Quelle: Engels: Schriften 1839 bis 1844


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       #423# 26 - Engels an Wilhelm Graeber - 20./21. Oktober 1839
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       Engels an Wilhelm Graeber
       in Berlin
       
       [Bremen, 20./21. Oktober 1839]
       Den 20. Oktober. Herrn Wilhelm Graeber. Ich bin ganz sentimental,
       es ist ein schwieriger Kasus. Ich bleibe hier, entblößt von aller
       Fidelität. Mit  Adolf Torstrick, dem Überbringer dieses, geht die
       letzte Fidelität weg. Wie ich den 18. Oktober [352] gefeiert, ist
       in meiner  letzten Heuserlichen Epistel zu lesen. Heute Bierzech,
       morgen Langweile,  übermorgen geht  der Torstrick weg, Donnerstag
       kommt der  in vorerwähnter Epistel erwähnte Studio wieder, worauf
       zwei fidele Tage folgen, und dann - ein einsamer, greulicher Win-
       ter. Die  ganze hiesige  Welt ist nicht zum Zechen zu bringen, es
       sind alles Philister, ich sitze mit meinem Rest burschikoser Lie-
       der, mit  meinem renommistischen  studiosistischen Anhauch allein
       in der  großen Wüste, ohne Zechgenossen, ohne Liebe, ohne Fideli-
       tät, einzig  mit Tabak,  Bier und  zwei zechunfähigen  Bekannten.
       Sohn, da  hast du  meinen Spieß, kneip daraus mein Cerevis, So du
       kneipest comme  il faut, wird dein alter Vater froh [353], möcht'
       ich singen,  aber wem  soll ich meinen Spieß geben, und dann kann
       ich auch  die Melodie  nicht recht. Eine Hoffnung allein hab' ich
       noch, Euch  übers Jahr,  wenn ich  nach Hause  geh, in  Barmen zu
       treffen, und  wenn in Dich und Jonghaus und Fritz der Pfaffe noch
       nicht zu sehr gefahren ist, mit Euch dort herumzukneipen.
       Den 21.  - Heute einen furchtbar langweiligen Tag gehabt. Auf dem
       Comptoir halbtot  geochst. Dann  Singakademie gehabt,  ungeheuren
       Genuß. Nun  muß ich  sehen, daß ich Euch noch was schreibe. Verse
       mit nächster Gelegenheit, ich habe keine Zeit mehr, sie zu kopie-
       ren. Nicht  einmal was Interessantes zu essen gehabt, alles lang-
       weilig. Dabei  ist es  so kalt, daß man es auf dem Comptoir nicht
       aushalten kann.  Gottlob, morgen  haben wir  Hoffnung, geheizt zu
       bekommen. Von  Deinem Bruder  Hermann werde  ich  nächstens  wohl
       einen Brief  bekommen, er will meiner Theologie auf den Zahn füh-
       len und  meine Überzeugung massakrieren. Das kommt vom Skeptizis-
       mus, die  tausend Haken,  mit denen man am Alten hing, lassen los
       und haken  sich woanders  ein, und dann gibt's Disputationen. Den
       Wurm soll der Teufel holen, der
       
       #424# 26 - Engels an Wilhelm Graeber - 20./21. Oktober 1839
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       Kerl läßt  nichts von sich hören, er encanaillisiert sich täglich
       mehr. Ich  vermute, er kommt ans Branntweintrinken. Nun nehmt mir
       den Torstrick  freundlich auf,  laßt ihn  Euch von  mir erzählen,
       wenn Euch  das interessiert, und setzt ihm gutes Cerevis vor. Fa-
       rewell. 1*)
       Dein Friedrich Engels
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       1*) Lebe wohl.

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