Quelle: Sozialistische Politik Jahrgang 1973


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       Diskussion, Besprechung
       

NUN STINKEN SIE WIEDER

- oder wie man in Lübeck Heinrich Mann ehrt *) --------------------------------------------- Der sichere Kompaß des Klasseninteresses hatte H(einrich) M(ann) schon früh den Haß der bürgerlichen Ideologen eingetragen. Dabei offenbarten vor allem die germanistischen Kathedergrößen ihre ganze Niveaulosigkeit. Ihr Vokabular war stereotyp: HM "zersetz- te", "verzerrte", war "hysterisch", "undeutsch", "einseitig", "pathologisch", "überkünstelt", "geiststreichelnd", sein Stil war "unnatürlich", "fehlerhaft", usw. 1) Das hinderte nicht, daß HM massenhaft gelesen wurde: die revolu- tionäre Arbeiterbewegung, die auch große Teile des intellektuel- len Kleinbürgertums mit sich riß, schuf hierfür die Vorausset- zung. 1930 wurde HM zum Präsidenten der Sektion Dichkunst der Preußischen Akademie der Künste berufen, am 15.2.33 wurde er zu- sammen mit Käte Kollwitz hinausgeworfen, weil beide einen "Aufruf zur Bildung einer einheitlichen Front von SPD und KPD" 2) unter- schrieben hatten. Die Presse lieferte den akademisch abgesicher- ten Kommentar: "Wir können ein Gefühl der Genugtuung nicht unter- drücken", schrieb die B e r l i n e r B ö r s e n z e i- t u n g, "daß unserem Kampf gegen Heinrich Mann endlich Erfolg beschieden ist." 3) Herrliche Zeiten brachen dann für die Hüter der deutschen Art an, als HM vor den Faschisten fliehen mußte: sie, allen voran die Germanisten, konnten sich nach dem Sieg des Faschismus an den in- neren, vom jüdischen Intellekt nicht länger bedrängten, deutschen Werten wärmen, die das Ausbeutungssystem des Monopolkapitals und seiner faschistischen Agenten stabilisieren halfen. Geistig anzu- strengen brauchten sie sich nicht: Analyse war eine jüdische Er- findung und tabu, Gesellschaft war ersetzt durch Blut und Boden, und Geschichte durch den "Mythus": am 28.11.1936 wurde dann noch die Kritik offiziell verboten: 4) herrliche Zeiten für Flach- köpfe. "Sie haben", schreibt HM 1935, "mit ihrem Haß gegen das höhere Denken und ein freies Volk, hundert Jahre lang heimlich schlecht gerochen und dürfen jetzt offen stinken," 5) Mit dem offenen Gestank war es 1945 zunächst ein wenig vorbei, aber es miefte weiter: wo ein Paul Rilla fehlte, konnte ein Benno von Wiese den Geistesfürsten spielen: in der Westzone, später BRD. Dort übernahm im übrigen und was HM betraf die Germanistik die Strategie ihrer faschistischen Zunftgenossen und verschwieg ihn ganz einfach. 6) Dies ändere sich ein wenig im Verlauf der 60er Jahre, aber es wa- ren nur Außenseiter, die sich mit HM auseinandersetzten: einem breiteren Publikum wurde er nicht bekanntgemacht, 7) und die eta- blierten Fach-Germanisten hatten mit ihm nicht viel im Sinn. Wahrscheinlich hätte man auch seinen 100. Geburtstag verschwie- gen, wenn nicht die DDR große Heinrich-Mann-Veranstaltungen ange- kündigt hätte. Also ließ man sich etwas einfallen: am Geburtsort von HM sollte eine Tagung stattfinden. Eingeladen wurden Litera- turwissenschaftler aus der BRD, aus den USA und einer aus West- berlin, nämlich ich. Freilich machte ich mir große Illusionen nicht: Walter Ulbricht sagte, was insgesamt zu erwarten sei: "Seit Jahrzehnten wird Heinrich Mann im westdeutschen Staat fak- tisch totgeschwiegen ...", daher seien "mit Sicherheit" Versuche zu erwarten, "Heinrich Mann für (den) Alleinvertretungsanspruch zu mißbrauchen und ihn im antikommunistischen Sinn zu verfäl- schen." 