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#461# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
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6. Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie ver-
drängten Arbeiter
Eine ganze Reihe bürgerlicher Ökonomen, wie James Mill, Mac-
Culloch, Torrens, Senior, J. St. Mill usw. behauptet, daß alle
Maschinerie, die Arbeiter verdrängt, stets gleichzeitig und not-
wendig ein adäquates Kapital zur Beschäftigung derselben identi-
schen Arbeiter freisetzt. 213)
Man unterstelle, ein Kapitalist wende 100 Arbeiter an, z.B. in
einer Tapetenmanufaktur, den Mann zu 30 Pfd. St. jährlich. Das
von ihm jährlich ausgelegte variable Kapital beträgt also 3000
Pfd.St. Er entlasse 50 Arbeiter und beschäftige die übrigbleiben-
den 50 mit einer Maschinerie, die ihm 1500 Pfd.St. kostet. Der
Vereinfachung halber wird von Baulichkeiten, Kohlen usw. abge-
sehn. Man nimmt ferner an, das jährlich verzehrte Rohmaterial ko-
ste nach wie vor 3000 Pfd.St. 214) Ist durch diese Metamorphose
irgendein Kapital. "freigesetzt"? In der alten Betriebsweise be-
stand die ausgelegte
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213) Ricardo teilte ursprünglich diese Ansicht, widerrief sie
aber später ausdrücklich mit seiner charakteristischen wissen-
schaftlichen Unbefangenheit und Wahrheitsliebe. Sieh l.c., ch.
XXXI "On Machinery".
214) NB, ich gebe die Illustration in der Weise der obengenannten
Ökonomen.
#462# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
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Gesamtsumme von 6000 Pfd.St. halb aus konstantem und halb aus va-
riablem Kapital. Sie besteht jetzt aus 4500 Pfd.St. (3000 Pfd.
St. für Rohmaterial und 1500 Pfd.St. für Maschinerie) konstantem
und 1500 Pfd.St. variablem Kapital. Statt der Hälfte bildet der
variable oder in lebendige Arbeitskraft umgesetzte Kapitalteil
nur noch 1/4 des Gesamtkapitals. Statt der Freisetzung findet
hier Bindung von Kapital in einer Form statt, worin es aufhört,
sich gegen Arbeitskraft auszutauschen, d.h. Verwandlung von va-
riablem in konstantes Kapital. Das Kapital von 6000 Pfd. St.
kann, unter sonst gleichbleibenden Umständen, jetzt niemals mehr
als 50 Arbeiter beschäftigen. Mit jeder Verbeßrung der Maschine-
rie beschäftigt es weniger. Kostete die neu eingeführte Maschine-
rie weniger als die Summe der von ihr verdrängten Arbeitskraft
und Arbeitswerkzeugt, also z.B. statt 1500 nur 1000 Pfd.St., so
würde ein variables Kapital von 1000 Pfd.St. in konstantes ver-
wandelt oder gebunden, während ein Kapital von 500 Pfd.St. frei-
gesetzt würde. Letzteres, denselben Jahreslohn unterstellt, bil-
det einen Beschäftigungsfonds für ungefähr 16 Arbeiter, während
50 entlassen sind, ja für viel weniger als 16 Arbeiter, da die
500 Pfd.St. zu ihrer Verwandlung in Kapital wieder zum Teil in
konstantes Kapital verwandelt werden müssen, also auch nur zum
Teil in Arbeitskraft umgesetzt werden können.
Indes, gesetzt auch, die Anfertigung der neuen Maschinerie be-
schäftige eine größre Anzahl Mechaniker; soll das eine Kompensa-
tion sein für die aufs Pflaster geworfnen Tapetenmacher? Im be-
sten Fall beschäftigt ihre Anfertigung weniger Arbeiter, als ihre
Anwendung verdrängt. Die Summe von 1500 Pfd.St., die nur den Ar-
beitslohn der entlaßnen Tapetenmacher darstellte, stellt jetzt,
in der Gestalt von Maschinerie, dar: 1. den Wert der ihrer Her-
stellung erforderlichen Produktionsmittel, 2. den Arbeitslohn der
sie anfertigenden Mechaniker. 3. den ihrem "Meister" zufallenden
Mehrwert. Ferner: einmal fertig, braucht die Maschine nicht er-
neuert zu werden bis nach ihrem Tod. Um also die zusätzliche An-
zahl Mechaniker dauernd zu beschäftigen, muß ein Tapetenfabrikant
nach dem andern Arbeiter durch Maschinen verdrängen.
