Quelle: MEW 26.1 Theorien über den Mehrwert - Erster Teil
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#255# Theorien über produktive und unproduktive Arbeit
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[15. Henri Storch. Unhistorische Betrachtung der Beziehungen zwi-
schen materieller und geistiger Produktion. Seine Auffassung von
der "immateriellen Arbeit" der herrschenden Klassen]
Henri Storch, Cours d'écon. politique etc.", éd. von J.-B. Say,
Paris 1823 (Vorlesungen, gehalten dem Großfürsten Nikolaus, ge-
schlossen 1815), t. III.
Storch ist, seit Garnier, in der Tat der erste der Polemiker ge-
gen A. Smiths Unterscheidung von produktiver und unproduktiver
Arbeit, der sich auf einen neuen Boden stellt.
#256# Viertes Kapitel
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Von den materiellen Gütern, den Bestandteilen der materiellen
Produktion, unterscheidet er die "biens internes ou les élémens
de la civilisation" 1*) mit den Gesetzen, von deren Produktion
sich die "théorie de la civilisation", 2*) zu befassen hat.
(l.c., t. III, p. 217.)
("Es ist klar, daß der Mensch niemals dahin kommt, Reichtümer zu
produzieren, solange er nicht innere Güter besitzt, das heißt,
solange er nicht seine physischen, intellektuellen und morali-
schen Fähigkeiten entwickelt hat, was die Mittel zu ihrer Ent-
wicklung voraussetzt, wie die g e s e l l s c h a f t l i-
c h e n E i n r i c h t u n g e n usw. Je zivilisierter also
ein Volk ist, desto mehr kann sein nationaler Reichtum wachsen."
(l.c., t. I, p. 136.)
Ebenso verhält es sich umgekehrt.)
Gegen Smith:
"Smith... schließt von den p r o d u k t i v e n
A r b e i t e n alle jene aus, die nicht d i r e k t zur Pro-
duktion von Reichtümern beitragen; auch hat er nur den nationalen
R e i c h t u m im Auge." Sein Fehler ist der, "nicht die
i m m a t e r i e l l e n Werte von d e n R e i c h t ü-
m e r n unterschieden zu haben." (t. III, p. 218.)
Damit ist die Sache eigentlich am Ende. Die Unterscheidung der
travaux productifs von den travaux improdtictifs 3*) ist von ent-
scheidender Wichtigkeit für das, was Smith betrachtet: die Pro-
duktion des materiellen Reichtums, und zwar eine bestimmte Form
dieser Produktion, die kapitalistische Produktionsweise. Bei der
geistigen Produktion erscheint andre Art von Arbeit produktiv.
Aber Smith betrachtet sie nicht. Endlich die Wechselwirkung und
der innre Zusammenhang beider Produktionen fällt ebensowenig in
seinen Betrachtungskreis, kann übrigens nur dann zu mehr als Re-
densarten fuhren, wenn die materielle Produktion sub sua propria
specie 4*) betrachtet ist. Soweit er von nicht direkten travail-
leurs productifs spricht, geschieht es nur, sofern sie
d i r e k t an der Konsumtion des materiellen Reichtums teilneh-
men, nicht aber an seiner Produktion.
Bei Storch selbst bleibt die Théorie de la civilisation, obgleich
einige geistreiche apercus 5*) unterlaufen - z. B., daß die
materielle Teilung der Arbeit die Voraussetzung der Teilung der
geistigen Arbeit - 6*), bei trivialen Redensarten. Wie sehr dies
der Fall sein m u ß t e, wie wenig er sich auch nur dich
Aufgabe f o r m u l i e r t hatte, von ihrer Lösung gar nicht
zu sprechen, geht aus einem e i n z i g e n Umstand hervor. Um
den Zusammenhang zwischen der geistigen ¦¦409¦ Produktion und der
materiellen zu betrachten, vor allem
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1*) "inneren Güter oder die Elemente der Zivilisation" - 2*)
"Theorie der Zivilisation" - 3*) produktiven Arbeiten von den un-
produktiven Arbeiten - 4*) unter ihrer eigenen Form - 5*) Bemer-
kungen - 6*) in der Handschrift findet sich die Textstelle inner-
halb der Gedankenstriche am unteren Rand, und ist von Marx zur
Einfügung an diese Stelle bezeichnet
#257# Theorien über produktive und unproduktive Arbeit
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nötig, die letztre selbst nicht als allgemeine Kategorie, sondern
in b e s t i m m t e r h i s t o r i s c h e r Form zu fassen.
