Quelle: MEW 26.1 Theorien über den Mehrwert - Erster Teil


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       #278#
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       [FÜNFTES KAPITEL]
       Necker
       
       [Darstellung des Klassengegensatzes im Kapitalismus als Gegensatz
       von Armut und Reichtum]
       
       Schon oben  einige Zitate von Linguet beweisen, daß ihm das Wesen
       der kapitalistischen Produktion klar ist [89]; und doch kann Lin-
       guet hier eingefügt werden nach Necker. [90]
       In seinen beiden Schriften "Sur la législation et le commerce des
       grains", erschien  zuerst 1775,  und 1*) "De l'administration des
       finances de  la France  etc." weist Necker nach, wie die Entwick-
       lung der  Produktivkräfte der  Arbeit bloß dazu beiträgt, daß der
       Arbeiter   w e n i g e r  Z e i t  zur Reproduktion seines eignen
       Salairs braucht,  also  m e h r  Z e i t  für seinen employer 2*)
       u n b e z a h l t   arbeitet. Er  geht dabei  richtig aus von der
       Grundlage des  D u r c h s c h n i t t s a r b e i t s l o h n s,
       des Minimums  des Salairs.  Was ihn  aber wesentlich beschäftigt,
       ist nicht  die Verwandlung  der Arbeit  selbst in Kapital und die
       Akkumulation des  Kapitals durch  diesen Prozeß  als vielmehr die
       allgemeine Entwicklung  des Gegensatzes  von Armut  und Reichtum,
       von Armut  und Luxus,  indem in  demselben Maß,  wo ein geringres
       Quantum Arbeit  genügt, die notwendigen Lebensmittel zu erzeugen,
       ein Teil  Arbeit progressiv  überschüssig wird und daher zur Pro-
       duktion von  Luxusartikeln benutzt,  in einer andren Produktions-
       sphäre verwandt  werden kann.  Ein Teil  dieser Luxusartikel  ist
       dauerhaft; und  so akkumulieren  sich die  Luxusartikel im Besitz
       derer, die  über die  Surplusarbeit verfügen,  von Jahrhundert zu
       Jahrhundert, und so wird der Gegensatz immer bedeutender.
       Das wichtige  ist, daß Necker überhaupt aus der Surplusarbeit den
       Reichtum der  nicht arbeitenden  Stände ¦¦420¦ - Profit und Rente
       3*) - herleitet.
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       1*) In der Handschrift folgt: in seinem Werk - 2*) Anwender - 3*)
       in der Handschrift: Revenu
       
       #279# Necker
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       Bei der  Betrachtung des  Surpluswerts aber faßt er den relativen
       ins Auge,  der nicht  aus der Verlängerung des Gesamtarbeitstags,
       sondern aus  der Verkürzung  der    n o t w e n d i g e n    A r-
       b e i t s z e i t  resultiert. Die Produktivkraft der Arbeit wird
       zur Produktivkraft  der Besitzer  der Arbeitsbedingungen. Und die
       Produktivkraft  selbst  ist  gleich  Abkürzung  der  Arbeitszeit,
       notwendig, um  ein bestimmtes  Resultat zu  produzieren. Das fol-
       gende sind die Hauptstellen:
       E r s t e n s:   "De l'administration  des finances  de la France
       etc." (OEuvres, t. II, Lausanne et Paris 1789):
       
       "Ich sehe  eine der  Klassen der  Gesellschaft,  deren  Einkommen
       stets ungefähr  das gleiche  sein muß;  ich bemerke  eine  andere
       Klasse, deren  Reichtum sich  notwendigerweise vermehrt. So mußte
       der Luxus,  der aus  einer Gegenüberstellung  und einem Vergleich
       stammt, der  Entwicklung dieses  Mißverhältnisses folgen  und  im
       Laufe der Jahre immer auffallender werden." (l.c.p. 285, 286.)
       
       (Schon schön  der Gegensatz  der  b e i d e n  K l a s s e n  als
       K l a s s e n.)
       