In der Tat meinen jene Apologeten auch nicht diese Art Freiset-
zung von Kapital. Sie meinen die Lebensmittel der freigesetzten
Arbeiter. Es kann nicht geleugnet werden, daß im obigen Fall z.B.
die Maschinerie nicht nur 50 Arbeiter freisetzt und dadurch
"disponibel" macht, sondern zugleich ihren Zummenhang mit Lebens-
mitteln zum Wert von 1500 Pfd. St. aufhelbt und so diese Lebens-
mittel "freisetzt". Die einfache und keineswegs neue Tatsache,
daß die Maschinerie den Arbeiter von Lebensmitteln
#463# 13. KapiteI - Maschine und große Industrie
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freisetzt, lautet also ökonomisch, daß die Maschinerie Lebensmit-
tel für den Arbeiter freisetzt oder in Kapital zu seiner Anwen-
dung verwandelt. Man sieht, es kommt alles auf die Ausdrucksweise
an. Nominibus mollire licet mala. [124]
Nach dieser Theorie waren die Lebensmittel zum Wert von 1500
Pfd.St. ein durch die Arbeit der fünfzig entlaßnen Tapetenarbei-
ter verwertetes Kapital. Dies Kapital verliert folglich seine Be-
schäftigung, sobald die fünfzig Feiertag bekommen, und hat nicht
Ruh noch Rast, bis es eine neue "Anlage" gefunden, worin besagte
fünfzig es wieder produktiv konsumieren können. Früher oder spä-
ter müssen also Kapital und Arbeiter sich wieder zusammenfinden,
und dann ist die Kompensation da. Die Leiden der durch die Ma-
schinerie verdrängten Arbeiter sind also ebenso vergänglich wie
die Reichtümer dieser Welt.
Die Lebensmittel zum Betrag von 1500 Pfd.St. standen den entlaß-
nen Arbeitern niemals als Kapital gegenüber. Was ihnen als Kapi-
tal gegenüberstand, waren die jetzt in Maschinerie verwandelten
1500 Pfd.St. Näher betrachtet, repräsentierten diese 1500 Pfd.St.
nur einen Teil der vermittelst der entlaßnen 50 Arbeiter jährlich
produzierten Tapeten, die sie in Geldform statt in natura von ih-
rem Anwender zum Lohn erhielten. Mit den in 1500 Pfd.St. verwan-
delten Tapeten kauften sie Lebensmittel zu demselben Betrag.
Diese existierten für sie daher nicht als Kapital, sondern als
Waren, und sie selbst existierten für diese Waren nicht als Lohn-
arbeiter, sondern als Käufer. Der Umstand, daß die Maschinerie
sie von Kaufmitteln "freigesetzt" hat, verwandelt sie aus Käufern
in Nicht-Käufer. Daher verminderte Nachfrage für jene Waren.
Voilà tout. 1*) Wird diese verminderte Nachfrage nicht durch ver-
mehrte Nachfrage von andrer Seite kompensiert, so sinkt der
Marktpreis der Waren. Dauert dies länger und in größrem Umfange,
so erfolgt ein Deplacement der in der Produktion jener Waren be-
schäftigten Arbeiter. Ein Teil des Kapitals, das früher notwen-
dige Lebensmittel produzierte, wird in andrer Form reproduziert.
Während des Falls der Marktpreise und des Deplacements von Kapi-
tal werden auch die in der Produktion der notwendigen Lebensmit-
tel beschäftigten Arbeiter von einem Teil ihres Lohns
"freigesetzt". Statt also zu beweisen, daß die Maschinerie durch
die Freisetzung der Arbeiter von Lebensmitteln letztere gleich-
zeitig in Kapital zur Anwendung der erstren verwandelt, beweist
der Herr Apologet mit dem probaten Gesetz von Nachfrage und Zu-
fuhr umgekehrt, daß die Maschinerie nicht nur in dem Produktions-
zweig,
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1*) Das ist alles.
#464# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
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worin sie eingeführt, sondern auch in den Produktionszweigen,
worin sie nicht eingeführt wird, Arbeiter aufs Pflaster wirft.