Also z.B. der kapitalistischen Produktionsweise entspricht eine
andre Art der geistigen Produktion als der mittelaltrigen Produk-
tionsweise. Wird die materielle Produktion selbst nicht in ihrer
s p e z i f i s c h e n h i s t o r i s c h e n Form gefaßt, so
ist es unmöglich, das Bestimmte an der ihr entsprechenden geisti-
gen Produktion und die Wechselwirkung beider aufzufassen. Es
bleibt sonst bei Fadaisen 1*). Dies wegen der Phrase von
"Zivilisation".
Ferner: Aus der bestimmten Form der materiellen Produktion ergibt
sich eine bestimmte Gliederung der Gesellschaft - Nr. I, zweitens
ein bestimmtes Verhältnis der Menschen zur Natur. Ihr Staatswesen
und ihre geistige Anschauung ist durch beides bestimmt. Also auch
die Art ihrer geistigen Produktion.
Endlich versteht Storch unter geistiger Produktion zugleich die
Berufstätigkeiten aller Arten der herrschenden Klasse, die
s o z i a l e Funktionen als ein Geschäft treiben. Die Existenz
dieser Stände, wie die Funktion derselben, nur aus der bestimmten
historischen Gliederung ihrer Produktionsverhältnisse zu ver-
stehn.
Indem Storch die materielle Produktion selbst nicht h i s t o-
r i s c h faßt - sie als Produktion von materiellen Gütern
überhaupt faßt, nicht als eine bestimmte historisch entwickelte
und spezifische Form dieser Produktion -, zieht er sich selbst
den Boden unter den Füßen weg, auf dem allein teils die
ideologischen Bestandteile der herrschenden Klasse, teils die
freie geistige Produktion dieser gegebnen Gesellschaftsformation
begriffen werden kann. Er kann nicht über allgemeine schlechte
Redensarten hinauskommen. Das Verhältnis ist daher auch nicht so
einfach, wie er von vornherein denkt. Z.B., kapitalistische Pro-
duktion ist gewissen geistigen Produktionszweigen, z.B. der Kunst
und Poesie, feindlich. Man kömmt sonst auf die Einbildung der
Franzosen im 18. Jahrhundert, die Lessing so schön persifliert
hat. [84] Weil wir in der Mechanik etc. weiter sind als die Al-
ten, warum sollten wir nicht auch ein Epos machen können? Und die
Henriade [85] für die Illade!
Richtig dagegen hebt Storch hervor - und mit spezieller Polemik
gegen Garnier, der eigentlich der Vater d i e s e r Polemik ge-
gen Smith -, daß Smiths Gegner die Sache am falschen Ende auffas-
sen.
"Was machen Smiths Kritiker? Weit entfernt, diese Unterscheidung"
(zwischen valeurs immatérielles 2*) und richesses 3*)) "zu eta-
blieren, vollenden sie die Konfusion dieser beiden Arten von Wer-
ten, die so evident verschieden sind."
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1*) Gemeinplätzen - 2*) immateriellen Werten - 3*) Reichtümern
#258# Viertes Kapitel
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(Sie behaupten, die Produktion geistiger Produkte oder die Pro-
duktion von Diensten sei m a t e r i e l l e Produktion.)
"Indem sie die immaterielle Arbeit für p r o d u k t i v hal-
ten, nehmen sie an, sie p r o d u z i e r e R e i c h t ü-
m e r" (d.h. direkt), "das heißt materielle und austauschbare
Werte, während sie doch nur immaterielle und unmittelbare Werte
produziert; sie gehen von der Voraussetzung aus, die Produkte der
immateriellen Arbeit seien denselben Gesetzen unterworfen wie die
der materiellen Arbeit, während sich doch die ersten nach anderen
Prinzipien regeln als die zweiten." (t. III, p. 218.)
Folgende Sätze des Storch zu bemerken als von den Spätren abge-
schrieben:
"Daraus, daß die inneren Güter zum Teil das Produkt von Dienst-
leistungen sind, hat man geschlossen, daß sie nicht mehr Dauer
hätten als die Dienstleistungen selbst und daß sie notwendiger-
weise in dem Maße konsumiert werden, wie sie produziert werden."
