Beschäftigung suchen. Finden sie
       solche, und knüpft sich damit das Band zwischen ihnen und den mit
       ihnen freigesetzten  Lebensmitteln wieder, so geschieht dies ver-
       mittelst eines  neuen, zuschüssigen  Kapitals,  das  nach  Anlage
       drängt, keineswegs  aber vermittelst des schon früher funktionie-
       renden und jetzt in Maschinerie verwandelten Kapitals. Und selbst
       dann, wie  geringe Aussicht haben sie! Verkrüppelt durch die Tei-
       lung der  Arbeit, sind  diese armen  Teufel außerhalb ihres alten
       Arbeitskreises so  wenig wert,  daß sie  nur in wenigen niedrigen
       und daher beständig überfüllten und unterbezahlten Arbeitszweigen
       Zugang finden.  215) Ferner attrahiert jeder Industriezweig jähr-
       lich einen  neuen Menschenstrom,  der ihm sein Kontingent zum re-
       gelmäßigen Ersatz  und Wachstum  liefert. Sobald  die Maschinerie
       einen Teil der bisher in einem bestimmten Industriezweig beschäf-
       tigten Arbeiter  freisetzt, wird  auch die  Ersatzmannschaft  neu
       verteilt und  in andern  Arbeitszweigen absorbiert,  während  die
       ursrünglichen Opfer  in der  Übergangszeit großenteils  verkommen
       und verkümmern.
       Es ist  eine unzweifelhafte Tatsache, daß die Maschinerie an sich
       nicht verantwortlich  ist für  die "Freisetzung" der Arbeiter von
       Lebensmitteln. Sie verwohlfeilert und vermehrt das Produkt in dem
       Zweig, den  sie ergreift, und läßt die in andren Industriezweigen
       produzierte Lebensmittelmasse  zunächst unverändert. Nach wie vor
       ihrer Einführung besitzt die
       ---
       215) Ein  Ricardianer bemerkt  hierüber gegen  die Fadaisen  J.B.
       Says: "Bei  entwickelter Teilung  der Arbeit ist das Geschick der
       Arbeiter nur  in dem  besondren Zweig  anwendbar, worin sie ange-
       lernt wurden;  sie selbst  sind eine  Art von Maschinen. Es hilft
       daher absolut  nichts, papageimäßig  zu plappern,  daß die  Dinge
       eine Tendenz  haben, ihr  Niveau zu  finden. Wir  müssen  um  uns
       schauen und  sehn, daß sie für lange Zeit ihr Niveau nicht finden
       können; daß,  wenn sie  es finden, das Niveau niedriger steht als
       beim Anfang  des Prozesses."  ("An Inquiry  into those Principles
       reapeating the Nature of Demand etc.", Lond. 1821, p. 72.)
       
       #465# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
       -----
       Gesellschaft also  gleich viel oder mehr Lebensmittel für die de-
       placierten Arbeiter, ganz abgesehn von dem enormen Teil des jähr-
       lichen Produkts,  der von Nichtarbeitern vergeudet wird. Und dies
       ist die Pointe der ökonomischen Apologetik! Die von der kapitali-
       stischen Anwendung  der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und
       Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie
       selbst erwachsen,  sondern aus  ihrer kapitalistischen Anwendung!
       Da also  die Maschinerie  an sich betrachtet die Arbeitszeit ver-
       kürzt, während  sie kapitalistisch  angewandt den Arbeitstag ver-
       längert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt
       ihre Intensität  steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die
       Naturkraft ist,  kapitalistisch angewandt  den Menschen durch die
       Naturkraft unterjocht,  an sich den Reichtum des Produzenten ver-
       mehrt, kapitalistisch  angewandt ihn verpaupert usw., erklärt der
       bürgerliche Ökonom  einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie
       beweise haarscharf,  daß alle  jene handgreiflichen  Widersprüche
       bloßer Schein  der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch
       in der  Theorie gar  nicht vorhanden sind. Er spart sich so alles
       weitre Kopfzerbrechen  und bürdet  seinem  Gegner  obendrein  die
       Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie
       zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst.
       Keineswegs leugnet  der bürgerliche  Ökonom, daß dabei auch zeit-
       weilige Unannehmlichkeiten herauskommen; aber wo gäbe es eine Me-
       daille ohne Kehrseite! Eine andre als die kapitalistische Ausnut-
       zung der Maschinerie ist für ihn unmöglich. Ausbeutung des Arbei-
       ters durch die Maschine ist ihm also identisch mit Ausbeutung der
       Maschine durch den Arbeiter. Wer also enthüllt, wie es um die ka-
       pitalistische Anwendung  der Maschinerie in Wirklichkeit bestellt
       ist, der  will ihre Anwendung überhaupt nicht, der ist ein Gegner
       des sozialen  Fortschritts! 216) Ganz das Räsonnement des berühm-
       ten Gurgelschneiders Bill Sikes:
       
