Quelle: MEW 23 Das Kapital - Erster Band
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SECHZEHNTES KAPITEL
Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts
Man hat gesehn, daß die Rate des Mehrwerts sich darstellt inden
Formeln:
I. Mehrwert/Variables Kapital (m/v) = Mehrwert/Wert der Arbeits-
kraft = Mehrarbeit / Notwendige Arbeit.
Die zwei ersten Formelnstellen als Verhältnis von Werten dar, was
die dritte als Verhältnis derZeiten, worin diese Werte produziert
werden. Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich
streng. Man findet sie daher wohl der Sache nach, aber nicht be-
wußt ausgearbeitet in der klassischen politischen Ökonomie. Hier
begegnen wir dagegen den folgenden abgeleiteten Formeln:
II. Mehrarbeit 1*)/Arbeitstag = Mehrwert/Produktenwert = Mehrpro-
dukt/Gesamtprodukt.
Eine und dieselbe Proportion ist hier abwechselnd ausgedruckt in
der Form der Arbeitszeiten, der Werte, worin sie sich verkörpern,
der Produkte, worin diese Werte existieren. Es wird natürlich un-
terstellt, daß unter Wert des Produkts nur das Wertprodukt des
Arbeitstags zu verstehn, der konstante Teil des Produktenwerts
aber ausgeschlossen ist.
In allen diesen Formeln ist der wirkliche Exploitationsgrad der
Arbeit oder die Rate des Mehrwerts falsch ausgedruckt. Der Ar-
beitstag sei 12 Stunden. Mit den andren Annahmen unsres früheren
Beispiels stellt sich in diesem Fall der wirkliche Exploitations-
grad der Arbeit dar in den Proportionen:
6 Stunden Mehrarbeit / 6 Stunden notwendige Arbeit = Mehrwert von
3 sh. / Variables Kapital von 3 sh. = 100%.
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1*) In der autorisierten französischen Ausgabe setzt Marx diese
erste Formel in Klammern, "weil sich der Begriff der Mehrarbeit
in der bürgerlichen politischen Ökonomie nicht klar ausgedruckt
findet".
#554# V.Abschnitt - Die Produktion des abs. und rel. Mehrwerts
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Nach den Formeln II erhalten wir dagegen: 6 Stunden Mehrarbeit /
Arbeitstag von 12 Stunden = Mehrwert von 3 sh. / Wertprodukt von
6sh. = 50%.
Diese abgeleiteten Formeln drücken in der Tat die Proportion aus,
worin der Arbeitstag oder sein Wertprodukt sich zwischen Kapita-
list und Arbeiter teilt. Gelten sie daher als unmittelbare Aus-
drücke des Selbstverwertungsgrades des Kapitals, so gilt das
falsche Gesetz: Die Mehrarbeit oder der Mehrwert kann nie 100%
erreichen. 17) Da die Mehrarbeit stets nur einen aliquoten Teil
des Arbeitstags oder der Mehrwert stets nur einen aliquoten Teil
des Wertprodukts bilden kann, ist die Mehrarbeit notwendigerweise
stets kleiner als der Arbeitstag oder der Mehrwert stets kleiner
als das Wertprodukt. Um sich zu verhalten wie wie 100/100 müßten
sie aber gleich sein. Damit die Mehrarbeit den ganzen Arbeitstag
absorbiere (es handelt sich hier um den Durchschnittstag der Ar-
beitswoche, des Arbeitsjahrs usw.), müßte die notwendige Arbeit
auf Null sinken. Verschwindet aber die notwendige Arbeit, so ver-
schwindet auch die Mehrarbeit, da letztre nur eine Funktion der
erstern. Die Proportion Mehrarbeit/Arbeitstag = Mehr-
wert/Wertprodukt kann also die Grenze 100/100 erreichen und noch
weniger auf (100 + x)/100 steigen.