(t. III, p. 234.) "Die ursprünglichen [inneren] Güter, weit ent-
fernt, durch den Gebrauch zerstört zu werden, verbreiten und ver-
mehren sich durch ihre Ausübung, so daß d i e
K o n s u m t i o n selbst ihren Wert vermehrt." (l.c.p. 236.).
"Die inneren Güter sind fähig, akkumuliert zu werden wie die
Reichtümer und Kapitalien zu bilden, die man zur Reproduktion an-
wenden kann etc." (l.c.p. 236.) "Die materielle Arbeit muß ge-
teilt und ihre Produkte müssen akkumuliert sein, ehe man daran
denken kann, die immaterielle Arbeit zu teilen." (p. 241.)
Dies sind nun nichts als allgemeine oberflächliche Analogien und
Beziehungen zwischen geistigem und materiellem Reichtum. Ebenso
z.B., daß unentwickelte Nationen ihre geistigen Kapitalien im
Ausland p u m p e n, wie materiell unentwickelte Nationen ihre
materiellen Kapitalien (l.c.p. 306), daß die Teilung der immate-
riellen Arbeit von der Nachfrage nach ihr, kurz, vom Markt ab-
hängt, etc. (p. 246.)
Folgendes sind aber die eigentlich abgeschriebenen Sätze:
¦¦410¦ "Die P r o d u k t i o n der inneren Güter, weit ent-
fernt, den nationalen Reichtum durch die Konsumtion materieller
Produkte zu verringern, deren sie bedarf, ist vielmehr ein mäch-
tiges Mittel, sie zu vermehren, wie umgekehrt die Produktion der
Reichtümer ein ebenso mächtiges Mittel ist, die Zivilisation zu
vermehren." (l.c.p. 517.) "Es ist das Gleichgewicht der beiden
Arten der Produktion, was die nationale Wohlfahrt vorwärts-
bringt." (l.c.p. 521.)
Nach Storch produziert der Arzt Gesundheit (aber auch die Krank-
heit), Professoren und Schriftsteller les lumières 1*) (aber auch
den Obskurantismus), Poeten, Maler etc. den goût 2*) (aber auch
die Geschmacklosigkeit), die Moralisten etc. die moeurs 3*), Pre-
diger den Kultus, die Arbeit der Souverains
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1*) die Aufklärung - 2*) Geschmack - 3*) Sitten
#259# Theorien über produktive und unproduktive Arbeit
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die Sicherheit, etc. (p. 347-350.) Ebensogut kann gesagt werden,
daß die Krankheit Ärzte, die Dummheit Professoren und Schrift-
steller, die Geschmacklosigkeit Poeten und Maler, die Sittenlo-
sigkeit Moralisten, der Aberglauben Prediger und die allgemeine
Unsicherheit Souveraine produziert. Diese Manier, in der Tat zu
sagen, daß alle diese Tätigkeiten, diese services, einen wirkli-
chen oder eingebildeten Gebrauchswert produzieren, ist von den
Spätren wiederholt, um zu beweisen, daß sie travailleurs produc-
tifs im Smithschen Sinn sind, d.h. direkt nicht die Produkte sui
generis 1*), sondern die Produkte der materiellen Arbeit produ-
zieren und daher direkt Reichtum. Bei Storch dieser Blödsinn noch
nicht, der übrigens sich in zweierlei auflöst:
1. daß die verschiednen Funktionen in der bürgerlichen Gesell-
schaft sich wechselseitig voraussetzen;
2. daß die Gegensätze in der materiellen Produktion eine Super-
struktur ideologischer Stände nötig machen, deren Wirksamkeit -
sei sie gut oder schlecht - gut, weil nötig ist;
3. daß alle Funktionen im Dienst des Kapitalisten sind, zu seinem
"Guten" auslaufen;
4. daß selbst die höchsten geistigen Produktionen nur anerkannt
und vor dem Bourgeois e n t s c h u l d i g t werden sollen,
daß sie als direkte Produzenten von materiellem Reichtum darge-
stellt und fälschlich nachgewiesen werden.
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1*) eigener Art
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