8) Große Empörung in der westdeutschen Presse. DER SPIE- GEL interviewte mich eine Stunde lang, ob dies denn zutreffen könne. Eine Stunde lang sagte ich ja und bewies es. Herauskam am 1.2.1971: "Wer sich im Westen von einem zwischendeutschen Streit um das Mann-Erbe Profit versprechen sollte, ließ Walter Ulbricht freilich offen. Bislang bereitet in der Bundesrepublik allein die Lübecker 'Thomas-Mann-Gesellschaft' ein Heinrich-Mann-Symposium vor." Die allerdings hatte genau das vor, was Walter Ulbricht vorausge- sagt hatte: Abgrenzung gegen die "einseitige", "politische" Ver- einnahmung HMs durch die DDR und Beschlagnahme des "litera- rischen" HMs 9): man wolle nicht wie andere "einseitig" sein, meinte der Leiter der Thomas-Mann-Gesellschaft und der HM-Tagung, sondern "nüchterne wissenschaftliche Betrachtungen" anstellen: "Es gilt eine literarische Leistung zu definieren, nicht aber, ein Politikum zu statuieren." Diese goldenen Worte sind mit abgedruckt in dem gerade im Münchener Wilhelm Zink Verlag er- schienenen, von jenem Leiter der Tagung, einem Dr. Klaus Matthias aus Scharbeutz herausgegebenen Sammelband der Vorträge: Heinrich Mann 1871/1971. Bestandsaufnahme und Untersuchung. Ergebnisse der Heinrich-Mann-Tagung in Lübeck. Angesichts der Tatsache allerdings, daß der Band exakter Verfäl- schung der Heinrich-Mann-Tagung in Lübeck heißen müßte, ist zu vermuten, daß einiges falsch gelaufen ist und die Geldgeber, der Senat der Hansestadt Lübeck und die schleswigholsteinische CDU- Landesregierung nicht einverstanden gewesen sind. Dabei verlief die Tagung insgesamt recht harmonisch, sieht man davon ab, daß einige Studenten diskutieren wollten 10) und wiederum andere als Korrektur von "links" die nachträgliche Einladung von Alfred Kan- torowicz forderten. 11) Ich hingegen war mit der Tagung ganz ein- verstanden, was ich auch als Vorbemerkung zu meinem Vortrag im Festsaal des Rathauses sagte. Es sei, so meinte ich, von den Ver- anstaltern dieses Tagung und den gastgebenden Honoratioren immer wieder betont worden, daß man im Gegensatz zu den HM-Feiern in der DDR hier keine politische Veranstaltung abhalten wolle. Dies aber seien ja wohl sehr politische Bemerkungen, und dies sei schön so, denn immerhin sei ja HM während seines ganzen Lebens ein politischer Mensch und Schriftsteller gewesen, so daß ein Au- ßerachtlassen der politischen Implikationen und Intentionen sei- nes Werkes einer Verfälschung gleichkäme. Es sei daher gerade in einer Zeit, da HM - wäre er SPD-Mitglied - "wegen seines Engage- ments für eine sozialistisch-kommunistische Volksfront aus der SPD ausgeschlossen würde," 12) dringend, ihn als politischen Schriftsteller zu behandeln, so wie dies dankenswerterweise in Lübeck der Fall sei. Ob es nun dies oder jenes gewesen ist oder vielleicht die Tatsache, daß ich meinen Vortrag während der Ta- gung noch ein zweites Mal in Lübeck hielt, nämlich vor Kampfge- fährten Heinrich Manns, die z.T. jahrelang in KZ's hatten sitzen müssen, Genossen von der DKP, was sich in Lübeck herumgesprochen haben mag - was auch immer, irgendetwas muß das ursprüngliche Konzept durcheinandergebracht haben, und zwar so, daß der Herr Dr. Klaus Matthias nachträglich die Tagung dermaßen manipuliert hat, daß sich daraus ein handfester Skandal für die BRD-Germani- stik entwickeln wird. Ich will hier nicht auf die zehn Vorträge eingehen, die außer dem des Dr. Matthias in Lübeck gehalten wurden; sie sind z.T. sehr gut, auf jeden Fall aber, und das reicht ihnen zur Ehre, scheinen sie nicht die Erwartungen zu erfüllen, die der oder die Veran- stalter in die Tagung gesetzt