Die wirklichen, vom ökonomischen Optimismus travestierten Tatsa-
chen sind diese: Die von der Maschinerie verdrängten Arbeiter
werden aus der Werkstatt hinaus auf den Arbeitsmarkt geworfen und
vermehren dort die Zahl der schon für kapitalistische Ausbeutung
disponiblen Arbeitskräfte. Im siebenten Abschnitt wird sich zei-
gen, daß diese Wirkung der Maschinerie, die uns hier als eine
Kompensation für die Arbeiterklasse dargestellt wird, den Arbei-
ter im Gegenteil als furchtbarste Geißel trifft. Hier nur dies:
Die aus einem Industriezweig hinausgeworfnen Arbeiter können al-
lerdings in irgendeinem andern Beschäftigung suchen. Finden sie
solche, und knüpft sich damit das Band zwischen ihnen und den mit
ihnen freigesetzten Lebensmitteln wieder, so geschieht dies ver-
mittelst eines neuen, zuschüssigen Kapitals, das nach Anlage
drängt, keineswegs aber vermittelst des schon früher funktionie-
renden und jetzt in Maschinerie verwandelten Kapitals. Und selbst
dann, wie geringe Aussicht haben sie! Verkrüppelt durch die Tei-
lung der Arbeit, sind diese armen Teufel außerhalb ihres alten
Arbeitskreises so wenig wert, daß sie nur in wenigen niedrigen
und daher beständig überfüllten und unterbezahlten Arbeitszweigen
Zugang finden. 215) Ferner attrahiert jeder Industriezweig jähr-
lich einen neuen Menschenstrom, der ihm sein Kontingent zum re-
gelmäßigen Ersatz und Wachstum liefert. Sobald die Maschinerie
einen Teil der bisher in einem bestimmten Industriezweig beschäf-
tigten Arbeiter freisetzt, wird auch die Ersatzmannschaft neu
verteilt und in andern Arbeitszweigen absorbiert, während die
ursrünglichen Opfer in der Übergangszeit großenteils verkommen
und verkümmern.
Es ist eine unzweifelhafte Tatsache, daß die Maschinerie an sich
nicht verantwortlich ist für die "Freisetzung" der Arbeiter von
Lebensmitteln. Sie verwohlfeilert und vermehrt das Produkt in dem
Zweig, den sie ergreift, und läßt die in andren Industriezweigen
produzierte Lebensmittelmasse zunächst unverändert. Nach wie vor
ihrer Einführung besitzt die
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215) Ein Ricardianer bemerkt hierüber gegen die Fadaisen J.B.
Says: "Bei entwickelter Teilung der Arbeit ist das Geschick der
Arbeiter nur in dem besondren Zweig anwendbar, worin sie ange-
lernt wurden; sie selbst sind eine Art von Maschinen. Es hilft
daher absolut nichts, papageimäßig zu plappern, daß die Dinge
eine Tendenz haben, ihr Niveau zu finden. Wir müssen um uns
schauen und sehn, daß sie für lange Zeit ihr Niveau nicht finden
können; daß, wenn sie es finden, das Niveau niedriger steht als
beim Anfang des Prozesses." ("An Inquiry into those Principles
reapeating the Nature of Demand etc.", Lond. 1821, p. 72.)
#465# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
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Gesellschaft also gleich viel oder mehr Lebensmittel für die de-
placierten Arbeiter, ganz abgesehn von dem enormen Teil des jähr-
lichen Produkts, der von Nichtarbeitern vergeudet wird. Und dies
ist die Pointe der ökonomischen Apologetik! Die von der kapitali-
stischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und
Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie
selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung!
Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Arbeitszeit ver-
kürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag ver-
längert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt
ihre Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die
Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die
Naturkraft unterjocht, an sich den Reichtum des Produzenten ver-
mehrt, kapitalistisch angewandt ihn verpaupert usw., erklärt der
bürgerliche Ökonom einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie
beweise haarscharf, daß alle jene handgreiflichen Widersprüche
bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch
in der Theorie gar nicht vorhanden sind. Er spart sich so alles
weitre Kopfzerbrechen und bürdet seinem Gegner obendrein die
Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie
zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst.