       "Die Klasse der Gesellschaft, deren Los durch die Wirkung der so-
       zialen Gesetze  gewissermaßen   f e s t g e l e g t  ist, besteht
       aus allen  denen,  die,  da  sie    v o n    d e r    A r b e i t
       i h r e r   H ä n d e   l e b e n,   unabweislich dem  Gesetz der
       E i g e n t ü m e r"  (der Eigentümer der Produktionsbedingungen)
       "unterworfen und  gezwungen sind,  sich mit einem  A r b e i t s-
       l o h n   zu begnügen,   d e r  d e r  b a r e n  N o t d u r f t
       d e s   L e b e n s   e n t s p r i c h t;   ihre Konkurrenz  und
       d e r   D r u c k   i h r e r   N o t   bedingen ihre  a b h ä n-
       g i g e   L a g e;   und diese  Verhältnisse  können  sich  nicht
       ändern." (l.c.p. 286.)
       "D i e   u n u n t e r b r o c h e n e   E r f i n d u n g  v o n
       W e r k z e u g e n,    die    a l l e    m e c h a n i s c h e n
       K u n s t f e r t i g k e i t e n   v e r e i n f a c h t    h a-
       b e n,    hat  also    d e n    R e i c h t u m    u n d    d a s
       V e r m ö g e n  d e r  E i g e n t ü m e r  v e r g r ö ß e r t;
       ein Teil  dieser Werkzeuge,   d e r   d i e   K o s t e n   d e r
       B e a r b e i t u n g   d e s   G r u n d    u n d    B o d e n s
       v e r r i n g e r t e,   hat die  R e v e n u e  b e t r ä c h t-
       l i c h e r  gemacht, über die die Besitzer dieser Güter verfügen
       können; ein  anderer Teil der Entdeckungen des Menschengeists hat
       die  gewerblichen   Arbeiten    d e r m a ß e n    e r l e i c h-
       t e r t,   daß die   M e n s c h e n,   d i e   i m   D i e n s t
       d e r   A u s t e i l e r   d e r    E x i s t e n z m i t t e l"
       (i.e. der  Kapitaliskn)   "s t e h e n,   i n   d e r    g l e i-
       c h e n   Z e i t s p a n n e  und  f ü r  d e n  g l e i c h e n
       L o h n   eine größere  Menge von  Produkten jeder Art herstellen
       können." (p.  287.) Nehmen  wir an,  daß im  letzten  Jahrhundert
       hunderttausend Arbeiter  nötig waren,  um das zu leisten, was man
       heute mit  achtzigtausend zustande  bringt; dann sind die übrigen
       zwanzigtausend gezwungen, sich  a n d e r e n  B e s c h ä f t i-
       g u n g e n   zuzuwenden, um  Arbeitslöhne zu  erlangen; und  die
       neuen Produkte  der Arbeit  ihrer Hände,  die daraus entspringen,
       werden die Genüsse und den Luxus der Reichen vermehren." (p. 287,
       288.)
       "Denn", fährt er fort, "man darf nicht außer acht lassen, daß die
       Arbeitslöhne in  allen den  Berufen, die  kein besonderes  Talent
       erheischen, immer  dem   P r e i s   d e s   für  jeden  Arbeiter
       n o t w e n d i g e n   L e b e n s u n t e r h a l t s  entspre-
       chen; so   k o m m t   d i e   B e s c h l e u n i g u n g  d e r
       F e r t i g s t e l l u n g,  sobald die Kenntnis davon allgemein
       geworden ist,  n i c h t  d e n  M ä n n e r n  d e r  A rb e i t
       z u g u t e,     sondern     b e w i r k t     b l o ß    e i n e
       V e r m e h r u n g  v o n  M i t t e l n,  den Geschmack
       
       #280# Fünftes Kapitel
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       und die  Eitelkeit derjenigen  zu befriedigen,  die über die Pro-
       dukte der  Erde verfügen." (l.c.p. 288.) "Unter den verschiedenen
       Gütern der  Natur, welche die Geschicklichkeit des Menschen formt
       und verändert,  gibt es  viele, deren Dauer die eines Menschenle-
       bens bedeutend übersteigt: Jede Generation erbt so einen Teil der
       Arbeiten der vorhergehenden Generation"
       
       (er betrachtet  hier nur  die accumulation  in dem,  was A. Smith
       fonds de consommation 1*) nennt),
       
       "und in  allen Ländern  wird ununterbrochen  eine  immer  größere
       Menge von  Produkten der  Kunstfertigkeit  a k k u m u l i e r t;
       und da  diese Menge immer unter die Eigentümer verteilt wird, muß
       das Mißverhältnis zwischen ihren Besitztümern und jenen der zahl-
       reichen Klasse  der Bürger immer auffallender und bemerkenswerter
       werden." (p. 289.)
       