       "Meine Herren  Geschwornen, diesen  Handlungsreisenden ist aller-
       dings die  Gurgel abgeschnitten  worden. Diese  Tatsache aber ist
       nicht meine  Schuld, sie  ist die  Schuld des Messers. Sollen wir
       wegen solcher  zeitweiligen Unannehmlichkeiten  den Gebrauch  des
       Messers abschaffen?  Bedenken Sie  ja! Wo wäre Ackerbau und Hand-
       werk ohne
       ---
       216) Ein Virtuose in diesem anmaßlichen Kretinismus ist u.a. Mac-
       Culloch. "Wenn  es vorteilhaft  ist", sagt er z.B. mit der affek-
       tierten Naivetät eines Kindes von 8 Jahren, "das Geschick des Ar-
       beiters mehr  und mehr  zu entwickeln,  so daß er fähig wird, ein
       stets wachsendes  Warenquantum mit  demselben oder geringerem Ar-
       beitsquantum zu produzieren, so muß es auch vorteilhaft sein, daß
       er sich  solcher Maschinerie zu seinem Beistande bediene, wie sie
       ihn am  wirksamsten in  der Erreichung  dieses  Resultats  unter-
       stützt." (MacCulloch,  "Princ. of  Pol. Econ.".  Lond.  1830,  p.
       182.)
       
       #466# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
       -----
       Messer? Ist es nicht ebenso heilbringend in der Chirurgie wie ge-
       lehrt in der Anatomie? Dazu williger Gehilfe bei fröhlichem Mahl?
       Schaffen Sie  das Messer  ab -  Sie schleudern  uns zurück in die
       tiefste Barbarei." 216a)
       
       Obwohl die  Maschinerie notwendig  Arbeiter verdrängt  in den Ar-
       beitszweigen, wo  sie eingeführt  wird, so  kann sie dennoch eine
       Zunahme von  Beschäftigung in  andern Arbeitszweigen hervorrufen.
       Diese Wirkung  hat aber nichts gemein mit der sogenannten Kompen-
       sationstheorie. Da jedes Maschinenprodukt, z.B. eine Elle Maschi-
       nengeweb, wohlfeiler  ist als das von ihm verdrängte gleichartige
       Handprodukt, folgt als absolutes Gesetz: Bleibt das Gesamtquantum
       des maschinenmäßig produzierten Artikels gleich dem Gesamtquantum
       des von  ihm ersetzten handwerks- oder manufakturmäßig produzier-
       ten Artikels,  so vermindert sich die Gesamtsumme der angewandten
       Arbeit. Die  etwa zur  Produktion der  Arbeitsrnittel selbst, der
       Maschinerie, Kohle  usw., erheischte  Arbeitszunahme muß  kleiner
       sein als  die durch Anwendung der Maschinerie bewirkte Arbeitsab-
       nahme. Das  Maschinenprodukt wäre  sonst ebenso teuer oder teurer
       als das  Handprodukt. Statt aber gleichzubleiben, wächst tatsäch-
       lich die  Gesamtmasse des  von einer  verminderten Arbeiteranzahl
       produzierten Maschinenartikels weit über die Gesamtmasse des ver-
       drängten Handwerksartikels. Gesetzt, 400 000 Ellen Maschinengeweb
       wurden von weniger Arbeitern produziert als 100 000 Ellen Handge-
       web. In  dem vervierfachten  Produkt steckt viermal mehr Rohmate-
       rial. Die  Produktion des Rohmaterials muß also vervierfacht wer-
       den. Was  aber die  verzehrten Arbeitsmittel,  wie Baulichkeiten,
       Kohlen, Maschinen  usw. betrifft,  so ändert sich die Grenze, in-
       nerhalb deren  die zu ihrer Produktion erheischte zusätzliche Ar-
       beit wachsen  kann, mit  der Differenz zwischen der Masse des Ma-
       schinenprodukts und der Masse des von derselben Arbeiterzahl her-
       stellbaren Handprodukts.
       Mit der  Ausdehnung des Maschinenbetriebs in einem Industriezweig
       steigert sich also zunächst die Produktion in den andren Zweigen,
       die ihm  seine Produktionsmittel liefern. Wieweit dadurch die be-
       schäftigte Arbeitermasse wächst, hängt, Länge des Arbeitstags und
       Intensität der  Arbeit gegeben,  von der Zusammensetzung der ver-
       wandten Kapitale ab, d.h. vom Verhältnis ihrer konstanten und va-
       riablen Bestandteile.  Dies Verhältnis  seinerseits variiert sehr
       mit dem Umfang, worin die Maschinerie jene
       ---
       216a) "Der  Erfinder der  Spinnmaschine hat  Indien ruiniert, was
       uns indes  wenig rührt." (A. Thiers, De la Propriété", [p. 275].)
       Herr Thiers  verwechselt hier  die Spinnmaschine mit dem mechani-
       schen Webstuhl, "was uns indes wenig rührt".
       
