Quelle: Engels: Schriften 1839 bis 1844
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#449# 32 - Engels an Marie Engels - 7.-9. Juli 1840
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Engels an Marie Engels
in Mannheim
Liebe Marie!
Es ist wirklich bald zu arg mit Dir; Du wolltest mir gleich nach
Deiner Ankunft in M[annheim] [381] schreiben, und jetzt sitz' ich
schon drei Wochen wieder hier und noch kein Brief von Dir. Wenn
das so fortgeht, so muß ich mich wohl entschließen, direkt an
Fräulein Jung zu schreiben, damit Du einigermaßen angehalten
wirst, mir Deine schwesterliche Liebe zu beweisen.
Ich will Dir besser Wetter wünschen als wir jetzt haben, lauter
Sturm und Regen, wie im September und November. Auf der See sin-
ken die Schiffe wie die Fliegen, die in ein Glas Wasser fallen,
und das Dampfschiff, was nach Norderney fährt, hat kaum hinkommen
können. Vorgestern war ich in Bremerhaven 1*), und da regnete es
auch den ganzen Morgen. Ich war auf den Schiffen, womit die Aus-
wandrer nach Amerika gebracht werden; im Zwischendeck liegen sie
alle zusammen, das ist ein großer Raum, so breit und lang wie das
ganze Schiff, immer sechs Kojen (so heißen die Bettstellen) ne-
beneinander, und darüber wieder sechs. Da liegen sie alle, Män-
ner, Frauen und Kinder, und wie schauderhaft dieser dumpfe Raum
ist, wo oft 200 Menschen hegen, besonders während der ersten,
seekranken Tage, kannst Du Dir wohl denken. Es ist so schon eine
Luft zum Ersticken darin. Die Kajütspassagiere haben es aber bes-
ser, sie haben mehr Raum und eine sehr elegant eingerichtete Ka-
jüte. Wenn nun ein Sturm losplatzt, und die Wellen gehen über das
Schiff, so haben sie's aber schlimmer, denn über der Kajüte ist
ein Glaskasten, wodurch das Licht fällt, und wenn der von einer
Sturzwelle getroffen wird, so klingelt das Glas mit der schönsten
Manier in die Kajüte hinein und das Wasser dahinterher. Gewöhn-
lich wird dann die ganze Kajüte voll Wasser, die Betten aber sind
so hoch, daß sie trocken bleiben. Als wir mittags wieder wegfuh-
ren, kam eben ein großes, dreimastiges Schiff auf die Reede, wel-
ches, wie Du, "Marie" heißt und von der Insel Kuba kam. Es konnte
wegen
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1*) Vgl. vorl. Band, S. 80-88
#450# 32 - Engels an Marie Engels - 7.-9. Juli 1840
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der Ebbe nicht in den Hafen kommen und ankerte auf der Reede. Wir
fuhren mit dem Dampfschiff heran und holten den Kapitän ab; auf
der Reede aber fängt das Wasser schon an, Wellen zu werfen, und
das Schiff schwankte ein wenig. Auf der Stelle wurden alle Damen
blaß und machten Gesichter, als hätten sie ertrinken sollen; wir
hatten ein paar hübsche Schneiderstöchter aufgetan, gegen die wir
äußerst galant waren, und ich band den Gänsen auch mit dem ernst-
haftesten Gesicht von der Welt auf, das Schwanken dauerte fort
bis Brake, wohin wir erst nach 1 1/2 Stunden kamen. Leider hört
es aber schon gleich hinter Bremerhaven wieder auf. Drei unreife
Hüte flogen ins Wasser und sind wahrscheinlich nach Amerika ge-
schwommen, ferner eine ganze Masse leere Wein- und Bierflaschen.
Außerdem hab' ich nicht viel Merkwürdiges gesehn, als eine tote
Katze in der Weser, die für ihren eignen Kopf eine Reise nach den
Vereinigten Staaten machte. Ich redete sie an, sie war aber grob
genug, mir nicht zu antworten.
<Abbildung nicht archiviert>
Hier hast Du eine flüchtige Zeichnung von Bremerhaven. Links das
Fort zum Schutz des Hafens, ein altes ziegelsteinernes Ding, das
der Wind nächstens umwehen wird, daneben die Schleusen, durch die
die Schiffe in den Hafen, der ein langer, schmaler Kanal, etwas
breiter als die Wupper ist, eingelassen werden, dahinter die
Stadt, weiter rechts die Geeste, eine Art Fluß, darüber die
Kirchturmspitze in der Luft, das ist die Kirche, die erst gebaut
werden soll. Rechts das in der Ferne ist Geestendorf.
Dieser Tage lernt' ich einen kennen, dessen Vater ist ein in Ame-
rika geborner Franzose, dessen Mutter eine Deutsche, er selbst
ist auf dem Meer geboren und spricht, da er in Mexiko wohnt, von
Natur spanisch. Was ist nun sein Vaterland?
Auf unsrem Comptoir haben wir jetzt ein komplettes Bierlager, un-
term Tisch, hinterm Ofen, hinter dem Schrank, überall stehen
Bierflaschen, und wenn der Alte 1*) Durst hat, so borgt er uns
eine ab und läßt
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1*) Heinrich Leupold
#451# 32 - Engels an Marie Engels - 7.-9. Juli 1840
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sie uns nachher wieder vollmachen. Das wird jetzt schon ganz
öffentlich getrieben, die Gläser stehn den ganzen Tag auf dem
Tisch und eine Flasche daneben. Rechts in der Ecke stehen die
leeren, links die vollen Flaschen, daneben meine Zigarren. Es ist
wirklich wahr, Marie, die Jugend wird immer schlechter, wie Dr.
Hantschke sagt, wer hätte vor 20, 30 Jahren an solche schreckli-
che Bosheit gedacht, Bier auf dem Comptoir zu trinken?
Wie ist es Dir am bequemsten, soll ich das Porto für unsre Korre-
spondenz auslegen und meine Briefe frankieren und auch die Deini-
gen, die Du dann unfrankiert schickst, bezahlen? Wenn Du schon
geschrieben hast, ehe dieser Brief ankommt, so werd' ich Dir
nicht eher wieder schreiben, als bis Du mir auf diesen Brief
einen vernünftigen, langen Brief geschrieben hast.
Adieu mit treuer Liebe Dein Bruder Friedrich
B[remen], 7. Juli 40
Der Brief ist glücklicherweise wieder liegengeblieben und gibt
mir so noch Gelegenheit, Deinen eben angestiegenen Brief zu be-
antworten. "Ich wollt', ich könnt' auch so gut spielen wie die!
wenn ich mich recht fleißig übe, komm' ich auch so weit." Du?
Eine Sonate von 20 Seiten spielen? Gans, die Du bist! Der Schorn-
stein würde sich freilich freuen. Was ich für Wünsche auf Weih-
nachten habe? Meine Zigarrentasche hab' ich verloren, und wenn
ich sie nicht bald wiederfinde, kannst Du mir eine neue machen?
Der Ada 1*) laß ich für ihren Gruß danken und grüße sie herzlich
wieder; sag ihr, sie wäre die erste, die mich liebenswürdig
nannte, und ein Cousin wäre ich ganz und gar nicht, sondern
höchstens ihr ergebenster Vetter. - Wenn Du wieder schreibst, so
adressiere den Brief nicht an Treviranus, da krieg' ich ihn spä-
ter, sondern F. E., Bremen, Martini No. 11. Dann wird er mir ans
Comptoir gebracht.
Farewell. 2*)
Dein Friedrich
B[remen], 9ten Juli 1840
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1*) Adeline Engels 2*) Lebe wohl.
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