Keineswegs leugnet der bürgerliche Ökonom, daß dabei auch zeit-
weilige Unannehmlichkeiten herauskommen; aber wo gäbe es eine Me-
daille ohne Kehrseite! Eine andre als die kapitalistische Ausnut-
zung der Maschinerie ist für ihn unmöglich. Ausbeutung des Arbei-
ters durch die Maschine ist ihm also identisch mit Ausbeutung der
Maschine durch den Arbeiter. Wer also enthüllt, wie es um die ka-
pitalistische Anwendung der Maschinerie in Wirklichkeit bestellt
ist, der will ihre Anwendung überhaupt nicht, der ist ein Gegner
des sozialen Fortschritts! 216) Ganz das Räsonnement des berühm-
ten Gurgelschneiders Bill Sikes:
"Meine Herren Geschwornen, diesen Handlungsreisenden ist aller-
dings die Gurgel abgeschnitten worden. Diese Tatsache aber ist
nicht meine Schuld, sie ist die Schuld des Messers. Sollen wir
wegen solcher zeitweiligen Unannehmlichkeiten den Gebrauch des
Messers abschaffen? Bedenken Sie ja! Wo wäre Ackerbau und Hand-
werk ohne
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216) Ein Virtuose in diesem anmaßlichen Kretinismus ist u.a. Mac-
Culloch. "Wenn es vorteilhaft ist", sagt er z.B. mit der affek-
tierten Naivetät eines Kindes von 8 Jahren, "das Geschick des Ar-
beiters mehr und mehr zu entwickeln, so daß er fähig wird, ein
stets wachsendes Warenquantum mit demselben oder geringerem Ar-
beitsquantum zu produzieren, so muß es auch vorteilhaft sein, daß
er sich solcher Maschinerie zu seinem Beistande bediene, wie sie
ihn am wirksamsten in der Erreichung dieses Resultats unter-
stützt." (MacCulloch, "Princ. of Pol. Econ.". Lond. 1830, p.
182.)
#466# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
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Messer? Ist es nicht ebenso heilbringend in der Chirurgie wie ge-
lehrt in der Anatomie? Dazu williger Gehilfe bei fröhlichem Mahl?
Schaffen Sie das Messer ab - Sie schleudern uns zurück in die
tiefste Barbarei." 216a)
Obwohl die Maschinerie notwendig Arbeiter verdrängt in den Ar-
beitszweigen, wo sie eingeführt wird, so kann sie dennoch eine
Zunahme von Beschäftigung in andern Arbeitszweigen hervorrufen.
Diese Wirkung hat aber nichts gemein mit der sogenannten Kompen-
sationstheorie. Da jedes Maschinenprodukt, z.B. eine Elle Maschi-
nengeweb, wohlfeiler ist als das von ihm verdrängte gleichartige
Handprodukt, folgt als absolutes Gesetz: Bleibt das Gesamtquantum
des maschinenmäßig produzierten Artikels gleich dem Gesamtquantum
des von ihm ersetzten handwerks- oder manufakturmäßig produzier-
ten Artikels, so vermindert sich die Gesamtsumme der angewandten
Arbeit. Die etwa zur Produktion der Arbeitsrnittel selbst, der
Maschinerie, Kohle usw., erheischte Arbeitszunahme muß kleiner
sein als die durch Anwendung der Maschinerie bewirkte Arbeitsab-
nahme. Das Maschinenprodukt wäre sonst ebenso teuer oder teurer
als das Handprodukt. Statt aber gleichzubleiben, wächst tatsäch-
lich die Gesamtmasse des von einer verminderten Arbeiteranzahl
produzierten Maschinenartikels weit über die Gesamtmasse des ver-
drängten Handwerksartikels. Gesetzt, 400 000 Ellen Maschinengeweb
wurden von weniger Arbeitern produziert als 100 000 Ellen Handge-
web. In dem vervierfachten Produkt steckt viermal mehr Rohmate-
rial. Die Produktion des Rohmaterials muß also vervierfacht wer-
den. Was aber die verzehrten Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten,
Kohlen, Maschinen usw. betrifft, so ändert sich die Grenze, in-
nerhalb deren die zu ihrer Produktion erheischte zusätzliche Ar-
beit wachsen kann, mit der Differenz zwischen der Masse des Ma-
schinenprodukts und der Masse des von derselben Arbeiterzahl her-
stellbaren Handprodukts.