       #467# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
       -----
       Gewerbe selbst  schon ergriffen  hat oder ergreift. Die Anzahl zu
       Kohlen- und  Metallbergwerken verurteilter Menschen schwoll unge-
       heuer mit  dem Fortschritt  des englischen  Maschinenwesens,  ob-
       gleich ihr  Anwachs in den letzten Dezennien durch Gebrauch neuer
       Maschinerie für  den Bergbau verlangsamt wird. 217) Eine neue Ar-
       beiterart springt  mit der Maschine ins Leben, ihr Produzent. Wir
       wissen bereits, daß der Maschinenbetrieb sich dieses Produktions-
       zweigs selbst  auf stets  massenhafterer Stufenleiter bemächtigt.
       218) Was  ferner das  Rohmaterial betrifft,  219)so unterliegt es
       z.B. keinem  Zweifel, daß  der Sturmmarsch  der Baumwollspinnerei
       den Baumwollbau der Vereinigten Staaten und mit ihm nicht nur den
       afrikanischen  Sklavenhandel   treibhausmäßig  förderte,  sondern
       zugleich die  Negerzucht zum Hauptgeschäft der sogenannten Grenz-
       Sklavenstaaten machte.  Als 1790  der erste  Sklavenzensus in den
       Vereinigten Staaten  aufgenommen ward,  betrug ihre Zahl 697 000,
       dagegen 1861  ungefähr vier  Millionen. Andrerseits  ist es nicht
       minder gewiß,  daß das  Aufblühen der mechanischen Wollfabrik mit
       der progressiven Verwandlung von Ackerland in Schafweide die mas-
       senhafte Verjagung  und Überzähligmachung"  der Landarbeiter her-
       vorrief. Irland macht noch in diesem Augenblick den Prozeß durch,
       seine seit  1845 beinahe  um die  Hälfte verminderte  Bevölkerung
       noch weiter auf das dem Bedürfnis seiner Landlords und der engli-
       schen Herrn  Wollfabrikanten exakt entsprechende Maß herabzudrüc-
       ken.
       Ergreift die Maschinerie Vor- oder Zwischenstufen, welche ein Ar-
       beitsgegenstand bis zu seiner letzten Form zu durchlaufen hat, so
       vermehrt sich mit dem Arbeitsmaterial die Arbeitsnachfrage in den
       noch handwerksoder manufakturmäßig betriebnen Gewerken, worin das
       Maschinenfabrikat
       ---
       217) Nach  dem Zensus  von 1861  (Vol. II, Lond. 1863) betrug die
       Zahl der  in den  Kohlenbergwerken von England und Wales beschäf-
       tigten Arbeiter  246613, wovon  73546 unter  und 173067  über  20
       Jahre. Zur  ersten Rubrik gehören 835 fünf bis zehnjährige, 30701
       zehn- bis  fünfzehnjährige, 42010  fünfzehn- bis neunzehnjährige.
       Die Zahl  der in  Eisen-, Kupfer-,  Blei-, Zinn- und allen andren
       Metallminen Beschäftigten: 319222.
       218) In  England und Wales 1861 in der Produktion von Maschinerie
       beschäftigt: 60807  Personen, eingezahlt die Fabrikanten samt ih-
       ren Kommis  usw., ditto  alle Agenten  und Handelsleute in diesem
       Fach. Ausgeschlossen dagegen die Produzenten kleinerer Maschinen,
       wie Nähmaschinen  usw., ebenso  die Produzenten der Werkzeuge für
       die Arbeitsmaschinen,  wie Spindeln usw. Zahl sämtlicher Zivilin-
       genieure betrug 3329.
       219) Da  Eisen einer  der wichtigsten  Rohstoffe, so sei hier be-
       merkt, daß  1861 in  England und  Wales 125771 Eisengießer, wovon
       123430 männlich,  2341 weiblich.  Von den erstern 30810 unter und
       92620 über 20 Jahre.
       