haben. Selbst die kleinen antikom- munistischen Sticheleien von Herrn Durzak "Exil-Motive im Spät- werk Heinrich Manns. Bemerkungen zu dem Roman 'Der Atem'" /203- 219/ scheinen bei weitem nicht ausgereicht zu haben, zumal sich der Schlußredner Andre Banuls, sonst durchweg nicht zurückhaltend mit seiner Verurteilung HMs und des Kommunismus, 13) auffallend mäßigte. Damit war offensichtlich das Planziel des Manövers nicht er- reicht: Auftritt Dr. Klaus Matthias. Er, der einen ziemlich be- liebigen Vortrag unter allen anderen gehalten hatte ("Heinrich Mann und die Musik"), walzt diesen zunächst einmal auf sage und schreibe 130 Seiten (gegenüber einem Schnitt von 22,3 Seiten der anderen Tagungsredner) aus, fügt dann noch ohne irgendeine Ab- sprache, Rückfrage oder Erlaubnis hinter dem Rücken der Tagungs- teilnehmer einen 18 Seiten langen Aufsatz eines gewissen Jörg B. Bilke über "Heinrich Mann in der DDR" in den Sammelband ein und beschließt diesen mit einem wiederum den anderen Tagungsrednern, die ihre Einwilligung zum Abdruck ihres jeweiligen Beitrags im Rahmen der in Lübeck gehaltenen Vorträge gegeben hatten, nicht vorgelegten, unautorisierten, 57 Seiten langen eigenen Aufsatz "Heinrich Mann 1971 - Kritische Abgrenzungen" /385-442/. Normalerweise würde man solches Vorgehen herausgeberisches Pira- tentum nennen, in diesem Fall aber kommt noch der politische Skandal hinzu. Mit Herrn Bilke geht es (nach vorbereitenden Pole- miken im 130-Seiten-Aufsatz des Herausgebers) in medias res: die Rede Walter Ulbrichts zum 100. Geburtstag HMs wird aus der vollen Kompetenz des in der HM-Forschung bislang unbekannten Bilke so bewertet /376/: "Der hymnische Ton ist verräterisch: nicht um Heinrich Mann ging es, sondern um sein literarisches Ansehen, das sich als Dekor für angeblich sozialistische Politik verwenden läßt." Und was tatsächliche sozialistische Politik ist, weiß bei uns schließlich ja jeder Hinz und Bilke, der z.B. die Tatsache, daß über HM auch in Betrieben, Dorfklirbs und LPG's diskutiert wurde /377/ "peinliche Apothesen" nennt. Konkret hat er nichts zu beanstanden, im Gegenteil: "bei allen kritischen Einwänden" (welcher wird nicht verraten) "gegen eine zu eindeutig politisch motivierte Literaturforschung" sind "die editorischen Bemühungen um Heinrich Manns Gesamtwerk" "durchaus anzuerkennen." Die Aner- kennung erfolgt mit heiteren Einlagen: die große Tagung in Berlin (DDR), an der u.a. Pierre Bertaux, Pierre Abraham, Andre Gissel- brecht, Alexander Dymschitz, Friedrich Hitzer, Wieland Herzfelde, Alexander Abusch, Wilhelm Gernius, Sigrid Bock, Werner Herden teilnahmen "verstand sich als Gegenstück zur Lübecker Veranstal- tung" /382/. "Wessen Heinrich Mann und sein Werk im Jahr 1971 nun eigentlich ist, muß vorerst ungeklärt bleiben", orakelt Herr Bilke /384/, "fest steht lediglich, daß sein Alterspessimismus ... kaum mit dem verkrampft wirkenden Aufbaupathos der ersten 14 Nachkriegsjahre im anderen Teil Deutschlands auf einen Nenner zu bringen ist." Spätestens hier müßte den Germanisten aus der BRD und aus den USA die mit ihnen vorgenommene antikommunistische Manipulation un- heimlich werden. Sie macht deutlich, was man in Lübeck eigentlich erwartet hatte und was anscheinend nicht gelungen ist: ohne Skru- pel verpaßt der norddeutsche Saubermann der Tagung nachträglich den antikommunistischen Kalten-Kriegs-Rahmen. Ohne ihr Dazutun sehen sich die Tagungsredner vor den dreckigen Karren der DDR- Hetze gespannt: werden sie sich distanzieren oder werden sie schweigen und damit zu erkennen geben, daß sie in Wahrheit