Mit der Ausdehnung des Maschinenbetriebs in einem Industriezweig
steigert sich also zunächst die Produktion in den andren Zweigen,
die ihm seine Produktionsmittel liefern. Wieweit dadurch die be-
schäftigte Arbeitermasse wächst, hängt, Länge des Arbeitstags und
Intensität der Arbeit gegeben, von der Zusammensetzung der ver-
wandten Kapitale ab, d.h. vom Verhältnis ihrer konstanten und va-
riablen Bestandteile. Dies Verhältnis seinerseits variiert sehr
mit dem Umfang, worin die Maschinerie jene
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216a) "Der Erfinder der Spinnmaschine hat Indien ruiniert, was
uns indes wenig rührt." (A. Thiers, De la Propriété", [p. 275].)
Herr Thiers verwechselt hier die Spinnmaschine mit dem mechani-
schen Webstuhl, "was uns indes wenig rührt".
#467# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
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Gewerbe selbst schon ergriffen hat oder ergreift. Die Anzahl zu
Kohlen- und Metallbergwerken verurteilter Menschen schwoll unge-
heuer mit dem Fortschritt des englischen Maschinenwesens, ob-
gleich ihr Anwachs in den letzten Dezennien durch Gebrauch neuer
Maschinerie für den Bergbau verlangsamt wird. 217) Eine neue Ar-
beiterart springt mit der Maschine ins Leben, ihr Produzent. Wir
wissen bereits, daß der Maschinenbetrieb sich dieses Produktions-
zweigs selbst auf stets massenhafterer Stufenleiter bemächtigt.
218) Was ferner das Rohmaterial betrifft, 219)so unterliegt es
z.B. keinem Zweifel, daß der Sturmmarsch der Baumwollspinnerei
den Baumwollbau der Vereinigten Staaten und mit ihm nicht nur den
afrikanischen Sklavenhandel treibhausmäßig förderte, sondern
zugleich die Negerzucht zum Hauptgeschäft der sogenannten Grenz-
Sklavenstaaten machte. Als 1790 der erste Sklavenzensus in den
Vereinigten Staaten aufgenommen ward, betrug ihre Zahl 697 000,
dagegen 1861 ungefähr vier Millionen. Andrerseits ist es nicht
minder gewiß, daß das Aufblühen der mechanischen Wollfabrik mit
der progressiven Verwandlung von Ackerland in Schafweide die mas-
senhafte Verjagung und Überzähligmachung" der Landarbeiter her-
vorrief. Irland macht noch in diesem Augenblick den Prozeß durch,
seine seit 1845 beinahe um die Hälfte verminderte Bevölkerung
noch weiter auf das dem Bedürfnis seiner Landlords und der engli-
schen Herrn Wollfabrikanten exakt entsprechende Maß herabzudrüc-
ken.
Ergreift die Maschinerie Vor- oder Zwischenstufen, welche ein Ar-
beitsgegenstand bis zu seiner letzten Form zu durchlaufen hat, so
vermehrt sich mit dem Arbeitsmaterial die Arbeitsnachfrage in den
noch handwerksoder manufakturmäßig betriebnen Gewerken, worin das
Maschinenfabrikat
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217) Nach dem Zensus von 1861 (Vol. II, Lond. 1863) betrug die
Zahl der in den Kohlenbergwerken von England und Wales beschäf-
tigten Arbeiter 246613, wovon 73546 unter und 173067 über 20
Jahre. Zur ersten Rubrik gehören 835 fünf bis zehnjährige, 30701
zehn- bis fünfzehnjährige, 42010 fünfzehn- bis neunzehnjährige.
Die Zahl der in Eisen-, Kupfer-, Blei-, Zinn- und allen andren
Metallminen Beschäftigten: 319222.
218) In England und Wales 1861 in der Produktion von Maschinerie
beschäftigt: 60807 Personen, eingezahlt die Fabrikanten samt ih-
ren Kommis usw., ditto alle Agenten und Handelsleute in diesem
Fach. Ausgeschlossen dagegen die Produzenten kleinerer Maschinen,
wie Nähmaschinen usw., ebenso die Produzenten der Werkzeuge für
die Arbeitsmaschinen, wie Spindeln usw. Zahl sämtlicher Zivilin-
genieure betrug 3329.