       Also:
       
       "D i e   A r b e i t s b e s c h l e u n i g u n g   i n    d e r
       g e w e r b l i c h e n   P r o d u k t i o n,   die auf der Erde
       die Gegenstände  des Prunks  und des  Luxus vermehrt  hat,  d i e
       Z e i t,   i n   d e r   d i e   A k k u m u l a t i o n  s i c h
       v o l l z o g e n     h a t,  und   die    G e s e t z e    d e s
       E i g e n t u m s,  d i e  d i e s e  G ü t e r  b e i  e i n e r
       e i n z i g e n   K l a s s e    d e r    G e s e l l s c h a f t
       k o n z e n t r i e r t   h a b e n...,  diese großen Quellen des
       Luxus bestünden  auf jeden  Fall, welches immer die Summe des ge-
       münzten Geldes wäre." (p. 291.)
       
       (Dies letztre  polemisch gegen  die, die  den Luxus von der ange-
       wachsnen Masse des Geldes herleiten.)
       Z w e i t e n s:   "Sur la  législation et le commerce les grains
       etc." (OEuvres, t. IV):
       
       "Sobald der  Handwerker oder  der Landmann  k e i n e  R e s e r-
       v e n   m e h r   h a b e n,  können sie nicht mehr streiten; sie
       müssen     h e u t e     a r b e i t e n,    w o l l e n    s i e
       n i c h t   m o r g e n   H u n g e r s   s t e r b e n;   und in
       diesem Interessenkampf  zwischen ¦¦421¦  Eigentümer und  Arbeiter
       setzt der  eine sein  Leben und das seiner Familie aufs Spiel und
       der andere  eine bloße  Verzögerung im  Wachstum  seines  Luxus."
       (l.c.p. 63.)
       
       Dieser Gegensatz  des Reichtums,  der nicht arbeitet, und der Ar-
       mut, die  arbeitet, um  zu leben, ruft ebenso einen Gegensatz des
       Wissens hervor. Wissen und Arbeit scheiden sich. Das erstre tritt
       selbst als  Kapital der  letztren gegenüber oder als Luxusartikel
       des Reichen.
       
       "Die Fähigkeit  zu wissen  und zu  begreifen ist  eine allgemeine
       Gabe der  Natur, aber  sie wird  nur durch Unterricht entwickelt;
       wäre das  Eigentum gleichmäßig  verteilt,   w ü r d e   j e d e r
       m ä ß i g  a r b e i t e n"
       
       (also wieder die Quantität der Arbeitszeit das Entscheidende)
       
       "und j e d e r   b e s ä ß e  e t w a s  W i s s e n,  weil jedem
       e t w a s  Z e i t"  (freie Zeit) "bliebe, die er dem Studium und
       dem Denken widmen könnte; aber bei der Ungleichheit des Besitzes,
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       1*) Konsumtionsfonds
       
       #281# Necker
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       einer Wirkung  der Gesellschaftsordnung,  ist die   B i l d u n g
       allen Leuten   v e r s a g t,   die  ohne Eigentum  geboren sind;
       denn alle Unterhaltsmittel sind in Händen jenes Teils der Nation,
       der   G e l d   o d e r  B o d e n  besitzt; und da niemand etwas
       umsonst gibt,  ist der  Mann, der  ohne andere  Reserve als seine
       Kraft geboren  ist, gezwungen,  sie vom  ersten Augenblick  ihrer
       Entwicklung an  dem Dienste  der Eigentümer  zu widmen  und damit
       sein ganzes Leben lang fortzufahren, von Sonnenaufgang bis zu dem
       Augenblick, da  diese Kraft erschöpft ist und zu ihrer Erneuerung
       des Schlafs  bedarf." (p. 112.) "Ist es schließlich nicht sicher,
       daß diese Ungleichheit der Kenntnisse zur Aufrechterhaltung aller
       der gesellschaftlichen  Ungleichheiten notwendig  wurde, die jene
       haben entstehen lassen?" (l.c.p. 113.) (cf.p. 118, 119.)
       
       Necker verhöhnt  die ökonomische  Verwechslung - charakteristisch
       bei den  Physiokraten mit  Bezug auf  la  terre  1*),  bei  allen
       spätren Ökonomen mit Bezug auf die stofflichen Elemente des Kapi-
       tals -, welche die Eigentümer der Produktionsbedingungen verherr-
       licht, nicht  weil sie  selbst, sondern diese Bedingungen für die
       Arbeit und die Produktion des Reichtums nötig.
       
       "Man beginnt  die Bedeutung des Grundeigentümers (einer so leicht
       zu erfüllenden Funktion) mit der Bedeutung des Bodens zu verwech-
       seln. (l.c.p. 126.) ¦IX-421¦¦
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       1*) den Boden

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