Quelle: Engels: Schriften 1839 bis 1844
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[Polemik gegen Leo] [233]
["Rheinische Zeitung" Nr. 161 vom 10 Juni 1842]
*x* Von der Hasenheide [234], im Mai. Was, dem erleuchteten Ur-
teil der "Literarischen Zeitung" zufolge, die Hegelsche Philoso-
phie nicht vermochte, nämlich ein auf ihren Prinzipien beruhendes
System der Naturwissenschaften aufzubauen, das übernimmt jetzt
von ihrem Standpunkte aus und mit großartigem Erfolge die Evange-
lische Kirchen-Zeitung . Ein mit H. L. (Leo) unterzeichneter Auf-
satz in ihren neuesten Nummern entwickelt, bei Gelegenheit einer
Schrift des Prof. Leupoldt in Erlangen, das P r o g r a m m
e i n e r t o t a l e n R e v o l u t i o n i n d e r M e-
d i z i n, deren Folgen bis jetzt unabsehbar sind. [235] Wie
immer, beginnt Leo auch hier, obwohl ohne sie zu nennen, mit den
Hegelingen, spricht von der pantheistischen, heidnischen Rich-
tung, die sich der neueren Naturforschung bemächtigt habe, von
der "philosophischen Naturbetastelei und subtilen Systemströste-
lung", züchtigt die anatomistische Ansicht, welche den einzelnen
Kranken kuriere, nicht gleich ganze Generationen und Völker, und
kommt endlich zu dem Resultat:
"daß die Krankheit der Sünde Lohn sei, daß nach der physischen
Seite zusammengehörige Generationen solidarisch für ihre Sünde
haften, selbst nach der geistigen Seite, wenn nicht der durch
Gottes Gnade geschenkte Glaube die Strafenkette entzweibricht. So
gut wie der einzelne nach der physischen Seite durch seine Bekeh-
rung nicht von der Strafe der stattgehabten Sünde frei wird, z.B.
wenn er infolge sündlicher Ausschweifungen seine Nase eingebüßt
hat, sie durch die Bekehrung nicht wiedererhält, so gut werden
nach der reinen Naturseite auch heute noch den Enkeln die Zähne
stumpf von den Harlingen, welche die Großväter gegessen haben,
und wo nicht ein fester Glaube ins Mittel tritt, hört nicht ein-
mal die geistige Strafenreihe auf. Wie oft mag schon ein Mann,
der in Üppigkeit und Sünden gelebt und dabei scheinbar glücklich
geendet hat, dem Sohn, dem Enkel den Keim nervenzerrüttendster
Krankhaftigkeit hinterlassen haben, der in diesen fortgewütet
hat, bis in deprimiertestem Zustande der Unterleibsleiden der
Urenkel, bei dem noch kein Wort der Gnade ein fruchtbares Erd-
reich gefunden, in der Verzweiflung
#264# Polemik gegen Leo
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zum Rasiermesser griff und an der eigenen Kehle die Strafe
vollzog, die der Urheber seiner Leiden, sein Urgroßvater, ver-
dient hätte."
Ohne diese Ansichten erschiene die Weltgeschichte als schreiend-
ste Ungerechtigkeit. - Sodann äußert Leo weiter:
"Der gläubig gewordene, nasenlose Sünder kann in seiner Verstüm-
melung nur ein Denkmal der göttlichen Gerechtigkeit sehen, und
was dem Ungläubigen eine Strafe war, wird dem Gläubigen ein neues
Fundament seines Glaubens."
Mit Völkern verhält es sich ebenso.
"Geistige wie leibliche Zeitkrankheiten und Verstimmungen sind
von einem gewissen Standpunkte aus noch heute so gut wie in den
Tagen des Propheten göttliche Strafgerichte."
Dies sind die philosophischen -- ich wollte sagen religiösen
Prinzipien, auf denen Leo, der mit einem Ringseis [236] zu fra-
ternisieren würdig wäre, seine neue medizinische Praxis gründet.
Was hilft all das kleinliche Herumkurieren am einzelnen Menschen,
ja, am einzelnsten Gliede? Gleich familienweise, Volksweise muß
kuriert werden! Leidet der Großvater am Fieber, so muß die ganze
Familie, Söhne, Töchter, Enkel mit Weib und Kind China schlucken!