Wohl aber die Rate des Mehrwerts oder der wirkliche Exploitati-
onsgrad der Arbeit. Nimm z.B. die Schätzung des Herrn L. de La-
vergne, wonach
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17) So z.B. in "Dritter Brief an v. Kirchmann von Rodbertus. Wi-
derlegung der Ricardo'schen Theorie von der Grundrente und Be-
gründung einer neuen Rententheorie", Berlin 1851. Ich komme spä-
ter auf diese Schrift zurück, die trotz ihrer falschen Theorie
von der Grundrente das Wesen der kapitalistischen Produktion
durchschaut. - {Zusatz zur 3. Aufl. - Man sieht hier, wie wohl-
wollend Marx seine Vorgänger beurteilte, sobald er bei ihnen
einen wirklichen Fortschritt, einen richtigen neuen Gedanken
fand. Inzwischen hat die Veröffentlichung der Rodbertusschen
Briefe an Rud. Meyer obige Anerkennung einigermaßen einge-
schränkt. Da heißt es: "Man muß das Kapital nicht bloß vor der
Arbeit, sondern auch vor sich selbst retten, und das geschieht in
der Tat am besten, wenn man die Tätigkeit des Unternehmer-Kapita-
listen als volks- und staatswirtschaftliche Funktionen auffaßt,
die ihm durch das Kapitaleigentum delegiert sind, und seinen Ge-
winn als eine Gehaltsform, weil wir noch keine andre soziale Or-
ganisation kennen. Gehälter dürfen aber geregelt werden und auch
ermäßigt, wenn sie dem Lohn zu viel nehmen. So ist auch der Ein-
bruch von Marx in die Gesellschaft - so möchte ich sein Buch nen-
nen - abzuwehren... Überhaupt ist das Marxsche Buch nicht sowohl
eine Untersuchung über das Kapital als eine Polemik
#555# 16. Kapitel - Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrw.
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der englische Ackerbauarbeiter nur 1/4, der Kapitalist (Pächter)
dagegen 3/4 des Produkts 18) oder seines Werts erhält, wie die
Beute sich immer zwischen Kapitalist und Grundeigentümer usw.
nachträglich weiter verteile. Die Mehrarbeit des englischen Land-
arbeiters verhält sich danach zu seiner notwendigen Arbeit = 3:1,
ein Prozentsatz der Exploitation von 300%.
Die Schulmethode, den Arbeitstag als konstante Größe zu behan-
deln, wurde durch Anwendung der Formeln II befestigt, weil man
hier die Mehrarbeit stets mit einem Arbeitstag von gegebner Größe
vergleicht. Ebenso, wenn die Teilung des Wertprodukts ausschließ-
lich ins Auge gefaßt wird. Der Arbeitstag, der sich bereits in
einem Wertprodukt vergegenständlicht hat, ist stets ein Arbeits-
tag von gegebenen Grenzen.
Die Darstellung von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft als Bruch-
teilen des Wertprodukts - eine Darstellungsweise, die übrigens
aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und de-
ren Bedeutung sich später erschließen wird - versteckt den spezi-
fischen Charakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch
des variablen Kapitals mit der lebendigen Arbeitskraft und den
entsprechenden Ausschluß des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle
tritt der falsche Schein eines Assoziationsverhältnisses, worin
Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach dem Verhältnis seiner
verschiednen Bildungsfaktoren stellen. 19)
Übrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I rückverwan-
delbar. Haben wir z.B. Mehrarbeit von 6 Stunden / Mehrarbeit von
12 Stunden, so ist die notwendige Arbeitszeit = Arbeitstag von
zwölf Stunden minus Mehrarbeit von sechs Stunden, und so ergibt
sich:
Mehrarbeit von 6 Stunden / Notwendige Arbeit von 6 Stunden =
100/100.
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gegen die heutige Kapitalform, die er mit dem Kapitalbegriff
selbst verwechselt, woraus eben seine Irrtümer entstehn."