ein- verstanden sind? Dr. Matthias nimmt sie hart heran, denn der Aufsatz des Herrn Bilke ist ihm offensichtlich nicht genug: er fabriziert noch mehr "Kritische Abgrenzungen". Ihn schert die kompetente HM-Forschung nicht, denn einen Autor dieser "literarischen Artung" /384/ weiß er selbst einzuschätzen. Wenn man HM bei uns nicht kennt, dann liegt das nur an HM selbst, der eben nicht gut genug geschrieben- hat. Dr. Matthias hat dafür Beweise: 1. Erich von Kahler, "ein wissender Analytiker" /386-388/ hat ihn nicht beachtet; 2. in den "Denkgefügen" von W. Emrich, W. Jens und G. Blöcker hat HM keinen Platz /388-389/; 3. wenn er aber einmal in einem "Denkgefüge" wie dem von Hans Kaufmann Platz hat, dann nur weil es ein parteilich- marxistisches ist /390/. Wichtiger aber noch als diese Zeugnisse sind ihm die philosophisch anspruchslosen Nachschlagwerke /390- 391/, die Garantie für Gediegenheit bieten: 1. HM fehlt im Sam- melwerk "Die großen Deutschen" (1956); 2. A. Hauser kennt ihn nicht in seiner "Sozialgeschichte der Kunst und Literatur"; 3. im Literatur-Lexikon des Fischer-Verlages ist HM nicht anzutreffen; 4. im 12bändigen Kindler-Produkt "Die Großen der Weltgeschichte" sucht man ebenfalls vergeblich nach HM: kann ja nicht viel her sein mit seiner Größe 14): "Die notorische Wirkungslosigkeit vieler Bücher Heinrich Manns ist durch ... künstlerisch-sprachli- che Mängel begründbar" /395/, schreibt er, damit die Behauptung aller deutschnationalen Germanistengenerationen vor ihm wieder aufwärmend. Was macht es schon, daß selbst ein Herr namens Benn 1931 von HMs Werk meinte, es sei "die entfalteste deutsche Sprachschöpfung" 15)? Gewiß der Herr war kein Kommunist, aber ein Sprachkritiker wie der Dr. Matthias, der selbst vor Rainer Candi- dus Barzel nicht zurückschreckt, läßt sich in seinem eigenen Ur- teil nicht beirren. Er zitiert wahllos und dilettantisch einen Satz HMs, ohne dessen Funktion zu untersuchen: "Der Mann, sich zusammenreißen und abmarschieren" /394/, sagt: "Verhunzung der Sprache" und zieht den (nach Karl Kraus) "repräsentativen Schmu- ser der europäischen Kultur" Stefan Zweig als Autorität zur Ver- urteilung HMs heran: "Der Wirrwarr der hier ausgebreiteten Zick- Zack-Psychologie", befindet Dr. Matthias an anderer Stelle, "läßt... auf eine Zerrissenheit Heinrich Manns selbst schlie- ßen..." /395/. Der Kern der Scharbeutzer Beanstandungen /401/: die "irrationale Hinwendung 'HMs' zu einem verbrecherischen Totalitarismus, den er als humanen Fortschritt mißverstehen wollte." Von den "30er Jah- ren an" /402/ entbehren HMs Werke nämlich der "sittlichen Kompo- nente", dafür enthalten sie Beweise "einer kritiklosen Anbetung des sowjetischen Terrorsystems": "Den dem Kommunismus hörigen Heinrich Mann der Spätzeit darf man billig jenen Ideologen über- lassen, die das östliche System der Unterdrückung der Freiheit stützen und davon profitieren oder die im Westen ... auf seine Einführung auch hier hinwirken." /404/ Der Gali-Matthias **) kennt keine Grenzen: die Zeit ist gekommen für die Anrufung der Götter gegen das Böse: Auftritt Konrad Adenauer, dem der Herr Doktor in ökonomischen Fragen lieber ver- traut als dem HM, der 1923 vor der Konzentration des internatio- nalen Kapitals warnte. In Wahrheit war dies nämlich eine Wohltat für die Welt, wie die nachfolgende Zeit tot-schlagend erwies. Auftritt der zweite Gott: Herr Theodor Heuß. Er kommt /412-413/ lautselig wie immer nur so: mit HM hat er eigentlich direkt auch nichts zu tun, aber er wärmt im Gegensatz zu diesem das Herz. Auftritt der dritte Gott: Herr Carlo Schmid, der