       #468# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
       -----
       eingeht. Die  Maschinenspinnerei z.B.  lieferte das Garn so wohl-
       feil und so reichlich, daß die Handweber zunächst, ohne vermehrte
       Auslage, volle  Zeit arbeiten  konnten. So  stieg ihr  Einkommen.
       220) Daher Menschenzufluß in die Baumwollweberei, bis schließlich
       die von Jenny, Throstle und Mule in England z.B. ins Leben geruf-
       nen 800 000  Baumwollweber wieder  vom  Dampfwebstuhl  erschlagen
       wurden. So  wächst mit dem Überfluß der maschinenmäßig produzier-
       ten Kleidungsstoffe  die Zahl  der Schneider, Kleidermacherinnen,
       Näherinnen usw., bis die Nähmaschine erscheint.
       Entsprechend der steigenden Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten,
       Arbeitsinstrumenten usw.,  die der  Maschinenbetrieb mit  relativ
       geringer Arbeiterzahl  liefert, sondert sich die Bearbeitung die-
       ser Rohstoffe  und Halbfabrikate  in zahllose  Unterarten, wächst
       also die  Mannigfaltigkeit  der  gesellschaftlichen  Produktions-
       zweige. Der Maschinenbetrieb treibt die gesellschaftliche Teilung
       der Arbeit  ungleich weiter  als die Manufaktur, weil er die Pro-
       duktivkraft der  von ihm  ergriffnen Gewerbe  in ungleich  höhrem
       Grad vermehrt.
       Das nächste  Resultat  der  Maschinerie  ist,  den  Mehrwert  und
       zugleich die  Produktenmasse, worin  er sich  darstellt, also mit
       der Substanz,  wovon die  Kapitalistenklasse samt  Anhang  zehrt,
       diese Gesellschaftsschichten selbst zu vergrößern. Ihr wachsender
       Reichtum und  die relativ  beständig fallende Anzahl der zur Pro-
       duktion der ersten Lebensmittel erheischten Arbeiter erzeugen mit
       neuem Luxusbedürfnis  zugleich neue  Mittel seiner  Befriedigung.
       Ein größter  Teil des gesellschaftlichen Produkts verwandelt sich
       in Surplusprodukt und in größrer Teil des Surplusprodukts wird in
       verfeinerten und  vermannigfachten Formen  reproduziert und  ver-
       zehrt. In  andren Worten:  Die Luxusproduktion  wächst. 221)  Die
       Verfeinerung und  Vermannigfachung der Produkte entspringt ebenso
       aus den neuen weltmarktlichen Beziehungen, welche die große Indu-
       strie schafft.  Es werden nicht nur mehr ausländische Genußmittel
       gegen das heimische Produkt
       ---
       220) "Eine Familie von 4 erwachsnen Personen (Baumwollwebern) mit
       zwei Kindern  als winders  1*) gewann Ende des letzten und Anfang
       des  gegenwärtigen   Jahrhunderts  4   Pfd.St.  per   Woche   bei
       10stündiger Tagesarbeit; war die Arbeit sehr dringend, so konnten
       sie mehr  verdienen... Früher  hatten sie immer gelitten von man-
       gelnder Garnzufuhr." (Gaskell, l.c.p. 34, 35.)
       221) F.  Engels in "Lage usw." 2*) weist den jämmerlichen Zustand
       eines großen  Teils grade  dieser Luxusarbeiter nach. Massenhafte
       neue Belege hierzu in den Berichten der "Child. Empl. Comm."
       -----
       1*) Haspler -2*) siehe Band 2 unserer Ausgabe
       
