Quelle: Sozialistische Politik Jahrgang 1969
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Literatur
WALTER EUCHNER, ALFRED SCHMIDT (HG.): KRITIK DER POLITISCHEN
ÖKONOMIE HEUTE: 100 JAHRE 'KAPITAL'.
Referate und Diskussionen vom Frankfurter Colloquium im September
1967, veranstaltet vom Institut für Politikwissenschaft der
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität und der EVA Frankfurt: EVA,
1968. 359 S., kart. 22,- DM.
Daß es in diesem Colloquium "eigentlich nie zu Mißstimmungen ge-
kommen war" (Fetscher, S. 358), dürfte wohl darin zu suchen sein,
daß die Teilnehmer kaum etwas miteinander anzufangen wußten.
Schon die Zusammensetzung hätte dieses Ergebnis nahelegen müssen:
ein Strukturalist, DDR-Gelehrte, westliche Freunde des Sozialis-
mus, österreichische Gewerkschaftler - und ein Pfaffe. Und jeder
kannte seinen Marx, den er unbedingt vor Verunreinigungen schüt-
zen mußte. (Den Höhepunkt dieser Farce bildet wohl der Beitrag
des Professors für Moraltheologie Oswald von Nell-Breuning, der
sich gezwungen sah, die Parallelen zwischen Marx und den Päpsten,
dem 'Kapital' und den Enzykliken aufzuzeigen). Nichtsdestotrotz
versuchen wir den Gang zu rekonstruieren und das Wesentliche her-
auszuholen.
Die Beiträge lassen sich einer Dreiteilung unterziehen: Marxsche
Methodologie, Kapitalismuskritik und politische Ökonomie des So-
zialismus.
Der erste Teil bringt wenig: Rosdolsky faßt die Schlußfolgerungen
seines Buches zusammen (s. B.Z.f.Pol. 4/68, S. 68); Negt nimmt
die inzwischen bekannten Habermasschen Thesen über Marx vorweg;
Schmidt, ausgehend "von einer philosophisch inspirierten Marx-Ex-
egese" (S. 278) vergegenwärtigt uns den Zusammenhang mit Hegel,
was jedoch in dieser Kürze den Stand etwa von Zelenýs Buch (s.
SoPo 1/69, S. 66) nicht erreicht. In einem wichtigen Punkt kann
man ihm aber nicht zustimmen: dort wo er meint, die dialektisch-
materialistische Darstellung schreite vom unmittelbaren" 'Sein'
zum vermittelten 'Wesen' fort" (S. 38). Vielmehr fängt Marx mit
einem unvermittelten Wesen an (Wert), das er gerade erst im nach-
hinein vermitteln kann; die Darstellung schreite dann zu einem
wiederhergestellten (vermittelten) Sein (Bd. III).
Die einzige Heiterkeit, die dieser Teil bietet, ist des Struktu-
ralisten Poulantzas' Versuch, die neuesten Nachrichten aus Paris
zu verkünden: allein er wird von einer Einheitsfront vereitelt.
Im zweiten Teil, wo die Fronten zwischen bürgerlichen und marxi-
stischen Ökonomen ziemlich klar gezogen sind, gilt erst recht He-
gels Diktum:
"Die Wissenschaft kann ein Wissen, welches nicht wahrhaft ist,
weder als eine gemeine Ansicht nur verwerfen und versichern, daß
sie eine ganz andere Erkenntnis und für jene gar nichts ist, noch
sich auf die Ahnung eines bessern in ihm selbst berufen... aber
das unwahre Wissen beruft sich ebenso darauf, daß es ist und ver-
sichert, daß ihm die Wissenschaft nichts ist; ein trockenes Ver-
sichern gilt aber gerade soviel als ein anderes "(Phänomenologie
des Geistes, Meiner-Ausgabe, S. 66).
Daß die Gegner es nie über ein 'trockenes Versichern' hinausbrin-
gen, mag in der dargebotenen Kürze begründet sein - allein man
ahnt, hätten sie mehr Zeit gehabt, es wäre noch trockener gewe-
sen.
Im dritten Teil des Colloquiums handelt es sich um solche Fragen,
wie den Stellenwert des Wertgesetzes im Kapitalismus (wobei Wer-
ner Hofmann den 'Wert' als denkökonomischen Hilfsbegriff faßt),
seine Anwendbarkeit im Sozialismus, den Auf- und Ausbau einer po-
sitiven Ökonomie des Sozialismus (bes. in der DDR) etc.
Die fruchtbarste Debatte hätten Mandels fünf Fragen (S. 343/4)
über Warenproduktion im Sozialismus werden können. Vor allem auf
seinen Versuch die kubanischen Experimente auf diesem Gebiet als
möglich, ja notwendig auch in den europäischen sozialistischen
Ländern zu bezeichnen, hätte eingegangen werden müssen. Dazu
konnte es aber schon deswegen nicht kommen, weil unterstellt
wurde, daß das Ganze irgendwie mit Stalin zusammenhänge.
Marc Linder
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