nicht nur en passant den Marx gemurxt hat /413-414/, wobei ihm übrigens kompe- tent der erwähnte Barzel hilft 16), sondern auch den "sowjetischen Totalitarismus" "entlarvte", und als vierten Gott läßt die Machina des Dr. Matthias endlich Herrn Golo Mann auf die Bühne springen, der /414-418/ seine als Geschichtsphilosophie verkleideten antikommunistischen Emotionalien verbreiten darf: den Onkel konnte er auch nie leiden, wie man weiß. Er befindet für den Dr. Matthias, daß vom "kommunistischen Glauben" "der ganze 'Kalte Krieg'" stammt /418/. Vom Dr. Matthias stammt dafür der kalte Kaffee, an dem wir schwer schlucken und der uns die im Neuköllner Tageblatt 1933 abgedruckten Sprüche in Erinnerung bringt, mit denen die Faschisten die schandbaren Bücherverbren- nungen vornahmen: 1. "Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky". 2. "Gegen Deka- denz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Erich Glaeser und Erich Kästner." 17) Aber Dr. Matthias kennt sich nicht nur im Gebiet der großen ge- schichtlichen und politischen Theorien aus, er ist auch im Klei- nen sehr fleißig, wobei er sich auf Herrn Alexander Schwan und keinen geringeren als den Herrn Stoltenberg berufen kann /420/: "Das Aufkommen einer spät-marxistischen Bewegung Ende der 60er Jahre trägt alle Züge des freiheitsfeindlichen Totalitarismus an sich...", und er berichtet vom "Klima der permanenten radikalen Hetze" und der "Einschüchterung durch physischen und psychischen Terror bis zur Anwendung brutaler Gewalt - der Morddrohungen und des Mordes - bei Banküberfällen, Geiselnahmen und Bombenanschlä- gen". Die Unterwanderung der akademischen Institutionen sind /421/ nicht vergessen, denn der Dr. Matthias ist ein ordentlicher Mensch und macht alles sehr gewissenhaft. Er weiß auch zu berich- ten, was zu den "pubertären Aggressionen" führt: die Sehnsucht der /422/ "Neuen Linken" nach "Geborgenheit und dem Anschein der Überlegenheit". Beides holen sie aus einer "weit zurückreichenden marxistischen Sozialwissenschaft", die ihnen z.B. von Adorno ge- liefert wurde: "So zerfaserte Adorno das Kulturganze, das vergan- gene wie das gegenwärtige Leben mit der elitären Überlegenheit dessen, der jede Bewegung in Kunst und Leben als bildhaften Vor- gang des Weltgeistes selbst zu dechiffrieren wußte." Dazu ein weiterer Neuköllner Sauberspruch von '33: "Gegen seelenzerfa- sernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschli- chen Seele! Ich übergebe der Flamme die Seele Sigmund Freuds." Sollte jemand an Zufälligkeit der Wortwahl glauben, so sei ihm dieser Glaube geraubt /422/: "Daneben und weiter noch zurückrei- chend das mystisch zerwühlte eschatologische und zugleich dies- seitsbrünstige Denken von Ernst Bloch oder die paradoxen Tricks der pseudologischen Verführungen Herbert Marcuses: Denkergebnisse sehr praktischer Revolutions-Schürer, denen Gewalt für die gute Sache des Marxismus nicht zu schlecht dünkt..." und immer weitere Plattheiten mit dem alten bekannten Vokabular, mit denen damals "die Juden" belegt wurden. Durch Zufall sind es gerade wieder welche: auch Iring Fetscher und Habermas gehören zu den Revoluti- onsköchen: ihr "Gedankengut" findet /423/ Aufnahme bei "epigonalen Modedenkern und Jungautoren" und die wiederum ver- breiten es über Presse, Verlage, Funk und Fernsehen (der Dr. Matthias zählt alle "linken" Fernsehsprecher auf, die sich posi- tiv zur "Ostpolitik" geäußert haben /423/). Usw., usf.: Brandt und Wehner werden gerügt, die Kritik der friedlichen Koexistenz, die die UdSSR propagiert, wird entlarvt: Es ist ein