219) Da Eisen einer der wichtigsten Rohstoffe, so sei hier be-
merkt, daß 1861 in England und Wales 125771 Eisengießer, wovon
123430 männlich, 2341 weiblich. Von den erstern 30810 unter und
92620 über 20 Jahre.
#468# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
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eingeht. Die Maschinenspinnerei z.B. lieferte das Garn so wohl-
feil und so reichlich, daß die Handweber zunächst, ohne vermehrte
Auslage, volle Zeit arbeiten konnten. So stieg ihr Einkommen.
220) Daher Menschenzufluß in die Baumwollweberei, bis schließlich
die von Jenny, Throstle und Mule in England z.B. ins Leben geruf-
nen 800 000 Baumwollweber wieder vom Dampfwebstuhl erschlagen
wurden. So wächst mit dem Überfluß der maschinenmäßig produzier-
ten Kleidungsstoffe die Zahl der Schneider, Kleidermacherinnen,
Näherinnen usw., bis die Nähmaschine erscheint.
Entsprechend der steigenden Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten,
Arbeitsinstrumenten usw., die der Maschinenbetrieb mit relativ
geringer Arbeiterzahl liefert, sondert sich die Bearbeitung die-
ser Rohstoffe und Halbfabrikate in zahllose Unterarten, wächst
also die Mannigfaltigkeit der gesellschaftlichen Produktions-
zweige. Der Maschinenbetrieb treibt die gesellschaftliche Teilung
der Arbeit ungleich weiter als die Manufaktur, weil er die Pro-
duktivkraft der von ihm ergriffnen Gewerbe in ungleich höhrem
Grad vermehrt.
Das nächste Resultat der Maschinerie ist, den Mehrwert und
zugleich die Produktenmasse, worin er sich darstellt, also mit
der Substanz, wovon die Kapitalistenklasse samt Anhang zehrt,
diese Gesellschaftsschichten selbst zu vergrößern. Ihr wachsender
Reichtum und die relativ beständig fallende Anzahl der zur Pro-
duktion der ersten Lebensmittel erheischten Arbeiter erzeugen mit
neuem Luxusbedürfnis zugleich neue Mittel seiner Befriedigung.
Ein größter Teil des gesellschaftlichen Produkts verwandelt sich
in Surplusprodukt und in größrer Teil des Surplusprodukts wird in
verfeinerten und vermannigfachten Formen reproduziert und ver-
zehrt. In andren Worten: Die Luxusproduktion wächst. 221) Die
Verfeinerung und Vermannigfachung der Produkte entspringt ebenso
aus den neuen weltmarktlichen Beziehungen, welche die große Indu-
strie schafft. Es werden nicht nur mehr ausländische Genußmittel
gegen das heimische Produkt
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220) "Eine Familie von 4 erwachsnen Personen (Baumwollwebern) mit
zwei Kindern als winders 1*) gewann Ende des letzten und Anfang
des gegenwärtigen Jahrhunderts 4 Pfd.St. per Woche bei
10stündiger Tagesarbeit; war die Arbeit sehr dringend, so konnten
sie mehr verdienen... Früher hatten sie immer gelitten von man-
gelnder Garnzufuhr." (Gaskell, l.c.p. 34, 35.)
221) F. Engels in "Lage usw." 2*) weist den jämmerlichen Zustand
eines großen Teils grade dieser Luxusarbeiter nach. Massenhafte
neue Belege hierzu in den Berichten der "Child. Empl. Comm."
