Quelle: Sozialistische Politik Jahrgang 1969


       zurück

       

ZUM VERHÄLTNIS VON KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE UND KRITISCHER THEORIE.

Ein Ziel der Sozialistischen Politik ist einerseits die Kritik der politischen Ökonomie heute und andererseits die Diskussion der politischen Ökonomie des Sozialismus. Einzulösen ist dieses Programm auf der Grundlage der Aneignung der inneren Natur des Kapitalbegriffs, ausgehend von der Darstellung im Marx'schen 'Kapital'. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens ist darin begründet, daß das Kapitalverhältnis sämtlichen bürgerlichen Ge- sellschaftsverhältnissen zugrundeliegt. Bei der Darstellung der wirklichen Bewegung gegenwärtiger Verhältnisse müssen wir uns je- doch mit einer Schule der bürgerlichen Soziologie auseinanderset- zen. Die Frankfurter Schule, bis hin zu ihrem letzten Repräsentanten Habermas, beansprucht die Gesellschaftstheorie als marxistische Theorie erst voll entwickelt, erst praktisch wahr gemacht zu ha- ben, indem sie das philosophische Mißverständnis, das Marx angeb- lich von seiner eignen theoretischen Arbeit hatte, ausräumt. Trotz vordergründig politischer Differenzen mit dieser Schule be- ruhen jedoch z.T. die theoretischen Diskussionen innerhalb der Linken auf den Fundamenten jener Theorie (vgl.: "Die Linke ant- wortet Habermas", Frankfurt 1968). Eine Auseinandersetzung mit dieser Soziologie erscheint uns umso dringlicher, als in vielen politisch-strategischen Auseinandersetzungen unbewußt eine ganze Reihe ihrer philosophischen Theoreme eine Rolle spielen. Diese üben noch immer eine Wirkung auf die studentischen Massen aus, ohne daß dies auch den praktischen Absichten jener Schule ent- spräche und ohne daß diesen 'Massen' dies recht bewußt wäre. Die politische Bedeutung dieser Ideen zwingt uns zur Auseinanderset- zung, die aber für unsere künftigen theoretisch-praktischen Auf- gaben bestenfalls vorübergehende Bedeutung haben kann. Die Kritik an Habermas, wie sie in den Aufsätzen von Wolfgang Müller (SoPo Nr. 1) und Renate Damus (in diesem Heft) zum Aus- druck kommt, beschränkt sich auf eine Konfrontation von Marx und Habermas, durch die nachgewiesen wird, daß die Habermas'sche Marx-Rezeption in entscheidenden Punkten falsch ist. Der Haber- mas'sche Vorwurf des heimlichen Positivismus in der Marx'schen Theorie fällt darüberhinaus an ihn zurück. Freilich ist diese Form der Auseinandersetzung bloß die erste Form der Kritik. Die Ableitung der gegenwärtigen Gestalt der Frankfurter Theorie aus ihren Ursprüngen Ende der zwanziger Jahre wäre zwar eine Wei- terführung des bisherigen Ansatzes der Kritik, sie bliebe jedoch gleichfalls in der immanenten Logik des Gedankens stecken und wäre als Ganzes gesehen lediglich zweite Form der Kritik. Die wirkliche Bewegung wäre hier bloß in ihrem ideellen Reflex, aber schon als Bewegung dargestellt. (Vgl. auch Marc Linders Thesen in SoPo Nr. 3) Kritik der Frankfurter Schule hätte dann ihr Ziel erreicht, wenn über die Denunzierung ihre: Anspruchs, marxistische Theorie zu sein, und über das Aufzeigen der der Theorie immanente" Wider- sprüche in ihrer Entfaltung hinaus sie selbst als Ausdruck realer Verhältnisse und derer Entwicklung dargestellt werden kann. Diese Form der Kritik würde die "kritische Theorie" als notwendige Er- scheinung gesellschaftlicher Widersprüche begreifen und deren Re- levanz für die Praxis bloßstellen. In dem Moment, wo die kriti- sche Theorie nicht mehr innerhalb der politischen Bewegung als marxistische Theorie mißverstanden würde, hätte sie sich für uns als kritikwürdiger Gegenstand aufgelöst. Der in diesem Heft veröffentlichte Beitrag von Claus Rolshausen demonstriert zugleich Notwendigkeit und Schwierigkeit dieses Pro- zesses der Auseinandersetzung; die Rolshausen'sche Kritik be- dürfte insofern ihrerseits eines kritischen Kommentars, als sie unseres Erachtens in wesentlichen Punkten der kritischen Theorie verhaftet bleibt. Auch wenn die Kürze der zur Verfügung gestan- denen Zeit für dieses Heft noch kein ausführliches Eingehen auf den Beitrag von Rolshausen zuließ, und andererseits auch der Ar- tikel von Renate Damus sich durchaus nur als vorläufiger Diskus- sionsbeitrag versteht, muß es doch an dieser Stelle möglich sein, auf den grundsätzlichen theoretischen Unterschied zwischen den beiden folgenden Beiträgen hinzuweisen. Renate Damus Gudrun Kümmel Wolfgang Müller Diese Vorbemerkung ist aus einer Verlegenheit entstanden: während der Drucklegung dieser Nummer der SoPo bin ich mit der Erklärung von Renate Damus, Gudrun Kümmel und Wolfgang Müller konfrontiert worden, daß mein Beitrag Notwendigkeit und Schwierigkeit dieses Prozesses der Auseinandersetzung mit der kritischen Theorie de- monstriere und eines kritischen Kommentars bedürfe, da er ihr in wesentlichen" Punkten verhaftet bleibe. Den vorausgehenden Thesen kann ich entnehmen, daß die Diskussion innerhalb der Linken "trotz vordergründig politischer Differenzen" auf den Fundamenten dieser Theorie beruhten, welche die Verfasser von dem Mißver- ständnis, eine marxistische Theorie zu sein, befreien und als "kritikwürdigen Gegenstand" auflösen wollen: erst dann soll eine Grenzziehung zwischen "bürgerlichen" Theorien und einer, diesen Rahmen grundsätzlich überschreitenden, Kritik der politischen Ökonomie möglich sein. Offensichtlich sind Damus, Kümmel, Müller der Meinung, es gebe nur eine "richtig" interpretierende Gruppe: sie selbst. Ich kann freilich nicht sehen, wie diese Vorbemerkung den - zumindest pro- grammatischen - Anspruch einlöst, das Verhältnis zwischen politi- scher Ökonomie und kritischer Theorie zu klären: sie ordnet ein, wo sie scheinbar informiert, und verwirft philosophische Theo- reme, indem sie eine durchgeführte Kritik fingiert. Im Kontext dieser kaum ausgewiesenen Konzeption haben die Verfasser trotz meiner Intervention nicht darauf verzichten können, meinen Bei- trag zu etikettieren; biedere Erklärungen der Redaktion, die gute Absichten bekunden, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein solcher Stil Diskussionen, die unser gemeinsames Interesse sind, wenig dienlich ist. Claus Rolshausen Wir bitten unsere Leser, die Korrekturen zum Aufsatz von Claus Rolshausen auf Seite 64 zu berücksichtigen. zurück