Graus. So je- mand durfte Heinrich Manns 100. Geburtstag ausrichten und die Beiträge zur Tagung edieren. Es ist ein nacktes Verbrechen an Heinrich Mann /442/: "Heinrich Manns notorische Unbeliebtheit oder Unbekanntheit" sei das "einzige Lamento", das den Verehrern HMs "gegenüber einer störrischen Umwelt" einfiele. Als der damals auf deutschem Boden bereits befohlenermaßen "notorisch unbe- kannte" HM am 22. Juni 1935 den Vorsitz auf dem Pariser Kongreß zur Verteidigung der Kultur übernahm, erhoben sich alle Anwesen- den zu minutenlangem Applaus. Das waren fast alle großen, damals lebenden Schriftsteller der ganzen Welt. "Setzen" zischt ihnen ein neuer Rat, ein Studienrat aus Lübeck zu. Der Kerl: auftreten, Antikommunismus ausspucken und abstinken. Michael Nerlich _____ *) Der Autor war geladener Referent auf der Tagung, die anläß- lich des 100. Geburtstages von Heinrich Mann in Lübeck 1971 stattfand. Das von ihm gehaltene Referat - eine Werkanalyse zu ideologischen Erscheinungsformen bei Heinrich Mann - ist nun nachzulesen: Michael Nerlich: "Warum Henri Quarre?", in: HEINRICH MANN 1871/1971, Bestandsaufnahme und Untersuchung, Ergebnisse der Heinrich-Mann-Tagung in Lübeck, München 1973, S. 163-202. 1) Vgl. Klaus Schroten "Deutsche Germanisten als Gegner Heinrich Manns", in: H.L. Arnold (Hrg.): "Heinrich Mann", TEXT + KRITIK, 1971, S. 141-149. 2) "Protokoll der Sitzung der Akademie", zit. J. Wulf: LITERATUR UND DICHTUNG IM DRITTEN REICH, Gütersloh 1963, S. 19. 3) Ebenda, S. 21, vgl. weiter dort. 4) Ebenda, S. 270. 5) H. Mann: "Aufbau einer geistigen Welt", in: VERTEIDIGUNG DER KULTUR, Berlin-Weimar 1971, S. 102-106, 103. 6) Vgl. F. Hitzer: "Heinrich Mann und die Bundesrepublik 1971", ARBEITSHEFTE DEUTSCHE AKADEMIE DER KÜNSTE in Berlin, 1971, Nr. 8, S. 193-195. 7) Vgl. AKZENTE, 1969, Heft 5. 8) NEUES DEUTSCHLAND, 22.1.1971. 9) Vgl. M. Nerlich: "Nachtrag zur Lübecker Heinrich-Mann-Feier", in: Berliner EXTRADIENST, 8. April 1971, IX-XI. 10) Vgl. Klaus Wagner: "Ein Zeitgenosse wird besichtigt. Die Lü- becker Heinrich-Mann-Tagung", FAZ vom 29.3.1971; J. Drews: "Heinrich Mann-Ehrung mit peinlichen Pannen. Mit einem Potpourri von Vorträgen feiert die Hansestadt Lübeck ihren zweiten großen Sohn", SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vom 31.3.71. 11) Das war das Hauptmerkmal der "linken" Germanisten- und Jour- nalisten-Polemik gegen die Lübecker Tagung, daß sie mit dieser Polemik auch gleich noch Polemik gegen die DDR betreiben wollte: vgl. u.a. H.L. Arnold: "Vorbemerkung", in: HEINRICH MANN, a.a.O., S. 4-5. 12) HEINRICH MANN 1871/1971, a.a.O., S. 440. Der Herausgeber, der sich sonst sogar noch an die Namen der intervenierenden Studenten und Journalisten erinnert und sie alle wie weiland ein berühmter Lübecker Amtskollege mit seinem Zorn verfolgt, spricht hier nur von einem "Referenten". Also der war ich. 13) Vgl. DAS ARGUMENT, 79, S. 479-483. 14) In der Neuauflage seines Aufsatzes kann Dr. Matthias noch zwei Nachschlagwerke anführen, in denen HM mit keiner Silbe er- wähnt wird: Kurt Wais (Hrg.): DIE GEGENWARTSDICHTUNG DER EUROPÄI- SCHEN VÖLKER, Berlin 1939; Dr. Hellmuth Langenbucher: VOLKHAFTE DICHTUNG, Berlin 1941. 15) D. Wellershoff (Hrg.): GESAMMELTE WERKE, Frankfurt 1968, Bd. III, S. 700. **) Für die, die keinen Duden zur Hand haben: "Galimathias": sinnloses Geschwätz, verworrenes Gerede (frz.). 16) Ebenda, S. 414. Später treten noch auf J.B. Gradl, H. Winde- len, W. Leisler-Kiep, K. Th. Freiherr zu Guttenberg, (Strauß fehlt). 17) J. Wulf: LITERATUR UND DICHTUNG IM DRITTEN REICH, a.a.O., S. 45. zurück