("Briefe etc. von Dr. Rodbertus-Jagetzow", herausgg. von Dr. Rud.
Meyer, Berlin 1881, I. Bd., p. 111, 48. Brief von Rodbertus.) -
In solchen ideologischen Gemeinplätzen versanden die in der Tat
kühnen Anläufe der R.'schen "sozialen Briefe". - F.E.}
18) Der Teil des Produkts, der nur das ausgelegte konstante Kapi-
tal ersetzt, ist bei dieser Rechnung selbstverständlich abgezo-
gen. - Herr L. de Lavergne, blinder Bewunderer Englands, gibt
eher zu niedriges als zu hohes Verhältnis.
19) Da alle entwickelten Formen des kapitalistischen Produktions-
prozesses Formen der Kooperation sind, ist natürlich nichts
leichter, als von ihrem spezifisch antagonistischen Charakter zu
abstrahieren und sie so in freie Assoziationsformen umzufabeln,
wie in des Grafen A. de Laborde, De l'Esprit de l'Association
dans tous les intérêts de
#556# V. Abschnitt - Die Produktion des abs. und rel. Mehrwerts
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Eine dritte Forme die ich gelegentlich schon antizipiert habe,
ist:
III.
Mehrwert / Wert der Arbeitskraft = Mehrarbeit / Notwendige Arbeit
= Unbezahlte Arbeit / Bezahlte Arbeit.
Das Mißverständnis, wozu die Formel Unbezahlte Arbeit / Bezahlte
Arbeit verleiten könnte, als zahle der Kapitalist die Arbeit und
nicht die Arbeitskraft, fällt nach der früher gegebenen Entwick-
lung fort. Unbezahlte Arbeit / Bezahlte Arbeit ist nur populärer
Ausdruck für Mehrarbeit / Notwendige Arbeit. Der Kapitalist zahlt
den Wert, resp. davon abweichenden Preis der Arbeitskraft und er-
hält im Austausch die Verfügung über die lebendige Arbeitskraft
selbst. Seine Nutznießung dieser Arbeitskraft zerfällt in zwei
Perioden. Während der einen Periode produziert der Arbeiter nur
einen Wert = Wert seiner Arbeitskraft, also nur ein Äquivalent.
Für den vorgeschoßnen Preis der Arbeitskraft erhält so der Kapi-
talist ein Produkt vom selben Preis. Es ist, als ob er das Pro-
dukt fertig auf dem Markt gekauft hätte. In der Periode der Mehr-
arbeit dagegen bildet die Nutznießung der Arbeitskraft Wert für
den Kapitalisten, ohne ihm einen Wertersatz zu kosten. 20) Er hat
diese Flüssigmachung der Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn
kann die Mehrarbeit unbezahlte Arbeit heißen.
Das Kapital ist also nicht nur Kommando über Arbeit, wie A. Smith
sagt. Es ist wesentlich Kommando über unbezahlte Arbeit. Aller
Mehrwert, in welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente
usw. er sich später kristallisiere, ist seiner Substanz nach Ma-
teriatur unbezahlter Arbeitszeit. Das Geheimnis von der Selbst-
verwertung des Kapitals löst sich auf in seine Verfügung über ein
bestimmtes Quantum unbezahlter fremder Arbeit.
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la Communauté", Paris 1818. Der Yankee H. Carey bringt dies
Kunststück mit demselben Erfolg gelegentlich selbst für die Ver-
hältnisse des Sklavensystems fertig.
20) Obgleich die Physiokraten das Geheimnis des Mehrwerts nicht
durchschauten, war ihnen doch so viel klar, daß er "ein unabhän-
giger und verfügbarer Reichtum ist, den er" (der Besitzer davon)
"nicht gekauft hat und den er verkauft". (Turgot, Réflexions sur
la Formation et la Distribution des Richesses", p. 11.)
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