Hat der König die Lungenentzündung, so schicke jede Provinz ei-
nige Deputierte, denen zur Ader gelassen wird, wenn man nicht
lieber gleich sämtlichen, soundso viel Millionen vorsichtshalber
pro Kopf eine Unze Blut lassen will! Und welche Resultate für die
Sanitätspolizei lassen sich hieraus entwickeln! Keiner darf zur
Heirat zugelassen werden, der nicht ein Attest vom Arzte bringt,
daß sowohl er selbst gesund sei, wie auch seine Vorfahren bis zum
Urgroßvater von guter Konstitution gewesen seien, und ein Attest
vom Pfarrer, daß er wie seine Vorfahren bis zum Urgroßvater sich
eines christlichen, gottseligen und tugendhaften Wandels stets
befleißigt haben, auf daß nicht, wie Leo sagt,
"die Sünden der Väter heimgesucht werden an den Kindern bis ins
dritte und vierte Glied!"
Daher hat auch der Arzt
"eine Stellung furchtbarster Verantwortlichkeit und grauenerre-
gendster Bezüglichkeit, denn er kann ebensowohl ein Bote Gottes
an den einzelnen sein, der ihn bis auf einen möglichen Grad
eximiert von der Mitleidenschaft für die Sünde, als ein
K n e c h t d e s T e u f e l s, der mit seiner Kraft der
Strafe Gottes entgegenzutreten und sie unwirksam zu machen
sucht".
#265# Polemik gegen Leo
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Wieder Resultate für den Staat! Der vorgeschriebene philosophi-
sche Kursus der Mediziner muß abgeschafft und dafür ein theologi-
scher eingeführt werden; der medizinische Examinand muß ein Zeug-
nis über seinen Glauben beibringen und die Praxis der jüdischen
Mediziner, wenn man sie nicht etwa ganz abschaffen will, wenig-
stens auf ihre Glaubensgenossen beschränkt werden. Leo fährt
fort:
"Der Kranke, wie der Verbrecher, ist sacer 1*), die heilige Hand
Gottes liegt auf ihm - wer heilen kann, der heile! Aber er scheue
nicht den glühenden Stahl und das schneidende Eisen und den grim-
migen Hunger, wo sie allein helfen können. Schwächliche Hülfe
schadet in der Medizin wie im bürgerlichen Gemeinwesen."
Nur frisch drauflosgeschnitten und gebrannt! Wo bisher die jäm-
merliche Trepanation angewandt wurde, helfen wir nun durch einfa-
ches Abhacken des Kopfes; wo ein Fehler am Herzen sich zeigt -
der gewöhnlich die Strafe für Liebessünden, die die Mutter des
Kranken beging, zu sein pflegt - und das Blut sich zu sehr zum
Herzen drängt, schaffen wir ihm einen Ausweg durch einen Messer-
stich ins Herz; wer am Magenkrebs leidet, dem schneiden wir den
ganzen Magen aus - der alte Doktor Eisenbart, von dem das Volk
singt, war wahrlich so übel nicht, seine Zeit hat ihn nur nicht
verstanden. Ebenso, folgert Leo, sei es mit den Verbrechern, sie
seien nicht allein strafbar, sondern das Volk hafte mit, und die
Strafen seien nicht stark genug, die unsere schlappe Zeit an-
wende; es müsse mehr geköpft und gemartert werden, sonst bekomme
man mehr Verbrecher, als Raum in den Arbeitshäusern sei. Ganz
recht! Wo einer mordet, da muß seine ganze Familie ausgerottet
werden, und jeder Einwohner seiner Vaterstadt wenigstens fünfund-
zwanzig Stockhiebe für seine Mitschuld an diesem Morde bekommen;
wo ein Bruder der illegitimen Liebe pflegt, müssen alle seine
Brüder mit k- werden. Und die Strafenverschärfung kann auch nur
nützen. Seitdem das Kopfabhacken, wie wir oben gesehen haben,
keine Strafe mehr, sondern nur eine medizinische Amputation ist,
um den Körper zu retten, muß diese Todesart aus den Kriminalge-
setzbüchern gestrichen werden, und an ihre Stelle Rädern, Vier-
teilen, Spießen, Verbrennen, mit glühenden Zangen zwicken usw.
treten.
Auf diese Weise hat Leo der heidnisch gewordenen Medizin und Ju-
risprudenz eine christliche entgegengesetzt, die ohne Zweifel
bald allgemein durchdringen wird. Wie er das Christentum in die
Geschichte nach denselben Grundsätzen eingeführt und so z.B. die
Hegelinge, die
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1*) heilig
#266# Polemik gegen Leo
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er für die Kinder der französischen Revolutionsmänner hält, für
das zu Paris, Lyon und Nantes vergossene Blut, für die Taten Na-
poleons selbst verantwortlich macht [237], ist bekannt, und ich
erwähne es hier nur, um die erfreuliche Allseitigkeit des rastlo-
sen Mannes zu zeigen. Wie verlautet, haben wir nächstens eine
deutsche Grammatik nach christlichen Prinzipien von ihm zu erwar-
ten.
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