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1*) Haspler -2*) siehe Band 2 unserer Ausgabe
#469# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
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ausgetauscht, sondern es geht auch eine größre Masse fremder Roh-
stoffe, Ingredienzien, Halbfabrikate usw. als Produktionsmittel
in die heimische Industrie ein. Mit diesen weltmarktlichen Bezie-
hungen steigt die Arbeitsnachfrage in der Transportindustrie und
spaltet sich letztre in zahlreiche neue Unterarten. 222)
Die Vermehrung von Produktions- und Lebensmitteln bei relativ ab-
nehmender Arbeiterzahl treibt zur Ausdehnung der Arbeit in Indu-
striezweigen, deren Produkte, wie Kanäle, Warendocks, Tunnels,
Brücken usw., nur in fernrer Zukunft Früchte tragen. Es bilden
sich, entweder direkt auf der Grundlage der Maschinerie, oder
doch der ihr entsprechenden allgemein industriellen Umwälzung,
ganz neue Produktionszweige und daher neue Arbeitsfelder. Ihr
Raumanteil an der Gesamtproduktion ist jedoch selbst in den mei-
stentwickeiten Ländern keineswegs bedeutend. Die Anzahl der von
ihnen beschäftigten Arbeiter steigt im direkten Verhältnis, worin
die Notwendigkeit rohster Handarbeit reproduziert wird. Als
Hauptindustrien dieser Art kann man gegenwärtig Gaswerke, Tele-
graphie, Photographie, Dampfschiffahrt und Eisenbahnwesen be-
trachten. Der Zensus von 1861 (für England und Wales) ergibt in
der Gasindustrie (Gaswerke, Produktion der mechanischen Apparate,
Agenten der Gaskompagnien usw.) 15 211 Personen, Telegraphie
2399, Photographie 2366, Dampfschiffdienst 3570 und Eisenbahnen
70 599, worunter ungefähr 28 000 mehr oder minder permanent be-
schäftigte "ungeschickte" Erdarbeiter nebst dem ganzen admini-
strativen und kommerziellen Personal. Also Gesamtzahl der Indivi-
duen in diesen fünf neuen Industrien 94 145.
Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den
Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von inten-
siv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in al-
len übrigen Produktionssphären, einen stets größren Teil der Ar-
beiterklasse unproduktiv zu verwenden und so namentlich die alten
Haussklaven unter dem Namen der "dienenden Klasse", wie Bediente,
Mägde, Lakaien usw., stets massenhafter zu reproduzieren. Nach
dem Zensus von 1861 zählte die Gesamtbevölkerung von England und
Wales 20 066 224 Personen, wovon 9 776 259 männlich und
10 289 965 weiblich. Zieht man hiervon ab, was zu alt oder zu
jung zur Arbeit, alle "unproduktiven" Weiber, jungen Personen und
Kinder, dann die "ideologischen" Stände, wie Regierung, Pfaffen,
Juristen, Militär usw., ferner alle, deren ausschließliches Ge-
schäft der Verzehr fremder Arbeit in der Form von Grundrente,
Zins usw., endlich Paupers, Vagabunden
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222) 1861 in England und Wales 94665 in der Handelsmarine be-
schäftigte Seeleute.
#470# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
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Verbrecher usw., so bleiben in rauher Zahl 8 Millionen beiderlei
Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, mit Einschluß
sämtlicher irgendwie in der Produktion, dem Handel, der Finanz
usw. funktionierenden Kapitalisten. Von diesen 8 Millionen kommen
auf:
Ackerbauarbeiter (mit Einschluß der
Hirten und bei Pächtern wohnenden
Ackersknechte und Mägde) 1 098 261 Personen
Alle in Baumwoll-, Woll-, Worsted-,
Flachs-, Hanf-, Seide-, Jutefabriken
und in der mechanischen Strumpfwirkerei
und Spitzenfabrikation Beschäftigten 642 607 223) "
Alle in Kohlen- und Metallbergwerken
Beschäftigten 565 835 "
In sämtlichen Metallwerken (Hochöfen,
Walzwerke usw.) und Metallmanufakturen
aller Art Beschäftigten 396 998 224) "
Dienende Klasse1 1 208 648 225) "
Rechnen wir die in allen textilen Fabriken chäftigten zusammen
mit dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir
1 208 442; rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Me-
tallwerke und Manufakturen, so die Gesamtzahl 1 039 605, beidemal
kleiner als die Zahl der modernen Haussklaven. Welch erhebendes
Resultat der kapitalistisch exploitierten Maschinerie!
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223) Davon nur 177596 männlichen Geschlechts über 13 Jahre.
224) Davon weiblichen Geschlechts 30501.
225) Davon männlichen Geschlechts: 137447. Ausmchlossen von den
1208648 alles Personal, das nicht in Privathäusern dient.
Zusatz zur 2. Ausg. Von 1861 bis 1870 hat sich die Zahl männli-
cher Diener beinahe verdoppelt. Sie war angewachsen auf 267671.
Im Jahr 1847 gab es 2694 Wildhüter (für die aristokratischen
Wildgehege). 1869 dagegen 4921. - Die jungen, beim Londoner klei-
nen Spießbürger dienenden Midchen hießen in der Volkssprache
"little slaveys", kleine Sklaven.
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