       #469# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
       -----
       ausgetauscht, sondern es geht auch eine größre Masse fremder Roh-
       stoffe, Ingredienzien,  Halbfabrikate usw.  als Produktionsmittel
       in die heimische Industrie ein. Mit diesen weltmarktlichen Bezie-
       hungen steigt  die Arbeitsnachfrage in der Transportindustrie und
       spaltet sich letztre in zahlreiche neue Unterarten. 222)
       Die Vermehrung von Produktions- und Lebensmitteln bei relativ ab-
       nehmender Arbeiterzahl  treibt zur Ausdehnung der Arbeit in Indu-
       striezweigen, deren  Produkte, wie  Kanäle, Warendocks,  Tunnels,
       Brücken usw.,  nur in  fernrer Zukunft  Früchte tragen. Es bilden
       sich, entweder  direkt auf  der Grundlage  der Maschinerie,  oder
       doch der  ihr entsprechenden  allgemein industriellen  Umwälzung,
       ganz neue  Produktionszweige und  daher neue  Arbeitsfelder.  Ihr
       Raumanteil an  der Gesamtproduktion ist jedoch selbst in den mei-
       stentwickeiten Ländern  keineswegs bedeutend.  Die Anzahl der von
       ihnen beschäftigten Arbeiter steigt im direkten Verhältnis, worin
       die  Notwendigkeit  rohster  Handarbeit  reproduziert  wird.  Als
       Hauptindustrien dieser  Art kann  man gegenwärtig Gaswerke, Tele-
       graphie, Photographie,  Dampfschiffahrt  und  Eisenbahnwesen  be-
       trachten. Der  Zensus von  1861 (für England und Wales) ergibt in
       der Gasindustrie (Gaswerke, Produktion der mechanischen Apparate,
       Agenten der  Gaskompagnien  usw.)  15 211  Personen,  Telegraphie
       2399, Photographie  2366, Dampfschiffdienst  3570 und Eisenbahnen
       70 599, worunter  ungefähr 28 000  mehr oder minder permanent be-
       schäftigte "ungeschickte"  Erdarbeiter nebst  dem ganzen  admini-
       strativen und kommerziellen Personal. Also Gesamtzahl der Indivi-
       duen in diesen fünf neuen Industrien 94 145.
       Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den
       Sphären der  großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von inten-
       siv und  extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in al-
       len übrigen  Produktionssphären, einen stets größren Teil der Ar-
       beiterklasse unproduktiv zu verwenden und so namentlich die alten
       Haussklaven unter dem Namen der "dienenden Klasse", wie Bediente,
       Mägde, Lakaien  usw., stets  massenhafter zu  reproduzieren. Nach
       dem Zensus  von 1861 zählte die Gesamtbevölkerung von England und
       Wales  20 066 224   Personen,  wovon   9 776 259   männlich   und
       10 289 965 weiblich.  Zieht man  hiervon ab,  was zu  alt oder zu
       jung zur Arbeit, alle "unproduktiven" Weiber, jungen Personen und
       Kinder, dann  die "ideologischen" Stände, wie Regierung, Pfaffen,
       Juristen, Militär  usw., ferner  alle, deren ausschließliches Ge-
       schäft der  Verzehr fremder  Arbeit in  der Form  von Grundrente,
       Zins usw., endlich Paupers, Vagabunden
       ---
       222) 1861  in England  und Wales  94665 in  der Handelsmarine be-
       schäftigte Seeleute.
       
       #470# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
       -----
       Verbrecher usw.,  so bleiben in rauher Zahl 8 Millionen beiderlei
       Geschlechts und  der verschiedensten  Altersstufen, mit Einschluß
       sämtlicher irgendwie  in der  Produktion, dem  Handel, der Finanz
       usw. funktionierenden Kapitalisten. Von diesen 8 Millionen kommen
       auf:
       
       Ackerbauarbeiter (mit Einschluß der
       Hirten und bei Pächtern wohnenden
       Ackersknechte und Mägde)                   1 098 261 Personen
       Alle in Baumwoll-, Woll-, Worsted-,
       Flachs-, Hanf-, Seide-, Jutefabriken
       und in der mechanischen Strumpfwirkerei
       und Spitzenfabrikation Beschäftigten         642 607  223) "
       Alle in Kohlen- und Metallbergwerken
       Beschäftigten                                565 835       "
       In sämtlichen Metallwerken (Hochöfen,
       Walzwerke usw.) und Metallmanufakturen
       aller Art Beschäftigten                      396 998  224) "
       Dienende Klasse1                           1 208 648  225) "
       
       Rechnen wir  die in  allen textilen  Fabriken chäftigten zusammen
       mit dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir
       1 208 442; rechnen  wir sie  zusammen mit  dem Personal aller Me-
       tallwerke und Manufakturen, so die Gesamtzahl 1 039 605, beidemal
       kleiner als  die Zahl  der modernen Haussklaven. Welch erhebendes
       Resultat der kapitalistisch exploitierten Maschinerie!
       ---
       223) Davon nur 177596 männlichen Geschlechts über 13 Jahre.
       224) Davon weiblichen Geschlechts 30501.
       225) Davon  männlichen Geschlechts:  137447. Ausmchlossen von den
       1208648 alles Personal, das nicht in Privathäusern dient.
       Zusatz zur  2. Ausg.  Von 1861 bis 1870 hat sich die Zahl männli-
       cher Diener  beinahe verdoppelt.  Sie war angewachsen auf 267671.
       Im Jahr  1847 gab  es 2694  Wildhüter (für  die  aristokratischen
       Wildgehege). 1869 dagegen 4921. - Die jungen, beim Londoner klei-
       nen Spießbürger  dienenden Midchen  hießen  in  der  Volkssprache
       "little slaveys", kleine Sklaven.

       zurück